Schauplatz Brüssel: Städte und lokale Unternehmen bei „Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse“ am Scheideweg

Schauplatz Brüssel: Städte und lokale Unternehmen bei „Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse“ am Scheideweg

Die Debatten zum Thema Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse haben in den letzten Jahren an Schärfe zugenommen. Die Darstellung zweier Schlüsselkonferenzen in der Europäischen Hauptstadt soll dazu beitragen, Perspektiven für die Städte und ihre kommunalen Unternehmungen angesichts der Europäischen Binnenmarktstrategie 2003 bis 2006 und der Entwicklungen zum Grünbuch „Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse“ aufzuzeigen.

 

Seit fast 10 Jahren beschäftigt man sich im Österreichischen Städtebund mit den Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse. Die Europäische Kommission hat 1996 noch unter Präsident Jacques Delors die erste Mitteilung zu diesem Thema veröffentlicht. Damals wusste man noch nicht so recht, was man von diesem Papier halten sollte. Es brachte einen sehr anschaulichen Überblick über die öffentlichen Dienstleistungen in den Mitgliedstaaten der Union und bestätigte, wie wertvoll diese für den Erhalt des Europäischen Modells der Sozialen Marktwirtschaft seien. Dies hat sich mit der zweiten Mitteilung aus 2000 stark geändert, darin steht sehr wenig von sozialer Marktwirtschaft, aber viel über Wettbewerb und Liberalisierung und vieles mehr, das die turbokapitalistischen Herzen der multinationalen Unternehmen höher schlagen lässt.
In den letzten zwei Jahren haben die Konferenzen und Protestveranstaltungen zu diesem Thema zugenommen. Besonders der Berichterstatter des Europäischen Parlaments zum Grünbuch „Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse“ hat zur Mobilmachung beigetragen. In der Zwischenzeit hat man auch herausgefunden, was von diesem Ansinnen der Europäischen Kommission mit Unterstützung der Mitgliedstaaten zu halten ist. Der Österreichische Städtebund war auf fast allen dieser Konferenzen vertreten. Um die Stimmung etwas zu vermitteln, seien zwei Konferenzen besonders herausgegriffen: im November 2003 die Veranstaltung des CEEP (Dachverband der Kommunalen Unternehmen Europas) und im Februar 2004 die Podiumsdiskussion von MdEP Philippe Herzog (Generalberichterstatter des Europäischen Parlaments zum Grünbuch).

November 2003 – Binnenmarkt-strategie 2003 bis 2006 [KOM(2003)238]
Die „6. Europäische Konferenz der lokalen Unternehmen“ fokussierte auf die Kommunalbetriebe. So wurde eine Studie erörtert, die einen Überblick über die Strukturen der öffentlichen Unternehmungen in den 25 zukünftigen EU-Staaten gab. Insgesamt werden in den Mitgliedstaaten über 15.000 öffentliche Unternehmen tätig sein, wobei hier Eigen- und Regiebetriebe oder Dienststellen von Magistraten nicht eingerechnet wurden. Vorrangiges Ziel wird das Überleben dieser Unternehmen sein, wesentlich die rechtlichen Rahmenbedingungen, welche die Sicherheit für die Unternehmen und gleiche Ausgangsbedingungen gewährleisten sollen. Ein besonderes Problem wird der hohe Finanzbedarf für Investitionen in den neuen Mitgliedstaaten darstellen. Einen riesigen Nachholbedarf gibt es betreffend Anschlussgrad, Infrastruktur, moderne Anlagen, modernem Management. Die EU-Kommission forciert die Marktöffnung für Private auch mit der Begründung, dass die öffentliche Hand alleine nicht in der Lage ist, genügend Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. In der Diskussion zu diesem Thema wurde, wenn auch aus verschiedenen Gründen und kontroversiell, auf die Frage der Hereinnahme von Privatkapital hingewiesen.

Europäischer Binnenmarkt
Rainer Plassmann, Generalsekretär des CEEP, erklärte, dass die Binnenmarktstrategie neben den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und den beschäftigungspolitischen Leitlinien das Schlüsselinstrument zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene sei. Es solle weniger Hindernisse für den Handel mit Waren und Dienstleistungen geben, größere Sicherheit bei der Umsetzung vereinbarter Regeln, weniger Bürokratie, weniger Steuerschranken und mehr Möglichkeiten bei öffentlichen Aufträgen.
Die politischen Entscheidungen zum Binnenmarkt würden für die Zukunft der Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse und die lokalen Unternehmen von entscheidender Bedeutung sein. Die Erbringung dieser Dienste sei getragen von der politischen Verantwortlichkeit in den Kommunen und Regionen. Es stellt sich die zentrale Frage der Zuständigkeit des öffentlichen Sektors, die Frage der Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Binnenmarktes und der Wahrnehmung der Aufgaben in optimaler Weise, so Plassmann.

