Es gibt keinen Wettbewerb um Armut

Es gibt keinen Wettbewerb um Armut

Der Welt.HABITAT.Tag ging am 5. Oktober 2009 in Wien zum Thema „Planning our Urban Future – Die Rolle des Wohnbaus in der Stadt der Zukunft“ über die Bühne.

 

Der jeweils erste Montag im Oktober wurde von den Vereinten Nationen zum Tag der Städte erklärt und soll als Aufforderung gesehen werden, über den Zustand und die Zukunft der Städte zu diskutieren. Auch 2009 fanden an diesem Tag zeitgleich Veranstaltungen in vielen Städten der Welt statt. UN-HABITAT, die Weltsiedlungsorganisation, beging den Tag in Washington. Das weltweite Thema war: „Planning our urban future“.
Auch in Wien fand im Rahmen der Ausstellung „In Zukunft Stadt“ eine Veranstaltung zum Welt-HABITAT-Tag statt. Das Best Practices Hub – Wien und seine Trägerorganisation TINA VIENNA Urban Technologies and Strategies GmbH luden in die Wiener Planungswerkstatt, um im Rahmen einer Podiumsdiskussion die Rolle des Wohnbaus in der Stadt der Zukunft zu diskutieren und um den Aufruf zum nächsten Best Practices Award zu lancieren – einem Preissystem, dessen Ziel es ist, städtische Lösungen und Innovationen für die Probleme der heutigen Stadt zu sammeln und zu vermitteln.

Die weltweite Problematik
Die Probleme in den Städten seien dringend – so führte Anna Tibaijuka, Direktorin von UN-HABITAT, per Videobotschaft in die Veranstaltung ein. Mehr Menschen denn je leben unter menschenunwürdigen Verhältnissen, der Gesundheitszustand der Städter verschlechtert sich, die städtischen Energiebilanzen bedrohen die Naturbasis in ihrem Umland, während sich ein Teil der Menschen den weltweiten Problemen verschließt. Dennoch gäbe es keinen Ersatz für die städtische Planung. Es gilt vielmehr ihre Rolle zu überdenken, neue Verbündete zu suchen und die Rolle der Planung politisch zu stärken.
Während das Thema des weltweiten HABITAT-Tages „Planning our Urban Future“ mit einer Neudefinition des Begriffs Planung relativ weit gesteckt war, konzentrierte sich die Diskussion der Wiener Veranstaltung auf die Rolle des Wohnbaus in der Planung der Stadt der Zukunft. Laut Kurt Stürzenbecher, Vorsitzender des Wiener Wohnbauausschusses, sei dies eine aktuelle Fragestellung, gerade in der Verbindung mit der weltweiten Finanzkrise. Dass die Hauptveranstaltung zum Welt-HABITAT-Tag in Washington stattfinde, könne man als Zeichen sehen. Die Obama-Administration, so Stürzenbecher, hat anerkannt, dass Wohnen zu den Grundbedürfnissen der Menschen zählt. Wien hat hier einen Vorsprung gegenüber vielen Städten. Mit dem Wohnfonds und den Gemeindebauten besitzt die Stadt Wien Instrumente, mit denen sie direkt über Grund und Boden und über Wohnungen verfügt.
Kurt Puchinger, Leiter der Planungsabteilung der Stadt Wien, schloss aus Sicht der Planung daran an: „Grundsätzlich kann man sagen, dass erfolgreiche Planung von zwei Faktoren abhängig ist: Man braucht Grundstücke und man braucht Geld.“
Die Aufgabe der Planung ist es, grundlegende Qualitäten innerhalb der gesamten Stadt zu garantieren – durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, durch Radweggrundnetze, durch Infrastruktur. Gerade die Verknüpfung des Wohnens mit den Mobilitätsansprüchen der Bevölkerung ist eine wichtige Aufgabe. Daher wird in Wien konsequent die Priorität des öffentlichen Verkehrs gefördert.
Aber nicht alles ist planbar. Die Wünsche der Bevölkerung an die Stadt ändern sich relativ schnell. Heute wohnen wieder weitaus mehr junge Familien in der Kernstadt, entgegen der früheren Analysen. Er sieht die grundlegende Qualität der Planung deshalb in der Lernfähigkeit des Gesamtsystems.
Wolfgang Förster, Leiter der Wohnbauforschung in Wien, kam wiederum auf die Finanzkrise zu sprechen. Sie zeige, dass die Vorstellung der privaten Versorgung mit Wohnraum dramatisch gescheitert ist, und das nicht nur in den USA, in England oder in Spanien, sondern vor allem auch in den Ländern Osteuropas.
Viele Städte würden sich nun weltweit nach Modellen umsehen, wie sie eine kommunale Versorgung mit Wohnraum garantieren könnten. Die wichtige Aufgabe sei ja nicht nur der soziale Wohnbau – ein Wort, das gerade im Ausland oft gleichgesetzt wird mit den „projects“ an der Peripherie, wie sie z. B. in Paris eben für soziale Segregation und Unruhe sorgen würden –, sondern eine soziale Wohnbaupolitik, und darin hat Wien eine lange Tradition. Besonders interessant wären für viele Städte zur Zeit die Bauträgerwettbewerbe, die eine Möglichkeit darstellen, staatliche Lenkung und Wettbewerb miteinander zu verknüpfen.

