Getränkesteuer - weitere Vorgangsweise mit Schwerpunkt "Bereicherungsverbot"

Dr. Peter Mühlberger
Ein Artikel von Dr. Peter Mühlberger in der ÖGZ 8/00

Zu den bereits in der ÖGZ Heft Nr. 7/2000 dargestellten Rechtsproblemen und Verfahrensfragen im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Getränkesteuer infolge des EuGH-Urteils vom 9.3.2000 sind auch im Bereich der Rechtsmittelverfahren weitere Rechtsfragen aufgetreten, welche einer kurzen Darstellung und Rechtserörterung bedürfen; darunter fällt nochmals die "Bereicherungsfrage".

1. Meritorische Rechtsmittelentscheidung

1.1. Rechtslage

Nach den Bestimmungen der Landesabgabenordnungen hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz, wenn die Berufung nicht als unzulässig oder als nicht fristgerecht eingebracht zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden (sh. etwa § 212 Abs. 1 Oö. LAO). Daraus ist rechtlich zu folgern, dass die Rechtsmittelinstanz grundsätzlich über die Festsetzungs- und Rückerstattungsbegehren, sofern kein Grund für eine Zurückweisung der Berufung vorliegt, meritorisch zu entscheiden hat. Diese Befugnis der Rechtsmittelinstanz zur inhaltlichen Ersetzung des angefochtenen erstinstanzlichen Abgabenbescheides durch eine eigene neuerliche, materiellrechtliche Entscheidung bedeutet, dass die Rechtsmittelbehörde befähigt ist, nach eigener Beurteilung der Sach- und Rechtslage auch unter Berücksichtigung von allfälligen Neuerungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, gleichgültig, ob diese von steuerpflichtigen Parteien vorgebracht oder von der Abgabenbehörde selbst in das Abgabenverfahren eingebracht wurden, den Abgabenbescheid zu gestalten (VwGH-Erkenntnis vom 25.7.1990, Zl. 88/17/235 und Reeger-Stoll, Bundesabgabenordnung - Kommentar, Band 3). Es besteht somit nicht nur eine Berechtigung, sondern sogar eine Verpflichtung der Rechtsmittelinstanz, aus erkannten Unrichtigkeiten im Tatsachen- oder im Rechtsbereich die entsprechenden Rechtskonsequenzen zu ziehen und die Abänderung des von ihr als rechtswidrig erkannten Abgabenbescheides der Abgabenbehörde erster Instanz in allen Belangen vorzunehmen.

1.2. Rechtskonsequenzen

Falls daher die Abgabenbehörde erster Instanz beispielsweise

  • den eingebrachten Festsetzungs- oder Rückzahlungsantrag formalrechtlich zu Unrecht nicht als Rechtsbehelf im Sinne der Entscheidung des EuGH vom 9.3.2000 qualifizierte oder
  • über den Festsetzungs- oder Rückzahlungsantrag zwar materiellrechtlich, jedoch unter Annahme der Rechtmäßigkeit der Vorschreibung der Getränkesteuer für alkoholische Getränke entschieden hätte und
  • gegen die erstinstanzliche, formalrechtlich oder materiellrechtlich ergangene abgabenrechtliche Entscheidung ein Rechtsmittelantrag eingebracht worden wäre,

hat die Rechtsmittelinstanz ausschließlich - sofern keine Voraussetzungen für eine Zurückweisung mangels Zulässigkeit des Rechtsmittelantrages vorliegen - meritorisch zu entscheiden und ihre Rechtsansicht anstelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen. Dies würde bedeuten, dass in diesen Fällen die Rechtsmittelinstanz

erstens bei Vorliegen eines - nach der jüngsten Rechtssprechung des Höchstgerichtes - extensiv zu verstehenden Rechtsbehelfes (die Anerkennung völlig unbegründeter Rechtsbehelfe bedarf noch einer Ausjudizierung beim Höchstgericht, bedingte Rechtsbehelfe sind jedoch nicht anzuerkennen, sh. VfGH-Erkenntnis vom 6.10.1997, B 2152/97) - grundsätzlich materiellrechtlich zu entscheiden und

zweitens sich über die Rechtsansicht der Erstinstanz insofern zu setzen hat, als die Steuer für alkoholische Getränke im Hinblick auf die EuGH-Entscheidung vom 9.3.2000 mit Null festzusetzen ist; gleichzeitig ist jedoch unter Berücksichtigung der in den Landesabgabenordnungen (Anm.: aufgrund Landtagsbeschluss vom 12.7.2000 nunmehr auch in Kärnten) enthaltenen Bereicherungsverbote über die Frage der Steuerüberwälzung bzw. Bereicherung materiellrechtlich abzusprechen.

