Bedürfnisorientierte und sichere Pflege für alle

Bedürfnisorientierte und sichere Pflege für alle

Der Erhalt und Ausbau einer dichten Versorgungskette von mobilen, teilstationären und stationären Betreuungsangeboten für die ältere Generation stellen jetzt und in Zukunft wichtige sozialpolitische Maßnahmen dar. Der Sozialausschuss des Österreichischen Städtebundes hat sich eingehend mit dieser Thematik auseinandergesetzt und im Herbst 2006 ein detailliertes Positionspapier zum Thema „Sicherung der Altenpflege und -betreuung in Österreich“ vorgelegt.

 

Gesellschaftliche Veränderungen und die zukünftige Entwicklung der österreichischen Bevölkerungsstruktur werden die Bedeutung der professionellen Pflege verstärken. Dies verlangt nach Lösungen und Alternativen, die aus einem Bündel von Maßnahmen bestehen. Neben der altersgerechten Gesundheitsversorgung geht es vor allem um die Schaffung entsprechender Wohnmöglichkeiten, die Unterstützung größtmöglicher Mobilität sowie ein hohes Maß an Sicherheit. Eine Studie des KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung, bestätigt, dass die Zahl der Seniorinnen und Senioren in Österreich anwachsen wird. Die Zahl der über 60-Jährigen von derzeit 1,8 Millionen wird bis zum Jahr 2030 um rund 50% auf 2,7 Millionen Menschen anwachsen, der Anteil der über 85-Jährigen wird sich von derzeit 133.000 auf knapp unter 300.000 mehr als verdoppeln. Diese Zunahme lässt erkennen, dass in den kommenden Jahren der Pflege- und Betreuungsbereich noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Vor allem im urbanen Raum werden diese Entwicklungen prägnante Auswirkungen haben. Die fortschreitenden Veränderungen in der Gesellschaft zeigen, dass Mehrpersonenhaushalte zunehmend durch Ein- und Zweipersonenhaushalte verdrängt werden und sich dadurch das familiäre Pflegepotenzial verringert. Die wirtschaftliche Flexibilisierung und die steigenden beruflichen Anforderungen kollidieren oft mit den alltäglichen Herausforderungen von Pflege- und Betreuungsarbeiten innerhalb der eigenen Familienstruktur.

Pflegende Angehörige – wertvolle Partner
Obwohl die Tendenz erkennbar ist, dass Großfamilien in Österreich immer seltener vorkommen, werden dennoch heute rund 80% der pflege- und betreuungsbedürftigen älteren Menschen durch Angehörige der Familie in den eigenen vier Wänden betreut, teilweise mit Unterstützung von mobilen Hilfsangeboten, jedoch ohne eine stationäre Pflege in Anspruch zu nehmen. Die Volkszählung 2001 ergab, dass von den 438.000 pflegebedürftigen Menschen knapp 380.000 daheim, vorwiegend von Frauen, versorgt werden. 100.000 davon benötigen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Diese Situation wird sich aber zuspitzen. Bis zum Jahr 2040 werden doppelt so viele Pflegebedürftige von halb so viel jüngeren Angehörigen betreut werden müssen. Hinzu kommt, dass pflegende Frauen selbst oft durch die Betreuungs- und Pflegeaufgaben überfordert sind und in Folge erkranken.

Bedürfnisorientierte Hilfestellung für Angehörige
Beratung und Unterstützung bei Pflege- und Betreuungsfragen für die Gruppe der pflegenden Angehörigen werden in Zukunft auch unerlässlich sein, vor allem dann, wenn man diese Gruppe als wichtige Institution in der Versorgungskette nicht verlieren möchte. Daher muss betreuenden Personen besonderes Augenmerk geschenkt werden. Maßnahmen und Verbesserungsmöglichkeiten für diesen Personenkreis können vielfältig sein.
Einerseits muss daran gearbeitet werden, dass pflegende Angehörige die Möglichkeit haben, vermehrt Informationen hinsichtlich Beratungsangebote, Unterstützungsmaßnahmen, Methoden und Konzepte zu erhalten.
Durch den Ausbau mobiler Beratungsstellen, die Schaffung zusätzlicher Fortbildungsangebote, den Ausbau der Selbsthilfegruppen und die Einführung einer österreichweiten Plattform für pflegende Angehörige können für diese Zielgruppe individuelle und bedürfnisorientierte Hilfestellungen angeboten werden.
Andererseits darf aber nicht auf die sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung pflegender Angehöriger vergessen werden. Auch steuerrechtliche Möglichkeiten zur Abschreibung notwendiger finanzieller Pflegeaufwendungen sollen für die Betroffenen bzw. pflegenden Angehörigen geschaffen werden.

