Widerstand war nicht eingeplant

Widerstand war nicht eingeplant

Immer öfter kommt es vor, dass große öffentliche Bauprojekte gründlich geplant werden, alle Behördenwege durchlaufen – und dann am Protest von Bürgern oder Widerstandsgruppen scheitern. Wenn die Politik ins Spiel kommt, so scheint es, nützt alles Planen nichts mehr. Doch das Gegenteil ist wahr: Großprojekte brauchen ein gut geplantes politisches Umfeldmanagement.

 

Als das Projekt Wien-Mitte mit seinen Bürotürmen erstmals präsentiert wurde, dachte niemand, dass es bei diesem Bau irgendwelche Schwierigkeiten geben könnte. Der Nutzen des Komplexes war für jedermann leicht ersichtlich – Sanierung eines desolaten öffentlichen Verkehrsknotens, attraktive Einkaufs- und Bürostandorte in City-Nähe, architektonische Aufwertung eines Viertels, das derzeit den Charme eines Vorortes von Tiflis ausstrahlt. Zudem hatte der Bau die einflussreichsten Betreiber und Befürworter, die sich ein Projekt in Wien wünschen kann: die Gemeinde, die Bank Austria, die ÖBB und die Kronen-Zeitung.
Die Gegner waren anfangs nur die „üblichen Verdächtigen“, also jene Gruppen, die neue Projekte im Allgemeinen und moderne Architektur im Besonderen immer reflexartig ablehnen. Ihr wichtigstes Argument betraf das „UNESCO-Weltkulturerbe“: Die Wiener Innenstadt würde dieses Prädikat verlieren, wenn in ihrer Nähe Gebäude entstehen, die das Stadtbild allzu sehr verändern. Sachlich betrachtet war das eine schwache Drohung, denn beim „Weltkulturerbe“ handelt es sich um ein zwar wohlklingendes, aber reichlich inflationäres Prädikat, das viele Touristenattraktionen ziert, vom Kölner Dom über die Wachau bis zur Grazer Altstadt. Noch dazu war die Aberkennung immer nur als Gerücht im Umlauf. Offiziell sagte beispielsweise noch im August 2002 die Leiterin des UNESCO-Büros Wien, Gabriele Eschig, dass „die Sorge um die Aberkennung übertrieben sei“.
Dennoch: Ein halbes Jahr später war das Projekt tot. Sein zaghafter Nachfolger wurde so klein dimensioniert, dass die Rentabilität fraglich ist, und kämpft trotzdem vom Start weg mit Problemen.

Neunundzwanzig Bürgerinitiativen
Was ist da schief gelaufen? Lässt sich aus diesem Beispiel schließen, dass die Österreicher bei großen Bauvorhaben in sensibler Umgebung besonders wachsam sind?
Nicht unbedingt: Im Jahr 2001 wurde pünktlich zur Ski-WM der neue Bahnhof von St. Anton am Arlberg eröffnet. Der Neubau wurde ziemlich groß dimensioniert, angesichts der Tatsache, dass diese Haltestelle abseits von Weltmeisterschaften oder Weltcuprennen selbst in der Skisaison nicht allzu stark frequentiert ist. Der Bahnhof kostete stolze 1,5 Milliarden Schilling (109 Mio. Euro), steht in einer ökologisch und landschaftlich äußerst sensiblen Hochgebirgszone, sogar ein neuer Tunnel musste extra gegraben werden. Trotz all dieser potenziellen Angriffsflächen konnte das Projekt ohne größere öffentliche Diskussion gebaut werden – zu einer Zeit, als die ÖBB gerade ihre große „Bahnhofsoffensive“ aus Geldmangel in der Schublade verschwinden lassen musste.
Wer jetzt daraus den Schluss zieht, dass die Österreicher Freunde der Bahn sind oder dass kritische, umweltbewusste Menschen den Ausbau von Schienenverbindungen befürworten, der möge einen Blick auf die Westbahn werfen: Gegen die Pläne einer Hochgeschwindigkeitsstrecke haben sich allein zwischen Wien und St. Pölten 29 (!) lokale Bürgerinitiativen gebildet – obwohl die Trasse durch das Tullnerfeld kaum je in die Nähe von Ortschaften kommt und auch keine ökologisch besonders sensiblen Zonen durchquert.
Die Liste ließe sich beliebig durch Beispiele jeder Größenordnung verlängern. Manche Kommunen stoßen mit Gewerbeparks, mit Schulneubauten, mit Kläranlagen, völlig unerwartet auf Widerstand, während ganz ähnliche Projekte in einer Nachbargemeinde ohne große Diskussion durchgehen. Es kommt vor, dass in ein und derselben Gemeinde ein großer Neubau keinerlei öffentliches Interesse auslöst, während gleichzeitig über eine Gehsteigverbreiterung wochenlang heftig polemisiert wird.

