68. Städtetag: Festrednerin Guérot:„Europa von und für die Menschen“
68. Städtetag: Festrednerin Guérot:„Europa von und für die Menschen“
Utl.: Politikwissenschafterin Ulrike Guérot über Solidarität innerhalb Europas und über den Ausblick für ein gelingendes Europa
Wien (OTS/RK) - Feldkirch/Wien (OTS) „Wie kann solidarisches Miteinander auf dem Europäischen Kontinent gelingen? Wie kann Europa bei den Menschen ankommen? Wie könnte es gelingen, dass Europa nicht immer nur fern ‚da oben in Brüssel‘ ist? Wie kann es gelingen, dass Europa nicht etwas ist, dem gegenüber man sich abgrenzen muss?“ Diese Fragen stellte Festrednerin Ulrike Guérot, Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems und Gründerin des European Democracy Labs in Berlin, an den Anfang ihrer Festrede bei der Eröffnung des 68. Städtetages im Montforthaus in Feldkirch.
Sie sehe in Österreich viele funktionierende soziale Strukturen in Städten und im ländlichen Raum, betonte Guérot. Genossenschaftliche Modelle, kleine Kassen, dezentrale Strukturen, starke städtische Kommunen – „das ist gut“, so Guérot. Laut ihr seien etwa Griechenland, Rumänien oder Bulgarien von der Europäischen Union „ausgelaugt“, Österreich hingegen nicht.
Guérot fragte weiter, wie es gelingen könnte, dass Europa nicht etwas ist, gegenüber dem man sich abgrenzen muss und Europa nicht immer nur fern liegt und „da oben in Brüssel“ ist. Es gehe darum, wie Europa im 21 .Jahrhundert ein politisches Projekt werden könnte, mitten unter uns, von und für die Menschen, immer und jeden Tag: „ein animiertes Gemeinwesen Europa, das nicht mehr in Frage gestellt wird!“ Österreich werde in einem schwierigen, wenn nicht gar sehr schwierigen europäischen Umfeld die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Sie nennt den Brexit und den EU-Finanzrahmen als Beispiele. Der französische Präsident Emmanuel Macron habe Pläne zu Eurozone, Asylpolitik, Außen- und Sicherheitspolitik vorgestellt. Die Ergebnisse sollen auf dem EU-Rat im Dezember 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Guérot fragte die RepräsentantInnen der Städte: „Haben Sie schon in Ihrem Rathaus offiziell über Europa diskutiert?“ Sie fragte weiter, wie könne in dieser angespannten Situation – Trump, Handelskrieg, Putin, Syrien oder die „Geflüchtetenkrise“ – eine Politik des gelingenden Miteinanders verwirklicht werden.
Derzeit lasse sich laut Guérot für Europa nur mit dem Verweis auf Sicherheit – vor Terror und Flüchtlingen – mobilisieren. „Aber gefragt werden muss, was wir schützen wollen? Unsere Werte? Unsere Sicherheit? Oder unseren Reichtum?“, so die Festrednerin. Der kamerunische Politikwissenschaftler Achille Mbembe schreibe Europa mit seinem Buch „Die Politik der Feindschaft“ ins Stammbuch: „dass „unsere Freiheit und unser Wohlstand nur möglich waren, aufgrund der Unfreiheit und Ausbeutung von anderen Teilen der Welt“. Guérot meint daher, dass im zukünftigen Miteinander Europas mit Afrika die eigentliche Herausforderung für das friedliche und solidarische Miteinander innerhalb Europas liege. Das Miteinander Europas mit Afrika, werde uns als EuropäerInnen entweder in Populismus zerreißen oder in europäischer Demokratie vereinen.
Aber schon unter den sogenannten europäischen Nationen sei es nicht immer gut um die Solidarität in Europa bestellt gewesen, denn vor der „Geflüchtetenkrise“ lähmte die „Banken-, Euro- und Sparkrise“ die EU. „Sie hat Europa eine ökonomisch wie politisch eine ganze Dekade verlieren lassen“, so Guérot.
Europa brauche aus dieser Krise heraus eine neue Souveränität, politische Legitimität und eine neue Identität, sprich einen europäischen Neuanfang, „in dem die Städte wiederum – denn hier sind die Menschen zuhause – eine große Rolle zukäme“. Außerdem kritisierte Guérot den Euro, denn eine Währung sei ein Sozialvertrag, der Euro aber wolle ohne Sozial- und Fiskalunion auskommen, ohne Transfers und ohne Haftung funktionieren. „Das ist natürlich eine Lebenslüge“, so die Professorin. Dies koste Europa die Abwendung vieler BürgerInnen. Der Euro soll daher laut Guérot in eine Finanzverfassung eingebettet werden. Solidarität solle – egal ob es um Griechenland oder Italien gehe – nicht mehr beliebig sein. Sie vertrat auch die Meinung, dass die europäische Demokratie einen Wert habe, und wir diesen Preis bezahlen sollten. Es gehe, wie Martin Schulz im „Spiegel“ schrieb, nicht um ein paar Millionen, sondern um die Zukunft Europas. Angela Merkels Satz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ drehte sie um, richtig sei: „Bleibt der Euro, wie er ist, scheitert die europäische Demokratie“.
Für ein gelingendes Europa sei wichtig, zu einem europäischen Markt und eine Währung eine europäische Demokratie hinzuzufügen. Und: „Wir stellen Rechtsgleichheit über Nationalität. Wir begreifen, dass die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Nationalstaaten der Souverän sind.“ Es müsse um ein grenzüberschreitendes europäisches Tarifrecht oder eine europäische Arbeitslosenversicherung gehen. Es gehe um „Verrechtlichung und nicht um Identität, um Parlamentarisierung nicht um Zentralisierung, und um Gewaltenteilung, nicht um Kompetenzübertragung in Europa. So wäre eine Europäische Sozialversicherungsnummer ein „konkreter Ausdruck einer europäischen Staatsbürgergemeinschaft“, Ausdruck von égalité und fraternité, Ausdruck eines gelingenden Miteinanders in Europa.
Details unter: www.staedtetag.at
Das genaue Programm und weitere Informationen finden Sie unter: www.staedtetag.at Die RK wird laufend berichten.
Aktuelle Fotos zum Download unter: https://www.picdrop.de/markuswache/staedtetag+2018
Fotocredit: Markus Wache
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