Mit offener Kommunikation der Europaskepsis begegnen

Mit offener Kommunikation der Europaskepsis begegnen

„Die EU“ oder „Europa“ – diese Begriffe werden oft so ausgesprochen, als hätten die Menschen in Österreich damit kaum etwas zu tun. Doch das Gegenteil ist der Fall, denn die EU und europäische Regelungen betreffen uns tagtäglich. Daher muss einerseits das demokratische Bewusstsein für Europa geschärft werden, andererseits die Kommunikation aller Akteure klarer und verständlicher werden.

 

Aus der alljährlichen europaweiten Meinungsumfrage des Eurobarometers, aus vielen anderen Untersuchungen und aus persönlichen Erfahrungen geht hervor, dass generell in den letzten Jahren die Befürwortung des europäischen Integrationsprojekts mehr oder minder stark abnimmt. Das Bewusstsein und die Anerkennung, dass uns die Europäische Union die längste Friedensperiode auf diesem Erdteil gebracht hat, verblasst. Die Statistiken weisen zwar aus, dass es unseren Volkswirtschaften dank Binnenmarkt, Euro und europaweiten Stabilitätskriterien gut geht. Der persönliche Eindruck ist jedoch vielfach, dass wir uns immer weniger leisten können und Arbeitsplätze sowie die Zukunftssicherung generell gefährdet sind. Das Bemühen der Europäischen Union, benachteiligten und unterentwickelten Regionen bzw. Mitgliedern zu helfen, wird zumindest in den reicheren Staaten auf eine neidgeprägte Nettozahlerdiskussion reduziert. Warum ist das so und muss das so bleiben?

„Wir haben gemeinsam entschieden“
Generell gilt für fast alle Staaten in der Europäischen Union, dass Entscheidungen in Brüssel und Straßburg als geografisch fern und bürgerfern empfunden bzw. zu oft als solches dargestellt werden. Die EU wirkt abgehoben bzw. aufgesetzt.
In die traditionellen Pyramide mit den Bürgern an der Basis und darüber der lokalen, regionalen und staatlichen Ebene ist die europäische Ebene derzeit nicht integriert – die europäische Ebene erscheint derzeit lediglich als aufgesetzt. Dies ist eine Konstruktion, die zwangsläufig höchst instabil ist. Aus diesem Bild wird aber auch klar, dass zwischen der europäischen und den darunter liegenden Ebenen keine ausreichende Kommunikation stattfinden kann, die zu einem besseren Verständnis und zu verstärkter gegenseitiger Anerkennung führen könnte. Die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger dringen nicht bis nach Europa durch, die Ziele, Vorhaben und Vorteile gemeinsamen Handelns können den Bürgern nicht ausreichend vermittelt werden. Der vielfach gebräuchliche Ausdruck „die EU hat entschieden“ ist ebenso falsch wie irreführend. Nicht irgendeine anonyme, weit entfernte Institution EU entscheidet, sondern die Entscheidungen werden von direkt gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments und den in den diversen Ratsformationen vertretenen Ministern aus den Mitgliedsstaaten, die in diesen auch politisch verantwortlich sind, getroffen! Der obige Ausspruch sollte daher ersetzt werden durch „Wir haben gemeinsam auf EU-Ebene entschieden“. Fälschlicherweise wird vielfach die Europäische Kommission als Entscheidungsinstanz angesehen, obwohl sie in den meisten Fällen lediglich dazu befugt ist, Vorschläge auszuarbeiten, und diese den Entscheidungsgremien Europaparlament und Rat zur Beschlussfassung vorzulegen.

Entscheiden in der EU, gewählt wird zu Hause
Das Bild zeigt auch deutlich, wo die Hauptursache der derzeit übergroßen Europaskepsis liegt. Die Europaparlamentarier finden in ihren Heimatländern kaum Zugang zu den Medien. Beispielsweise fand die monatelange parlamentarische Knochenarbeit zur Überarbeitung des Kommissionsvorschlags für eine europaweite Dienstleistungsrichtlinie, an der sogar zwei österreichische Europaparlamentarier federführend beteiligt waren, hierzulande wenig Niederschlag in den Medien. Die Sitzungen der (Minister-) Räte auf europäischer Ebene finden immer noch hinter verschlossenen Türen statt. Informationen, wie welcher Minister abgestimmt hat, dringen nicht nach außen bzw. werden auch von den Ministern und Ministerinnen nicht aktiv bekannt gegeben. Es gibt praktisch keine europäische Medienlandschaft. Es fehlen nach wie vor echte europäische Parteien und eine für die Bürgerinnen und Bürger präsente europäische Öffentlichkeit. Ein Grundproblem scheint letztlich zu sein, dass politische Entscheidungen bereits zu einem sehr großen Ausmaß auf europäischer Ebene von Verantwortlichen getroffen werden, die zu Hause wiedergewählt werden wollen.
Vor diesem allgemeinen Hintergrund wäre es also durchaus verständlich, wenn sich die Stimmung in Österreich gegenüber der EU im Vergleich zur historischen Zustimmungsrate von fast 67% beim Beitrittsreferendum 1994 ebenfalls verschlechtert hätte wie in allen EU-Staaten. Bei den Fragen, ob die EU eine gute Sache ist und ob die EU weitere Staaten aufnehmen soll, ist jedoch Österreich inzwischen europäisches Schlusslicht. Dafür muss es wohl besondere Gründe geben, die im Land selbst liegen.

