Getränkesteuer – Rückzahlungsregelung in den Landesabgabenordnungen EU-konform?

Dr. Peter Mühlberger
Finanzrechts- und Steueramt der Landeshauptstadt Linz

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 23. 3. 2001, Zl. 2000/16/0640, zur Novellierung der Wiener Landesabgabenordnung vom März 2000 über die Rückzahlung von innerstaatlich rechtswidrigen oder gemeinschaftsrechtswidrigen Abgaben einen neuerlichen Antrag an den EuGH auf Vorabentscheidung gestellt. Die Frage lautet, inwieweit diese Gesetzesnovelle mit Artikel 10 EGV und dem Tenor des Urteils des EuGH vom 9. März 2000, C 437/1997, vereinbar ist. Die bisher ergangene Rechtssprechung zur Frage der Rechts- bzw. EU-Konformität von Verfahrensbestimmungen, denen Rechtswirkung für vergangene Sachverhalte zukommt, lässt hoffen, dass die Novellierungen in den Landesabgabenordnungen zur Rückzahlung (gemeinschafts-)rechtswidriger Abgaben auch unter Berücksichtigung des EU-Rechts bestehen können. Dafür spricht auch, dass diese Gesetzesnovellen vor allem ausschließlich österreichspezifische Abgabenverfahren betreffen.

1. Verfassungsrechtliche Überlegungen

1.1 Kein Rückwirkungsverbot

Obwohl sich in der Regel jede Änderung der Rechtslage nur pro futuro auswirkt, ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert, Gesetze mit rückwirkender Kraft zu erlassen. Das Bundesverfassungsrecht enthält kein allgemeines Verbot rückwirkender Gesetze, d. h. solcher Gesetze, die an Sachverhalte anknüpfen, die sich vor Inkrafttreten des Gesetzes ereignet haben (Walter-Mayer „Bundesverfassungsrecht“, Manz-Verlag, Wien 2000, 9. Auflage). So hat auch der Verfassungsgerichtshof selbst erkannt, dass die Bundesverfassung kein Verbot enthält, Gesetze mit rückwirkender Kraft zu erlassen (VfGH-Erkenntnis vom 27. 9. 1965, B 81/65), und zwar auch in der Form, dass selbst bereits rechtskräftig abgeschlossene Verfahren von der Rückwirkung erfasst werden, wobei allerdings für die Verfassungsmäßigkeit einer solchen rückwirkenden Gesetzesregelung entscheidend ist, dass sie am Gleichheitsgrundsatz gemessen bestehen kann (VfGH-Erkenntnis vom 1. 12. 1966, B 254/66).

1.2 Rückwirkungsprämissen

Dem Gleichheitsgrundsatz und dem Vertrauensschutz als Prämissen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit kommt bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer rückwirkenden gesetzlichen Regelung entscheidende Bedeutung zu. So sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes rückwirkende Gesetzesänderungen, die die Rechtsposition der Rechtsunterworfenen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, im Lichte des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Es kann jedoch an der Be­fugnis des Gesetzgebers, im Rahmen der Verfassung rechtspolitisch unerwünschten Konsequenzen der Rechtsprechung mit einem Gesetzesgebungsakt entgegentreten, nicht gezweifelt werden (VfGH-Erkenntnis vom 25. 6. 1998, G 384/96).

Eine Änderung der gerichtlichen Rechtsprechung kann unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Vertrauensschutzes eine sachliche Rechtfertigung für eine, den bisherigen Rechtszustand wiederherstellende, je nach Sachlage auch rückwirkende Reaktion des Gesetzgebers begründen.

Gerade dem Faktum, dass nicht nur Gemeinden und die Abgabenbehörden, sondern auch die Steuerpflichtigen selbst grundsätzlich von einer Rechtmäßigkeit der österreichischen Getränkebesteuerung ausgehen konnten und auch mussten, wird vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung vom 9. März 2000 auch eine als (zu Unrecht) rückwirkend bezeichnete Regelung eines so genannten „Bereicherungsverbotes“ bei Rückzahlung rechts­widriger Gemeindeabgaben aus der Sicht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes rechtliche Relevanz zukommen. Diese Anerkennung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer „rückwirkenden“ Gesetzes­regelung wird noch verstärkt durch jene Rechtsmeinung des Höchstgerichtes, wonach das Bundesverfassungsgesetz kein allgemeines Verbot rückwirkender, an Sachverhalte vor Erlassung anknüpfender Gesetze enthält (VfGH-Erkenntnis vom 19. 6. 1996, B 2756/94).