1.3. Steuerüberwälzung

Die für die Entscheidung über die Sachverhaltsfrage einer Steuerüberwälzung im Einzelfall erforderlichen Ermittlungen könnte die Rechtsmittelinstanz selbst führen, wäre jedoch auch berechtigt, derartige Ermittlungen durch die Abgabenbehörde erster Instanz vornehmen zu lassen. In diesem Zusammenhang darf nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Frage der Überwälzung der Steuerlast pri- mär rein rechtlich anhand der Preislisten (Getränkekarten), Getränkesteuer-Erklärungen, etc. und nicht wirtschaftlich unter betriebs- oder volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt werden sollte. Die Abgabenbehörde hätte in der Folge die von ihr nachgewiesenen bzw. zumindest glaubhaft gemachten und dem Steuerpflichtigen im Rahmen eines Parteiengehörs vorgehaltenen obgenannten Sachverhaltsfaktoren für eine Steuerüberwälzung allfälligen wirtschaftlichen Überlegungen des Steuerpflichtigen gegenüber zu stellen und im Rahmen einer freien Beweiswürdigung über die Beweisergebnisse begründet abzusprechen.

1.4. Spruchinhalt

Die Rechtsmittelentscheidung hat dahingehend zu lauten, dass

  • die bisherige Festsetzung der Getränkesteuer für alkoholfreie Getränke (Speiseeis) durch die Abgabenbehörde erster Instanz bestätigt
  • die Getränkesteuer für alkoholische Getränke in den Anlassfällen im Hinblick auf das EuGH-Urteil vom 9.3.2000 mit Null festgesetzt
  • die Getränkesteuer für alkoholische Getränke unter Bedachtnahme auf die jeweilige LAO-Novelle nicht gutgeschrieben und nicht rückerstattet wird, sofern die Getränkesteuer nicht vom Steuerpflichtigen getragen, sondern an die Letztverbraucher (Konsumenten) überwälzt wurde
  • die erstinstanzliche Vorschreibung von verkürzter Getränkesteuer auf alkoholische Getränke jedenfalls nach den bisherigen Getränkesteuer-Rechtsnormen bestätigt wird (eine erstmalige Getränkesteuervorschreibung für derartige, verkürzte Abgabenbeträge durch die Rechtsmittelinstanz wäre jedoch verfahrensrechtlich unzulässig und würde eine Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten).

2. Rechtsmittelinstanz - Zuständigkeit

Ein allfälliger Einwand, eine meritorische Entscheidung der Rechtsmittelinstanz könnte zu einer ungerechtfertigten Verkürzung des Instanzenzuges und damit zu einem Verfahrensmangel führen, ist einerseits materiellrecht- lich nicht gerechtfertigt und könnte überdies formalrechtlich entkräftet werden.

2.1. Entscheidung in der Sache

In materiellrechtlicher Hinsicht vertritt auch die herrschende Rechtssprechung einhellig die Rechtsmeinung, dass die Rechtsmittelinstanz grundsätzlich immer in der Sache selbst (meritorisch) zu entscheiden hat. "Sache" im Sinne dieser Rechtsnormen ist jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hat. Die Rechtsmittelinstanz dürfte sohin erstmals keinen Sachbescheid in einer Angelegenheit erlassen, die überhaupt noch nicht oder nicht in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art Gegenstand des erstinstanzlichen Abgabenverfahrens gewesen war. Die Rechtsmittelinstanz darf beispielsweise nicht erstmals eine Abgabe überhaupt oder eine andere Abgabe als die von der Abgabenbehörde erster Instanz festgesetzte Abgabe oder für von der Abgabenbehörde erster Instanz noch nicht behandelte Abgabenzeiträume vorschreiben (so VwGH-Erkenntnis vom 24.10.1986, Zl. 84/17/0151). Abgesehen jedoch von diesen dargestellten Ausnahmen hat die Rechtsmittelinstanz grundsätzlich die von ihr zu entscheidende Sache bzw. Angelegenheit unabhängig vom Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz einer eigenen Sach- und Rechtsbeurteilung zu unterziehen und zwar nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung (VwGH-Erkenntnis vom 3.6.1982, Zl. 81/16/0059 sowie Reeger-Stoll, BAO-Kommentar, Seite 2794). Sofern in konkreten Verfahren die Abgabenbehörde erster Instanz über die Festsetzung bzw. Rückzahlung einer bestimmten Getränkesteuerschuld vor dem 9.3.2000 abgesprochen hat, sich jedoch aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 9.3.2000 eine neue Rechtslage, nämlich die EU-Widrigkeit der Abgabenvorschreibung für alkoholische Getränke in den sogenannten Anlassfällen ergeben hat, hat daher die Rechtsmittelinstanz ihre Rechtsansicht zur Rechtsfrage der Festsetzung bzw. Rückzahlung einer Getränkesteuer für alkoholische Getränke

  • unter Bedachtnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 9.3.2000 einerseits, aber auch
  • unter Berücksichtigung der erfolgten Novellierungen der Landesabgabenordnungen zur Steuerüberwälzung (Voraussetzung ist Kundmachung im Landesgesetzblatt) andererseits

zu äußern und eine entsprechende meritorische Rechtsmittelentscheidung zu treffen, ohne dass ihr damit eine Verkürzung des Instanzenzuges vorgehalten werden kann.