Binnenmarktstrategie der Europäischen Union 2003 bis 2006
Plassmann führte aus, dass die Kommission zur Gestaltung und Festigung des ordnungspolitischen Rahmens der Binnenmarktstrategie im Wesentlichen drei Gründe anführe:

- Die suboptimale Ausgestaltung des Binnenmarktes zum gegenwärtigen Zeitpunkt,

- die Beherrschung der mit der Erweiterung des Binnenmarktes verbundenen Gefahren und

- das Ziel, durch Strukturreformen die Wachstumsfähigkeit der Volkswirtschaften zu erhöhen und auf diese Weise den Herausforderungen einer „alternden Bevölkerung“ zu begegnen.

Die Integration der Dienstleistungsmärkte sei nach Ansicht der Kommission stark verbesserungsfähig. Im Bereich der „netzgebundenen Wirtschaftszweige“ bestehe die vorrangige Aufgabe darin, den Marktöffnungsprozess abzuschließen, wozu bereits erarbeitete Vorschläge verabschiedet werden müssten und neue bei Bedarf vorgelegt. So sei etwa nach Ansicht der Kommission der immer noch fragmentierte Wassersektor einer der Bereiche, in denen neue Maßnahmen erforderlich seien.

Wassermarkt
Die Kommission habe diesbezüglich schon die abgeschwächte Formulierung gewählt, wonach noch weitere Untersuchungen durchzuführen seien, aber festgestellt, dass eine Modernisierung durchaus positive Effekte mit sich brächte sowie zur Effizienzgewinnung führte. Die Formulierungen zur „Modernisierung des Wasserbereiches“ seien deshalb erfolgt, so Plassmann, weil die klare Anführung des Zieles Liberalisierung zu heikel sei. Zur Zieldurchsetzung diene auch der Hinweis auf die korrekte Anwendung der Ausschreibungsvorschriften. Die europäische Politik werde zum Thema Eigentum an der Ressource Wasser und der Wasserversorgung weiterhin eine neutrale Haltung einnehmen. Die Dienststellen der Kommission aber würden die rechtliche und administrative Situation im Wasser- und auf dem Abwassersektor prüfen – auch unter wettbewerblichen Gesichtspunkten, ohne jedoch die Garantien des EG-Vertrages anzutasten oder gegen Umweltvorschriften zu verstoßen.

Grünbuch zu Public-Private-Partnership-Modellen (PPP)
Im Grünbuch sei auch bezüglich der Ziele und Grundsätze ein umfassendes Vergaberegime vorgesehen. Dabei sei jedenfalls darauf zu achten, dass nicht auch die Konzessionsvergaben ausschreibungspflichtig würden. Die Kommission denke auch über die weitere Rolle der Regulatoren nach (offensichtlich traut die Kommission selbst nicht dem von ihr entworfenen System). Im Grünbuch wolle man auch auf die Konzessionen eingehen. Die Kommission wolle, dass PPP-Modelle ausschreibungspflichtig würden. In diesem Zusammenhang seien die Auswirkungen auf bestehende Partnerschaften bei einem Zwang zur nachträglichen Ausschreibung „sehr kritisch“ zu beurteilen. Die Generaldirektion Wettbewerb habe nur den ungehinderten Wettbewerb im Sinne und nehme keine Rücksicht auf die strukturellen Probleme der lokalen Unternehmen und der Rolle der Gebietskörperschaften. Die Kommunen könnten eigentlich nur auf den zu erwartenden Verfassungsentwurf vertrauen, so Plassmann.
Nach Aufforderung der Kommission ist nun endlich das Maßnahmenpaket für den Schienenverkehr (Eisenbahnpaket) durch Rat und Parlament am 17. März 2004 angenommen worden. Das Energiepaket soll ebenso verabschiedet und wirksam umgesetzt werden, um die Gas- und Strommärkte für gewerbliche Kunden bis 2004 sowie für Privatkunden bis 2007 zu öffnen. Sie werde sich daher auch im Lichte der EuGH-Urteile bemühen, die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Ausgleichszahlungen für die Bereitstellungskosten von Dienstleistungen von Allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu klären.
Plassmann kritisierte, dass die wesentlichen Aspekte der Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse jedenfalls in der Binnenmarktstrategie nicht berücksichtigt wurden. Das Papier nehme nicht ausdrücklich auf Artikel 16 EG-Vertrag bzw. die anderen Bestimmungen im EG-Vertrag Bezug. Die Kommission beziehe sich nicht auf die Besonderheiten bei Wasser, Abwasser usw., sondern betone nur, dass die Eigentumsrechte nicht angetastet werden dürften. Die Schaffung einer Binnenmarktbehörde stehe im Raum. Jedenfalls sei zu prüfen, ob die konkreten Vorschläge das Subsidiaritätsprinzip beachten. Es gehe um die Frage der Inanspruchnahme zentraler Zuständigkeiten und zentraler Verantwortung.