1.3 Vertrauensschutz
1.3.1 Berechtigtes Vertrauen

Gesetzliche Vorschriften, die nachträglich an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Rechtsfolgen knüpfen und dadurch die Rechtsposition des Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, führen zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in ihrem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (VfGH-Erkenntnis vom 16. 6. 1995, G 191/94).

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist daher der Rechtsschluss zulässig, dass hier im Zusammenhang mit den „Bereicherungsverboten“ in den Landesabgabenordnungen eine sehr wohl verfassungskonforme Gesetzesnovellierung von den Landesgesetzgebern vorgenommen worden war. Dies vor allem deshalb, weil

  • die Steuerpflichtigen von der Rechtmäßigkeit ihrer Steuerselbstberechnung der Getränkesteuer bis zum 8. März 2000 ausgehen mussten, zu­mal der Verfassungsgerichtshof selbst in seiner Entscheidung vom 2. 10. 1999, B 1620/97, angenommen hat, dass die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke seiner Ansicht nach offensichtlich nicht EU-widrig wäre;
  • die Rechtsposition der Steuerpflichtigen im Hinblick auf die vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung anerkannte Prüfung der Steuerüberwälzung bei der Frage der Rückzahlung rechtswidriger, indirekter Steuern keinesfalls verschlechtert wurde;
  • die Normunterworfenen unter Be­rück­sichtigung der ständigen Spruch­praxis der Angabenbehörden und der oben dargestellten Rechtsprechung des Höchstgerichtes keinesfalls in ihrem Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden, sie vielmehr nicht mit der Rechtswidrigkeit der Getränkesteuer rechnen konnten;
  • der Europäische Gerichtshof selbst in seinem Erkenntnis vom 9. März 2000, C 437/97, Rz 58, darauf hingewiesen hat, wonach die österreichische Regierung aufgrund des Verhaltens der Europäischen Kommission annehmen konnte, dass die Vorschriften über die Besteuerung alkoholischer Getränke mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar wären;
  • viele Steuerpflichtige, trotz der bekannten Rechtsproblematik, die Getränkesteuer erklärt und auch entrichtet hatten und viele diesbezügliche Abgabenverfahren ungeachtet der bevorstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes noch vor diesem Zeitpunkt, aber auch noch in der Folge, in Rechtskraft erwachsen sind;
  • gerade der Hinweis des Europäischen Gerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 9. 3. 2000, C 437/97, wonach das Finanzierungssystem der österreichischen Gemeinden durch diese Entscheidung nicht nachträglich erschüttert werden sollte, auf besondere Umstände deutet, die die vorgesehene Abwicklung der Abgabenverfahren unter dem Gesichtspunkt des Bereicherungsverbotes rechtfertigt;
  • die Nichtrückzahlung von ohnedies an die Konsumenten überwälzter Getränkesteuer keinen gravierenden Eingriff in die Rechtsposition der Steuerpflichtigen darstellt.

1.3.2 Nachträgliche Belastung

Der Verfassungsgerichtshof tendiert grundsätzlich zum Vertrauen in die Rechtsordnung und es können Rechtsnormen gegen diesen Vertrauensgrundsatz verstossen, wenn sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Steuerpflichtigen nachträglich belasten (VfGH-Erkenntnis vom 21. 6. 1993, B 2022/92).

Das Höchstgericht will vor allem das Vertrauen in die Rechtsordnung unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes geschützt wissen. So hat etwa der Gerichtshof in Fällen, in denen eine Steuerbehörde von einer, über mehrere Jahre vertretenen Rechtsauffassung, an die sich die Steuerpflichtigen in der Folge gehalten haben, ohne triftige Gründe abwich, eine Verletzung von Treu und Glauben festgestellt. Dabei wird stets die Bindung gesetzlich verfügter Rückwirkungen an den Gleichheitsgrundsatz betont (VfGH-Erkenntnis vom 5. 10. 1989, G 228/89). Diese Funktion können Rechtsvorschriften jedoch nur erfüllen, wenn sich die Normunterworfenen bei ihren Dispositionen grundsätzlich an der geltenden Rechtslage orientieren können. Es könnten daher gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz dann in Konflikt geraten, weil und insoweit sie Normunterworfene nachträglich belasten.