Herausforderungen für die Stadtplanung
Alexandra Vogl, Geschäftsführerin von TINA VIENNA und Moderatorin, lenkte die Diskussion auf die Herausforderungen, denen sich Städte aufgrund des Klimawandels stellen müssen. Hier gäbe es zwei Aufgaben: einerseits durch eine Verringerung der CO2-Bilanzen dem Klimawandel entgegenzuarbeiten, aber auch dem Klimawandel angepasst zu bauen. Wien entwickelt sich gerade zur Hauptstadt des Passivwohnhausbaus. Die Frage sei aber, ob dies nur Pilotprojekte sind oder das auch den Wohnbau der großen Zahl betrifft.
Da man laut Karl Wurm, Direktor der gemeinnützigen Bauträger Österreichs, weiß, dass 40% des CO2-Ausstoßes der Städte aus dem Wohnbau kommen, könnte Innovation im Wohnbau wirklich eine Stellschraube in der Energiebilanz der Städte sein. Jedoch findet Innovation in Bezug auf nachhaltige Bautechnologien und alternative Energiesysteme zur Zeit nur im kommunalen und sozialen Wohnbau statt.
Bezogen auf Passivhäuser ist allerdings die letzte Stufe, also die vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus, sehr teuer. Gerade jetzt, in Zeiten der Krise, wird aber die Frage des leistbaren Wohnens die eigentlich zentrale Frage im Wohnbau. Gesetzliche, verbindliche Rahmenbedingungen sind für ihn die Grundlage für einen fairen Wettbewerb und zur Erreichung nachhaltiger Standards. In dieser Hinsicht seien die Bauträgerwettbewerbe ein sehr gutes Modell. Aber: es gibt keinen Wettbewerb um die Armut. Und wo kein Wettbewerb ist, greifen auch die Bauträgerwettbewerbe nicht.
Philippa Tscherkassky, Leiterin der Wohndrehscheibe Wien, konkretisierte: Trotz allen Instrumenten, die es in der Stadt Wien gibt, ist der Anteil der Bevölkerung, der sich keine Wohnung leisten kann oder für den der Wohnungsmarkt keine Wohnungen anbietet, nicht unerheblich. Gerade der Neubaubereich sei durch die relativ hohen Einstiegskosten für diese Menschen keine Option.

Leistbare Mieten
Dies führt zu Segregationstendenzen in der Stadt. Gerade dort, wo Energie besonders teuer und die Versorgung mit Grünraum am schlechtesten ist, fänden sich auch die Menschen mit den niedrigsten Einkommen. In diesen Bezirken stünden sie auch noch in Konkurrenz mit der eingesessenen Bevölkerung um die niedrigsten Mieten und um Platz, was zu sozialen Spannungen führt. Sie appellierte an den Vertreter der öffentlichen Bauträger, neue innovative Finanzierungsmodelle im Neubau für diese finanziell schlechter gestellte Gruppe zu entwickeln.
Karl Wurm wies auf die Notwendigkeit für die Planung hin, sowohl verbindliche Rahmenwerke aufstellen zu müssen, aber auch so flexibel sein zu müssen, dass innovative Wohnformen möglich seien. Als Beispiel nannte er die autofreie Stadt, einen Bezirksteil in Wien, wo es möglich war, Wohnbau ohne Garagenstellplätze zu planen, die eigentlich bei Neubauvorhaben obligatorisch sind.

