Verkehrsberuhigte Innenstädte: Breite Allianz von Städten fordert StVO-Novelle für kamerabasierte Zufahrtskontrolle

Verkehrsberuhigte Innenstädte: Breite Allianz von Städten fordert StVO-Novelle für kamerabasierte Zufahrtskontrolle

Sima/Figl/Hajart/Ludwig/Wallner/Weninger: Ministerin Gewessler vergibt historische Chance auf Verkehrsberuhigung!

 

 

Eine verkehrsberuhigte Innenstadt mit viel Platz für Begrünung, Kühlung, Radwege und attraktive Aufenthaltsbereiche – das ist nicht nur das Ziel der Stadt Wien und des 1. Wiener Gemeindebezirks. Auch zahlreiche andere Städte in Österreich – darunter Linz und St. Pölten – fordern für Österreich, was in anderen europäischen Ländern längst Realität ist: Die Möglichkeit einer Verkehrsberuhigung samt effektiver Kontrolle durch ein kamerabasiertes Zufahrtsmanagement. Doch auf die entsprechende Bestimmung in der StVO durch die zuständige Ministerin Gewessler warten Österreichs Städte bisher vergeblich!

„Vor fast drei Jahren habe ich die Ministerin erstmals aufgefordert, die rechtliche Grundlage für ein kamerabasiertes Zufahrtsmanagement zu schaffen, damit wir in Wien die Innere Stadt effektiv verkehrsberuhigen können. Seither warten wir darauf, endlich eines der größten Klimaschutzprojekte in der Geschichte unserer Stadt umsetzen zu können! Zuletzt verlautbarte das Ministerium im Herbst, dass ein entsprechender Entwurf in Arbeit sei. Dieser hat sich jedoch als komplett unbrauchbar im Hinblick auf die praktische Umsetzung einer kamerabasierten Zufahrtskontrolle erwiesen und wurde auf Druck des Koalitionspartners aus der aktuellen Novelle entfernt!“, betont Mobilitätsstadträtin Ulli Sima. „Die Ministerin ist dabei, eine historische Chance zu verspielen! Wir hätten die verkehrsberuhigte Innere Stadt in dieser langen Wartezeit schon längst umsetzen können!“, so Sima, die außerdem betont, dass es bei der kamerabasierten Zufahrtskontrolle lediglich um Fotoaufnahmen der PKW-Kennzeichen geht, nicht um eine 24-h-Video-Aufzeichnung. Die Ministerin betreibe ein unwürdiges Spiel auf Zeit: „Das geht auf Kosten der Umwelt und der Menschen - nicht nur in Wien, auch in Linz, St. Pölten, Leoben und vielen anderen Städten Österreichs!“ macht Sima deutlich.

Sima hat heute gemeinsam mit dem Bezirksvorsteher des 1. Wiener Gemeindebezirks Markus Figl, den Vizebürgermeistern aus Linz und St. Pölten Martin Hajart und Harald Ludwig, dem Bürgermeister von Leoben Kurt Wallner  sowie Städtebund-Generalsekretär Thomas Weninger, der hier die Interessen von 21 weiteren österreichischen Städten vertritt, die zuständige Ministerin Gewessler aufgefordert, rasch eine praktikable Bestimmung für ein kamerabasiertes Zufahrtsmanagement in die 35. Novelle einzuarbeiten!

Das Modell für Wien sieht vor, dass Zufahren in die Innere Stadt künftig nur noch für Bezirksbewohner*innen, Nutzer*innen öffentlicher Garagen, Wirtschaftstreibende inklusive öffentlicher Dienste wie der Müllabfuhr, für Einsatzfahrzeuge und Taxis sowie für kurzfristige Aufenthalte erlaubt ist. Um diese Zufahrten in den 1. Bezirk effektiv kontrollieren zu können, und zwischen legalem und illegalem Parken an der Oberfläche zu unterscheiden, braucht es ein kamerabasiertes Zufahrtsmanagement – das betont auch die Landespolizeidirektion Wien. Dafür braucht es eine entsprechende StVO-Novelle.