Das vergessene Umfeld
Viele Bauherren (öffentlich oder privat) haben aufgegeben, eine Erklärung für solche Vorgänge zu suchen, und sich damit abgefunden, dass Politik eben unberechenbar ist und man daher stets mit Überraschungen rechnen muss. Wenn man Glück hat, kann man ein Projekt ungestört realisieren, und wenn nicht, dann fällt das unter Pech. Auf die Dauer ist dieser Standpunkt allerdings unhaltbar. Die öffentliche Zustimmung stellt eine wesentliche Rahmenbedingung für die Realisierung eines Projekts dar. Sie muss daher in der Planung berücksichtigt und systematisch gemanagt werden. Das Instrument dazu ist Umfeldmanagement.
Projekte werden meist auf drei Ebenen geplant: technisch, finanziell und rechtlich. Es gibt aber noch eine vierte Ebene: die Politik, genauer das politisch-gesellschaftliche Umfeld. Diese vierte Ebene wird sehr oft vergessen. Projektbetreiber übersehen, dass es nicht genügt, alle rechtlichen Fragen zu klären. Wenn sich politischer Widerstand sammelt, dann nützen gültige Bescheide plötzlich sehr wenig. Im Gegenteil, ein negatives gesellschaftliches Umfeld kann auf die anderen drei Ebenen zurückwirken: Politische Ablehnung führt dann zu negativen Bescheiden wie beim Semmeringtunnel. Oder die Finanzierung wird plötzlich in Frage gestellt. Oder die Gegner zweifeln die technische Beherrschbarkeit an, wie das beispielsweise beim Lainzer Tunnel im Zuge der Verbindungsbahn zwischen Bahnhof Meidling und der Westbahnstrecke geschehen ist.
Ob Wohnsiedlung, Kläranlage oder Flughafen-Startbahn: Bei Projekten, die wegen hartnäckiger Bürgerproteste verzögert, überteuert oder überhaupt an die Wand gefahren wurden, gibt es immer einen gemeinsamen Faktor. Die Betreiber der Projekte haben es versäumt, das gesellschaftliche Umfeld in der Planung zu berücksichtigen und zu managen. Wo der Widerstand nicht eingeplant war, ging die Sache schief.
Diese Erkenntnis ist unter anderem das Ergebnis eines umfassenden Forschungsprojekts, das in Zusammenarbeit der FH Joanneum Graz mit dem Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Wien und Kovar & Köppl Public Affairs Consulting durchgeführt wurde und auch die Grundlage eines kürzlich erschienenen Buchs der Autoren zu diesem Thema1.

