Tempolimits & Tempokontrollen

Lebensqualität soll Vorrang haben - Städte fordern Recht auf kommunale Radarüberwachung und mehr Handhabe bei Tempo 30 und Verkehrsberuhigung

Städte wollen Geschwindigkeiten im Ortsgebiet wieder überwachen dürfen

Der Österreichische Städtebund hat gemeinsam mit dem Österreichischen Gemeindebund und dem Kuratorium für Verkehrssicherheit im Sommer 2023 ein Dossier  „Überwachung durch Gemeinden“ erstellt, welches einen sehr guten Überblick zur Thematik gibt.

Derzeit können Städte und Gemeinden die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten auf Gemeindestraßen nur in folgenden drei Ausnahmefällen überwachen:

  • bei Vorhandensein eines eigenen Gemeindewachkörpers (gem. § 94c Abs.3 StVO) und einer Übertragungsverordnung des Landes.[1]
  • In Gemeinden/Städten mit Landespolizeidirektion (LPD) gibt es die Möglichkeit, der Abordnung von Personal und/oder Gerätschaften zur Radarüberwachung an die Polizei über entsprechende Vereinbarungen.
  • Bei Kooperationen mit der jeweiligen BH (diese muss zustimmen, Vorliegen eines Verkehrssicherheitskonzepts ist eine Voraussetzung)[2].

Auch die Ressourcen der Polizei Im Ortsgebiet stehen für Geschwindigkeitskontrollen nur beschränkt zur Verfügung. Aus Gründen der mangelnden Überwachung/Kontrolle werden in Österreichs die Geschwindigkeiten in Tempo 30 Zonen zu 71 Prozent überschritten, in Tempo 50-Zonen, immerhin noch in 45 Prozent der Fälle (Erhebungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit 2018-2020). Überhöhte Geschwindigkeiten waren allein 2017-2021 die Unfallursache für über 8.000 Unfälle auf Gemeindestraßen. Dabei wurden über 10.000 Personen verletzt, 70 Personen davon mit Todesfolge. Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 zeigt, dass mehr als 80 Prozent der Bürgermeister*innen die Geschwindigkeitskontrollen für unzureichend erachten. Über als 90 Prozent der Bürgermeister*innen berichten über Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger aufgrund zu hoher Geschwindigkeiten im Ortsgebiet. Der Umsetzung von Tempo 30 und Geschwindigkeitskontrollen steht jedoch aktuell die eingeschränkte Rechtslage für Gemeinden gegenüber.

In unserer Stellungnahme zur 34. StVO-Novelle (sogenanntes „Raserpaket) fordern wir mehr Handlungsspielraum für Städte und Gemeinden bei der Verhängung von Tempolimits und die Aufnahme  der „Handhabung der punktuellen Radarüberwachungen“ – sofern sich nicht die Zuständigkeit der Landespolizeidirektion ergibt[3], in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden

Städte wollen Tempolimits innerorts einfacher festlegen dürfen

Derzeit können Städte und Gemeinden, die keine Stadt mit eigenem Statut sind, von der Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h (gem. §20 Abs. 2 StVO) nur in begründbaren Ausnahmefällen abweichen und dann geringere Geschwindigkeiten entweder für das gesamte Ortsgebiet (via Verordnung gemäß §20 Abs. 2 lit. a) oder einzelne Straßen (gem. §43 Abs. 1 lit b Z1) verordnen. Die Begründung der Geschwindigkeitsbegrenzung benötigt eine Grundlagenerhebung (Unfallhäufigkeiten, Verkehrsfrequenzen), welche mit entsprechendem finanziellen und personellen Aufwand verbunden ist. Dabei können positive Effekte der Temporeduktion auf die Erhöhung der Aufenthalts- und Lebensqualität in Orts(teil)zentren, Schulen, Kindergärten oder vor Alten- und Pflegeeinrichtungen ebenso wenig als Gründe geltend gemacht werden, wie positive Auswirkungen der geringeren Geschwindigkeiten auf Radfahren und zu Fuß gehen. Auch darf nicht darauf abgestellt werden, dass die Geschwindigkeitsreduktion ein geeignetes Instrument darstellt, sondern die „Erforderlichkeit“ der Maßnahme muss nachgewiesen werden können. Die Beurteilung, um geringere Geschwindigkeiten im Ortsgebiet zulässig sind, obliegt den Bezirksverwaltungsbehörden. Bei Landesstraßen sind darüber hinaus Verordnungen durch die zuständige BH einzuholen.

Aus den genannten Gründen gibt es derzeit eine vom Städtebund unterstützte Initiative des Verkehrsclub Österreich (VCÖ), den rechtlichen Handlungsspielraum und die Gestaltungsmöglichkeiten von Städten und Gemeinden in Hinblick auf Geschwindigkeitsreduktionen im Ortsgebiet (einzelne Straßenzüge oder das ganze Ortsgebiet betreffend) zu erweitern. Bislang wurde folgende Petition an Frau Bundesministerin Gewessler schon von über 100 Städte und Gemeinden unterzeichnet. Sie erklären und fordern darin wie folgt:

Die für Mobilität und Stadtentwicklung zuständigen ReferatsleiterInnen, BürgermeisterInnen und VerkehrsrätInnen der unterzeichnenden Städte und Gemeinden erklären daher:

  1. Wir bekennen uns zur Notwendigkeit einer grundlegenden Verkehrswende mit dem Ziel, die Lebensqualität und Verkehrssicherheit in unseren Städten/Gemeinden zu erhöhen und einen Beitrag gegen die Klimakrise zu leisten.
     
  2. Wir sehen Tempo 30 für den Kraftfahrzeugverkehr auf Haupt- und Nebenstraßen, insbesondere im Ortszentrum, in Wohngebieten sowie vor Schulen und Bildungseinrichtungen als wichtigen Bestandteil dieser notwendigen Verkehrswende.
     
  3. Wir fordern die Bundesregierung und den Nationalrat auf, umgehend die rechtlichen Voraussetzungen in der StVO dahingehend anzupassen, dass Städte und Gemeinden ohne Einschränkungen und Hindernisse Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort anordnen können, wo sie es mit Hinblick auf die notwendige Verkehrswende für notwendig erachten.
     
  4. Wir ersuchen die Bundesregierung und den Nationalrat darüber hinaus, den Städten und Gemeinden die rechtlichen Möglichkeiten zur Handhabung der punktuellen Geschwindigkeitsmessung (§98b) einzuräumen - sofern sich nicht die Zuständigkeit der Landespolizeidirektion ergibt.

In Deutschland wurde vom Verein „Agora Verkehrswende“ eine ähnlich Initiative in Angriff genommen, der sich schon über 300 Kommunen angeschlossen haben.

Presseaussendungen: 
Städtebund/Gemeindebund fordern Radarüberwachung und Kontrollen durch Gemeinden
Städtebund begrüßt Tempo 30 - Vorstoß von BMin Gewessler
Städtebund fordert erneut Tempolimits und Tempokontrollen durch Gemeinden

 

[1] Derzeit gibt es ca. 313 Gemeindewachkörper in Österreich, die Mehrzahl davon in Tirol und Vorarlberg.
[2] Nur ca. 20 Gemeinden in Österreich agieren über dieses „Kooperationsmodell“.
[3] Die Ausnahme für Städte im Zuständigkeitsbereich von Landespolizeidirektionen ergibt sich aufgrund des § 95 Abs. 2, wonach LPDs ihre Zuständigkeiten nicht auf die Gemeinden übertragen dürfen.

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