Pflegearbeitsgruppe fordert rasche Maßnahmen in der Altenpflege und -betreuung

Pflegearbeitsgruppe fordert rasche Maßnahmen in der Altenpflege und -betreuung

Durch Anzeigen gegen pflegebedürftige Personen und deren ausländische Betreuerinnen und Betreuer im Sommer 2006 ist das Thema Pflege alter Menschen plötzlich in den Brennpunkt medialer Aufmerksamkeit geraten. Eine von Landeshauptmann a. D. Waltraud Klasnic geleitete Arbeitsgruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, Ideen und Konzepte in diesem sensiblen Bereich zu koordinieren und in einem Abschlussbericht darzustellen. Die ÖGZ fasst die wichtigsten Inhalte zusammen.

 

Der Pflege- und Betreuungsaufwand wird aufgrund des demografischen Wandels und der veränderten Familienstrukturen in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Gleichzeitig zeigt sich immer mehr, dass die Gemeinden bei der Finanzierung der „Sozialen Dienste“ im Wege der zu leistenden Sozialhilfeverbandsumlagen an die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit stoßen. Viele Kommunen können mittlerweile auch deswegen ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen. Damit es in Österreich zu keinen schwerwiegenden Engpässen im Bereich Pflege und Altenbetreuung kommt, wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, deren Aufgabe darin bestand, Lösungsvorschläge für ein würdiges Altern einerseits, aber auch für eine Finanzierung und Leistbarkeit sowohl für den Einzelnen als auch für die Träger sozialer Dienste und die öffentliche Hand andererseits zu erarbeiten. Dabei galten als Basis für alle Überlegungen im Wesentlichen folgende Fakten:

- derzeit gibt es rund 320.000 Bundespflegegeld- und 58.000 Landespflegegeldbezieherinnen und -bezieher;

- über 80% der Pflege- und Betreuungsleistungen werden von Angehörigen erbracht;

- über 1 Million Menschen gehören der Gruppe der pflegenden Angehörigen an;

- es gibt derzeit rund 50.000 mobile und stationäre Altenpflegefachkräfte;

- 73.000 Pflegekräfte arbeiten in Spitälern;

- für rund 18.000 niedergelassene Ärzte ist die Langzeitgeriatrie in ihren Praxen beziehungsweise in Altenheimen ein bedeutendes Thema.

150 Institutionen einbezogen
Über 150 Institutionen aus den Bereichen Pflege und Betreuung, Gesundheitswesen, aus Sozialverbänden, Interessenvertretungen (darunter der Österreichische Städtebund), Berufsorganisationen, der Kirche, Gebietskörperschaften und der öffentlichen Verwaltung sowie aus politischen Parteien waren eingeladen, an einer breiten Diskussion zur Koordination der zu entwickelnden vielfältigen Konzepte mitzuarbeiten. Dabei ging es vordringlich um die gemeinsame Erarbeitung von konkreten Lösungsansätzen zu aktuellen Fragen im Pflege- und Altenbetreuungsbereich und um die Entwicklung langfristiger Zukunftsperspektiven für eine gesicherte und menschenwürdige Altenpflege.
Beim ersten Treffen dieser Gruppe wurden folgende themenspezifischen Untergruppen eingerichtet:

- Pflegevorsorge und Prävention;
- Ausbildung/Weiterbildung und Berufsbild der Pflege- und Sozialberufe;
- Qualitätssicherung/Entlassungsmanagement und Strukturfragen sowie länderübergreifende Standards;
- Ehrenamtliche und pflegende Angehörige;
- Arbeits- und sozialrechtliche Bedingungen;
- Finanzierung und Leistbarkeit für den Einzelnen, die Träger und die öffentliche Hand.

Die sechs Themenkreise arbeiteten selbstständig, die Diskussionen verliefen teilweise sehr kontroversiell. Die Koordination und Zusammenschau der Arbeit aller Gruppen wurde durch Treffen der Gruppensprecherinnen und -sprecher sichergestellt. Im Folgenden sollen die wesentlichen Ergebnisse dieser Themengruppen zusammenfassend dargestellt werden.

