EuGH ermöglicht Vergabe an einen Zusammenschluss von Gemeinden ohne Ausschreibung
EuGH ermöglicht Vergabe an einen Zusammenschluss von Gemeinden ohne Ausschreibung
Der EuGH hat sich erneut mit dem Anwendungsbereich des Vergaberechts auf interkommunale Kooperationen befasst: Eine vergaberechtsfreie In-House-Beauftragung einer von mehreren Gemeinden getragenen Genossenschaft ist grundsätzlich denkbar.
Sachverhalt:
In den Jahren 1969 bis 1999 errichtete und betrieb Coditel mit Zustimmung der Gemeinde Uccle ein Kabelfernsehnetz auf deren Gebiet. 1999 beschloss die Gemeinde den Kauf dieses Netzes und beschloss die Ausschreibung des Betriebs dieses Netzes durch einen Konzessionär. Auf die Ausschreibung hin bewarben sich vier Unternehmen, darunter Coditel. Daraufhin beschloss die Gemeinde Uccle, von der Vergabe einer Konzession für den Betrieb ihres Kabelfernsehnetzes abzusehen und das Netz zu verkaufen. Dafür gaben fünf Unternehmen, darunter Coditel, Kaufangebote ab. Brutele, eine interkommunale Genossenschaft, legte der Gemeinde Uccle kein Kaufangebot, sondern ein Angebot über den Beitritt als angeschlossenes Mitglied vor. Da die Gemeinde Uccle vier der fünf Angebote für unzulässig hielt und das einzige zulässige Angebot, nämlich das von Coditel, als zu niedrig erachtete, beschloss sie, vom Verkauf des gemeindlichen Kabelfernsehnetzes abzusehen, Brutele beizutreten und dieser den Betrieb des gemeindlichen Kabelfernsehnetzes zu überlassen. Diese würde einen eigenständigen Betriebsunterzweig mit weitgehender Autonomie und gesonderter Abrechnung bilden. Die Gemeinde Uccle sollte Geschäftsanteile an der Brutele erwerben. Brutele ist eine interkommunale Genossenschaft, an der ausschließlich Gemeinden und Gemeindeverbände beteiligt sind. Sie steht Privaten nicht offen. Sie wird von einem Verwaltungsrat geleitet, dessen Mitglieder aus Gemeindevertretern besteht, die die Generalversammlung ernennt. Sie ist in zwei Zweige und weitere Unterzweige unterteilt, die jeweils von eigenen Zweigräten und Unterzweigräten geleitet werden. Diesen kann der Verwaltungsrat einzelne Entscheidungen delegieren. Sie verrichtet ihre Tätigkeit im Wesentlichen für ihre Mitglieder. Coditel erhob Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses des Gemeinderats der Gemeinde Uccle, da diese die Vorteile des Beitritts nicht mit den Vorteilen einer Konzession verglichen habe.
Aus der Begründung:
Für die Erfüllung der Voraussetzung „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle“ kann auf eine Kontrolle abgestellt werden, die öffentliche Stellen, die Anteile an einer konzessionsnehmenden Einrichtung halten, gemeinsam über diese ausüben. Die Kontrolle muss hierbei wirksam sein, nicht aber individuell ausgeübt werden. Entscheiden sich mehrere öffentliche Stellen (Gemeinden) dazu, ihrem gemeinwirtschaftlichen Auftrag durch die Einschaltung einer gemeinsamen (konzessionsnehmenden) Einrichtung nachzukommen, so ist es normalerweise ausgeschlossen, dass eine dieser Stellen, sofern sie nicht eine Mehrheitsbeteiligung hält, allein eine bestimmende Kontrolle über deren Entscheidungen ausübt. Zu verlangen, dass die Kontrolle durch eine öffentliche Stelle in einem solchen Fall individuell sein muss, würde bewirken, in den meisten Fällen, in denen eine öffentliche Stelle einem Zusammenschluss weiterer öffentlicher Stellen wie einer interkommunalen Genossenschaft beitreten möchte, eine Ausschreibung vorzuschreiben.
Ein solches Ergebnis ist laut EuGH-Urteil aber mit der Systematik der EU-Vergabevorschriften nicht vereinbar. Eine öffentliche Stelle müsse die Möglichkeit haben, ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben mit eigenen administrativen, technischen und sonstigen Mitteln zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören. Vor diesem Hintergrund sei die Möglichkeit zuzulassen, dass mehrere öffentliche Stellen, wenn sie die Anteile an einer konzessionsnehmenden Einrichtung halten, der sie die Erfüllung eines gemeinwirtschaftlichen Auftrags übertragen, ihre Kontrolle über diese Einrichtung gemeinsam ausüben (EuGH 13.11.2008, C-324/07).
Anmerkung:
In diesem Urteil hat der EuGH praxisnah ausgesprochen, dass eine Gemeinde eine Dienstleistungskonzession an einen - nach österreichischen Verhältnissen - Gemeindeverband vergeben kann, ohne eine Ausschreibung durchführen zu müssen. Hinsichtlich des Kontrollkriteriums ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Die Kontrolle muss im Einzelfall wirksam, nicht aber unbedingt individuell ausgeübt werden. Wesentlich ist, dass sämtliche Mitglieder des Gemeindeverbandes Gemeinden oder ausschließlich aus Gemeinden bestehende Gemeindeverbände sind. Andere Körperschaften öffentlichen Rechts wären wohl auch zulässig. Die ausschlaggebenden Kriterien sind Kapitalbeteiligung, Bestellung der Mitglieder des Leitungsorgans und Befugnis des Leitungsorgans. Bei der Befugnis spielt die Unabhängigkeit die Hauptrolle. Die Kapitalbeteiligung kann auch gering sein, solange das gesamte Kapital zusammen mit anderen öffentlichen Stellen gehalten wird.
Der EuGH stellt klar, dass Gebietskörperschaften die Möglichkeit haben müssen, ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben mit eigenen administrativen, technischen und sonstigen Mitteln zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören. Entgegen der Auffassung der EU-Kommission hat der EuGH damit das Recht der kommunalen Selbstverwaltung hervorgehoben, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Erbringung kommunaler Dienstleistungen – auch gemeinsam mit anderen Gebietskörperschaften – umfasst.