Eine solche Belastung würde beispielsweise die nachträgliche

  • Einführung eines Steuertatbestandes,
  • Erhöhung eines Abgabensatzes oder
  • Sistierung eines bisher vorgesehenen Befreiungstatbestandes

mit sich bringen.

Keine nachträgliche Steuerbelastung kann die Beibehaltung eines steuerrechtlichen, jedenfalls zum Zeitpunkt der Realisierung des Abgabentatbestandes völlig gesetzeskonformen Rechts­status mit sich bringen, zumal hier keinesfalls nachträglich eine steuerrechtliche Belastung der Normunterworfenen herbeigeführt wird.

1.3.3 Besondere Umstände

Eine derartige Belastung könne bei schwer wiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffes führen.

Ein solcher, nachträglich gravierend belastender Eingriff wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden. Dazu muss ausdrücklich festgestellt werden, dass

  • die Normunterworfenen sich an der bis zum 9. März 2000 geltenden und auch als verfassungskonform erkannten Rechtslage der Getränkebesteuerung zu orientieren hatten und darauf nicht nur vertrauen konnten, sondern sogar darauf vertrauen mussten;
  • die Einführung des „Bereicherungsverbotes“ keinesfalls eine Belastung für die Normunterworfenen bringen kann, weil sie offensichtlich die Getränkesteuer als indirekte Steuer in der Regel auf die Konsumenten überwälzt hatten (bei allerdings bestehender behördlicher Nachweispflicht) und daher eine allfällige Verweigerung der Rückzahlung keine Belastung mit sich bringen würde;
  • sogar besondere Umstände vorliegen, um einerseits das Finanzierungs­system der österreichischen Gemeinden – wie vom EuGH selbst gewünscht – nicht zu belasten und Gleichheitswidrigkeiten mit den bereits rechtskräftigen Abgabenfestsetzungen (Selbstberechnungen) bzw. Abgabenverfahren zu vermeiden.

1.4 Rückwirkende Abgabenordnungen

Nach einhelliger höchstgerichtlicher Rechtsprechung sind sogar rückwirkende selbstständige Abgabenverordnungen, die sich ausschließlich auf die in den jeweiligen Finanzausgleichgesetzen eingeräumten und auf § 7 Abs. 5 F-VG 1948 beruhenden Ermächtigungen zur Ausschreibung stützen, als unbedenklich anzuerkennen, wenn die Rückwirkung nur bis zum Zeitpunkt der Erlassung der Ermächtigungsnorm und damit bis zum Inkrafttreten des Finanzausgleichsgesetzes zurückreicht (VwGH-Erkenntnis vom 3. 7. 1978, Zl. 1205/77 und vom 30. 7. 1992, Zl. 87/17/0125).

So wurde auch die rückwirkende Einbeziehung der Verpackungswerte in die Getränkesteuer für vergangene Abgabenzeiträume vom Verwaltungsgerichtshof als rechtlich zulässig erkannt (VwGH-Erkenntnis vom 6. 7. 1990, 90/17/0220). Die Bezugnahme auf alle Tatbestände, für die Verjährung noch nicht eingetreten ist (sh. Oö LGBL. 22/1988), erweist sich nach Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes als eine vom konkreten Sachverhalt unabhängige Umschreibung des zeitlichen Anwendungsbereiches.

Schließlich kann sogar einer vorgenommenen authentischen und damit indirekt rückwirkenden Interpretation der Einbeziehung des Wertes der mitverkauften Verpackung in die Bemessungsgrundlage (siehe Kärnt. LGBL 25/1988) keine vertrauensverletzende Wirkung beigemessen werden (VfGH-Erkenntnis vom 14. 12. 1989, B 1560, 1561/88).