Durchgängiges Versorgungsnetz
Die Gestaltung eines Lebensumfeldes, das den Bedürfnissen der Seniorinnen und Senioren entspricht, und der kontinuierliche Ausbau des dichten Versorgungsnetzes stellen im Positionspapier des Sozialausschusses des Städtebundes wichtige Eckpfeiler dar. Pflege und Betreuung muss in flexiblen, stufenweisen Angeboten bereitgestellt werden. Sie soll individuelle und bedarfsgerechte Unterstützung und frühzeitige Prävention zum Inhalt haben. Als oberstes Prinzip steht die Aufrechterhaltung der Kompetenzen der älteren Menschen. Die Potenziale der älteren Menschen sollten solange wie möglich gefördert und erhalten werden. Daher wird zunächst im Sinne der Klientinnen und Klienten der Verbleib in der eigenen Wohnung, solange dies möglich ist, angestrebt. Ergänzend sollen aktivierende Angebote, wie Seniorenclubs, Seniorenbüros oder andere Modelle aktivierender Seniorenbetreuung für die ältere Generation, geschaffen bzw. weiter ausgebaut werden.

Mobil vor stationär
Die Erhaltung der geistigen, körperlichen und sozialen Kompetenzen steht hierbei im Vordergrund. Erhöht sich der Betreuungsaufwand, sollen anhand von Koordinationsstellen die Angebote bedarfsgerecht vermittelt werden. Durch kompetente Beratungsleistungen kann dabei auf den Pflegebedarf sehr individuell eingegangen werden, wodurch ein Ineinandergreifen von mobiler, teilstationärer und stationärer Pflege möglich wird. Oberstes Prinzip sollte dennoch bei allen Betreuungsmöglichkeiten das Prinzip „mobil vor stationär“ sein. Es muss in Maßnahmen investiert werden, die die Lebensqualität der österreichischen Seniorinnen und Senioren noch mehr erhöht. Der konsequente Ausbau mobiler Dienste wie Essenszustellung, mobile Altenbetreuung, Hauskrankenpflege, 24-Stunden-Bereitschaftsdienste und Wochenendangebote, ist hierbei von vorrangiger Bedeutung. So können ältere Menschen, wie auch heute schon, in ihrem eigenen vertrauten Wohnumfeld ihren Lebensabend genießen.

Nachträglicher Lifteinbau und alternative Wohnformen
Ein wichtiges Verbindungsglied in der Versorgungskette zwischen mobiler Betreuung und stationärer Versorgung sind Tagespflegezentren, wie sie unter anderem bereits in Linz installiert wurden. Aufgabe dieser Einrichtungen sind vor allem die Aktivierung und Unterstützung pflegender Angehöriger, da die Klientinnen und Klienten dieses Angebot tageweise nutzen und in Anspruch nehmen können. Schlechte Wohnverhältnisse haben in der Vergangenheit auch oftmals dazu geführt, dass eine Heimaufnahme unumgänglich war. Durch die Förderung von nachträglichen Lifteinbauten sowie der Errichtung geförderter betreubarer Wohnungen kann dieser Entwicklung gegengesteuert werden.
Im Sinne des Leitsatzes „mobil vor stationär“ gilt es in der Zukunft weiter in den Ausbau des mobilen und teilstationären Betreuungsbereichs zu investieren. Der Sozialausschuss des Österreichischen Städtebundes sieht vor allem eine weitere Personalaufstockung in den mobilen Diensten, den Ausbau der notwendigen Infrastruktur im Bereich Wohnen sowie die Errichtung weiterer Tagespflegestätten als Schwerpunkte.

Wachsende Bedeutung der Pflegeversorgung
Die 2006 geführte Diskussion über „illegale Pflegekräfte“ hat österreichweit dazu geführt, diese Art der Pflege und Betreuung neu zu überdenken. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung in den eigenen vier Wänden, wie es illegale Pflegekräfte anbieten, ist unter Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen aus Sicht der Kommunen und Länder nicht finanzierbar und im überwiegenden Teil der Fälle auch nicht erforderlich. Zudem setzt beispielsweise in Oberösterreich das Berufsrecht einem potenziellen Legalisierungsmodell äußerst enge und schwer überwindbare Grenzen. Viele Tätigkeiten in der Seniorenpflege und -betreuung dürfen nur von einem entsprechend qualifizierten Personal durchgeführt werden. Die Erarbeitung realisierbarer Legalisierungsmodelle kann auch nur in Verhandlungen mit der gewerkschaftlichen Interessenvertretung (Berufsverbänden), den Ländern und den derzeitigen, offiziellen Anbieterorganisationen erfolgen. Keinesfalls darf es dabei zu einem „Lohn- und Qualitätsdumping“ in Hinblick auf die derzeitigen Standards kommen, und der sozial gerechte Zugang für alle Bevölkerungsgruppen muss im Vordergrund stehen.

