Kameralistik und Doppik
Kameralistik und Doppik
In der ÖGZ 9/2008 hat der Linzer Stadtrechnungshofdirektor Friedrich Klug zur Bundeshaushaltsreform und der Frage des Rechnungsstils „Kameralistik oder Doppik“ Stellung genommen. Günter Riegler, Leiter des Stadtrechnungshofes Graz, hat in der ÖGZ 12-2008/1-2009 darauf repliziert und die Einwände Klugs gegen die doppische Haushaltsführung relativiert. Zum Abschluss der Fachdiskussion bringt die ÖGZ jeweils eine Replik der beiden Stadtrechnungshofspezialisten.
Doppik und Kameralistik ist eine Frage des Ziels – Gegenäußerung zur Replik von Riegler
Mit seiner Replik hat Riegler meine Argumente, wohl in unbeabsichtigter, jedoch dankenswerter Weise, voll bestätigt:
• Der enorme Druck in Richtung Doppik wird von Seiten der Berufsverbände der Wirtschaftsprüfer (IFAC, FEE, CIPFA) und verschiedener „Standard-Setter“ (IPSASB, CIGAR), hinter denen kommerzielle Anbieter stehen, ausgeübt. Auf die besonderen Bedürfnisse der Länder und Gemeinden, insbesondere der vielen kleineren Kommunen, wird nicht eingegangen. Dass es einen Städte- und Gemeindebund, ein Finanzverfassungs-Gesetz, eine Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung (VRV) und ein diesbezügliches Komitee gibt, das ausgezeichnete Arbeit leistet, erwähnt Riegler mit keinem Wort. Die legitimen Interessen der direkt betroffenen Gebietskörperschaften müssen jedoch unbedingt berücksichtigt werden!
• Die EU plant keine konkreten Schritte zur Einführung der Doppik, zumal ihr hiezu die Kompetenz fehlt. Es handelt sich um eine Initiative der FEE, die eine Vereinigung europäischer Buchhalter und Wirtschaftsprüfer auf rein privatwirtschaftlicher Basis ohne öffentlich-rechtliches Mandat ist. Sie vertritt kommerzielle Interessen aller auf der Doppik aufbauenden Anbieter. Diese Institutionen haben das aus ihrer Sicht legitime Interesse, die Systeme, Programme und IT-Tools für die Buchhaltung und Audits einzusetzen und „best practices“ der Privatwirtschaft auf den öffentlichen Sektor zu übertragen und damit Geld zu verdienen. Die klaren und übersichtlichen Rechtsgrundlagen für das öffentliche Haushaltswesen sind diesen Anbietern dabei nur hinderlich und leider auch nicht besonders geläufig.
• Die IAS-, IFRS- und IPSAS-Standards sind nur unverbindliche Empfehlungen ohne öffentlich-rechtlichen Bindungscharakter. Sie stellen, wie die Protagonisten dieser Normen zugeben, ein äußerst komplexes, unübersichtliches und damit auch sehr teures Regelwerk dar, das wegen der durch dieses Rechnungssystem mitverschuldeten Finanzkrise ständigen Änderungen unterworfen ist, viele offene Fragen, vor allem auf dem Gebiet der Ersterfassung, Bewertung und Bilanzierung sowie der IT-Implementierung aufwirft, die nur von einem kleinen Kreis von (teuren) Spezialisten behandelt werden können. Diese Standards würden daher vor allem öffentliche Gebietskörperschaften, insbesondere Gemeinden, wegen ihrer Komplexität und laufenden Anpassungen vor unlösbare Probleme stellen, jedoch keinen Beitrag zur Lösung ihrer finanziellen Probleme liefern.
• Profitieren könnten international agierende Konzerne, wie SAP, KPMG, Ernst & Young, Deloitte etc., die auf diese Weise neue Geschäftsbereiche erschließen und das Feld für lukrative Privatisierungsmaßnahmen aufzubereiten vermögen. Aufträge könnten auf diese Weise auf dem Gebiet der Beratung, Schulung, Ein- und Durchführung, Revision, Wirtschaftsprüfung und Implementierung von Hard- und Software erzielt werden.
• Die Vorgangsweise ist subtil und für den uninformierten Laien nicht so ohne weiteres erkennbar, im Gegenteil: Durch griffige Argumentation und Denunzierung des öffentlichen Haushaltswesens ist sie für Staatsbürger und Politiker manchmal sogar auf den ersten Blick überzeugend. Das Hauptargument wird dabei übersehen, nämlich: Nicht die Gewinnerzielung ist das Hauptziel, sondern die Verfolgung öffentlicher Aufgaben – das Ziel bestimmt den Rechnungsstil! Die „Harmonisierung“ des Rechnungswesens ist von fremdbestimmten Interessen geleitet und führt in die falsche Richtung, nämlich Abwendung von den öffentlichen Zielen, vom öffentlichen Recht und Hinwendung zur unreflektierten Privatisierung.
• Das Budget ist eine Ex-ante-Rechnung, IPSAS jedoch eine Ex-post-Rechnung, sodass ein wesentliches Element des Budgets, nämlich der permanente Planablaufvergleich, verloren geht. Die periodengerechte Buchung, einen Überblick über Forderungen, Verbindlichkeiten, Vermögen und Schulden, ermöglicht heutzutage jede erweiterte Haushaltsrechnung auf kameraler Basis, verbunden mit einer Kosten-, Leistungs- und Anlagerechnung, wie diese z. B. von der Stadt Linz mit Erfolg bereits seit Ende der 40er-Jahre (!) geführt wird.