Pflegevorsorge und Prävention
Unter Pflegeprävention versteht man die Vorbeugung gegen kommende Pflegebedürftigkeit durch pflegerische Interventionen, also z. B. Information, Beratung, Anleitung, Schulung oder gezielten Einsatz von Hilfsmitteln, aber auch die Erhaltung noch vorhandener oder durch gezielte Aktivierung der pflegebedürftigen Person sogar die Rückgewinnung verlorener Fähigkeiten.
In der Versorgung hochbetagter Menschen zeigt sich ein hoher Bedarf an Prävention, um die Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. Für ein selbstbestimmtes Altern ist entscheidend, dass Menschen ihre alltäglichen Aktivitäten meistern können. Es ist daher grundsätzlich notwendig, mehr Dienstleistungen in den haushaltsnahen Bereich zu verlegen, um eine selbstbestimmte und selbstständige Lebensführung zu fördern.
Wichtig ist dabei, die vorhandenen Strukturen sowohl zur Information als auch zur Pflegevorsorge und Prävention zu evaluieren und auf ein einheitliches Niveau zu heben. Hier gibt es nämlich große Unterschiede in Österreich. Sinnvolle Ansätze wären hier beispielsweise der Ausbau von Informations- und Beratungsstellen, seniorenfreundliche Wohnhausanlagen und Wohnformen, Übergangspflege nach einem Spitalsaufenthalt, Tagespflegezentren, spezielle Betreuungs- und Wohnformen für demente Personen sowie mobile Physio-, Ergo- und Logopädie zur Entlastung pflegender Angehöriger und für einen längeren Verbleib zuhause.

Berufsbilder
Österreich verfügt über eine breite Palette an gesetzlich geregelten Berufsbildern im Pflege- und Betreuungsbereich. Der Katalog der Berufsbilder ist ausreichend und es bedarf keiner zusätzlichen Berufe bzw. Berufsbilder.
Grundsätzlich sollte jedoch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für den Bereich der Sozialberufe überdacht werden. Nachdem jedenfalls sichergestellt werden muss, dass die Angehörigen der verschiedenen Berufsgruppen im gesamten Bundesgebiet arbeiten können, erscheint es grundsätzlich überlegenswert, bundesgesetzliche Regelungen in diesem Bereich zu ermöglichen.

Ausbildung
Die derzeitige Ausbildung in den Pflegeberufen zeichnet sich durch eine hohe inhaltliche Qualität aus und stellt durch den hohen Praxisanteil grundsätzlich eine gute Vorbereitung auf die praktische Berufsausübung dar. Allerdings sollten die Ausbildungen insgesamt durchlässiger und integrativer gestaltet werden, will man systemübergreifende Zusammenarbeit und Synergien sowie lebenslanges Lernen fördern und ökonomisch gestalten.
Zur Sicherstellung eines ausreichenden Pflegepersonalangebotes wird eine am zukünftigen Bedarf ausgerichtete und bundesweit abgestimmte Kapazitätsplanung empfohlen. Ziel muss es sein, mögliche personelle Engpässe vor allem im mobilen Bereich nachhaltig zu beheben.
Überlegungen in Richtung einer Berufsausbildung im Wege einer Lehre scheitern derzeit an (internationalen) Regelungen, wonach der Einstieg von 15-Jährigen in die praktische Pflegeausbildung nicht möglich ist. Eine Realisierung dieser Ausbildungsform erscheint daher wenig zielführend. Wesentlich realistischer wäre da die Schaffung bedarfsgerechter Möglichkeiten der Ausbildung im zweiten Bildungsweg. Zu lösen wäre hier jedoch die Frage einer ausreichenden finanziellen Unterstützung der Auszubildenden.

