Wiener Rückzahlungssperre verfassungskonform

Dr. Karl Kamhuber
Leiter des Referates Steuern in der Wiener Finanzverwaltung

Am 14. Dezember 2000 wurde in einer Presseaussendung des Präsidiums bekannt gegeben, dass der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 29. November 2000, Zl. B 1735/00-8 die als „Rückzahlungssperre“ qualifizierte Regelung der Wiener Abgabenordnung (§ 185 Abs. 3 und 4 WAO in der Fassung der Novelle LGBl. für Wien Nr. 9/2000) als verfassungskonform beurteilt hat.

I. Sachverhalt

Anlass für diese Entscheidung war die Beschwerde einer Gesellschaft, die in Wien ein Restaurant betreibt; diese Beschwerdeführerin hat am 10. Februar 1999 für das Jahr 1998 eine Getränkesteuererklärung mit S 0,— abgegeben und die Rückzahlung der für dieses Kalenderjahr bezahlten Getränkesteuer gemäß § 185 WAO beantragt. Die Abgabenbehörde I. Instanz hat mit Bescheid vom 15. Juni 1999 die „gesamte“ Getränkesteuer vorgeschrieben und den Rückzahlungsantrag abgewiesen; mit dem angefochtenen Berufungsbescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 6. September 2000 wurde der Berufung, soweit sie gegen die Vorschreibung von Getränkesteuer für alkoholische Getränke gerichtet war, Folge gegeben aber die Rückzahlung des sich solcherart ergebenden Guthabens jedoch verweigert.

II. Rechtslage in Wien

Für den mit Beschwerde bekämpften Berufungsbescheid und das Verfahren gemäß Art. 144 B-VG war folgende Rechtslage relevant:

Nach § 185 Abs. 1 WAO kann der Abgabepflichtige die Rückzahlung von Guthaben (§ 162 Abs. 2) beantragen. Nach § 185 Abs. 2 WAO können gegen den Rückzahlungsbetrag der Höhe nach festgesetzte Abgabenschuldigkeiten aufgerechnet werden, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Rückzahlungsantrages zu entrichten haben wird.

Durch Artikel I des Gesetzes, mit dem die Wiener Abgabenordnung geändert wird, LGBl. für Wien Nr. 9/2000, wurden dem § 185 die folgenden Absätze 3 und 4 angefügt:

„(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde. Soweit eine derart überwälzte Abgabe noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese mit gesondertem Bescheid vorzuschreiben.

(4) Abs. 3 ist nicht anzuwenden auf Abgabepflichtige, soweit ihnen die Anlassfallwirkung für eine vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift zukommt“.

Nach Artikel II dieses Gesetzes ist Artikel I auch auf vor der Kundmachung dieses Gesetzes entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwenden.

Durch eine neuerliche Novelle zur WAO, beschlossen am 20. Oktober 2000, soll dem Absatz 3, erster Satz, ein Halbsatz folgenden Inhaltes angefügt werden:

„... insoweit führt die Herabsetzung der Abgabenfestsetzung durch Selbstbemessung oder Abgabenbescheid auch nicht zu einer Gutschrift“.

Die Kundmachung dieser Novelle war am Tag des Erkenntnisses noch nicht erfolgt.

III. Zuständigkeit des Landesgesetzgebers für die Erlassung der „Rückzahlungssperre“

Der Verfassungsgerichtshof geht auf Basis der einschlägigen Bestimmungen der Finanzverfassung (insbesondere §§ 7 Abs. 5 und 8 Abs. 1 F-VG 1948) davon aus, dass Regelungen, wie die in der WAO verankerte „Rückzahlungssperre”, Vorschriften des materiellen Steuerrechtes sind, zu deren Erlassung der Landesgesetzgeber im sachlichen Geltungsbereich der Norm zuständig ist. Diese Zuständigkeit erstreckt sich auch auf Abgaben, die den Gemeinden durch eine bundesgesetzliche Ermächtigung nach § 7 Abs. 5 F-VG 1948 in das freie Beschlussrecht übertragen worden sind; der Anwendung dieser „Rückzahlungssperre“ auf die Getränkesteuer stehen somit kompetenzrechtliche Hindernisse nicht entgegen.

IV. Das Anknüpfen des Gesetzgebers an Überwälzungsvorgänge ist zulässig

Aus der Beschränkung des Harmonisierungsauftrages auf indirekte Steuern (Art. 93 EGV) ist abzuleiten, dass diese Abgaben in besonderem Maße zu Wettbewerbsverzerrungen führen können, da die Steuerbelastung im Preis auf die Verbraucher überwälzt wird. Auch die auf Artikel 93 EGV gegründeten sekundär-rechtlichen Rechtsakte der Gemeinschaft und die dazu ergangene Judikatur des EuGH beruhen auf dieser Vorstellung, dass die Belastung durch indirekte Steuern letztlich vom Verbraucher getragen wird. Es ist daher nicht zweifelhaft, dass dem Vorbehalt des Art. 3 Abs. 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie nur Steuern unterliegen können, die nach ihrer Ausgestaltung darauf angelegt sind, in den Preis von Waren einzugehen. Nur unter dieser Prämisse besteht nach Auffassung des VfGH eine rechtliche Grundlage (und im Hinblick auf Art. 93 EGV eine wirtschaftliche Rechtfertigung) dafür, eine Steuer wie die österreichische Getränkesteuer einer Überprüfung wegen eines allfälligen Verstoßes gegen die Verbrauchsteuerrichtlinie zu unterziehen. Vor dem Hintergrund dieser Gemeinschaftsrechtslage sind Überwälzungsvorgänge daher rechtlich relevant und taugliche Anknüpfungspunkte für den Gesetzgeber.

