Finanzausgleich in Österreich und Deutschland1

Finanzausgleich in Österreich und Deutschland1

Eine Analyse des Finanzausgleichs in Deutschland und Österreich stellt fest, dass sowohl Österreich als auch Deutschland eine ausgeprägte Präferenz für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Staatsgebiet aufweisen. Dadurch ist die Bezeichnung unitarischer Bundesstaat für beide Länder zutreffend, wobei Österreich aufgrund der Dominanz der Bundesebene einer Unitarisierung Richtung Einheitsstaat näher ist als Deutschland mit seiner vergleichsweise stärkeren Stellung der Länder.

 

Die Arbeit untersucht den bundesstaatlichen Finanzausgleich in Österreich und Deutschland. Dabei werden die Finanzbeziehungen der Zentralinstanz, des Bundes, mit der gliedstaatlichen Ebene, den Bundesländern, anhand der Theorie des Finanzausgleichs und der Ökonomischen Theorie des Föderalismus untersucht, kritisch bewertet und Verbesserungsvorschläge für beide Länder erarbeitet. Die Vorstellung der theoretischen Grundlagen des Finanzausgleichs und der Ökonomischen Theorie des Föderalismus erfolgt im 1. Teil der Arbeit. Der 2. Teil behandelt die praktische Ausgestaltung des Finanzausgleichs in Österreich und Deutschland, im 3. Teil werden als Ergebnis der bisherigen theoretischen und praktischen Untersuchungen beide Länder direkt miteinander verglichen.
Dabei zeigen die gesamt- und finanzwirtschaftlichen Daten eine erstaunlich hohe Konvergenz beider Länder (Tabelle 1). So war etwa das österreichische Pro-Kopf-BIP im Jahr 2002 lediglich 4% höher als das deutsche. In den zwei untersuchten Staaten ist bezüglich der Wirtschaftsleistung ein West-Ost-Gefälle zu beobachten, eine Ausnahme bildet hier lediglich die österreichische Bundeshauptstadt Wien. Allerdings streut die Wirtschaftsleistung der Bundesländer in Deutschland, vor allem bedingt durch die Wiedervereinigung, weit mehr als in Österreich.
In beiden Ländern wurde bisher versucht, politische Fragen im Konsens der großen Parteien und Interessenverbände zu lösen. In Deutschland ist diese Einigkeit bei grundlegenden Entscheidungen auch formal vonnöten, wenn unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und Bundesrat vorliegen. In Österreich fehlen den Bundesländern im Gegensatz zu Deutschland wichtige Elemente einer eigenen Staatlichkeit, was ihre Eigenständigkeit stark einschränkt.
Die staatliche Aufgabenerfüllung liegt sowohl in Österreich als auch in Deutschland grundsätzlich bei den Bundesländern. Das Streben nach gleichartigen Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet hat jedoch dazu geführt, dass in beiden Ländern der Bund als Zentralinstanz den Handlungsspielraum der Länder stark eingeschränkt hat. Von den gesamten Ausgaben des Bundes und der Länder wurden in Österreich 61% und in Deutschland 55% vom Bund getragen. Damit wird die Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder bei der Erfüllung von staatlichen Aufgaben ad absurdum geführt.

Einnahmenverteilung
Bei der Einnahmenverteilung liegt die Entscheidungskompetenz in Österreich fast ausschließlich beim Bund. In Deutschland haben die Bundesländer über den Bundesrat eine Einflussmöglichkeit bei Gesetzen, die ihre eigene Finanzausstattung berühren. Die Durchführungskompetenz ist in Österreich ausschließlich beim Bund angesiedelt, während sie in Deutschland größtenteils bei den Ländern liegt. Bei der Ertragskompetenz kann die vertikale von der horizontalen Steuerverteilung unterschieden werden.

Vertikale Steuerverteilung
Bei der vertikalen Steuerverteilung werden die Steuereinnahmen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene aufgeteilt. Dabei dominiert in beiden Ländern das Verbundsystem, bei dem die großen ertragreichen Steuern mit bestimmten Anteilssätzen auf die Gebietskörperschaften verteilt werden. So werden in Österreich fast 80% und in Deutschland über 70% der gesamten Steuereinnahmen als Gemeinschaftssteuern erhoben. Von diesen fließen in Österreich über 70% an den Bund, während die Aufteilung in Deutschland zwischen Bund und Ländern annähernd pari ist. Durch die Dominanz des Verbundsystems kommt der Änderung der Anteilssätze große Bedeutung zu. In Österreich werden Änderungen der Steueraufteilung in langwierigen politischen Verhandlungen zu Beginn einer neuen Finanzausgleichsperiode vorgenommen. Die momentan angewandten Sätze gelten noch bis Ende 2004.
In Deutschland wird die Umsatzsteuer als das variable Element des Verbundsystems herangezogen, um jährlich eine flexible Anpassung zu ermöglichen. Dies ist nötig, da die Aufteilung der anderen ertragsstarken Gemeinschaftssteuern grundgesetzlich geregelt ist und somit einer Anpassung hohe gesetzgeberische Hürden entgegenstehen. Dabei werden mit der Deckungsquotenberechnung objektive ökonomische Kriterien für eine Änderung der Steuerverteilung herangezogen.
In Österreich wird dagegen in rein politischen Verhandlungen über Änderungen der Anteilssätze entschieden. Bei der Aufteilung der einzelnen Ebenen am Steueraufkommen dominiert in Österreich der Bund mit einem Anteil von mehr als zwei Drittel der Steuereinnahmen, während in Deutschland Bund und Länder mit jeweils über 40% annähernd gleich am gesamten Steueraufkommen beteiligt sind (Tabelle 2).