Trends und künftige Modelle
In einer Abschlussrunde ging es um Trends und um Modelle, die von den Diskutanten als zukunftsfähig eingeschätzt würden. Wolfgang Förster plädierte für eine aktive Rolle der Administration. Sowohl beim Thema Energieeffizienz als auch beim Thema leistbares Wohnen dürfe man nicht auf private Initiativen hoffen. Nur eine möglichst breite Partizipation garantiere erfolgreiche Planung. Hier seien vor allem innovative Finanzierungsformen für Wohnungen gefragt, sodass die nachhaltige Stadt für eine breitere Schicht zur leistbaren Stadt wird.
Kurt Stürzenbecher hob die Modellwirkung der sanften Stadterneuerung hervor. Hier hätte man ein Best Practice, wie man mit legislativen Möglichkeiten Sanierung und Stadtraumverbesserung ohne die Verdrängung von einkommensschwachen Schichten durchführen kann. Wien – das sei der Trend – ist eine Stadt, die wächst. Dieser Bevölkerungszuwachs wird durch Migration entstehen. Darauf sowie auf die veränderten Lebensformen und den steigenden Altersdurchschnitt der Bevölkerung gälte es im Wohnbau zu reagieren.
Kurt Puchinger wies auf die Wichtigkeit des Themas Verteilungsgerechtigkeit hin. Die wichtigste Aufgabe der Stadt sei es, sozial integrativ zu sein und eine Chancengleicheit für alle Bürger zu bieten. Angesichts des Welt-HABITAT-Tags gelte es, sich bewusst zu machen, dass die Entwicklung in Wien nicht abgeschlossen von der Entwicklung der Welt verläuft. Die europäische Stadt, die sich zur nachhaltigen Stadt entwickelt, während die Städte des Südens verelenden, könne es nicht geben. Die Entwicklung erzeugt einen Migrationsdruck, den wir zu spüren bekommen werden.
Grundsätzlich geht es um leistbaren Wohnbau, schlossen sowohl Philippa Tscherkassky von der Wohndrehscheibe als auch Karl Wurm, der Vertreter der Bauträger. Er fügte noch hinzu, dass auch leistbarer Wohnraum für Jugendliche ein wichtiges Thema wäre, das viel zu oft vergessen wür¬de.
Modelle sind also gefragt, um diesen Anforderungen zu entsprechen. Best-practice-Lösungen, aus denen man lernen kann, was woanders schon funktioniert hat. Beispiele für innovative Legislative, angewandte städtische Umwelttechnologien, Partizipationsmodelle und innovative Finanzierungen. Das ist die Aufforderung, die das Best Practices Hub – Wien nach dieser Diskussion sieht.

Die Wohndrehscheibe Wien
Ein Beispiel für ein erfolgreiches Best-practice-Modell wurde im Rahmen der Veranstaltung genauer vorgestellt: die Wohndrehscheibe, ein Projekt der Stadt Wien, das bereits von UN-HABITAT als Best-practice-Beispiel ausgezeichnet wurde. Das Projekt wurde 1997 vom Verein Volkshilfe, dem Integrationsfonds, dem Wohnungsberatungszentrum der Stadt Wien und kirchlichen Organisationen ins Leben gerufen und bietet Beratung und Unterstützung für wohnungssuchende Menschen mit geringem Einkommen. Durch ihre Vermittlung haben bereits rund 5.000 Menschen in über 20.000 Beratungsgesprächen eine geeignete Wohnung gefunden.
Der Dubai Best Practices Award 2010
Weitere Beispiele für innovative Programme finden sich in der Datenbank des Best-Practice-Programms – der größten Datensammlung zu städtischer Entwicklung weltweit. Für den nächsten Dubai International Award for Best Practices, der sich zum prestigeträchtigsten Preis für innovative Städte und Gemeinden entwickelt hat, sind deshalb Einreichungen aus allen Gebieten der Planung, der Finanzierung, aber auch technologische Innovationen zur Sicherstellung nachhaltiger Entwicklung gefragt.
Zum UN-HABITAT-Tag wurde der Aufruf zur Einreichung von Best Practices offiziell gestartet. Das Best Practices Hub – Wien ist in der Region der Ansprechpartner für alle Städte und Gemeinden, die nach Best-practice-Modellen suchen, oder selbst ihre Erfahrungen einreichen wollen. Das Best Practices Hub – Wien betreibt dazu auch eine Web-Seite unter www.bestpractices.at.
Tipp: Die Ausstellung „In Zukunft Stadt“ ist noch bis Ende November in der Planungswerkstatt der Stadt Wien zu sehen.

Kontakt:
UN-HABITAT Best Practices Hub – Wien, TINA VIENNA Urban Technologies & Strategies GmbH,
1150 Wien, Anschützgasse 1,
Tel. +43(0)1/4000-84260,
E-Mail: office@bestpractices.at,
office@tinavienna.at

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