Freiheit der Erwerbstätigkeit und Errichtung von Einkaufszentren

Freiheit der Erwerbstätigkeit und Errichtung von Einkaufszentren

Das Buch „Einkaufszentren: Raumordnungsrechtliche Grundlagen in Österreich“ von Dr. Georg Eisenberger und Dr. Elisabeth Hödl wurde mit dem Wissenschaftspreis des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes in der Kategorie Forschungsarbeiten ausgezeichnet und wird bald im Handel erhältlich sein.

 

Einleitung
Das Verhältnis von wirtschaftlicher Freiheit und staatlicher Reglementierung zählt zu den großen politischen Fragen des Wirtschaftsrechts. Daher ist die konkrete Ausgestaltung dieses Verhältnisses Ausdruck des „wirtschaftlichen Ordnungswillens“.1 Welche wirtschaftspolitischen Grundrechte eine Verfassung normiert, ist entscheidend für die Wirtschaft einer Gesellschaft. In den neuen Demokratien ehemalig kommunistischer Länder erwies sich etwa die Normierung des „Grundrechts auf Eigentum“ – wie überhaupt die Verankerung wirtschaftlicher Grundrechte – als ein explizites Bekenntnis zur Marktwirtschaft.2 Die Verfassung selbst bringt die ökonomische Selbstverantwortung des Individuums zum Ausdruck, sie normiert, auf welche grundrechtlichen Positionen der Einzelne bei seinen wirtschaftlichen Tätigkeiten vertrauen darf. In Österreich zählt das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums3 ebenso zu den wirtschaftsrechtlichen Grundrechten wie das Recht auf Freiheit der Berufswahl4 und das Recht auf Freiheit der Erwerbstätigkeit.5

Freiheit der Erwerbstätigkeit und Einkaufszentren
Bei der Betrachtung der Regelungen zur Errichtung von Einkaufszentren in Österreich ist insbesondere das Recht auf Freiheit der Erwerbstätigkeit von Interesse. Die Erwerbsfreiheit ist im Staatsgrundgesetz (StGG) verankert. Jeder Staatsbürger kann demnach unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben.6 Mit dieser Bestimmung ist die freie Erwerbstätigkeit für – inländische – natürliche und juristische Personen verfassungsrechtlich gesichert.7 Nach seinem sachlichen Zuständigkeitsbereich erfasst dieses Grundrecht jede erwerbsorientierte Tätigkeit. Ein Eingriff in das Grundrecht ist dann verfassungswidrig, wenn er nicht gerechtfertigt ist. Wie die Formulierung „unter den gesetzlichen Bedingungen“ verdeutlicht, steht das Grundrecht der Erwerbsfreiheit unter einem so genannten Gesetzesvorbehalt. Darunter versteht man die Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers, Grundrechte sowohl näher auszugestalten als auch zu beschränken. Beschränkungen der Erwerbsfreiheit müssen daher gesetzlich vorgesehen sein, wobei Eingriffe nach ständiger Rechtsprechung des VfGH nur dann verfassungsmäßig sind, wenn sie durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und in einer zur Erreichung des betreffenden Ziels adäquaten Weise ausgestaltet sind.8 Der Eingriff muss zudem verhältnismäßig sein.9

Öffentliches Interesse
Somit ist das Erfordernis der Rechtfertigung durch ein öffentliches Interesse relativ offen strukturiert. Die Erlassung der Bestimmungen, welche Ziele im öffentlichen Interesse verfolgt werden, unterliegt der Beurteilung durch den Gesetzgeber.10 Der VfGH macht aber deutlich, dass es „in dem durch die Erwerbsfreiheit mitkonstruierten System einer Wettbewerbswirtschaft“11 nicht Sache des Gesetzgebers sei, festzulegen, „welche Unternehmenstätigkeiten zur Befriedigung der Nachfrage sinnvoll sind und welche Tätigkeiten eines Unternehmens wirtschaftlich einen entsprechenden Ertrag erwarten lassen“12. Der Gesetzgeber wird zwar ermächtigt, Regelungen zum Schutz des Gemeinwohls zu erlassen, darf aber Markt- oder Ertragseinschätzungen einer bestimmten Tätigkeit durch einen Unternehmer nicht vorwegnehmen.13 Wie der VfGH ausführt, bedeutet es etwa keinen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Erwerbsbetätigung (also beispielsweise beim Betrieb eines Einkaufszentrums) gemäß Art 6 StGG, wenn durch raumplanerische Festlegung eine bestimmte Erwerbstätigkeit lediglich an einem bestimmten Ort faktisch verhindert wird, solange die Raumordnung nicht als System der Zulassung jener Erwerbstätigkeiten eingesetzt wird.14