Gerade im Zusammenhang mit der Einführung eines neuen Steuertatbestandes bei der Getränkesteuer hat das Höchstgericht festgestellt, dass für die verfassungsmäßige Zulässigkeit unter Berücksichtigung des Vertrauensgrundsatzes entscheidend sei, welche einheitliche Verwaltungspraxis von den Behörden vor der rückwirkenden Regelung gehandhabt wurde und ob diese im Gesetz Deckung fand (VfGH-Erkenntnis vom 14. 3. 1990, G 294/89).

Zur Rückzahlungsregelung in den Landesabgabenordnungen muss festgestellt werden, dass

  • die Steuerpflichtigen bis zum 9. 3. 2000 selbst verhalten waren, im Rahmen ihrer Selbstberechnung die Getränkesteuer für alkoholische Getränke zu erklären und zu entrichten;
  • die Abgabenbehörden bis zu diesem Zeitpunkt niemals an der Rechtmäßigkeit der Getränkesteuer zweifeln konnten und durchaus eine einheitliche Verwaltungspraxis bei der Administration und Einhebung der Getränkesteuer verfolgten;
  • die vorgenommene „Bereicherungsregelung“ generell für alle gestellten Festsetzungs- und Rückzahlungsverfahren gilt;
  • die vorgenommene Regelung generell für alle bereits anhängigen, aber auch zukünftigen Abgabenverfahren gilt.

1.5 Rechtliche Schlussfolgerung

Die rechtliche Zulässigkeit einer auch für Sachverhalte vor Inkrafttreten wirkenden Rechtsnorm, wie etwa die Rück­zahlungsregelung in den Landesabgabenordnungen, wird im Hinblick auf obige Rechtsausführungen und vor allem auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte vom durch den Vertrauensgrundsatz geprägten Gleichheitsgrundsatz abhängig gemacht. Der Verfassungsgerichtshof hat auf Verfassungsmäßigkeit der Wiener Landesabgabenordnungsnovelle (siehe VfGH-Erkenntnis vom 29. 11. 2000, B1735/00) erkannt und gleichzeitig eine offensichtliche und daher allenfalls verfassungsrechtlich bedenkliche Gemeinschaftsrechtswidrigkeit negiert. Im Hinblick auf Art. 234 EGV wird der EuGH diese vom Verfassungsgerichtshof gutgeheissene, nationale Gesetzesregelung vorraussichtlich nicht negativ kommentieren.

2. Gemeinschaftsrechtliche Überlegungen

2.1 Bereicherungsverbot

Der Europäische Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung den Rechtsstandpunkt, dass es der Schutz der durch die Gemeinschaftsrechtsordnungen in den Abgabenbereichen garantierten Rechte nicht verbietet, die Erstattung von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Steuern, Gebühren und Abgaben zu verwehren, wenn die zur Zahlung dieser Abgaben herangezogenen Steuerpflichtigen diese Abgaben nachweislich tatsächlich auf andere Personen überwälzt haben (EuGH-Urteile vom 27. 2. 1980, Rs 68-79, vom 9. 11. 1983, Rs 199/82, vom 25. 2. 1988, Rs 331/85, und vom 14. 1. 1997, Rs C 192/95). Mangels einer Gemeinschaftsregelung ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der betreffenden Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten derartiger Rechtsbehelfe auf Erstattung rechtswidriger Steuern und Abgaben zu regeln (EuGH-Urteil vom 9. 2. 1999, Rs C 343/96).

2.2 Nationale Regelung

Die Unterschiedlichkeit der nationalen Regelungen beruht insbesondere darauf, dass es keine Gemeinschaftsregelung über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben gibt. Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rech­­te gewährleisten sollen, ist daher Sa­che der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Migliedstaaten (EuGH vom 17. 11. 1998, C 228/1996), wobei diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sein dürfen als bei entsprechenden Klagen, die ausschließlich innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).

2.3 Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz

Die Erlassung von Rückzahlungsregelungen ist nach den oben zitierten EuGH-Urteilen am Äquivalenzgrundsatz und Effektivitätsgrundsatz zu messen. Dazu muss festgestellt werden, dass mit den diesbezüglichen Novellierungen zu den Landesabgabenordnungen

  • das Äquivalenzprinzip (landesgesetzliche Regelung gilt für sämtliche Landes- und Gemeindeabgaben und auch für zukünftige Rechtsfälle und Abgabenverfahren) jedenfalls gewahrt,
  • der Effektivitätsgrundsatz (ordentliches Abgabenverfahren ermöglicht jedem Steuerpflichtigen, seinen Erstattungsanspruch geltend zu machen und auch durchzusetzen) ausreichend berücksichtigt wurde.