Horizontale Steuerverteilung
Der Verteilung der Länderanteile der Verbundsteuern und damit der horizontalen Steuerverteilung kommt wegen dem in beiden Ländern ausgeprägten Verbundsystem besondere Bedeutung zu. In Österreich werden über 80%, in Deutschland lediglich 40% der Länderanteile an den Gemeinschaftssteuern nach Einwohnerzahlen verteilt.
Das Prinzip des örtlichen Aufkommens wird in Deutschland zu 54%, in Österreich unter 1%, als Kriterium für die Verteilung der Länderanteile an den Verbundsteuern herangezogen.
Da das örtliche Aufkommen der Steuern wesentlich stärker streut als die Einwohnerzahlen, wirkt in Österreich die praktizierte Form der Verteilung der Länderanteile mehr finanzkraftnivellierend als in Deutschland.
Die starke Gewichtung der Einwohnerzahlen in Österreich vernachlässigt den Zusammenhang zwischen Steuerentstehung und Steuerverwendung, weshalb hier aus Gründen der Anreizkompatibilität eine deutlich stärkere Berücksichtigung des örtlichen Aufkommens zu fordern ist.

Finanzzuweisungen
Dem Länderfinanzausgleich als horizontaler Finanzausgleich zwischen den Bundesländern steht in Österreich kein vergleichbares Ausgleichsinstrument gegenüber. Bei den Finanzzuweisungen betragen in Österreich die direkt nivellierenden Instrumente 12 €/Einwohner und in Deutschland 45 €/Einwohner. Damit macht der distributionspolitische Ausgleich in Österreich lediglich ein Viertel des bundesdeutschen Wertes aus. Die Summe der gesamten untersuchten Finanzzuweisungen vom Bund an die Länder ist hingegen in Österreich mit 344 €/Einwohner mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland mit 163 €/Einwohner. Dies liegt an den vergleichsweise geringen eigenen Einnahmen der österreichischen Bundesländer. Hier führt die hohe Kostenerstattung des Bundes an die Länder zu einer massiven Umverteilung von Finanzströmen und damit zu einer Alimentation der Länder durch den Bund. In Deutschland können die Bundesländer als Grundlage ihrer föderalen Eigenständigkeit einen vergleichsweise hohen Anteil ihrer Aufgaben aus eigenen Einnahmen bestreiten.

Umsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts
Die Umsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts in der Finanzverfassung zur Einhaltung des Maastricht-Kriteriums von maximal 3% Nettoneuverschuldung im Verhältnis zum BIP ist in beiden Ländern unterschiedlich geregelt worden.
In Österreich erfolgte die Anpassung sowohl schneller als auch institutionell verbindlicher. Während die deutschen Regelungen im Finanzplanungsrat eher freiwilliger und nicht einklagbarer Natur sind, ist der innerstaatliche österreichische Stabilitätspakt als formelles Gesetz als eine Art Staatsvertrag zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verabschiedet worden und sieht bei Nichteinhaltung auch konkrete Schritte bis zu einer Aufteilung einer eventuellen Geldbuße auf die Gebietskörperschaften vor.
Bei der Inanspruchnahme des Maastricht-Defizits zeigt sich in Österreich wiederum die starke Stellung des Bundes, der 0,75 Prozentpunkte für sich beansprucht, während die Gemeinden ausgeglichene Ergebnisse und die Länder Überschüsse (0,75%) zu erzielen haben. In Deutschland teilen sich Bund und Länder die Maastricht-Quote (Tabelle 3).