Konkurrenzschutz bei Einkaufszentren im öffentlichen Interesse?
Bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses treten häufig auch Fragen der Normierung eines Konkurrenzschutzes für bestehende Betriebe auf. Ein solches Instrument des Konkurrenzschutzes ist die Bedarfsprüfung. Darunter wird die von der Behörde vorzunehmende Prüfung verstanden, ob ein (weiterer) wirtschaftlicher Bedarf nach der in Aussicht genommenen Tätigkeit besteht. Für bestimmte Handelsbetriebe und Einkaufszentren wurde mit der GewRN 1997 durch die Bedachtnahmepflicht auf Nahversorgung und Beschäftigungseffekte eine spezielle Art von Bedarfsprüfung neu geschaffen.15
Der VfGH hat in einer ganzen Reihe von Erkenntnissen den bloßen Konkurrenzschutz bestimmter Gewerbe oder den Schutz einzelner, wirtschaftlich schwacher Unternehmen nicht als im öffentlichen Interesse liegend anerkannt.16 Der Gerichtshof ging insgesamt davon aus, dass für die Zulässigkeit einer Bedarfsprüfung über den Schutz bestehender Betriebe hinausgehende besondere Gründe vorliegen müssen.17 Insofern hat letztlich die Rechtsprechung des VfGH stark zur Liberalisierung des Gewerberechts beigetragen.
Hinsichtlich Einkaufszentren vertritt der VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung zum Aspekt der Freiheit der Erwerbsausübung allerdings eine weitaus restriktivere Linie. Der Gerichtshof führt zur Frage der Standortbeschränkung von großen Handelsbetrieben (der Festlegung von Einzugsgebieten) aus, eine Verletzung des Grundrechts auf Erwerbsausübungsfreiheit liege deshalb nicht vor, weil ein erhebliches öffentliches Interesse bestehe, aus Gründen der Raumverträglichkeit besondere Standorte vorzusehen und außerhalb dieser Standorte die Errichtung derartiger Einkaufszentren auszuschließen.18 Im Wesentlichen ist diese Fragestellung von der Problematik der Nahversorgung getragen, was aus raumplanerischer Sicht mehr als verständlich scheint. Für den VfGH bedeutet dies im Ergebnis aber, dass er den Grundsätzen der Eignung und Verhältnismäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Mittel nicht im selben Maße Rechnung trägt wie in seinen übrigen Erkenntnissen zur Erwerbsausübungsfreiheit. Der VfGH toleriert sohin letztlich den Konkurrenzschutz bestehender Einkaufszentren, weil die Prüfung von „Einzugsbereichen“ schon fast zwangsläufig auf die Überprüfung des jeweiligen Lokalbedarfes hinausläuft. Die Berücksichtigung eines Lokalbedarfs muss – so verständlich eine Rücksichtnahme auf Nahversorgung auch ist – in einer „freien Marktwirtschaft“ jedenfalls als unzeitgemäß betrachtet werden. Bereits in der Gewerbeordnung 1973 wurde beispielsweise der Lokalbedarf für Gaststätten als Zulassungskriterium ersatzlos gestrichen und es ist kaum zu bestreiten, dass Gaststätten zweifellos der Nahversorgung dienen. Der Bundesgesetzgeber hat somit 1973 erkannt, dass die planwirtschaftliche Regelung dieses tertiären Sektors in einem westeuropäisch orientierten Wirtschaftssystem nicht erforderlich ist.

Schlussfolgerungen
Fraglich ist, inwiefern Verkaufsflächenbeschränkungen für Einkaufszentren ein taugliches und adäquates Mittel sind, um Einkaufszentren auf „der grünen Wiese“, also in erheblicher Entfernung von der sonstigen Bebauung hintanzuhalten. Ganz allgemein findet sich in der bisherigen Judikatur des VfGH keine Antwort auf die Frage, inwieweit absolute Verkaufsflächenbeschränkungen mit der Freiheit auf Erwerbsausübung vereinbar sind. Auch das jüngste Erkenntnis des VfGH zur Frage von Höchstflächenbeschränkungen von Einkaufszentren in Landesgesetzen19 gibt diesbezüglich keine abschließenden Hinweise.20

Fußnoten:
1 Pauger, Gewerberecht, in Raschauer, Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts, Wien (1998), Rz 319.

