Getränkesteuer - Argumente im Zuge des Verfahrens beim EuGH

Ein Artikel von Dr. Karl Kamhuber in der ÖGZ 9/1999

Dr. Karl Kamhuber ist Leiter des Referates 7 "Getränkesteuer, Gefrorenessteuer, Vergnügungssteuer, Sportgroschen" der Magistratsabteilung 4 der Stadt Wien.

Selten finden Verfahren vor dem EuGH ein so großes Medienecho wie jenes betreffend die Getränkesteuer. Dabei spielen emotionale Faktoren - welcher Unternehmer zahlt schon gerne Steuern - genauso eine Rolle wie das in Frage stehende Finanzvolumen oder die gesamtwirtschaftliche Lenkungswirkung der Abgabe. Immerhin ist die Getränkesteuer mit einem jährlichen Ertrag von rund 5,6 Mrd. ATS eine der tragenden Säulen der Gemeindefinanzen. Ihr Volumen entspricht etwa dem Aufwand der Gemeinden für Kinderbetreuung oder Gesundheit oder kommunalem Nahverkehr. Im Durchschnitt beträgt die Getränkesteuer zwar "nur" rund 3 % der Gemeindebudgets, liegt aber in zentralen Orten mit ihren erhöhten Aufgaben bereits deutlich höher und erreicht in typischen Fremdenverkehrsgemeinden bis zu .... % des Gemeindebudgets, sodaß aus ihrem Ertrag wesentliche Teile der für die nur vorübergehend anwesende Bevölkerung erforderlichen Infrastruktur finanziert werden können. Die Bedeutung dieser Steuer ist aber vor allem an der freien Finanzspitze der Gemeinden zu sehen, die nur bei etwa 15 % des Budgets liegt, da die meisten Einnahmen für "Pflichtaufgaben" verwendet werden müssen. Sie hat darüber hinaus eine wesentliche Anreizfunktion für die Städte und Gemeinden, die Umstrukturierung des Tourismus durch ergänzende öffentliche Einrichtungen und Maßnahmen (Kongreß- und Veranstaltungszentren, Sport- und Kulturveranstaltungen, Ortsbildpflege) zu ermöglichen, was sich auch an der erfolgreichen Entwicklung des Städtetourismus ablesen läßt.

Argumente gegen die Getränkesteuer nicht stichhältig

Die Haltung der Wirtschaft (Verteuerung der Getränke durch diese Abgabe in Österreich, geringere preisliche Konkurrenzfähigkeit des heimischen Tourismus, Abgeltung des Einnahmenentfalls bei den Gemeinden bei Abschaffung der Getränkesteuer aus dem Finanzausgleich) - insbesondere der Gastronomie - ist nicht neu, die Argumente halten jedoch einer Prüfung anhand objektiver Fakten nicht stand:

  • Die Getränkepreise sind nicht durch die Höhe der Getränkesteuer bestimmt, sondern durch den Markt. Sonst wäre es nicht möglich, daß - wie Preiserhebungen zeigen - etwa 1/4 l Wein in Innsbruck mit 47,20 ATS um über 50 % teurer ist als in Wien (29,80 ATS), obwohl in beiden Städten die gleichen steuerlichen Voraussetzungen bestehen. Wie unhaltbar die Argumentation der Wirtschaft ist, zeigt sich weiters daran, daß im "getränkesteuerfreien" München der Preis für 1/4 l Wein umgerechnet bei 63,40 und in Zürich sogar bei 82,20 ATS liegt.
  • Mit 1. Jänner 1992 wurde die Getränkesteuer auf nicht-alkoholische Getränke von 10 auf 5 % reduziert. Diese Halbierung des Steuersatzes brachte - trotz vorheriger Beteuerungen von Funktionären der Wirtschaft - nachweislich keinerlei Preissenkungen für die Konsumenten sondern nur Mindereinnahmen für die Gemeinden.
  • Auch die immer wieder erwähnte finanzielle Abgeltung der Gemeinden für die Einnahmenausfälle aufgrund einer Abschaffung der Getränkesteuer ist als Leerformel zu bewerten, da die anderen am Finanzausgleich beteiligten Gebietskörperschaften (Bund und Länder) im Hinblick auf die Erfüllung der Maastricht-Kriterien wenig finanziellen Spielraum haben und Erhöhungen anderer wirtschaftsbezogener Steuern - z. B. wurde 1995 zur teilweisen Finanzierung des EU-Mitgliedsbeitrags von Gemeindeseite eine Verbreiterung der Kommunalsteuer durch Einbeziehung der Abschreibungen vorgeschlagen - von der Wirtschaft kategorisch abgelehnt werden. Von seiten der Wirtschaft werden auch keine konkreten Gegenvorschläge gemacht.