2.2. Berufungsvorentscheidung - Anweisung

In formalrechtlicher Hinsicht wird bemerkt, dass nach den Bestimmungen der meisten Landesabgabenordnungen die Rechtsmittelinstanz und damit Abgabenbehörde zweiter Instanz ihrerseits die Abgabenbehörde erster Instanz zur Erlassung einer Berufungsvorentscheidung anweisen kann, sofern gewisse Voraussetzungen gegeben sind - diesbezüglich ist auch der Hinweis im Artikel "Getränkesteuer - Rechtsprobleme und Verfahrensfragen nach dem EuGH-Urteil vom 9.3.2000", Seite 64, zu verstehen, wonach die Rechtsmittelinstanz "zurückweisen" könnte.

Sofern daher

  • die Steuerpflichtigen zwecks "Ausschöpfung" des Instanzenzuges eine Entscheidung durch die Abgabenbehörde erster Instanz fordern oder
  • die Rechtsmittelinstanz zur Durchführung des Nachweises der Steuerüberwälzung durch die Abgabenbehörde erster Instanz es für zweckmäßig erachtet,

könnte die Rechtsmittelinstanz von dieser Verfahrensmöglichkeit Gebrauch machen und gleichzeitig damit allfälligen Einwänden der Verkürzung des Instanzenzuges begegnen.

Die Rechtsmittelinstanz darf daher keinesfalls, falls gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen, formalrechtlich an die Abgabenbehörde erster Instanz zurückverweisen, sondern die Abgabenbehörde erster Instanz zur Erlassung einer Berufungsvorentscheidung anweisen; über diese Verfahrensanordnung wären die Steuerpflichtigen zu informieren.

3. Vorläufige Abgabenfestsetzung

Sofern vorläufige Abgabenfestsetzungsbescheide vor der Rechtsmittelinstanz zur Entscheidung anhängig und die Gründe für eine vorläufige Abgabenfestsetzung (z.B. nicht eindeutig feststellbare Bemessungsgrundlage) beseitigt sind, ist nach den Bestimmungen der Landesabgabenordnungen die vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Abgabenfestsetzung zu ersetzen.

Falls der vorläufige Abgabenbescheid über die Festsetzung und Rückzahlung angefochten und bei der Rechtsmittelinstanz anhängig ist, könnte die Rechtsmittelinstanz

  • wiederum im Rahmen einer vorläufigen Rechtsmittelentscheidung über die Festsetzung und Rückzahlung bzw. über die Steuerüberwälzung absprechen oder auch
  • trotz eines von der Abgabenbehörde erster Instanz als vorläufig erlassenen Bescheides die Rechtsmittelentscheidung über die Festsetzung und Rückzahlung bzw. Steuerüberwälzung als endgültige Abgabenfestsetzung ergehen lassen (VwGH-Erkenntnis vom 23.2.1987, Zl. 85/15/0131, und Reeger-Stoll, Bundesabgabenordnung - Kommentar, Band 2).

Die jüngste Rechtssprechung vertritt nämlich im Gegensatz zur bisherigen Rechtsmeinung die Rechtsauffassung, dass keinesfalls nur jene Abgabenbehörde, die den vorläufigen Bescheid erlassen hat, berechtigt sei, diesen Abgabenbescheid als endgültigen Bescheid zu erklären oder durch einen endgültigen Bescheid zu ersetzen.

Es wäre jedoch auch durchaus rechtmäßig, dass trotz eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens die Abgabenbehörde erster Instanz einen endgültigen Abgabenbescheid erlässt, womit selbst ein bereits ergangener vorläufiger Rechtsmittelbescheid nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (VwGH-Erkenntnis vom 3.11.1986, Zl. 84/15/0133). Sofern daher die Abgabenbehörde erster Instanz während eines Rechtsmittelverfahrens einen endgültigen Bescheid in gegenständlicher Angelegenheit erlässt, ist zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung der Rechtsmittelinstanz obsolet geworden (sh. § 203 Oö. LAO).

4. Verfahrensaussetzung

Im Zusammenhang mit den äußerst aufwendigen und rechtlich diffizilen Rechtsmittelverfahren vor der Rechtsmittelinstanz wäre zu erwägen, nach den Rechtsnormen der Landesabgabenordnungen eine Aussetzung der Entscheidung des Rechtsmittelverfahrens durch die Rechtsmittelinstanz mit dem Hinweis auf allfällig bereits anhängige Gerichtshofverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, betreffend Rechtmäßigkeit der Prüfuung der Steuerüberwälzung und Ablehnung von Rückzahlungsanträgen, bescheidmäßig vorzunehmen (sh. § 210 Oö. LAO). Solange allerdings der Verfassungsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Bestimmungen der LAO-Novellen über das Bereicherungsverbot selbst noch nicht abgesprochen hat, könnten die Steuerpflichtigen gegen derartige Aussetzungen der Entscheidung Einwände wegen Verletzung ihrer Interessen aus dem drohenden Verlust der Ergreiferprämie geltend machen (sh. VwGH-Erkenntnis vom 27. 1. 2000, Zl. 99/16/0254).

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