1. Sitzung des Wissensetzwerks am 13. März 2015 in Wien

1. Sitzung des Wissensetzwerks am 13. März 2015 in Wien

Fotocredit Markus Wache

 

Die Städte sind die Wirtschaftsmotoren unseres Landes, die Innenstädte sind die Herzen der Städte. Wenn wir die Innenstädte „verlieren“  sei es durch vermehrten Leerstand in den Erdgeschoßzonen, durch Verlust an Wohnbevölkerung aufgrund zu hoher Grundstückspreise oder durch Abwanderung  von Gewerbe und Einzelhandel in die Einkaufszentren am Stadtrand -  was unterscheidet die Städte dann noch von anderen Raumtypen? Schließlich kann gerade die Lebensqualität in den Österreichischen Innenstädten als der wesentlichste Standortfaktor angesehen werden, über den die Städte verfügen. Aktives Handeln ist daher gefragt. Aus diesem Grund richtet der Städtebund gerade eine neue Arbeitsgruppe mit dem Titel „Wissensnetzwerk Innenstadt“ ein. Eine erste Tagung fand am 13.03.2015 in Wien statt. Ausgangspunkt waren die Bestrebungen vieler Städte, Kaufkraft in den Stadtzentren zu halten bzw. in  weiterer Folge der Verödung der Zentren durch gezielte Maßnahmen entgegen zu wirken. Ziele des Wissensnetzwerks Innenstadt:

  • Schaffung einer Vernetzungsplattform der Städte untereinander, Erfahrungsaustausch
  •  Lernen von Best Practices national und international (Vorträge, und weiterer Folge auch Exkursionen)
  • Etablierung eines ExpertInnengremiums der Städte zu Fragen der Innenstadtentwicklung gegenüber Dritten (z.B. Wirtschaftskammer Österreich, Österreichische Raumordnungskonferenz, Architektenkammer, udgl.)
  • Ggf. gemeinsames Erarbeiten von Handlungsbedarf auf Ebene der Landes- und Bundesgesetzgebung, Erstellen einer „Agenda Innenstadt“ des Österreichischen Städtebundes
  • Schaffung öffentlicher Aufmerksamkeit für das Thema Innenstadtentwicklung, Leerstand und entsprechender Gegenstrategien

Derzeit sind 33 Städte im „Wissensnetzwerk Innenstadt“ vertreten: Bregenz, Bruck an der Mur, Deutsch Wagram, Feldkirch, Graz, Hermagor – Presseggersee, Innsbruck, Kapfenberg, Knittelfeld, Krems, Kufstein, Leoben, Lienz, Liezen, Linz, Marchtrenk, Melk, Mistelbach, Mürzzuschlag, Ried im Innkreis, Salzburg, Schwechat, St. Pölten, St. Valentin, Traun, Trofaiach, Villach, Waidhofen an der Ybbs, Wels, Wien, Wiener Neustadt, Wörgl und Wolfsberg. Vorarbeiten zum Thema Innenstadt Beim Städtetag 2014 in Graz gab es einen eigenen Arbeitskreis zum Thema „smart urban living – meine Stadt, mein LebensRaum“.  Ebenfalls 2014 veröffentlichte die Steirische Landesgruppe des Österreichischen Städtebundes gemeinsam mit der steirischen Landesregierung und der Steirischen Wirtschaftskammer das „Weißbuch Innenstadt – Chancen und Herausforderungen der Innenstadtbelebung für Klein- und Mittelstädte“