Bedarfsgerechte Planungen
Einer flächendeckenden Versorgung mit stationären, teilstationären und mobilen Diensten liegen Bedarfs- und Entwicklungspläne, kurz BEP, zur Grundlage. Der BEP analysiert den gegenwärtigen und zukünftigen Bedarf an Dienstleistungen auf Basis definierter Standards, um durch einen Soll-Ist-Vergleich Versorgungslücken und Entwicklungstendenzen aufzuzeigen und eine entsprechende Maßnahmen- und Finanzplanung zu ermöglichen. Vor allem im Bereich der stationären Pflege sind Bedarfs- und Entwicklungspläne eine wichtige Planungsgrundlage, da der Ausbau von Pflegeeinrichtungen zielgerichtet geplant und vorangetrieben werden muss. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine legale Rund-um-die-Uhr-Pflege eigentlich nur in stationären Einrichtungen leistbar ist, müssen diese im entsprechenden Ausmaß zur Verfügung stehen oder gestellt werden.

Steigender Betreuungsaufwand
Durch die mobilen Dienste sowie andere teilstationäre Betreuungsangebote ist es im Interesse der älteren Generation gelungen, den Eintritt in eine stationäre Pflegeeinrichtung zeitlich so weit wie möglich nach hinten zu verlagern. Durch diese Entwicklung hat sich aber wiederum in der stationären Pflege eine immer höher werdende Pflegebedürftigkeit, die in höheren Pflegegeldstufen zum Ausdruck kommt, herauskristallisiert. So wird für die in der Altenpflege tätigen Personen vermehrt der Umgang mit umfangreichen Krankheitsbildern (Multimorbidität), zunehmender Gebrechlichkeit, Hilfsbedürftigkeit und Demenz der Bewohnerinnen und Bewohner immer aktueller. Dieser Umstand wirft die Frage auf, inwieweit die Pflege schwerer medizinischer Fälle das Leistungsangebot von Senioren- und Altenheimen übersteigt. Der Sozialausschuss des Österreichischen Städtebundes weist darauf hin, dass umfangreiche medizinische Pflege in speziell stationären Einrichtungen und Krankenhausabteilungen und nicht in Senioren- und Altenheimen erfolgen muss. Ebenfalls sollen zusätzlich zu Altenpflegeheimen auch altersunabhängige Pflegeeinrichtungen geschaffen werden und eine vorausschauende Personalplanung betrieben werden. Forderungen des Sozialausschusses sind zum einen vor allem Themen wie die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel für die Städte und Gemeinden im Rahmen des Finanzausgleiches und eine laufende Anpassung des Pflegegeldes. Zum anderen braucht es neue Formen des Pflegeberufs (berufliche Qualifikationen abgestimmt auf den tatsächlichen Bedarf), eine bessere finanzielle Absicherung während der Ausbildung im zweiten Bildungsweg und Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs.

Investitionen für die Zukunft
Österreichs Städte und Gemeinden leisten für die Pflege und Betreuung der älteren Generation einen sehr hohen finanziellen Beitrag. Die Bevölkerungsentwicklung verstärkt die Vermutung, dass in Zukunft die Ausgaben auch weiterhin steigen werden. In einer Umfrage des KDZ im Frühjahr 2006 sehen 89% aller befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor allem bei den ambulanten und teilstationären Diensten zusätzlich Bedarf. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass viele Gemeinden an der Grenze ihrer budgetären Leistungsfähigkeit angelangt sind. Der Sozialausschuss des Städtebundes sieht vor allem in diesem Teilbereich starken und dringenden Handlungsbedarf. Eine jährliche Valorisierung des Pflegegeldes, die 100%ige Anweisung des Pflegegeldes an die Heimträger bei gleichbleibender Taschengeldregelung für die Bewohnerinnen und Bewohner und eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Pflegegeldeinstufungen sind nur einige wichtige Forderungen. Vor allem müssen eine Neuregelung der Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, eine verbesserte Mitfinanzierung der Länder in der geschlossenen Sozialhilfe sowie eine bundesweite Vereinheitlichung der verschiedenen für die Pflege relevanten Landesgesetze angestrebt werden.

Optimale Pflege für alle leistbar
Pflege und Betreuung einerseits und Privatsphäre und Selbständigkeit andererseits bieten die richtige Mischung an Lebensqualität für Seniorinnen und Senioren. Der kontinuierliche Ausbau des dichten Versorgungsnetzes und eine für alle leistbare Gestaltung aller Pflege- und Betreuungsangebote sollen dabei in den Mittelpunkt gerückt werden. Die wachsende Bedeutung der Pflegeversorgung und eine laufende aktive Gestaltung der unterschiedlichen und vielfältigen Pflege- und Betreuungsleistungen müssen Aufgabe einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Sozialpolitik sein. In Würde älter werden, sich gut betreut und aufgehoben fühlen, so sollte die Zukunft in Österreich auch weiterhin aussehen.

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