2 Vgl. Stolz, Auf den Spuren einer mitteleuropäischen Verfassungstradition, in Marko u. a. (Hrsg.), Revolution und Recht. Systemtransformation und Verfassungswirklichkeit in der Tschechischen und Slowakischen Republik, 279–299. Delhey/Tobsch, Understanding Regime Support In New Democracies – Does Politics Really Matter More Than Economics? WZB-Mitteilungen 89, Sept. 2000, 11–14.

3 Art 5 StGG.

4 Art 18 StGG.

5 Art 6 StGG.

6 Art 6 Abs 1 StGG.

7 Der personale Schutzbereich der Freiheit der Erwerbstätigkeit wurde durch den EU-Beitritt nicht erweitert. Vgl. aber Schulev-Steindl u. a., Wirtschaftslenkung und Verfassung, Gesetzgebungskompetenz und grundrechtliche Schranken direkter Wirtschaftslenkung. Wien 1996, 121f; Öhlinger, Verfassungsrecht4, Wien (1999), 352. Wohl aber genießen Unionsbürger auf Grund der Freiheit des EGV iVm dem Diskriminierungsverbot (Art 6 EGV) einen gleichartigen Schutz. Vgl. Raschauer, Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts. Wien (1998), RZ 178.

8 Wie Berka betont, handelt es sich bei der Formulierung („… unter den gesetzlichen Bedingungen …“) um einen formellen Gesetzesvorbehalt, doch unterwirft der VfGH gesetzliche Beschränkungen der Erwerbsfreiheit seit einer mit VfSlg 10.179/1984 beginnenden Judikatur einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Er behandelt also das Grundrecht so, als ob es mit einem materiellen Gesetzesvorbehalt versehen wäre. Berka, Die Grundrechte. Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich. Wien (1999), 421, Rz 752. Im Erkenntnis VfSlg 11.483/1987 hält der VfGH fest, „dass gesetzliche, die Erwerbsausübung beschränkende Regelungen nur dann zulässig sind, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind“. Vgl. VfSlg 10.179/1984, 10.386/1985, 10.932/1986, 11.276/1987, 11.483/1987, 11.494/1987, 11.503/1987, 11.749/1988, 13.704/1994, 13.725/1994, 14.038/1995 u. v. a. Siehe Binder, Der materielle Gesetzesvorbehalt der Erwerbsfreiheit, ÖZW 1988, 1.

9 Dieses Verhältnismäßigkeitsgebot wurde im neueren Schrifttum verfeinert. Vgl. Raschauer, Grundriss, RZ 184.

10 Für Raschauer kommt es nicht so sehr auf das Faktum der gesetzlichen Regelung an, sondern auf die Legitimität. Raschauer, Grundriss, RZ 182.

11 VfGH 6. 10. 1987, G 1/87 VfSlg 11.483.

12 VfGH 30. 9. 1996, G 115/96.

13 VfSlg 12.379/1990.

14 VfGH 22. 6. 1995, G 279/94.

15 Vgl. Pauger, Gewerberecht, Rz 375.

16 Vgl. Pauger, Gewerberecht, Rz 322.

17 VfSlg 11.503/1987 und 12.296/1990. Kritisch Rill, Gewerberecht, 16–17. Vgl. Pauger, Gewerberecht, Rz 375. Aufhebung der Bedarfsprüfung für Schrotthändler in VfSlg 10.179/1984; Aufhebung des Werbeverbots für Kontaktlinsenoptiker in VfSlg 10.718/1985; Aufhebung der Bedarfsprüfung bei Taxikonzessionen in VfSlg 10.932/1986; Aufhebung der Bedarfsprüfung für Fahrschulen in VfSlg 11.276/1987; Aufhebung der Bedarfsprüfung für Güterbeförderung in VfSlg 11.483/1987; Aufhebung einer unzulässigen Ausweitung eines Konkurrenzschutzes für Schrotthändler in VfSlg 11.625/1988; Aufhebung der Bedarfsprüfung für Tiroler Kinos in VfSlg 11.652/1988; Aufhebung der Bedarfsprüfung für Kärntner Schischulen in VfSlg 11.911/1988; Aufhebung der Bedarfsprüfung im Apothekengesetz durch VfGH 2. 3. 1998, G 37/97.

18 VfGH 2. 12. 1996, B 29/95 VfSlg 14.685.

19 Erkenntnis des VfGH zu § 10 Abs 2 lit d K-GPlG vom 26. 11. 2003, G 3/03, V2/03 ua.

20 Vgl. dazu Eisenberger/Hödl, Höchstflächenbeschränkungen für Einkaufszentren verfassungswidrig?, ecolex 2003, 210–211.

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