Qualitätssicherung und -entwicklung
Im Bereich der professionellen Altenpflege kann die Qualitätssicherung aufgrund der Kontrollen durch die Landesbehörden als weitestgehend gegeben angesehen werden. Allerdings bedarf es Impulse in Richtung Steigerung der Ergebnisqualität, da die derzeitigen Vorgaben von Bund und Ländern sich fast ausschließlich auf Merkmale der Strukturqualität beschränken. Zielführend wäre zudem, die unterschiedlichen Qualitätsstandards in den einzelnen Bundesländern zu harmonisieren.

Entlassungsmanagement und Übergangspflege
Es braucht in Österreich ein flächendeckendes und gut ausgebautes System an Entlassungsmanagement, wo stationäre Pflege- und Gesundheitseinrichtungen mit den mobilen und stationären Anbietern der Altenpflege und Betreuung zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Das Krankenhaus darf die Verantwortung für die Patientin/den Patienten mit deren/ dessen Entlassung nicht abgeben und die mobilen Angebote müssen die Erfahrungen der stationären Einrichtungen bei der weiteren Betreuung mitberücksichtigen und einbauen. Netzwerkverantwortliche sind vor Ort zu etablieren, um die bedarfsgerechte Betreuung sicherzustellen bzw. zu koordinieren. Wo dies regional sinnvoll ist, kann diese Aufgabe von Sozial- und Gesundheitssprengeln wahrgenommen werden.

Strukturfragen und länderübergreifende Standards
Der Ausbau einer bedarfsgerechten und langfristig leistungsfähigen Versorgungsstruktur ist vorrangig. Dabei bedarf es insbesondere zielgerichteter Maßnahmen zur Schaffung eines flexiblen, leistbaren, bürgernahen und vielschichtigen Angebots im mobilen und teilstationären Bereich. Die allgemein und unpräzise formulierten länderübergreifenden Standards in der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a VG zur Pflegevorsorge sollen in diesem Zusammenhang deutlicher geregelt und vor allem auch eingehalten werden.
Vergessen werden darf nicht auf die Angebote der Palliativmedizin und des Hospizwesens. Hier gilt es weitere Schritte in Richtung Finanzierung und Strukturplanung zu setzen. Ein flächendeckendes bedarfsorientiertes Angebot an mobilen Diensten, Tageseinrichtungen und stationären Hospizen ist hier dabei das Hauptziel.

Ehrenamtliche und pflegende Angehörige
Das Pflege- und Betreuungssystem ist ohne das Engagement pflegender Angehöriger weder finanzierbar noch organisierbar. Der Unterstützung der pflegenden Angehörigen kommt dabei eine zentrale Bedeutung im Pflegesystem zu.
Es gilt daher einerseits die Angehörigenpflege und ehrenamtliche Tätigkeit durch öffentliche Anerkennung zu stärken und andererseits die Angehörigen konkret zu entlasten.
Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass die Angehörigenpflege durch gesellschaftliche Veränderungen wie etwa Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit, Anstieg der Mobilität, Steigerung der Singlehaushalte oder der Generationenabstände unter Druck geraten wird. Daher gilt es auch hier, durch geeignete Maßnahmen, aber auch durch den weiteren Ausbau der sozialversicherungsrechtlichen Absicherung pflegender Angehöriger rechtzeitig vorzusorgen.

Arbeits- und sozialrechtliche Bedingungen
Im Pflege- und Betreuungsbereich findet sich eine Reihe von unterschiedlichen Vertragsgestaltungen. In der Mehrheit werden Dienstleistungen als Dienstnehmerin und Dienstnehmer für Organisationen professioneller Altenhilfe erbracht, die vielfach im Auftrag von Gebietskörperschaften tätig sind. Andererseits erfolgen Dienstleistungen in direktem Verhältnis zu der zu betreuenden Person. Auch werden Pflegeleistungen vermehrt in der Form der „neuen Selbstständigkeit“ erbracht.
Viele Menschen greifen derzeit zur Absicherung ihres persönlichen Pflegebedarfes – wohl auch aus finanziellen Überlegungen – auf ausländische „illegale Arbeitskräfte“ zurück. Es ist daher vordringliche Aufgabe der Politik, Vorsorge zu treffen, dass die notwendige Betreuung dieser Menschen auch auf legalem Weg gesichert bleibt. Es muss eine alle Rechtsgebiete umfassende Lösung für die Frage der Beschäftigung von Pflegekräften in privaten Haushalten gefunden werden, wobei die bestehenden Angebote der professionellen Anbieter sozialer Dienste vorrangig zu berücksichtigen sind. Mobil vor stationär ist der allgemein anerkannte Grundsatz. Dafür bedarf es jedoch eines kontinuierlichen Ausbaus mobiler Pflegeangebote. Klar ist dabei jedenfalls, dass eine „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ durch die öffentliche Hand nicht finanzierbar ist.