2.4 Inkrafttreten

Diese landesgesetzlichen Rückzahlungsregelungen wirken grundsätzlich naturgemäß auch für vergangene Abgabensachverhalte. Zu diesem Ergebnis wird man umso mehr gelangen, als das Gemeinschaftsrecht es selbst nach dem Erlass von Urteilen des Gerichtshofes, in denen Abgaben für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt werden, nicht verwehrt, Vorschriften zu erlassen, nach denen die Voraussetzungen für die Erstattung dieser Abgaben weniger günstig sind, als sie es ohne diese Vorschriften wären (EuGH-Urteil vom 9. 2. 1999, C 343/96, Rz 43). Daher ist schon aus diesem Urteil zu entnehmen, dass hier der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, dass auch nach einem EuGH-Urteil, mit welchem Abgaben als gemeinschaftsrechtswidrig erklärt wurden, entsprechende nationale Rechts­vor­schriften in Kraft gesetzt werden können, die ein so genanntes „Bereicherungsverbot“ vorsehen und damit die Rückzahlung in jenen Fällen verwehren, in denen nicht der Steuerpflichtige, sondern durch Steuerüberwälzung die Kunden (Konsumenten) die Abgabe getragen haben.

Im konkreten Fall der österreichischen Novellen zu den Landesabgabenordnungen wird bemerkt, dass diese ohnedies großteils sogar vor dem EuGH-Urteil erlassen wurden; in jenen Fällen, in denen diese Novellen zur Landesabgabenordnung nach dem EuGH-Urteil in Kraft gesetzt oder abgeändert wurden, entspricht diese legistische Vorgangsweise der Rechtsprechung des Europä­ischen Gerichtshofes vom 9. 2. 1999, C 343/1996. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit diesen Rückzahlungsbestimmungen naturgemäß eine indirekt rückwirkende Beurteilung von Abgabensachverhalten vergangener Abgabenzeiträume erfolgt. Dennoch greift sie nicht quasi rückwirkend ein und schafft rückwirkende Rechtsbestimmungen zum Nachteil der Steuerpflichtigen, sondern realisiert die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Abgabenbehörden, über Festsetzungs- und Rückzahlungsanträge materiellrechtlich zu entscheiden – eine rückwirkende steuerrechtliche Belas­tung ist damit sicherlich nicht verbunden.

2.5 Rückwirkende Rechtsnormen
2.5.1 Unzulässige Rückwirkung

Eine Festlegung oder Änderung von Verfahrensvoraussetzungen (Zuständigkeiten, Fristen) für Erstattungsansprüche ist grundsätzlich auch nach dem Gemeinschaftsrecht zulässig (siehe Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz Jarabo Colomer vom 28. 4. 1998 in der Rechtssache Dilexport C 343/96). Die nationalen Rechtsvorschriften können daher bei Anträgen auf Erstattung der wegen Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu Unrecht erhobenen Abgaben verlangen, dass diese Anträge bei entsprechenden Finanzämtern gestellt werden, widrigenfalls sie unzulässig wären. Dies betrifft beispielsweise die Festlegung der Verfahrensvoraussetzun­gen für Erstattungsanträge hinsichtlich Einkommensteuer im Zusammenhang mit Unternehmenseinkommen; diese Erstattungsanträge sind jenem Finanzamt mitzuteilen, bei dem die Einkommensteuererklärung für das betreffende Geschäftsjahr eingegangen ist. Steuerlicher Sinn und Zweck dieser Verfahrensvoraussetzung ist offensichtlich folgender: wenn das Unternehmen den zu Unrecht (gemeinschaftsrechtswidrig) erhobenen Steuerbetrag als Ausgabe verbucht hat, um ihn von den im Steuerjahr erzielten Einnahmen abzusetzen und so den zu versteuerten Gewinn festzulegen, ist es rechtlich konsequent, dass die Finanzverwaltung, wenn Klage auf Erstattung dieser Einkommensteuer eingebracht wird, hievon Kenntnis erhält und sich entsprechend verhalten kann. Die Unzulässigkeit der bei nicht zuständigen Behörden gestellten Erstattungsanträge darf jedoch keine Rückwirkung haben, d. h. sie darf nach Rechtsauffassung des Generalanwalts nicht für Anträge gelten, die vor dem Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung über die Verfahrensvoraussetzung (Zuständigkeitsregelung, Ausschlussfrist) gestellt wurden. Eine solche Rückwirkung einer derar­tigen Verfahrensgrundlage könnte nämlich die Erhebung der Erstattungsklage unmöglich machen, weil sie darauf hinauslaufen würde, dass a posteriore eine Voraussetzung vorgesehen wird, die im Zeitpunkt des Stellens des Erstattungsantrages nicht bekannt war und ihn daher nachträglich unzulässig machen würde; eine Rückwirkung einer solchen Verfahrensgrundlage wäre nach Rechtsauffassung des Generalanwalts daher gemeinschaftsrechtswidrig.