http:////www.staedtebund.gv.at/fileadmin/USERDATA/Service/Dokumente/Weissbuch_Innenstadt_2014_DRUCK.pdf . Dabei wurden anhand der Städte Bruck an der Mur, Hartberg und Bad Radkersburg Handlungsoptionen zur Innenstadtentwicklung für Städte mit einer Einwohnerzahl von bis zu rund 25.000 EinwohnerInnen aufgezeigt. Das Weißbuch Innenstadt ist allerdings vorrangig als ExpertInnenpapier zu verstehen, nicht als Papier der Städte. Es wurde beim Fachausschuss für Bauangelegenheiten am 04.12.2014 den BaudirektorInnen der Städte vorgestellt. Nun sollten die darin gelisteten Maßnahmen einem Expertencheck auf Ebene der Städtevertreter unterzogen werden. Ergebnisse der ersten Tagung des Wissensnetzwerks Innenstadt am 13.03.2015 Mag. Roland Murauer von der CIMA Beratung + Management GmbH hielt den Eingangsvortrag bei der Auftaktveranstaltung des Wissensnetzwerks Innenstadt am 13.03. und sorgte mit einigen Daten und Fakten für Aufsehen: So weist Österreich mit 1,85 m² Verkaufsfläche pro Einwohner die dichteste Verkaufsflächenstruktur in ganz Europa auf (EU-Durchschnitt 1,06m² Verkaufsfläche pro Einwohner). Die Verkaufsflächenkonzentration ist dabei gerade bei „Speckgürtel-Gemeinden“ mit geringer oder keiner „zentralörtlichen “-Funktion extrem hoch (z.B. Seiersberg mit 12,2 m² Verkaufsfläche pro Einwohner). Der innerstädtische Verkaufsflächenanteil liegt je nach Bundesland zwischen 19% (Burgenland) und 30% (Vorarlberg). Damit findet Einzelhandel schon heute überwiegend „auf der grünen Wiese statt“.  Dabei stellen neue Fachmarkt- und Einkaufszentren-Entwicklungen stellen kein „Allheilmittel“ zur Erhöhung der lokalen Kaufkraftbindung dar.  So ging die Kaufkrafteigenbindung an Standorten mit neuen Fachmarkt- bzw.- Einkaufszentren innerhalb der letzten 8-10 Jahre teilweise sogar um bis zu 12% zurück (z.B. in Kremsmünster, Bad Hall, Gmünd,..). Auch wirken starke „Kannibalisierungseffekte“ zwischen „gleichrangigen“ Handelsstandorten einer Region. Vor allem aber kommt es an Standorten mit neuen peripheren Fachmarkt- und Einkaufszentren zu sehr hohen Umsatzumlenkungen aus den Stadtkernen.  Der Innenstadt-Umsatzanteil reduzierte sich durch neue FMZs/EKZs innerhalb von 8 Jahren um 10% bis zu 27% (wie im Falle von Straßwalchen). Auch Städte, welche seit 2006 keine größeren Einzelhandelsentwicklungen forcierten, haben dennoch an innerstädtischer Wettbewerbsattraktivität eingebüßt. Nach Ansicht von Herrn Mag. Murauer stellen daher vernetzte immobilienwirtschaftliche und städtebauliche Impulse und eine Stadtkern-orientierte Widmungspolitik die wichtigsten Rahmenbedingungen für attraktive Innenstädte dar. Auch sollte stärker ins (politische) Bewusstsein rücken, dass der Facheinzelhandel an vielen Standorten eine zwei bis dreifach so hohe Personalintensität aufweist wie Fachmärkte oder Discounter in der Peripherie. Werden zur Bewirtschaftung von 1000m² Verkaufsfläche innerstädtisch ca. 29 Arbeitsplätze benötigt, so sind nur ca. 9 Arbeitsplätze zur Bewirtschaftung von 1000m² Verkaufsfläche in peripheren Fachmarktzentren nötig.  In weiterer Folge werden durch neue FMZs am Stadtrand innerstädtisch Arbeitsplätze vernichtet. So führte in Waidhofen an der Thaya die Ansiedelung eines peripheren FMZ mit 93 Beschäftigten zu einer Reduktion von 107 Beschäftigten (VZ-Äquivalent) in der Innenstadt. Abschließend wies Mag. Murauer auf eine weitere Bedrohung des innerstädtischen Einzelhandels hin: in den nächsten zehn Jahren wird der Online-Handel sowie die Digitalisierung der Verkaufsflächen dem stationären Jahren rund 15 % der  Verkaufsflächen kosten. Im Rahmen der ersten Tagung wurden Klein-, Mittel- und Landeshauptstädten nach den Eingangsvortrag gebeten, in Gruppenarbeiten die eigenen Herausforderungen zu definieren. Hier ein kurzer Überblick über die Ergebnisse:

  •  Kleinstädte in peripheren Lagen kämpfen vermehrt gegen Leerstand von Wohnungen, Geschäftsflächen und Gasthäusern – sogar in ehemaligen erstklassigen Innenstadtlagen. Es setzt sich vermehrt die Ansicht durch, dass die Innenstadt mehr sein muss, als bloßer „Konsumraum“ – zumal es auch immer weniger Einzelhandelsbetriebe innerörtlich gibt.
  • Die „Mittelstädte“ leiden hingegen an einem Einzelhandelsflächenüberhang in äußeren Stadtbereichen, der ebenfalls zu Leerstand im Zentrum – hier allerdings vorrangig in B und C-Lagen führt. Diesen „Donut-Effekt“ bei dem entleerte Stadtzentren einem Wulst an Nutzungen und Funktionen am Stadtrand gegenüberstehen, weisen fast alle Mittelstädte auf.
  • Bei den Landeshauptstädten sehen die Herausforderungen diametral entgegen gesetzt aus: es gilt, das rasante Bevölkerungswachstum zu bewältigen. Die neuen BewohnerInnen brauchen Wohnungen, soziale und technische Infrastrukturen und fordern attraktive Frei- und Grünflächen.  Insgesamt ist eine Verknappung von Wohnraum feststellbar – vor allem in Zentrumsbereichen, wo durch Sanierungen Kleinstwohnungen zusammengelegt wurden. Der Leerstand im Erdgeschoß stellt vor allem in B und C-Lagen eine Herausforderung dar.  Auch die vermehrte Tourismusintensität macht den Landeshauptstädten zu schaffen: es gilt, die „Normalität“ für die BewohnerInnen wieder herzustellen, in dem z.B. Wohnbevölkerung zurück in die Zentren gelockt werden soll (Thema „Leistbares Wohnen“).

Als zentrale Herausforderung zeichnete sich der notwendige Kompetenzaufbau im Bereich der Immobilienwirtschaft bzw. im Bereich Einzelhandel ab. Den städtischen EntscheidungsträgerInnen fehlt es oftmals an Know-How handelsorientierte Standortentwicklung von immobilienorientierter Standortentwicklung unterscheiden zu können. Bei Letzterer geht es vor allem um Verdrängungswettbewerb. Die in Aussicht gestellten neuen Arbeitsplätze am Stadtrand sind in Wahrheit nur der Ersatz für die Arbeitsplätze, die dafür in der Innenstadt aufgegeben werden. Die Immobilienwirtschaft hingegen ist sehr versiert und oftmals sind die EntscheidungsträgerInnen in Politik und Verwaltung auf städtischer Ebene diesem Druck nicht gewachsen. Hier bedarf es künftig verstärkt eines Kompetenzaufbaus auf städtischer Ebene bzw. in Teilbereichen sogar einer Verlagerung von Entscheidungen auf eine übergeordnete Ebene. Hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene wurden daher auch die Themen Einzelhandel, Immobilienwirtschaft von den Teilnehmenden sehr hoch bewertet. Schwerpunkte waren allerdings auch die Themen Denkmalschutz, Vertragsraumordnung, Wohnbauförderung, stadtregionale Kooperationen, Stellplatzmanagement sowie die Quartiersentwicklung durch Förderung kreativer Nutzungen. Der gesamte Maßnahmenkatalog ist als

Agenda Innenstadt“ bereits auf der Homepage des Städtebundes verfügbar. Mit der „Agenda Innenstadt“ als Grundlage wird das ÖStB-Generalsekretariat nun Gespräche mit der Wirtschaftskammer Österreich und der Österreichischen Raumordnungskonferenz aufnehmen. Eventuell zeichnen sich dann schon erste Termine für weitere (ev. gemeinsame) Veranstaltungen bzw. Studien/Strategien ab. Ein nächstes Treffen des Wissensnetzwerks Innenstadt ist für Herbst 2015 geplant. Weitere InteressentInnen werden selbstverständlich herzlich zur Mitarbeit eingeladen. SCW, 14.04.2015

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