Finanzierung und Leistbarkeit
Die Finanzierung von Pflege erfolgt derzeit aus verschiedenen Quellen, wie
- Bundes- und Landespflegegeld,

- Länder und Gemeinden mit unterschiedlicher prozentueller Beteiligung,

- Soziale Krankenversicherung für medizinische Hauskrankenpflege,

- Eigenleistung der Pflegebedürftigen abhängig von der Art der Leistung und der Höhe des Einkommens.

Die Arbeitsgruppe kam in ihrer Diskussion mehrheitlich zur Auffassung, dass das derzeitige System der Sozialhilfe auf Dauer nicht geeignet ist, um die Finanzierung der Pflegeleistungen abzuwickeln. Es bedarf daher einer Weiterentwicklung, wobei es einige Grundsätze zu beachten gilt:

- Wahlfreiheit der Betreuungsformen unter Vermeidung von Fehlsteuerungen (z. B. das Drängen in nicht zwingend notwendige teurere Betreuungsformen);

- Anreize für private Vorsorge und Prävention;

- starke Bedenken gegen eine Pflegeversicherung nach dem Muster der Sozialversicherung;

- für den Einzelnen planbare Eigenleistungen unter Herstellung eines sozialen Ausgleichs bei Bedürftigkeit;

- bundesweite Harmonisierung der Leistungen.

Das Pflegegeld sollte in der Form des Geldsystems beibehalten werden, allerdings besteht teilweise Verbesserungspotenzial wie etwa eine regelmäßige indexgebundene Valorisierung, eine raschere und sich an den Bedürfnissen der Antragstellenden orientierende Abwicklung, eine Überprüfung der Zielgerichtetheit vor allem der Stufen 1 und 2 sowie eine stärkere Berücksichtigung der Demenz als Einstufungsparameter.
Was die private Verantwortung des Einzelnen betrifft, so gibt es Übereinstimmung dahingehend, dass zumindest ein Teil des im Leben erworbenen Wohlstandes für eine Versorgung im Pflegefall aufgewendet wird. Allerdings sollte die Rückverfolgung von Vermögenswerten nach klar geregelten bundeseinheitlichen Standards erfolgen. Die finanzielle Belangung von nachkommenden Generationen über die Erbschaftsmasse hinaus erscheint hingegen problematisch.
Insgesamt steht außer Zweifel, dass die Kosten für Pflege und Betreuung in den nächsten Jahren konstant steigen werden. Es wird daher notwendig sein, eine Neuverteilung der Kosten im Verhältnis zwischen Bund und Ländern vorzunehmen.

Klare Verantwortlichkeiten
Das Pflege- und Betreuungssystem in Österreich zeichnet sich dadurch aus, dass zahlreiche Akteure in den Bereichen Rahmenbedingungen, Finanzierung und Leistungserbringung zusammenarbeiten müssen. Die Verantwortlichkeiten gehören jedoch nach klaren Grundsätzen verteilt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bestehende Versorgungseinrichtungen zur Pflege und Betreuung auf regional unterschiedlich gewachsenen Strukturen beruhen. Auf diese funktionierenden Angebote ist Rücksicht zu nehmen und deren positive Weiterentwicklung sicherzustellen.

OEGZ

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