V. Die sachliche Rechtfertigung für die „Rückzahlungssperre”

Der VfGH hat somit keine Zweifel, dass es sich bei der Getränkesteuer um eine indirekte Steuer handelt, bei der der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, dass sie typischerweise in den Preis von bestimmten Waren eingeht und somit auf den Letztverbraucher überwälzt wird. War es dem Abgabepflichtigen aber möglich, eine – später rückwirkend als rechtswidrig eingestufte – Abgabe auf die Letztverbraucher zu überwälzen, so steht es im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, die Erstattung solcher Abgaben auszuschließen; andernfalls würde ein solcher Abgabepflichtiger offenbar einen Betrag erstattet erhalten, den er selbst gar nicht getragen hat und damit eine Bereicherung erfahren. Der VfGH übersieht dabei nicht, dass in einem solchen Fall zur Erzielung eines wirtschaftlich befriedigenden Ergebnisses eigentlich der Letztverbraucher als Steuerträger in den Genuss einer allfälligen Erstattung kommen sollte. Da bei den von der Vorschrift erfassten Steuern aber die Umstände regelmäßig so liegen, dass es wegen des Zeitablaufs, der Massenhaftigkeit der betroffenen Vorgänge, wegen Beweisschwierigkeiten oder wegen sonstiger Umstände praktisch ausgeschlossen erscheint, eine solche Rückabwicklung in umfassender und gleichmäßiger Weise vorzunehmen, erscheint dem VfGH eine Regelung, die in solchen Fällen eine Bereicherung des Steuerschuldners ausschließen will und den Abgabenertrag dem Steuergläubiger belässt, nicht als unsachlich.

VI. Die Konformität mit dem Gemeinschaftsrecht liegt vor

Der EuGH hat wiederholt ausgesprochen, dass der Schutz der in diesem Bereich im Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Rechte es nicht erfordert, zu Unrecht erhobene Abgaben unter Bedingungen zu erstatten, die zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Berechtigten führen würden.

Der VfGH beschäftigt sich eingehend mit dieser Judikatur, zitiert den bekannten zweiten Leitsatz im Urteil „Dilexport”, Rs. C-343/96, und kommt zur Feststellung, dass es im vorliegenden Fall keineswegs generell ausgeschlossen wäre, die Frage zu beurteilen, ob im Einzelfall eine Überwälzung stattgefunden hat und dass dem Abgabepflichtigen in diesem Zusammenhang auch keine unzumutbaren bzw. offenkundig gemeinschaftsrechtswidrigen Beweislasten auferlegt würden (Grundsatz der Amtswegigkeit bei Ermittlung der maßgebenden Verhältnisse.

Insgesamt betrachtet liegt daher nach Auffassung des VfGH eine offensichtliche (und daher verfassungsrechtlich bedenkliche) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht vor.

VII. Die „Rückzahlungssperre“gilt auch für die Verrechnung von Gutschriften

Der VfGH hat klargestellt, dass der Wortlaut des § 185 Abs. 3 WAO eine Interpretation zulässt, welche die Rückzahlungssperre auch auf die Verrechnung von Gutschriften zur Tilgung anderer Abgabenschuldigkeiten ausdehnt und dass – soferne erforderlich – eine solche Interpretation zur Erzielung eines verfassungskonformen Ergebnisses auch geboten ist.

Eine authentische Interpretation in diesem Sinne enthält auch die unter Punkt II erwähnte (neuerliche) Novelle zur WAO.

VIII. Die ausdrücklich angeordnete Rückwirkung der „Rückzahlungssperre“ ist verfassungskonform

Der VfGH konnte die Frage, ob die Abgabepflichtigen berechtigterweise auf den Fortbestand der früheren Rechtslage (Rückerstattung ohne Prüfung von Überwälzungsvorgängen) vertrauen durften, auf sich beruhen lassen; er hatte nämlich auf der anderen Seite zu berücksichtigen, dass der EuGH in seinem Urteil den erhebungsberechtigten Gemeinden ein berechtigtes Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage (und in die daraus resultierenden Steuereinnahmen) zubilligte und sie deswegen vor den finanziellen Konsequenzen einer vollständigen Rückerstattung der Getränkesteuer schützen wollte.

Bei Abwägung des Ausmaßes des Eingriffes einerseits und des Gewichtes der für die Rückwirkung sprechenden Gründe andererseits (siehe Entscheidung des EuGH vom 9. März 2000, Rs. C-437/97, insb. Rdnr. 56, 58 und 59) hat der VfGH die angeordnete Rückwirkung der Rückzahlungssperre als verfassungskonform qualifiziert.

IX. Resümee und Ausblick

Die dargestellte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hat – wegen der Gleichartigkeit der „Rückzahlungssperren“ in den Ländern – österreichweite Bedeutung; die Abgabenbehörden sind mit dieser grundsätzlichen Entscheidung in hohem Maße legitimiert, die bestehenden „Rückzahlungssperren“ (auch für Gutschriften) in den Getränkesteuerverfahren weiterhin anzuwenden.

In weiterer Folge wird es ausschließlich vom Verwaltungsgerichtshof abhängen, in welcher Art und Weise die entsprechenden Verfahren weiterbehandelt werden. Da sich der VfGH in seiner Entscheidung bereits intensiv mit den Aspekten des Gemeinschaftsrechtes beschäftigt hat, könnte sich die unendliche Geschichte der Getränkesteuer nunmehr ihrem Ende zuneigen.

OEGZ

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