Kein Bewusstsein für Mitbestimmung
Die Abneigung gegenüber Fremdbestimmung ist in Österreich aus historischen Gründen besonders groß. Auch ist das Selbstwertgefühl der Österreicher erst relativ spät entstanden und lässt zuwenig Raum für Wir-Gefühle auf einer größeren Ebene. In der Zeit des Kalten Krieges hat Österreich als neutrales Land zwischen den großen Blöcken in Europa eine besondere Rolle gespielt. Hier haben sich Kennedy und Chruschtschow, Breschnew und Carter getroffen. Österreicher wurden Generalsekretäre von UNO und Europarat. Wir haben uns geschätzt gefühlt. Das Eingliedern in das größere gemeinsame europäische Haus fällt schwer und das Bewusstsein, darin mitbestimmen zu können und gut aufgehoben zu sein, wird nicht vermittelt. Selbstverständlich haben auch die Sanktionen der vierzehn anderen Staaten in der EU gegen Österreich im Jahr 2000 tiefe und nachhaltige Spuren hinterlassen. Dies zeigt sich auch im zeitlichen Ablauf der Zustimmungsrate zur EU, welche seit dem Jahr 2000 in keinem Land so starke Ausschläge und Schwankungen aufweist wie in Österreich. Zur Klarstellung sei noch besonders betont, dass die Sanktionen eine bilaterale Aktion der vierzehn anderen Staaten waren, an denen die europäischen Institutionen in keinster Weise beteiligt waren.

Nationaler Europakonsens zerbrochen
Ein weiterer wesentlicher Grund für die besondere Europaskepsis in Österreich ist die Tatsache, dass bereits kurz nach dem Beitrittsreferendum der nationale Konsens in EU-Angelegenheiten zerbrochen ist und die systematische, sachorientierte Information über EU-Angelegenheiten nach der sehr intensiven Kampagne zur Vorbereitung des Referendums praktisch völlig eingestellt wurde. Verschiedene Oppositionspolitiker haben seither in zum Teil äußerst populistischer Manier zu Europathemen Stellung bezogen und Ängste geschürt. Aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Regierungsparteien haben bei verschiedenen Anlässen mehr oder minder deutlich zum Ausdruck gebracht, bei europäischen Weichenstellungen zum Mitmachen „gezwungen worden zu sein“. Viel zu gerne wurde das beliebte „Brussels bashing“ betrieben, also das Zuschieben der Ursache für unangenehme Reformen im eigenen Land auf die EU-Ebene. Es stimmt wohl, dass die EU gegründet wurde, um gemeinsam Probleme zu lösen, die ein einzelner Staat nicht in der Lage gewesen wäre zu lösen, z. B. die Friedenssicherung in Europa oder das Eindämmen der Schuldenpolitik, aber in weiten Politikbereichen wie Bildung, Gesundheit, Soziales ist die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit nach wie vor bei den Mitgliedsländern. Da in Österreich in den letzten Jahren sehr viele Reformen durchgeführt wurden, wurde auch der ausgestreckte Zeigefinger Richtung Brüssel hier besonders oft verwendet. Auf der regionalen und lokalen Politikebene wurde demgegenüber gerne verschwiegen, dass viele Projekte mithilfe europäischer Fördergelder verwirklicht wurden, oder dass, wie nach dem Hochwasser 2002 in Ostösterreich, rasch und massiv finanzielle Hilfe geleistet wurde. Die jährlichen Plakate der Blumenhandlungen zum Valentinstag mit dem großen Aufdruck „gefördert von der Europäischen Union“ erregen vor diesem Hintergrund jedes Mal größtes Erstaunen. Dass in anderen europäischen Ländern wesentlich deutlicher auf EU-Förderungen hingewiesen wird, davon kann sich jedermann bei Reisen nach Griechenland, Spanien oder Irland überzeugen.

Medialer Europa-Populismus
Als letzten Grund, warum in Österreich die EU-Skepsis so besonders groß ist, wäre aus meiner Sicht zu erwähnen, dass die österreichische Medienlandschaft durch die ungewöhnlich starke Verbreitung einiger Medien gekennzeichnet ist, welche sich seit Jahren einer äußerst kritischen Berichterstattung über die Europäische Union verschrieben haben. Regelmäßige Verbreitung von EU-Mythen, wie z. B. das Verbot von Schwalbennestern in Kuhställen, das Dekolleté-Verbot oder das Verbot der Bezeichnung Marmelade, schüren natürlich – zu Unrecht – den Unmut der Bürgerinnen und Bürger über die EU.