Gemeinsam mit dem 1. Bezirk hat die Stadt Wien im Herbst 2022 eine technische Machbarkeitsstudie präsentiert, die ganz klar zeigt: Die Umsetzung des Konzepts von Stadt und Bezirk bringt eine massive Verkehrsentlastung mit bis zu 15.700 Einfahrten weniger pro Tag, einem Viertel weniger Stellplatzauslastung und viel Platz für Begrünungsmaßnahmen.

Bezirksvorsteher Markus Figl betont: „Der Bezirk arbeitet seit 2018 mit einem breiten politischen Konsens an der Umsetzung der Verkehrsberuhigung. Wir fordern Frau Bundesministerin Gewessler erneut dazu auf, die Einführung dieses wichtigen verkehrs- und klimapolitischen Projekts in der Inneren Stadt endlich zu ermöglichen. Eine von Bezirk und Stadt Wien beauftragte Machbarkeits- und Umsetzungsstudie hat die technischen, organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen sowie die Wirkungsfolgen untersucht und die Umsetzbarkeit bestätigt. Wir fordern eine praxistaugliche Grundlage und sind zur Umsetzung bereit. Auch andere Städte in Österreich wollen eine Verkehrsberuhigung. Es gibt also eine breite Allianz, die Frau Ministerin Gewessler nicht ignorieren kann.“

Wachsende Allianz der Städte für rasche StVO-Bestimmung

Zu dieser breiten Allianz zählen Linz, St. Pölten und Leoben. So sieht sich auch die Stadt Linz mit der Problematik konfrontiert, verkehrsberuhigende Maßnahmen effektiv zu kontrollieren und damit nachhaltig durchzusetzen. Denn klar ist auch in Linz, dass „trotz der großartigen Arbeit der Polizei, diese nicht durchgehend kontrollieren kann“, so der Linzer Vizebürgermeister Martin Hajart. Abhilfe verspricht sich die Stadt durch die digitale Überwachungsmöglichkeit von Fahrverboten, „wie sie beispielsweise in zahlreichen italienischen Städten, wie Turin, Bozen oder Bologna eingesetzt wird“, so Hajart. „In Linz gibt es eine fraktionsübergreifende Einigkeit, dass es neue Wege zur Verkehrsentlastung braucht. Im September des Vorjahres wurde im Gemeinderat eine entsprechende Resolution an den Bund, welche eine Änderung der Straßenverkehrsordnung fordert, mehrheitlich verabschiedet.“ Hajart vermutet eine bewusste Verzögerungstaktik seitens Ministerin Gewessler: „Es braucht deutlich mehr Tempo bei diesem Thema. Wichtig ist natürlich ein praxistaugliches Gesetz, womit bestehende Fahrverbote elektronisch kontrolliert werden können. Das entlastet vor allem auch die gut ausgelastete Polizei. Wichtig ist aber auch, dass das Gesetz zeitnah verabschiedet wird.“

Harald Ludwig, Vizebürgermeister von St. Pölten: „Wir freuen uns, dass Städterechte bei der Verhängung von Tempolimits im Ortsgebiet gestärkt werden und hoffen, dass sich auch bei den Tempokontrollen bald eine Lösung zugunsten der Städte und Gemeinden abzeichnet – denn Regeln wirken nur so gut, wie deren Einhaltung auch kontrolliert werden kann. Wir begrüßen es daher sehr, dass es für Städte und Gemeinden dem Vernehmen nach künftig einfacher werden soll, den Verkehr im Ortsgebiet zu beruhigen. Hier geht es nicht nur um mehr Lebensqualität für die Anrainer*innen, sondern vor allem um Fragen der Verkehrssicherheit.“