Rechtswirkungen
Diese Rechtsauffassung des Generalanwalts ist daher rechtlich verständlich, kann jedoch für die Rückzahlungsregelungen in den Landesabgabenordnungen keine negative Wirkung haben, weil diese Rückzahlungsregelungen

  • keine veränderten rückwirkenden Verfahrenszuständigkeiten bestimmen (Gemeindeabgabenbehörden waren bisher immer für Festsetzungs- und Rückzahlungsanträge rechtswidriger Gemeindeabgaben zuständig) und
  • keine geänderten rückwirkenden Antragsfristen vorsehen (sämtliche klar definierten Festsetzungs- und Rückzahlungsanträge werden verfahrensrechtlich behandelt).

2.5.2 Zulässige Rückwirkung

Sowohl der Generalanwalt als auch der Europäische Gerichtshof selbst haben in verschiedenen Verfahren zur Frage der Gemeinschaftskonformität von nationalen Regelungen über Erstattungsansprüche wegen gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Abgaben eine für Abgabenbehörden durchaus kooperative Rechtsauffassung vertreten.

Der Generalanwalt Ruiz Jarabo Colomer hat in der Rechtssache Dilexport, C 343/96, in seinen Schlussanträgen die Rechtsauffassung vertreten, dass

  • das Gemeinschaftsrecht nicht verbietet, dass die nationalen Rechte Fristen für Klagen auf die Erstattung zu Unrecht erhobener (öffentlich rechtlicher) Abgaben einerseits und für Klagen auf Rückforderung zu Unrecht gezahlter (privatrechtlicher) Beträge andererseits vorsehen, sofern die Ausschlussfristen für alle Erstattungsklagen gelten, unabhängig ob sie auf nationale oder gemeinschaftsrechtliche Rechtsnormen gestützt sind,
  • das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Vorschrift nicht entgegensteht, die zwecks Vereinheitlichung die Verjährungsfristen für Erstattungsansprüche verkürzt, soferne diese Vorschrift für die Einreichung der entsprechenden Rechtsbehelfe eine ausreichend lange Frist von ihrem Inkrafttreten an vorsieht,
  • nationale Rechtsvorschriften bei Anträgen auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben besondere Zuständigkeiten für das Stellen derartiger Anträge vorsehen können, soferne diese Zuständigkeitsregelung nicht für die vor dem Inkrafttreten gestellten Anträge gelten,
  • die Frage der Steuerüberwälzung der freien Beweiswürdigung der zuständigen Gerichte (Behörden) unterliegt und diese Organe unter Verwertung aller, nach den nationalen, rechtlich zulässigen Beweismitteln entscheiden können.
  • Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. 2. 1999 in obzitierter Rechtssache den Schlussanträgen des Generalanwalts entsprochen und dar­über hinaus die Rechtsmeinung vertreten, dass
  • das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, auch nach dem Erlass eines Urteils des Gerichtshofes, mit dem Abgaben für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt werden, Vorschriften zu erlassen, nach denen die Voraussetzungen für die Erstattung dieser Abgaben we­niger günstig sind als sie es ohne diese Vorschriften wären, soferne sich diese Regelung nicht speziell auf die betreffenden Abgaben bezieht und diese Vorschriften die Ausübung des Rechtes der Erstattung nicht unmöglich machen oder erschweren.