Wie funktioniert Umfeldmanagement?
Wenn Projektbetreiber mit Widerstand rechnen, dann greifen sie seit kurzem gern zu Instrumenten wie Bürgerbeteiligung oder Mediation. Beides sind sehr wirkungsvolle Verfahren – so konnte die HL-AG im erwähnten Fall des Westbahnausbaus mit 95 Prozent der Bürgerinitiativen und Gemeinden in einem sehr aufwändigen Bürgerbeteiligungsverfahren Einigung erzielen. Sie decken aber nur Teilbereiche ab. Bürgerbeteiligungsverfahren setzen aktive Mitarbeit voraus, was meist nur bei kleinräumigen Strukturen und unmittelbarer Betroffenheit gegeben ist. An einem Bürgerbeteiligungsverfahren bei Wien-Mitte oder beim Semmering-Basistunnel hätte wohl nur ein Bruchteil der Kritiker aktiv teilgenommen. Mediation wiederum setzt voraus, dass es bereits einen Konflikt gibt, in dem vermittelt werden muss.
Umfeldmanagement ist ein systematisches Verfahren, das von Anfang an in die Planung und Entwicklung eines Projekts einbezogen wird.
So wie die Statik, Geotechnik und Bauphysik geplant werden müssen, so wie im Projektablauf fix eingeplant ist, wann welche Ansuchen gestellt und welche Behördenverfahren durchlaufen werden müssen – so wird auch vom Start weg analysiert, welche gesellschaftlichen oder politischen Risiken es geben kann und wie man ihnen begegnet. Das heißt: Projekte können tatsächlich verändert werden, um die Einwände von Gegnern zu berücksichtigen.
Rund um jedes Bauprojekt gibt es Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen, die ein berechtigtes Interesse am Projekt haben. „Interesse“ heißt: sie sind dagegen, sie profitieren davon, sie hätten es gern ein bisschen anders oder sie wollen einfach nur wissen, was ihnen bevorsteht. Zu diesen Anspruchgruppen (der englische Begriff „Stakeholder“ hat sich eingebürgert) gehören Anrainer, spätere Nutzer, Steuerzahler, Umweltschützer, vielleicht auch Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit auf die eine oder andere Weise beeinflusst wird.
Früher oder später werden die Stakeholder ihr Interesse artikulieren. Wer sich früh mit ihnen auseinander setzt, kann erstens die Ansprüche dieser Gruppen in der Planung des Projekts berücksichtigen und sich damit spätere Proteste ersparen. Er kann aber auch die Haltung der Stakeholder beeinflussen und zum Beispiel bewirken, dass sie Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen, statt nur die Nachteile zu sehen, wie das in emotional aufgeheizten politischen Debatten sehr oft passiert.

Warum Gegner dagegen sind
Wer die Debatte um die so genannte Lobau-Autobahn verfolgt, wird feststellen, dass dabei neben vielen sachlichen auch zwei emotionale Argumente aufeinanderprallen. Das eine betrifft den Nationalpark Donauauen und den Erhalt der Natur. Das andere betrifft die Verkehrsbelastung und die unzumutbaren Zustände auf der Wiener Südosttangente. Dahinter stehen in beiden Fällen übergeordnete Wertesysteme: Natur, Lebensraum, Freizeit, Erholung auf der einen Seite, Mobilität, Modernität, Entwicklung, Zukunft auf der anderen Seite.
Solche Begriffsbündel von politisch-gesellschaftlichen Themen werden mit einem schwer übersetzbaren englischen Fachausdruck „Issues“ genannt. Wer erfolgreich strategisches Umfeldmanagement betreiben will, muss rechtzeitig analysieren, welche Issues für sein Projekt relevant sind. Es gibt Projekte, bei denen stehen Umweltthemen massiv im Vordergrund und andere, bei denen sie überhaupt keine Rolle spielen, dafür aber vielleicht die Entwicklung des ländlichen Raums oder die Standortqualität.