Auch der Bürgermeister von Leoben Kurt Wallner unterstützt die Forderung zur StVO-Novelle für kamerabasierte Zufahrtskontrollen: „Auch in Leoben gibt es Überlegungen, durch Zufahrtskontrollen mittels Poller und/oder Videoüberwachung die Fußgängerzone – und hier vor allem den Hauptplatz – verkehrssicherer zu gestalten. Die durchgehende, rechtlich abgesicherte Kontrolle verkehrsberuhigter Zonen würde besonders für Fußgänger*innen mehr Bewegungsraum und höhere Qualität bringen. Auch der präventive Charakter wäre durch eine kamerabasierte Verkerhskontrolle gegeben. Der motorisierte Verkehr würde deutlich höhere Disziplin zeigen, die Verkehrsregeln einzuhalten, wenn ein Zuwiderhandeln visuell belegbar wäre!“

Städtebund: 25 Städte wollen Verkehrsberuhigung mittels Kamerakontrolle

Neben Wien, Linz und St. Pölten und Leoben haben österreichweit 21 weitere Städte Interesse daran, ihre Innenstädte mittels Kameras zu verkehrsberuhigen, etwa die Landeshauptstädte Graz, Salzburg, Bregenz und Innsbruck.

„Es ist eine langjährige Forderung des Österreichischen Städtebundes – die Idee stammt aus unserem Verkehrsausschuss – automatisierte Ein- und Zufahrtskontrollen in Innenstädten nach italienischem Vorbild durchzuführen. Ich appelliere an die Verkehrsministerin, automatisiertes Zonenzufahrtsmanagement in die aktuelle Novelle der Straßenverkehrsordnung aufzunehmen. Ein gemeinsames Rechtsgutachten von Verkehrsministerium und Österreichischem Städtebund hat datenschutzrechtliche Bedenken bereits ausgeräumt“, betont Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes.

Datenschutz: Gutachten von Städtebund und Klimaschutzministerium gibt grünes Licht

Gemeinsam mit dem Klimaschutzministerium hat der Städtebund ein Datenschutzgutachten in Auftrag gegeben, das im Sommer 2022 veröffentlicht wurde und ganz klar grünes Licht für ein kamerabasiertes Zufahrtsmanagement gibt. Dort heißt es u.a.:

„Die automatisierte Verkehrsüberwachung speziell definierter Bereiche durch ein automatisiertes Zonen-Zufahrtsmanagement dient der Verkehrssicherheit […] und der Umwelt, und ist geeignet, diese Ziele zu erreichen, indem das jeweilige Stadt- und Gemeindezentrum vom unberechtigten Autoverkehr entlastet und somit aufgewertet wird. Der Einsatz von bildverarbeitenden technischen Einrichtungen entspricht daher dem Sachlichkeitsgebot und ist verhältnismäßig.“

Beim Wiener Modell geht es bei der Zufahrtskontrolle um reine Kennzeichenerfassung. Fotos der Kennzeichen werden nur angefertigt, wenn Kraftfahrzeuge ein- bzw. ausfahren. Die Aufnahme wird bei legaler Einfahrt (White-List) nach dem Abgleich sofort gelöscht! In anderen EU-Ländern und Städten ist der Einsatz von Kameras und anderer Technik bereits Gang und Gäbe. Neben Italien, etwa in Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Belgien. Und auch in Österreich sind Kameras bei Section Control oder Radarboxen längst im Einsatz.

Im Gutachten heißt es dazu:

„Das automatisierte Zonen-Zufahrtsmanagement ist mit dem System der Section Control vergleichbar, weil auch bei diesem System unterschiedslos alle die mittels bildverarbeitender technischer Einrichtungen zu überwachende Zone passierenden Fahrzeuge erfasst werden. Der Umfang der Datenerfassungen ist daher in räumlicher Hinsicht entweder vom Gesetzgeber selbst oder auf Grund seiner Ermächtigung durch entsprechend gesetzlich determinierte Verordnung von der dafür zuständigen Behörde zu bestimmen.“

Erstentwurf unbrauchbar – Novelle rasch überarbeiten!