Getränkesteuer früher als EG-konform bezeichnet

Die nunmehr behauptete EU-Widrigkeit der Getränkesteuer ist für die Städte und Gemeinden umso überraschender, als während der gesamten Vorbeitrittsphase sowohl von den verhandelnden Vertretern der Republik Österreich als auch von der EU-Kommission die Gemeinschaftskonformität behauptet wurde.

  • So hat z. B. Kommissar Peter Schmidhuber beim Österreichischen Städtetag im Mai 1991 in Baden zur österreichischen Getränkesteuer Stellung genommen und erklärt, daß er - weil sie weder ausländische Unternehmen diskriminiert noch ein Grenzausgleich erforderlich ist und das Funktionieren des Binnenmarktes in keiner nur denkbaren Weise stört - keinen Grund sieht, warum sie nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein soll.
  • Bundesminister Ferdinand Lacina hat in einem Schreibem vom 5. Juli 1994 an den Österreichischen Gemeindebund erklärt, daß die Getränkesteuer EG-konform sei.
  • Weiters hat eine Arbeitsgruppe des Rates nach Vorliegen des schließlich verabschiedeten Entwurfes der Verbrauchsteuerrichtlinie im Juni 1991 festgestellt, daß die deutsche Getränkesteuer, die auf die gleiche Basis wie die österreichische Getränkesteuer zurückgeht, EG-konform sei.

Wesentliche Änderung der Aussagen der EU-Kommission

Erst mit Schreiben vom 1. Juli 1997 hat sich die EU-Kommission in neuerer Zeit wieder für die Getränkesteuer interessiert. Die Republik Österreich hat die Argumente, die ihrer Ansicht nach für die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sprechen (Stärkung der Gemeindeautonomie, Finanzierung von verschiedenen Aufgaben, darunter insbesondere Infrastruktur für Tourismus und zentrale Orte, gesundheitspolitisch motivierte Differenzierung des Steuersatzes - 10 % für alkoholische, 5 % für nicht-alkoholische Getränke - für die "besondere Zielsetzung"; keine Diskriminierung von Ausländern, keine Grenzformalitäten) dargelegt, ohne daß sich die EU-Kommission - was bei der Bedeutung der Angelegenheit unverständlich ist - damit auseinandergesetzt hat. Sie hält die Getränkesteuer zwar mit der Mehrwertsteuerrichtlinie für vereinbar, verneint dies jedoch im Hinblick auf die Verbrauchsteuerrichtlinie.

Unverständliche Haltung in den Schlußanträgen des Generalanwalts

Der Generalanwalt setzt mit seinen Schlußanträgen die Linie der Kommission fort, ja, verschärft sie sogar noch, weil er auch eine Rückzahlungspflicht für die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke für die Jahre ab 1995 nicht ausschließt. Dies, obwohl die Konsumenten die Getränkesteuer bezahlt haben und die Steuerpflichtigen (Gastronomie und Einzelhandel) den Konsumenten mangels entsprechender Aufzeichnungen die geleistete Steuer gar nicht rückerstatten können, was den Tatbestand der "Bereicherung" darstellt. Auch auf einige weitere grundlegende Fragen und Argumente wird nicht eingegangen.

