Die Vorarlberger Gemeindevermittlungsämter Verwaltungsvereinfachung durch praktizierte Nachbarschaft1

Die Vorarlberger Gemeindevermittlungsämter Verwaltungsvereinfachung durch praktizierte Nachbarschaft1

Gemeindevermittlungsämter bestehen in Vorarlberg seit fast 100 Jahren. Zum Zeitpunkt der Institutionalisierung wurde das erste Vorarlberger Gemeindevermittlungsgesetz geschaffen, in dem es hieß: „Vergleichs-Versuche zwischen streitenden Parteien durch aus der Gemeinde gewählte Vertrauensmänner“. Bis heute hat sich das Aufgabengebiet der Gemeindevermittlungsämter nicht wesentlich verändert. Zurückblickend auf die lange Geschichte und den Erfolg dieser Einrichtungen wird eine Wiederbelebung angestrebt.

Einleitung und Rückblick
Im Jahre 1967, also etwas mehr als 100 Jahre nach den ersten Bemühungen zur Einführung von Gemeindevermittlungsämtern, machte das Amt der Vorarlberger Landesregierung Reformvorschläge an den damaligen Justizminister.
Kernaussage war damals, dass eine Erweiterung der Wirkungskreise der Gemeindevermittlungsämter mehr denn je anzustreben sei, diese Einrichtung sich bewährt habe und durchaus geeignet sei, Gerichte in erheblichem Maße zu entlasten und damit einen gewichtigen Beitrag zu einer Verwaltungsvereinfachung zu leisten.
Darüber hinaus sprechen – so das Land Vorarlberg – aber auch grundsätzliche Erwägungen für den Ausbau der Vermittlungsämter. Die Befassung der Gemeinden mit der Rechtspflege entspreche dem Subsidiaritätsprinzip und der Forderung nach dezentraler und ortsnaher Verwaltung. Es sei auch ein Konnex mit dem Art. 91 Abs. 1 B-VG herstellbar, wo es heißt, „das Volk hat an der Rechtsprechung mitzuwirken“. Überdies seien auch in der Schweiz und in Liechtenstein die Gemeindevermittlungsämter ein tragender Pfeiler der Rechtspflege.
Ein Ansatz also, eine fast 100-jährige Einrichtung zu erweitern, die auch heute noch mehr als nur modern und zeitgemäß ist.
Wie aber ist die Geschichte dieser Gemeindevermittlungsämter?
Bereits 1860 waren Bestrebungen im Gange, aus eben den oben erwähnten Gründen Gemeindevermittlungsämter einzuführen. Es dauerte allerdings dann noch einige Jahre, bis es 1870 zum ersten Vorarlberger Gemeindevermittlungsgesetz kam, dessen Wortlaut hieß „Gesetz vom 18. Oktober 1870 betreffend die Vergleichs-Versuche zwischen streitenden Parteien durch aus der Gemeinde gewählte Vertrauensmänner“. Es war dies das erste Gemeindevermittlungsgesetz in Österreich, bis 1889 sollten noch weitere 9 Landesgesetze folgen.
Die Aufgabenstellung ist (nachdem Reformbemühungen vor einigen Jahrzehnten nicht erfolgreich waren) bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben:
Im Bereich des Zivilrechts können von den Vermittlungsämtern wirksame Vergleiche abgeschlossen werden.

a) über Geldforderungen und Ansprüche auf bewegliche Sachen (in unbegrenzter Höhe)

b) in Streitigkeiten über Bestimmung oder Berichtigung von Grenzen unbeweglicher Güter oder über Grunddienstbarkeiten

c) in Streitigkeiten über die Dienstbarkeit der Wohnung und

d) in Besitzstreitigkeiten.

Die Gemeindevermittlungsämter sind darüber hinaus auch zu Vornahme von Sühneversuchen in Ehrenbeleidigungssachen (und bei Ehrenkränkungen) zuständig. Mittlerweile totes Recht geworden, ist es allerdings offensichtlich die Bestimmung, dass ein gerichtliches Strafverfahren erst dann eingeleitet werden kann, wenn Privatankläger und Beschuldigte im Sprengel desselben Vermittlungsamtes ihren Wohnsitz haben und ein Sühneversuch vor dem Vermittlungsamt erfolglos geblieben ist.