Projekte und ihre Nutznießer
In der Kommunikation und bei Verhandlungen mit Gegnern sind die tiefer liegenden Issues ganz entscheidend. Das klügste Argument kann den Adressaten nicht erreichen, wenn es an dessen wahren Interessen vorbeigeht: Wer Angst um seinen Wald hat, den wird die Chance auf Wirtschaftswachstum wenig beeindrucken.
Was dabei nicht übersehen werden darf, ist die Tatsache, dass Issues im Widerspruch zueinander stehen und dennoch für dieselbe Gruppe von Stakeholdern eine wichtige Rolle spielen können. Es kann sein, dass ein und dieselbe Personengruppe die Benachteiligung ihrer Region anprangert und gleichzeitig gegen den Ausbau einer Straße auftritt.
Deshalb spielt der Nutzen, den ein Projekt für die Stakeholder hat, in der Argumentation eine zentrale Rolle. Dieser Nutzen muss aber mit den relevanten Issues verknüpft werden. Eine Autobahn, eine neue Schule oder eine Kläranlage müssen den Bürgern „verkauft“ werden. Das ist der Grund, warum für systematisches Umfeldmanagement auch der Begriff „Projektmarketing“ gebräuchlich ist. Es hilft festgefahrenen Projekten mitunter aus der Pattsituation, wenn sich die Betreiber vorstellen, sie wären Hersteller von Markenartikeln und müssten darüber nachdenken, warum ihr Produkt bei den Konsumenten nicht ankommt.

Das Umfeld ist nicht nur feindlich
Ein wesentlicher Vorteil des Umfeldmanagements besteht darin, dass die Anspruchsgruppen in ihrer Gesamtheit erfasst werden. Die Strategie beschränkt sich nicht nur auf die Gegner. Durch das frühzeitige Einbinden von Befürwortern wird das Entstehen einer „schweigenden Mehrheit“ vermieden, wie sie gerade für Infrastrukturprojekte typisch ist. Bürgerinitiativen, die oft nur ein halbes Dutzend Aktivisten umfassen, dominieren die Berichterstattung in den Regionalzeitungen und erwecken den Eindruck, als gäbe es eine breite Ablehnungsfront. Die Befürworter glauben sich in der Minderheit.
Ebenso wichtig wie die Befürworter sind natürlich die „Unentschlossenen“. Hier kann Umfeldmanagement das Entstehen eines positiven öffentlichen Meinungsklimas unterstützen. In der Realität dauert es nämlich immer einige Zeit, bis sich die Angehörigen der Stakeholder-Gruppen ihre Meinung gebildet haben. Anfangs warten sie ab, sind noch wenig informiert und daher unsicher.
Ob ihre Haltung im Laufe der Zeit auf die Befürworter- oder die Gegnerseite schwingt, hängt sehr stark davon ab, wie sie das Meinungsklima wahrnehmen – die meisten Menschen orientieren sich in ihren Ansichten an Mehrheiten und an Meinungsbildern (Opinionleader).
Umfeldmanagement versucht deshalb auch, auf jene Gruppen einzuwirken, die später das öffentliche Klima mitbestimmen. Auch Opinionleader und Politiker müssen sich ihre Meinung irgendwann einmal bilden. Wer sie in dieser Phase mit Information und seriöser Argumentation unterstützt, kann verhindern, dass sie sich auf eine inhaltlich falsche Position festlegen, die sie dann nicht mehr ohne Gesichtsverlust verlassen können.

Gut gemanagt, Geld gespart
Rechtzeitiges und richtig angewandtes Umfeldmanagement führt fast immer dazu, dass die Konflikte und Diskussionen rund um ein Projekt deutlich weniger werden. Die Widerstände werden geringer, wenn falsche Vorstellungen ausgeräumt und die größten Probleme schon in der Planungsphase vermieden werden können. Das bedeutet, dass schneller gebaut werden kann – und damit ist Umfeldmanagement auch ein Instrument, das Kosten spart, denn der zusätzliche Aufwand für Issue-Analysen, Argumentarien und die operative Umsetzung des Stakeholder-Managements machen nur einen Bruchteil dessen aus, was Verzögerungen oder spätere Umplanungen kosten würden – von einem erzwungenen Baustopp ganz zu schweigen.

Fehlende Grafiken sind in der ÖGZ 4/04 ersichtlich.

Fußnote:
1 Stempkowski, Jodl, Kovar: Projektmarketing im Bauwesen – strategisches Umfeldmanagement zur Realisierung von Bauprojekten, Manz 2003.

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