Über die Armut nebenan

Über die Armut nebenan

Rund 1,2 Millionen Menschen sind in Österreich armutsgefährdet – Tendenz steigend. Eine große Hoffnung ist die bedarfsorientierte Mindestsicherung, die 2010 in Kraft treten soll.

 

„Uns geht’s doch eh allen gut“ – scheint eine weitläufig verbreitete Meinung von Herr und Frau ÖsterreicherIn zu sein –, zumindest könnte man das meinen, wenn man samstagnachmittags auf einer der Einkaufsstraßen in den Städten Österreichs unterwegs ist. Wer würde schon vermuten, dass etwa 15% der Bevölkerung (rund 1,2 Millionen Menschen) armutsgefährdet sind, wenn ihr Haushaltseinkommen an oder unter der Armutseinkommensschwelle liegt, knapp ein Drittel von ihnen (rund 400.000 Personen) leben in direkter Armut, was bedeutet, dass sie sich mindestens zwei der folgenden, für die „NormalverbraucherInnen“ ganz gewöhnliche Dinge, nicht leisten können. Das wäre zum Beispiel, sich neue Kleidung kaufen zu können, die Wohnung warm zu halten, Miete oder Strom immer rechtzeitig zahlen zu können, jeden zweiten Tag Fisch, Fleisch oder Huhn zu essen, auch unerwartete Zahlungen tätigen zu können, einmal im Monat Verwandte oder Freunde zum Essen einladen zu können oder notwendige Arztbesuche für alle Familienmitglieder finanzieren zu können (vgl. EU-SILC 2009).
Vor allem Familien mit drei oder mehr Kindern, mit einem behinderten oder langzeitarbeitslosen Familienmitglied, Familien aus sogenannten Drittstaaten (nicht EWR), Einelternfamilien, aber auch allein lebende Männer und Frauen sind armutsgefährdet.

Mittelschicht nicht unbelastet
Eine Studie der Sozialökonomischen Forschungsstelle (SFS) zum Thema „(Familien-)Belastungen durch Selbstbehalte und Kostenbeiträge“ aus dem Jahr 2008 zeigt auf, wie stark auch Mittelschichtsfamilien von den zahlreichen Kostenbeiträgen und Selbstbehalten betroffen sind. Es sind viele kleine Summen, zum Beispiel der Eintritt ins städtische Bad, die Schullandwoche, die Tanzschule, aber auch der ECDL-Computerführerschein, die Zahnspange oder das Abholen vom Nachmittagsunterricht, die im Einzelnen nicht hoch erscheinen, die aber in Summe das Haushaltsbudget ziemlich stark belasten, insbesondere wenn mehrere Kinder in der Familie leben. Von einer Deckelung dieser Kostenbeiträge und Selbstbehalte, wie wir es seit einigen Jahren in der Krankenversicherung kennen, sind wir hier noch weit entfernt.

Spot on: Kinderbetreuung
Die Hälfte aller Kindertagesheime zum Beispiel in Wien wird von der Stadt Wien geführt; anders zum Beispiel in Niederösterreich: Hier ist das Land NÖ zu 82,3% Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen. Jede der zwei Lösungen weist Vor- und Nachteile in Sachen Kinderbetreuung auf. In Wien waren die Kindergartenplätze im Jahr 2008 wegen dem hohen Anteil an privaten und konfessionellen Anbietern insgesamt generell teurer als in Niederösterreich, zusätzlich dazu war und ist die Kinderbetreuung am Nachmittag in Kindergärten des Landes NÖ gratis. Die Stadt Wien bietet im Gegensatz dazu Kinderbetreuung auch für 0- bis 3-jährige Kinder an, in Niederösterreich können Kinder ab 21/2 Jahren einen Kindergarten besuchen.
Ab September 2009 ist auch die Betreuung in Kindertagesheimen der Stadt Wien für Familien mit Hauptwohnsitz Wien kostenlos.
Sind die Kinder älter als 6 Jahre, fallen jedoch in allen Ländern zum Teil relativ hohe Kosten an, z. B. wenn der Schulort nicht der Wohnort ist, aber am Schulort zu Mittag gegessen werden muss, oder was die Betreuung in Horten betrifft.

Leistbare Gesundheit
Auch in einem Land wie Österreich muss man sich Gesundheit erst einmal leisten können. Nicht nur Selbstbehalte, die aus zahnärztlichen Behandlungen, Krankenhausaufenthalten, Rezeptgebühren, Sehhilfen etc. anfallen, sind zu berücksichtigen, sondern auch gesundheitliche Ungleichheit, die indirekt finanziell bedingt ist. Das kann zum Beispiel das Leben in Wohnungen mit Mängeln, wie etwa Schimmel, hoher Geräusch- und Abgaspegel oder ständige Zugluft sein.
Auch die soziale Herkunft kann sich auf die Gesundheit auswirken, da Gesundheitsverhalten in Bezug auf Ernährung, Bewegung oder Alkoholkonsum von Eltern auf die Kinder weitergegeben wird.
MigrantInnen weisen generell, vor allem aber mit steigendem Alter, einen weitaus schlechteren Gesundheitszustand als die inländische Bevölkerung auf. Zusätzlich nehmen sie weniger gesundheitliche Leistungen in Anspruch. Gründe dafür dürften sprachliche Barrieren, Informationsmangel, aber auch mangelhaftes interkulturelles Wissen oder Verständnis von Seiten der Gesundheitsbediensteten sein. Zu diesem Thema gibt es leider bislang nur spärlich Material.

Bedarfsorientierte Mindestsicherung
Wenn die bedarfsorientierte Mindestsicherung im Jahr 2010 in Kraft tritt, wird zumindest die finanzielle Mindestsicherung und damit der Schutz vor einem Absturz in Geldarmut erstmals bundesweit einheitlich geregelt sein. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass die zur Auszahlung kommenden Sätze über der Armutsbedrohungsgrenze liegen – das ist vor allem bei kinderreichen Familien nicht gewährleistet, da der Kinderzuschlag zu niedrig bemessen wird.

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