Die Gemeindevermittlungsämter in der Praxis
Ein Blick in die Statistik vergangener Jahrzehnte zeigt, dass die Tätigkeit der Gemeindevermittlungsämter früher eine zahlenmäßig oft sehr Umfassende war. So wurden z. B. in den Jahren zwischen 1910 und 1920 pro Jahr zwischen 100 und 500 Streitsachen in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten von allen 20 Gemeindevermittlungsämtern Vorarlbergs abgewickelt, Ehrenbeleidigungsfälle waren es zwischen rund 400 und 1.000 pro Jahr. Aus diesen Zahlen kann man ermessen, wie viel nachbarschaftliche Streitigkeiten sozusagen „auf kurzem Wege“ innerhalb der Orte erledigt werden konnten, wie viel aufwändige Gerichtsverfahren damit unterblieben.
Auch noch in den 50er bzw. 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren offensichtlich die Gemeindevermittlungsämter umfassend erfolgreich tätig, naturgemäß hängt die Befassung einer Einrichtung natürlich auch mit dem Wissensstand über die Einrichtung zusammen. So bezeichnete noch 1960 das Justizministerium die Gemeindevermittlungsämter als wirksame Hilfe für die Rechtspflege, auch 1969 ist aus einem Bericht des Oberlandesgerichtes Innsbruck zu entnehmen, dass die Gemeindevermittlungsämter noch weiterhin regelmäßig in Ehrenbeleidigungssachen herangezogen werden mit einer Erfolgsquote durch Vergleiche von rund einem Viertel, beim Bezirksgericht Feldkirch betrage dieser Anteil im Durchschnitt ein Drittel.
In weiterer Folge nahm dann trotz günstiger Erfolge offensichtlich das Wissen der Bevölkerung um diese Schlichtungseinrichtung immer mehr ab.
Ende 1986 stellte der Landesvolksanwalt in einem Bericht fest, dass sich die Mitbürger über die Existenz von Gemeindevermittlungsämtern durchwegs nicht informiert zeigen. Er sei jedoch der Meinung, dass die Gemeindevermittlungsämter weiterhin ein taugliches Instrument und auch in der Lage seien, in verstärktem Maße im Rahmen ihrer Kompetenzen als Schlichtungsstelle tätig zu sein.
In einer Anregung an das Amt der Vorarlberger Landesregierung führte der Landesvolksanwalt aus, dass Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung über Existenz und Tätigkeit der Gemeindevermittlungsämter gesetzt werden sollten.
Dies führte offensichtlich dann im Jahre 1988 zu einem Seminar zum Thema Gemeindevermittlungsämter, die letzte erkennbare Tätigkeit des Amtes der Vorarlberger Landesregierung über die Neubestellung von Vertrauensmännern hinaus, Bewusstseinsbildung für dieses Thema zu machen.

Ausblick und Zukunft
Die Gemeindevermittlungsämter können in Vorarlberg auf eine lange Vorgeschichte zurückblicken, die sich auch über viele Jahrzehnte sehr gut bewährt hat. Die Gemeindevermittlungsämter konnten große Erfolge sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen ausweisen, im Laufe der vergangenen Jahrzehnte allerdings ging ihre Bedeutung, besonders in Zivilstreitigkeiten, immer mehr zurück.
Die Gründe hiezu sind sicherlich verschiedenartig, einerseits mit Veränderungen der Gesellschaft und sozialen Verhältnissen zu begründen, aber auch mit dem offensichtlich geschwundenen politischen Interesse an dieser Einrichtung sowie der mangelnden Information der Bevölkerung über Existenz und Aufgabenbereich der Gemeindevermittlungsämter.
Diese sinnvolle und bewährte Einrichtung wieder zu beleben, ist weiterhin die Aufgabe der Politik. Praxisbeispiele zeigen, dass die gezielte Information der Bevölkerung insbesondere in Grundstreitigkeits- bzw. Ehrenbeleidigungsangelegenheiten immer wieder zur erfolgreichen Einschaltung des Gemeindevermittlungsamtes führt.
Bewährte Einrichtungen abschaffen ist relativ einfach, bewährte Einrichtungen mit neuem Geist zu beleben, erfordert Identifikation und Befassung mit der Materie.
Gemeindevermittlungsämter können bei richtiger Anwendung ein Stück weit gelebte Subsidiarität sein. Sie können mithelfen, Nachbarschaften neu zu bilden und zu definieren. Sie können Basis sein, sich der Verantwortung im eigenen Nahbereich bewusst zu werden.
Die Gemeindevermittlungsämter sind von ihrer Idee her moderner denn je. Ihre Anwendung aber braucht Identifikation und Bekenntnis dazu.

Fußnote:
1 Dieser Aufsatz basiert in den Absätzen 1 und 2 auf einer Arbeit von Dr. Peter G. Mayr, erschienen in der Vierteljahresschrift „Montfort“ in den Heften Nr. 2/3, 1990, S. 198–220; Nr. 1, 1991, S. 33–59, und Nr. 4, 1992, S. 329–348.

OEGZ

ÖGZ Download