Neben der Frage der "besonderen Zielsetzung" - für die nämlich weder in der Richtlinie selbst noch in der Spruchpraxis nähere Hinweise bestehen und damit doch ein erheblicher Gestaltungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber bestehen sollte - ist nämlich zu erwähnen, daß die Getränkesteuer zweifellos EU-konform ist, soweit Dienstleistungen - auch bei verbrauchsteuerpflichtigen Waren - besteuert werden. Dies wird vom Generalanwalt zwar in seinem Bericht erwähnt, in der Formulierung der Schlußanträge jedoch nicht berücksichtigt. Dies ist jedoch von größter Relevanz, da unter dieser Kriterium jedenfalls die Steuerleistung der Gastronomie fällt, die rund 60 % der gesamten Getränkesteuereinnahmen beträgt.

Der Generalanwalt setzt sich auch nicht mit dem von der Wiener Abgabenberufungskommission vorgebrachten Argument auseinander, daß die Rechtsgrundlage für die Verbrauchsteuerrichtlinie nur Regelungen erlaubt, die zur Verwirklichung des Binnenmarktes "notwendig" sind. Da die österreichische Getränkesteuer jedoch, wie dies auch Kommissar Peter Schmidhuber bereits 1991 erklärte, den Binnenmarkt nicht stört, sei sie somit überhaupt nicht anzuwenden. Typischerweise kommen die Beschwerden, die zum Verfahren vor dem EuGH geführt haben, aus Österreich und nicht aus anderen Mitgliedsländern der EU. Offensichtlich wird sie somit in den anderen am Binnenmarkt teilnehmenden Staaten nicht als diskriminierend betrachtet.

Im folgenden Beitrag werden diese - und auch noch weitere - Argumente eingehend dargestellt.

Abschließend ist allerdings zu erwähnen, daß auch in den Schlußanträgen die Konformität mit der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht bestritten wird - weshalb die Besteuerung von nicht-alkoholischen Getränken und Speiseeis nicht EU-widrig ist - und auch nicht die Berechtigung der Besteuerung von alkoholischen Getränken an sich bestritten wird, sondern nur die derzeitige Form der Getränkesteuer.

Die Entscheidung des EuGH wird für Herbst 1999/Winter 2000 erwartet. Sollte der Gerichtshof den Argumenten des Generalanwaltes folgen, wäre dies wohl ein schwerer Schlag für die Verläßlichkeit von Erklärungen der Europäischen Kommission und auch für die immer wieder beschworene Subsidiarität, da der nationale Gestaltungsspielraum erheblich eingeschränkt würde. Für die Gemeindebürger würde sich eine fühlbare Reduzierung von Gemeindeleistungen und für die örtliche Wirtschaft ein verringertes kommunales Auftragsvolumen ergeben.

Das Ergebnis der Beratungen des EuGH ist somit aus vielen Gründen von besonderer Bedeutung.

INHALTSVERZEICHNIS

I) Einleitung
II) Zur ersten Frage - Konformität mit Mehrwertsteuer-Richtlinie
III) Zur zweiten Frage - Verträglichkeit mit Verbrauchsteuer-Richtlinie

A) Der Text der Verbrauchsteuer-Richtlinie
B) Zu Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuer-Richtlinie
1.) Die besondere Zielsetzung
2.) Die Beachtung der Besteuerungsgrundsätze

C) Artikel 3 Absatz 3 der Verbrauchsteuer-Richtlinie
1.) Steuern auf andere Waren
2.) Steuern auf Dienstleistungen

IV) Zur dritten Frage

V) Weitere grundsätzliche Fragen

A) Ziel und Rechtsgrundlage der Richtlinie
1.) Der Text des Art. 99 EGV
2.) Umsetzung der Ziele

B) Die Bestimmtheit der Richtlinie
C) Ist die Richtlinie nichtig?
D) Die Wirkung des Beitrittsvertrages
VI) Vorschau auf das Urteil

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