• Die Hauptproblematik des „Accrual Accounting“, nämlich die ungelöste Bewertungsproblematik und richtige Periodenzuordnung, wird von Riegler offen zugegeben. Die äußerst umstrittene Bewertungsmethode des „True and Fair Value“ verkehrt sich ins Gegenteil und ist weder wahr noch fair, sondern verursachte eine globale Finanzkrise ungeheuren Ausmaßes. Weder die Doppik, noch die Wirtschaftsprüfer und Ratingagenturen haben das Desaster verhindert, im Gegenteil, sie machten die Katastrophe durch kreative, sogar kriminelle Gestaltungsmanöver erst möglich.
• Der öffentliche Bereich verfolgt ganz andere Ziele als den Gewinn, nämlich finanz- und gesamtwirtschaftliche Ziele. Das Hauptziel eines jeden Budgets ist der finanzwirtschaftliche Ausgleich und die Verfolgung volkswirtschaftlicher Steuerungsziele. Die Doppik würde im öffentlichen Bereich meist nur Verluste ausweisen und ein völlig falsches Signal geben, nämlich zur Schließung und Privatisierung, weil der „Staat nicht wirtschaften könne“.
• Anhänger des neoliberalen Zeitgeistes, der Doppik und Privatisierung übersehen, dass eine Ausgliederung den Schuldenstand nur am Papier reduziert, ohne die finanziellen Probleme der Pensions- und Zukunftsvorsorge wirklich zu lösen. Ausgliederungen verursachen jedenfalls Kosten der Rechtsform und Transaktions- und Überwachungskosten, wie Kosten zusätzlicher Organe, Gremien, Geschäftsführer, Prokuristen, eigenes doppisches Rechnungswesen mit entsprechender Hard- und Software mit permanentem Upgrading, komplizierte Vertragswerke, separate Abschlussprüfung und Beteiligungscontrolling sowie Mehrkosten der Personalverwaltung wegen unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse. Die Hoffnung Rieglers, dass die Finanzlage des öffentlichen Sektors durch Vorsorge im Sinne der Doppik sogar „in den letzten Jahrhunderten“ (!) eine wesentlich bessere wäre, ist eher als übertrieben anzusehen.
• Riegler räumt ein, dass es „Auswüchse des Accrual Accounting“ gibt: Normsetzungswut und Standard-Setting (GAAP, IAS, IFRS), welche die Anwender förmlich ersticken. Wenig Hoffnung kommt auf, dass die gegenwärtige Krise zu einem Umdenken führt. Neue Richtlinien werden die Anwender zuschütten, jedoch kaum etwas ändern. Die österreichische Verwaltung sollte sich glücklich schätzen, dass sie ein fortschrittliches und bewährtes öffentliches Haushalts- und Rechnungswesen besitzt, das auf dem öffentlichen Recht beruht, von den Gebietskörperschaften und ihren Interessenvertretungen gestaltet wird und nicht von internationalen Trendsettern und Anbietern fremdbestimmt ist.
• Bleibt noch als letztes Argument jenes des Konsolidierungsbedarfs übrig, das leicht zu widerlegen ist. Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung verfolgen unterschiedliche Ziele, weshalb die Zusammenführung ganz unterschiedlicher Bereiche wenig Aussagewert besitzt. Welchen Sinn ergäbe die Konsolidierung des Archivs, der Musikschule, der Stadtkämmerei, der Stadtplanung und der Gärtnerei mit Spitälern, Kindergärten, Seniorenheimen, Museen, Verkehrsbetrieben, Müllabfuhr, Friedhöfen und Märkten – eine breite, vielfältige und bunte Palette von Angeboten, die – zusammengewürfelt und kräftig umgerührt – zu einem nichtssagenden Brei verschmelzen. Eine Gesamtschau über Vermögen, Schulden, Investitionen und Beschäftigte ist auch ohne Konsolidierung möglich, wie dies im Rahmen der Unternehmensgruppe Linz – UGL (Magistrat Linz und alle Unternehmungen der Stadt Linz) mit Erfolg gehandhabt wird und wie die Berichte des Beteiligungsmanagements der Stadtkämmerei übersichtlich unter Beweis stellen. Durch die Konsolidierung wird weder das Vermögen vermehrt, noch der Schuldenstand reduziert, noch eine bessere Ausgangsbasis für Finanzierungsverhandlungen geschaffen. Diese hängt von der Finanz- und Steuerpolitik des Staates ab und nicht von einer konsolidierten Bilanz, der wenig zu entnehmen ist.
Riegler hat mir wertvolle Anhaltspunkte zur Präzisierung meines Standpunktes gegeben. Die Doppik ist keine Frage des Stils, sondern des politisch vorgegebenen Staatsziels. Niemand hat die Wahrheit gepachtet, weder der Staat, noch der Markt, noch die Doppik und schon gar nicht Anbieter und Lobbys ohne demokratische Legitimation. Hier bestehen politische, ideologische, ethische und philosophische Unterschiede, die letztlich nur demokratisch zu lösen sind. Durch Riegler wurden die Auffassungsunterschiede und bisher verborgen gebliebene Absichten gewisser Kreise transparent gemacht.
Wer die Doppik nur als eine Frage des Stils ansieht, verkennt das eigentliche öffentliche Ziel des Rechnungswesens.
Wir benötigen ein maßgeschneidertes, mehrdimensionales öffentliches Rechnungswesen, das finanz-, einzel- und gesamtwirtschaftlichen Ansprüchen entspricht, also zielkonform ist.