Rechtswirkungen
In diesem Zusammenhang hat sich schon das höchste nationale Gericht, nämlich der Verfassungsgerichtshof, in seiner Entscheidung vom 29. 11. 2000, B 1735/00-8, ausführlich mit dem vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung geprägten Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz auseinander gesetzt und im Hinblick auf den Umstand, dass die Rückzahlungsregelungen in den Landesabgabenordnungen grundsätzlich

  • für sämtliche Gemeinde- und Landesabgaben zu gelten haben,
  • jedem Antragsteller ein ordentliches Abgabenverfahren gewährleisten,

festgestellt, dass diesen Bestimmungen eine offensichtliche und daher verfassungsrechtlich bedenkliche Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht anzulasten ist.

Der Generalanwalt Ruiz Jarabo Colomer hat in der Rechtsache Aprile in seinen Schlussanträgen vom 2. 4. 1998 ebenfalls die Rechtsmeinung vertreten, dass

  • die Verjährungsfrist von beispielsweise fünf Jahren für Anträge auf Erstattung von gemeinschaftsrechtswidrigen Abgaben auch dann mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wenn sie dazu führt, dass Abgaben ganz oder teilweise nicht rückgefordert werden können, soferne nicht eine Regelung über den Ausschluss von Klagen, je nach nationaler oder gemeinschaftlicher Rechtsgrundlage, unterschiedlich wäre,
  • die Verkürzung einer Ausschluss­frist von zehn auf fünf und schließlich auf drei Jahre mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, soferne sie nicht darauf hinauslaufen würde, den Inhabern von Ansprüchen auf Erstattung Fristen vorzuschreiben, die ungünstiger wären, als sie bisher für sie waren,
  • eine bestehende Verfahrensnorm nicht absolut „einzufrieren“ ist, soweit es sich nicht um Erstattungs­anträge handelt, die vor Inkrafttreten der neuen verkürzten Ausschlussfristen eingereicht worden wären, weil es der Grundsatz der Rechts­sicherheit nicht zulässt, dass sol­che Ansprüche durch eine spätere, zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Ansprüche noch nicht rechtswirksame Rechtsnorm beeinträchtigt werden, die die Rechtsposition der Antragsteller verschlechtern würde,
  • jede Gesetzesnorm jederzeit vom Gesetzgeber als „antastbar“ behandelt werden soll, solange nicht die betroffenen Personen um ihr Recht zur Erhebung von Erstattungsklagen gebracht würden und ihnen deshalb eine hinreichend lange Frist zur Verfügung gestellt würde.

Der Europäische Gerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 17. 11. 1998 in der Rechtssache Aprile zur Rechtsauffassung bekannt, dass

  • es keine Gemeinschaftsregelung über die Erstattung rechtswidrig erhobener Abgaben gibt und es daher Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Zuständigkeiten und Verfahrensregelungen, die den Schutz der aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, zu regeln, soferne der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz gewahrt werden,
  • das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat selbst nicht verwehrt, sich gegenüber Klagen auf Erstattung von Abgaben auf eine nationale Ausschlussfrist zu berufen, soferne diese Ausschlussfrist für Klagen wegen Verletzung nationaler Rechte oder Gemeinschaftsrechte gleich gilt und nicht das Verhalten der nationalen Behörden (Gerichte) zusammen mit der strittigen Frist nachweislich dazu geführt hat, dass einem Kläger jede Möglichkeit genommen würde, seine Rechte vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

Rechtswirkungen
Auch diesbezüglich ist zu bemerken, dass die Rückzahlungsregelungen in den Landesabgabenordnungen den Steuerpflichtigen ermöglichen, nicht nur hinsichtlich der gemeinschaftsrechtswidrigen Getränkesteuer auf alkoholische Getränke, sondern hinsichtlich sämtlicher rechtswidriger oder gemeinschaftsrechtswidriger Gemeindeabgaben und Landesabgaben allfällige Erstattungsansprüche im Wege eines ordentlichen Abgabenverfahrens vor den Abgabenbehörden nach den Landesabgabenordnungen durchzusetzen. Die Einführung einer derartigen Regelung ist auch nach einem EuGH-Urteil, welches Abgaben für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt, rechtlich möglich, soferne der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz gewahrt ist. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sämtliche bisher Getränkesteuerpflichtige