Mehr Transparenz und Klarheit
Kritische Auseinandersetzung mit politischen Entwicklungen und Entscheidungen sind das Kennzeichen einer reifen Demokratie und sollen daher gefördert werden. Dies bedarf jedoch einer aktiven vorausschauenden Berichterstattung in den Medien, einer intensiven Beschäftigung aller politischen Akteure auf jeder Ebene mit europapolitischen Themenstellungen und letztlich die klare Übernahme von Verantwortlichkeit für getroffene Entscheidungen. In all diesen Bereichen besteht deutlicher Handlungsbedarf. Auch die Europäische Kommission hat erkannt, dass sie besser und ausführlicher über ihre Vorhaben informieren muss und hat dazu bereits wesentliche Neuerungen eingeführt. Für wichtige Weichenstellungen wird vor Erarbeitung eines Regelungsentwurfs durch Herausgabe von Grünbüchern oder Weißbüchern die Diskussion in der Öffentlichkeit, besonders aber unter den Betroffenen, angeregt und deren Meinung eingeholt. Die Möglichkeit, sich zu informieren, wird durch die Eröffnung von Informationsstellen, durch Internetplattformen und durch zielgerichtete, auf die örtlichen Umstände besonders abgestimmte Informationen verbessert. Letztlich bemüht sich die Kommission im Rahmen ihres „Plan D“ verstärkt um einen direkten Dialog mit den Bürgern. Auch den Europaabgeordneten sollte in den Medien wesentlich breiterer Raum gewidmet werden. Sie spielen bei der Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene eine wesentlich bedeutendere Rolle, als dies Parlamente auf nationaler Ebene tun. Auch die Vernetzung der Europaparlamentarier mit den nationalen Parlamenten sowie die Beschäftigung der letzteren mit Europathemen sollte generell verbessert werden. Hierzu hat die Europäische Kommission kürzlich beschlossen, alle wichtigen Entscheidungen vorab allen nationalen Parlamenten zuzuleiten. Besonders positiv wird sich hoffentlich die Initiative der Österreichischen Präsidentschaft aus dem ersten Halbjahr 2006 auswirken, dass das Abstimmungsverhalten aller Minister in den Räten im Internet veröffentlicht wird. Dies sollte bereits ab November 2006 der Fall sein. Dies könnte ein wesentlicher Anreiz sein, dass die in den diversen Räten getroffenen Entscheidungen auf nationaler Ebene besser wahrgenommen und diskutiert werden.

„Europa beginnt zu Hause“
„Europa beginnt zu Hause“ sollte nicht nur der Titel der diesjährigen Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten gewesen sein, sondern als übergreifendes Motto dafür dienen, Europa auch auf regionaler und lokaler Ebene besser zu verankern. In einigen steirischen Gemeinden gibt es bereits Mandatare, welche auch die Aufgabe eines EU-Beauftragten wahrnehmen. Ein Beispiel, das auf breiterer Basis Schule machen sollte! Die Beschäftigung mit dem Projekt Europa in allen Stufen des Schulwesens könnte noch wesentlich verstärkt werden, ist sie doch derzeit de facto das Ergebnis persönlichen Engagements einzelner Lehrkräfte. Auch die Aktion „1.000 Lehrer nach Brüssel“ sollte wiederbelebt werden. Die Erfahrung lehrt immer wieder, dass ein direktes Kennenlernen der europäischen Institutionen, Diskussionen mit ihren Exponenten vor Ort und das persönliche Erleben ganz wesentlich zu einem positiven Bild der Europäischen Union und zu konstruktiver Beschäftigung mit ihr beitragen. Auch in den Medien könnte die EU noch ausführlicher behandelt werden. Ganz wenige Printmedien haben derzeit eigene Europaseiten und viel zu oft werden Europathemen unter dem Titel „Ausland“ behandelt. Wir sollten uns allmählich bewusst werden, dass unser europäisches Umfeld nicht mehr als „Ausland“ im klassischen Sinn zu betrachten ist. Sendungen, wie sie z. B. im Bayrischen Fernsehen unter dem Titel „Jetzt red i“ laufen und in welchen Bürgeranliegen direkt an Europaverantwortliche herangetragen und mit ihnen diskutiert werden können, wären auch hierzulande von Vorteil.
Es wird einer Vielzahl von Einzelaktivitäten und konsequenter Bemühungen bedürfen, um das vorherige Bild in das nachfolgende zu verändern.
Wenn es gelingen soll, Europa und seine Bürger näher zueinander zu bringen, muss die EU-Ebene in die politische Pyramide voll integriert werden. Dies erscheint dringend notwendig, um die EU insgesamt zu stabilisieren, ihre Verankerung bei den Bürgern zu verbessern und Freiräume für Kommunikation zwischen allen Ebenen zu schaffen.

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