Empfehlungen
Die Bewertung anhand der Ökonomischen Theorie des Föderalismus anhand der Prinzipien der Kongruenz, der Korrespondenz, der Subsidiarität und des Finanzausgleichs zeigt diverse Verletzungen, woraus sich folgende Empfehlungen ableiten.
In Österreich und Deutschland überwiegt die Form des „kooperativen“ Föderalismus, was teilweise dazu führt, dass Zuständigkeiten verwischt werden und gegenseitige Schuldzuweisungen dominieren.
Vor allem in Österreich sollte zumindest ein Teil der dem Bund übertragenen Aufgaben von der Länderebene durchgeführt werden. Damit könnte der verankerte Grundsatz der Länderzuständigkeit bei der Erfüllung von staatlichen Aufgaben umgesetzt werden. In Deutschland empfiehlt sich ein Abbau der umfangreichen Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern zugunsten eindeutig festgelegter Zuständigkeiten, damit keine Ebene auf Kosten anderer bestimmte Maßnahmen beschließen kann.
Das in beiden Ländern dominierende System der Gemeinschaftssteuern vermag in föderalen Staaten grundsätzlich zu überzeugen, da nur durch einen Steuerverbund eine gute Koordination unter allokations- und distributionspolitischen Gesichtspunkten ohne Mehrfachbelastungen gewährleistet werden kann. Durch die Möglichkeit einer Zuschlagserhebung der Länder auf die gemeinschaftlichen Ertragssteuern könnte die Einnahmenautonomie der Länderebene gestärkt und eine schnelle Anpassung der Einnahmenseite an sich ändernde Finanzbedarfe verwirklicht werden. Allerdings muss dann gleichzeitig eine Senkung der zentral erhobenen Steuern erfolgen, um einen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Steuerquote zu vermeiden. Einer größeren Einnahmenautonomie der Länder steht das Argument eines dadurch möglicherweise verursachten unfairen Steuerwettbewerbs entgegen. Dabei konkurrieren die Länder schon jetzt, allerdings lediglich auf der Ausgabenseite, durch eine Art von Subventionswettlauf bei der Standortwahl von Industrieansiedlungen miteinander.
Erstaunlich hohe Divergenzen zwischen Ausgaben- und Ertragshoheit ergeben sich in Österreich zwischen Bund und Ländern und in Deutschland zwischen Ländern und Gemeinden. In Österreich fließen umfangreiche Transfers von der Bundes- an die Landesebene, da der Bund 72% der Steuern einnimmt, aber nur 48% ausgibt, während den Ländern nur 12% der Steuereinnahmen zustehen, diese aber für 31% der Ausgaben verantwortlich sind. In Deutschland nehmen die Länder 41% aller Steuereinnahmen ein, wobei sie 34% der Ausgaben tragen. Dem steht der Gemeindesektor gegenüber, der 25% aller Ausgaben tätigt, aber lediglich 12% der Steuern erhält (Tabelle 4). Dies widerspricht dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen, da sie auf die Unterstützung der Länder angewiesen sind. Durch eine Gemeindefinanzreform sollten die Einnahmen der Kommunen auf eine breitere Basis gestellt werden. In Österreich entfallen etwa 28% der gesamten Einnahmen der Länder auf Finanzzuweisungen des Bundes.
Hier empfiehlt sich eine an den zu bewältigenden Aufgaben orientierte primäre Finanzausstattung. Auch in Deutschland sind die von ihrer Intention lediglich subsidiären Bundesergänzungszuweisungen für über 40% des gesamten bundesstaatlichen Transfervolumens verantwortlich. Die Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen garantieren momentan den Ländern 99,5% der durchschnittlichen Finanzkraft. Diese Garantie entfällt zwar mit der Reform ab 2004, das Ausgleichsniveau verringert sich aber nur geringfügig auf etwa 98% der Finanzkraft aller Länder. Hier wäre insbesondere unter allokationspolitischen Erwägungen eine stärkere Absenkung zu wünschen gewesen.

Ergebnis
In der Summe lässt sich feststellen, dass beide Länder als föderale Staaten eine ausgeprägte Präferenz für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Staatsgebiet aufweisen. Dadurch ist die Bezeichnung unitarischer Bundesstaat für Österreich und Deutschland zutreffend. Die Wörter „unitarisch“ und „Bundesstaat“ stellen einen Widerspruch in sich selbst dar und kennzeichnen dadurch gut das föderale System in den untersuchten Staaten. Wobei Österreich aufgrund der Dominanz der Bundesebene einer Unitarisierung Richtung Einheitsstaat näher ist als Deutschland mit der vergleichsweise stärkeren Stellung der Länder wie etwa bei der Zustimmungspflicht durch den Bundesrat bei wichtigen Gesetzen.

Fehlende Tabellen sind in der ÖGZ 01/04 ersichtlich.

Fußnote:
1 Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 2003 an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Dissertation eingereicht. Sie ist vor kurzem in der Reihe „Europäische Hochschulschriften“ des Peter Lang Verlages, Frankfurt am Main, erschienen. Die folgenden Ausführungen stellen eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dar. Als Referenzjahr für die quantitativen Werte der Steuererhebung und Finanzverteilung wurde das Jahr 2000 herangezogen, weil vollständige und endgültige Zahlen bei der Fertigstellung der Arbeit für spätere Jahre noch nicht vorlagen.

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