  • ihre Rückzahlungsanträge betreffend zu Unrecht entrichteter Getränkesteuer alkoholischer Getränke auch bei der vorliegenden Rückzahlungsregelung in den Landesabgabenordnungen ausnahmslos geltend machen können und
  • bei Vorliegen der entsprechenden – vom EuGH in ständiger Rechtsprechung geprägter Voraussetzungen – auch tatsächlich durchsetzen können.

2.5.3 LAO-Rückzahlungsregelung

Das Gemeinschaftsrecht untersagt es daher nicht, die rechtliche Zulässigkeit eines Antrages auf Erstattung von bestimmten Voraussetzungen (Zuständigkeiten, Fristen) abhängig zu machen, doch darf eine solche Verfahrensvoraussetzung nicht dazu führen, Erstattungsanträge obsolet bzw. unzulässig werden zu lassen. Diese Problematik ist allerdings im Zusammenhang mit dem Bereicherungsverbot bei Rückzahlungsbegehren bei rechtswidrigen Abgaben nicht gegeben, weil hier sämtliche, von Steuerpflichtigen eingebrachten Festsetzungen und Rückzahlungsanträge, unabhängig

  • zu welchem Zeitpunkt sie vor dem 9. 3. 2000 gestellt wurden oder
  • auch nach dem 9. 3. 2000 gestellt werden, etwa im Zusammenhang mit Jahreserklärungen (Nullerklärungen) im Laufe des März 2000, entsprechend verfahrensrechtlich behandelt und materiellrechtlich im Sinne des EuGH-Urteils vom 9. 3. 2000 entschieden werden. Bedenken, Steuerpflichtige könnten aufgrund der Rückzahlungsregelungen in den Landesabgabenordnungen in ihrem gemeinschaftsrechtlich gewährten Rechtsschutz beeinträchtigt werden, ist zu entgegnen, dass das nationale Höchstgericht selbst den vom EuGH-Urteil vom 9. 3. 2000 geprägten Begriff des Rechtsbehelfes mit Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnis vom 19. 6. 2000, Zl. 2000/16/0296, insofern äußerst extensiv interpretiert hat, als damit alle rechtzeitig von den Steuerpflichtigen unternommenen Schritte zur Wahrung ihrer Rechte verstanden werden.

2.6 Rechtliche Schlussfolgerung

Der Europäische Gerichtshof selbst hat in ständiger Rechtsprechung die gemeinschaftsrechtsmäßige Zulässigkeit nationaler Gesetzesregelungen über das so genannte Bereicherungsverbot im Zusammenhang mit Erstattungsanträgen (Rückzahlungsbegehren) rechtswidrig erhobener Abgaben anerkannt; die Formulierungen in den Landesabgabenordnungen sind dem Begründungstenor in den EuGH-Entscheidungen angepasst. Die Anwendung solcher Verfahrensbestimmungen, selbst wenn sie nach einem EuGH-Urteil erlassen wurden, über die Abwicklung von Rückzahlungsbegehren hinsichtlich rechtswidrig erklärter Abgaben sollte dementsprechend auch auf Sachverhalte vor Inkrafttreten der Verfahrensregelungen aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts rechtlich zulässig sein, soferne der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz gewahrt und eine Rückzahlung rechtswidrig erhobener Abgaben durch die nationale Regelung nicht unmöglich oder übermäßig erschwert wird. Nach Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes vom 29. 11. 2000 B 1735/0-8 waren aber diese Grundsätze anlässlich der Erlassung der Rückzahlungsregelungen in den Landesabgabenordnungen sehr wohl berücksichtigt worden.

Die in dem EuGH-Verfahren Aprile und Dilexport angesprochenen Rechts­probleme hinsichtlich nationaler Regelungen über Zuständigkeiten und Ausschlussfristen (in diesen Fällen zum Nachteil von Steuerpflichtigen) treffen in Bezug auf die Rückzahlungsregelungen in den Landesabgabenordnungen nicht zu.

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