Am 13.10.2023 wurde seitens des zuständigen Klimaschutzministeriums via Medien verlautbart, dass es einen Entwurf für eine StVO-Novelle gebe, der ein kamerabasiertes Zufahrtsmanagement ermögliche. „Insgesamt gab es bereits 16 Anträge, mit denen der Wiener Gemeinderat die zuständige Ministerin Gewessler mit großer Mehrheit aufgefordert hat, eine StVO-Novelle mit entsprechender Bestimmung zur kamerabasierten Zufahrtskontrolle vorzulegen“, so Erich Valentin, Wiener Gemeinderat und Vorsitzender des Mobilitätsausschusses. „Unsere Befürchtungen, dass der Erstentwurf einige ‚Giftzähne‘ hat, haben sich in der Zwischenzeit bestätigt“, so Valentin.

Die 35. Novelle ist mittlerweile in Begutachtung gegangen - ohne eine entsprechende Bestimmung zur kamerabasierten Zufahrtskontrolle. Laut dem Koalitionspartner ÖVP wurde der entsprechende Passus aus dem Gesetzes-Entwurf gestrichen, da dieser „unausgegoren und praxisfern“ war. Und tatsächlich: Der nun vorliegende Erstentwurf zum kamerabasierten Zufahrtsmanagement enthält Bestimmungen, die es Österreichs Städten de facto verunmöglichen, effiziente Verkehrsberuhigungsprojekte umzusetzen.

So heißt es im Erstentwurf:

„Während Demonstrationen, Sportveranstaltungen und ähnlichen Großereignissen, bei denen die betroffenen öffentlichen Verkehrsflächen für den regulären Verkehr gesperrt sind, sind die bildverarbeitenden technischen Einrichtungen in den betreffenden Bereichen auszuschalten und mit einer geeigneten Abdeckung zu verhängen.“

In der Inneren Stadt in Wien wurden laut Polizei im Jahr 2022 fast 1.800 Versammlungen/Demos angezeigt. Die Kameras müssten also mehrmals täglich ausgeschaltet und verhängt werden. Ein wirksames System kann nicht immerzu deaktiviert und wieder eingeschaltet werden und solchermaßen durchlässig sein, sondern muss durchgängig in Betrieb sein.

Außerdem wird gefordert, dass bildverarbeitende technische Einrichtungen nur eingesetzt werden dürfen, „wenn gelindere Maßnahmen hierzu geprüft wurden, aber untauglich sind.“  Weiter heißt es dazu in den Erläuterungen:

„Sofern bauliche Maßnahmen, Schranken- bzw. Pollersysteme oder Stichprobenkontrollen geeignete gelindere Mittel zur Erreichung einer ähnlichen Wirkung darstellen, ist eine automationsunterstütze Zufahrtskontrolle mithilfe bildverarbeitender technischer Einrichtungen nicht zulässig. Zur Beurteilung, ob eine Maßnahme als gelinder zu bewerten ist, sind insb. Aspekte wie technische Eignung und Kostenaufwand – jeweils gemessen an den örtlichen Gegebenheiten – maßgeblich.“

Es müssten also „gelindere Maßnahme“ getestet werden, bevor Kameras zum Einsatz kommen dürfen – ein langwieriges und überflüssiges Prozedere. Denn Faktum ist, dass auch die Polizei selbst sagt, dass sie Einfahrten ohne Kameras nicht effektiv kontrollieren kann.

Der ursprüngliche Vorschlag des Ministeriums ist damit nicht geeignet, den Städten die automationsunterstützte Kontrolle von Fahrverbotszonen oder Fußgängerzonen zu ermöglichen.

Das Datenschutzgutachten von Klimaschutzministerium und Städtebund findet sich hier zum Download:

2022_GA_auto._ZZM_v16_final_NF.pdf (staedtebund.gv.at)

(Schluss, 21.02.2024) Foto-Copyright: Stadt Wien/Fürthner

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