Erkenntnis des VwGH

Verwaltungsgerichtshof
Zl 2000/16/0296-7

Im Namen der Republik

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der L GmbH in W, vertreten durch Grohs-Hofer & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Helferstorferstraße 4, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 7. Februar 2000, Zl. A 8 R-K 699/1992-2, betreffend Getränke- und Speiseeisabgabe für die Zeit von 1. Jänner 1999 bis 30. Juni 1999, zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben

Die Stadt Graz hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Mit Anträgen vom 11. März, 13. April, 12. Mai, 26. Mai und 25 Juni 1999 begehrte die Beschwerdeführerin jeweils die bescheidmäßige Festsetzung der Getränkesteuer (insgesamt für die Monate Jänner bis Juni 1999) und die Rückzahlung der entrichteten Abgaben mit der Begründung der "EU-Widrigkeit" dieser Abgabe, wobei ausdrücklich auf das damals beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren in der Rechtssache C-437/97 Bezug genommen wurde.

Daraufhin erließ die Abgabenbehörde erster Instanz am 27. August 1999 einen. Bescheid, mit dem die Getränke- und Speiseeisabgabe für den in Rede stehenden Zeitraum mit S 3,379.112,-- festgesetzt und der Rückzahlungsantrag abgewiesen wurde

Dagegen berief die Beschwerdeführerin mit der Behauptung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Abgabenfestsetzung. Die Abgabenbehörde erster Instanz gab der Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 28. September 1999 keine Folge, worauf die Beschwerdeführerin unter Aufrechterhaltung ihres Arguments die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragte.

Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab, wobei sie die Auffassung vertrat, die Erhebung der Getränkesteuer stünde nicht im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende (am 23. März 2000 zur Post gegebene) Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Nichtvorschreibung der Getränkesteuer und auf Stattgebung ihres Rückzahlungsantrages verletzt.

Die belangte Behörde machte von der ihr gebotenen Möglichkeit einer Klaglosstellung keinen Gebrauch, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird. Die belangte Behörde steht dazu auf dem Standpunkt, die Beschwerdeführerin könne sich nicht auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 berufen, weil sie die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erst nach dem Ergehen dieses Urteiles erhoben habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Spruch des zitierten Urteils des Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften lautet auszugsweise:

"2. Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren steht der Beibehaltung einer auf alkoholfreie Getränke und Speiseeis erhobenen Steuer wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegen. Artikel 3 Absatz 2 dieser Richtlinie steht jedoch der Beibehaltung einer auf alkoholische Getränke erhobenen Steuer wie derjenigen entgegen, um die es im Ausgangsverfahren geht.

3. Niemand kann sich auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt."

Die belangte Behörde übersieht in diesem Zusammenhang, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nicht nur demjenigen das Recht einräumt, sich auf Art. 3 Abs. 2 der RL 92/12 zu berufen, der vor dem Zeitpunkt der Erlassung seines Urteiles "Klage erhoben" (das heißt den Anspruch von einem der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes erhoben) hat, sondern auch demjenigen, der vor diesem Zeitpunkt "einen entsprechenden Rechtsbehelf" eingelegt hat.

Der Begriff "Rechtsbehelf" findet im (Gemeinschaftsrecht (betreffend verwaltungsbehördliche Verfahren) z.B. in Artikel 243 Zollkodex (Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 ABlEG Nr. L 302 S. 1), insbesondere aber in verschiedenen Urteilen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Verwendung (vgl. Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 41/84, Pinna, Slg. 1986, 1, Randnr. 29; Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 44; Urteil vom 15. Dezember 1995 in dei Rechtssache C-415/93; Bosman u.a., Slg 1995, I-4921, Randnr. 145 u.a.). Der Gerichtshof bringt dabei zum Ausdruck, dass er darunter versteht, dass seitens der betroffenen Parteien "rechtzeitig Schritte zur Wahrung ihrer Rechte unternommen werden". Der Begriff Rechtsbehelf ist daher im Sinne des zu gewährenden Rechtsschutzes möglichst weit zu verstehen (so auch Ehrke, Rückzahlung der Getränkesteuer, ÖStZ 15. Mai 2000, Nr. 10, Seite 254ff). So wird dieser Begriff auch in der allgemeinen Verfahrensrechtslehre verwendet, und zwar als jedes prozessuale Mittel zur Verwirklichung eines Rechtes" (Baumbach/Lauterbach, ZPO56 Rz 1 der Grdz zu § 511 dZPO).

In diesem Sinn hat aber die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall bereits im Wege ihrer verschiedenen an die Abgabenbehörde erster Instanz gerichteten Anträge auf Abgabenfestsetzung und Rückzahlung einen solchen Rechtsbehelf ergriffen und darf sie sich daher nach der klaren Anordnung des Punktes 3 des Spruches des oben zitierten Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften daher auch auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Getränkesteuer berufen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen auf Grund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 ergangenen Erkenntnissen vom 30. März 2000, Zl. 2000/16/0117 (vormals: Zl. 97/16/0221), und Zl. 2000/16/0116 (vormals: Zl. 97/16/0021), ausgeführt, dass die belangte Behörde, wenn sie auf Basis des von ihr angewendeten innerstaatlichen Rechts die Vorschreibung der Getränkesteuer auf alkoholische Getränke billigte, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet habe. Dies ist auch im hier zu beurteilenden Fall erfolgt, weshalb der angefochtene Bescheid aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Im Hinblick auf die Frage, inwieweit durch rückwirkend erlassene landesgesetzliche Bestimmungen die sich aus Punkt 3 des EuGH-Urteils ergebende Rückzahlungspflicht davon abhängig gemacht wird, wer die Abgabe wirtschaftlich getragen hat, wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, dass es für den anzuwendenden Prüfungsmaßstab unbeachtlich ist, wenn der Gesetzgeber das von der Behörde angewendete Gesetz nach Erlassung des angefochtenen Bescheides (hier: mit der am 1. März 2000 in Kraft getretenen Novelle LGBl. Nr. 13/2000), aber vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes rückwirkend ändert.

In Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe der genannten Erkenntnisse verwiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof ist in Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (EuGHE 1982, 3415) - C.I.L.F.I.T. - nicht nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997, ABlEG Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet. Er hat keine Zweifel an der richtigen Auslegung und Anwendung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts und ist davon überzeugt, dass für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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