Schlüsselfrage: Ausschreibungspflicht
Laut Kommission wendeten viele Mitgliedstaaten das Ausschreibungsrecht nicht richtig an. Ein Aktionsplan hinsichtlich elektronischer Abwicklung und eines Überwachungssystems mit „nationalen Armen“ müsse demnach geschaffen werden.
Für Plassmann sind die Ausschreibungsfragen der Schlüssel für die Zukunft der kommunalen Wirtschaft: „Verliert nämlich ein kommunales Unternehmen im Zuge einer (verpflichtenden, nachträglichen) Ausschreibung einmal seinen Auftrag, ist es weg von der Bühne, während Private meist mehrere Standbeine haben und es deshalb bei der nächsten Ausschreibung noch einmal probieren können.“ Ein weiteres Problem stelle sich dadurch, dass die Kommunen ihre Aufgabenwahrnehmung umstrukturieren müssten. Plassmann ist überzeugt, dass die weitere Liberalisierung, vor allem der netzgebundenen Dienste, stark vorangetrieben werden soll. Der öffentlichen Hand würde lediglich die Aufgabe der Finanzierung von Infrastruktur verbleiben.
Bruno Wallnöfer, Präsident des Österreichischen Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKÖ), nahm kritisch zur laufenden Diskussion Stellung. Er sehe keine Hinweise in Richtung eines Nachlassens des aktuellen Liberalisierungsdrucks und erwarte auch ein Anhalten der Konzentrationstendenzen in Richtung weiterer Oligopolisierung und Monopolisierung der Energiebranche. Seiner Ansicht nach werde die bisher führende Rolle der lokalen Energie- und Infrastruktur-Dienstleistungsunternehmen in zunehmendem Maße durch starke wirtschaftliche und politische Lobbies bedroht. Er sehe ein zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen der traditionellen Dienstleistungsverpflichtung und öffentlicher Daseinsvorsorge und den angesprochenen neuen Kraftfeldern der Liberalisierung und einer vermehrt andiskutierten Verpflichtung zur Ausschreibung und damit Entkommunalisierung der bisher als öffentliche Aufgabe verstandenen und gemeinwirtschaftlich organisierten Dienstleistungen.
Er vertrat jedoch die Ansicht, dass die Dienstleistungen von Allgemeinem wirtschaftlichen Interesse eine Perspektive hätten, die auf Dauer nur nach den Grundsätzen einer gemeinwirtschaftlich verfassten Universaldienstleistung sowie nach dem Prinzip der ortsnahen Ver- und Entsorgung erfüllt werden könnten.

Strommarkt
Wallnöfer erläuterte in anschaulicher Weise die Stationen der Strommarktöffnung. Das neue Marktmodell beruhe auf einer scharfen Trennung von Erzeugung, Netz und Vertrieb. Er prognostizierte, dass großräumige „Blackouts“ wie im Spätsommer 2003 auch in Mitteleuropa künftig zunehmen würden. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Bereich der Produktpreise, im Bereich der Netzentgelte und der Entflechtung (Unbundling) befänden sich in einer Phase dramatischer Verschlechterung zu Lasten der lokalen Unternehmen.
Die Großhandels- und Börsenpreise für elektrische Energie in Europa seien wieder deutlich im Steigen, so Wallnöfer. Die Netztarife würden durch Entscheidungen des Regulators gesenkt, im Laufe der vergangenen 2 Jahre um durchschnittlich 10%. Diese Entwicklung befinde sich weiter in Fortsetzung (weitere Kürzung um durchschnittlich bis zu 20%). Dies werde die Ertragskraft der Stadtwerke schrittweise schwächen und die latente Veräußerungsneigung der kommunalen Eigentümer verstärken. Die hohe Versorgungssicherheit in Österreich würde für das Ziel einer Zentralisierung der Netze mit nachfolgender (Teil-)Privatisierung gefährdet – wobei die politische Ebene dies in der laufenden Auseinandersetzung auch ganz offen einbekenne.
Bisher seien die integrierten Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU), hinreichende Netztarife und die Versorgungssicherheit in einem magischen Dreieck verbunden gewesen. Der sachwidrige Druck auf die Netztarife und das bevorstehende „Legal Unbundling“ – also die Zerschlagung der bisher integrierten EVUs – würden zu einer Verschlechterung des bisherigen Standards führen.
Wallnöfer sprach von der „Regulierung der Deregulierung“. Man habe entflochten und zerschlagen, was zusammengehörte und dadurch Schaden verursacht. Jetzt brauche man wieder Regeln für die erneute Zusammenführung. Der Wettbewerb brauche Wettbewerber. Seiner Ansicht nach gehe es um Entkommunalisierung, weniger um Autonomie. So wie Plassmann stellte auch er fest, dass den Kommunen nur mehr die Rolle des Gewährleisters und Organisators bleibe. Er sehe als klaren Hintergrund die Ermöglichung von privatwirtschaftlichen Gewinnen.

Sicht der Privatwirtschaft
Jeremy Miles von UNICE (Dachverband der Europäischen Industrie) vertrat den Standpunkt, dass besonders das Legislativpaket zur öffentlichen Auftragsvergabe den Binnenmarkt in diesem Bereich endlich öffne, ein wirtschaftlicher Abschwung durch das Erstarken anderer Wirtschaftsräume (Nordamerika, Asien) sei dadurch vorläufig gebannt. Zu lange habe man danach getrachtet, den europäischen Markt abzuriegeln. Das jetzige Paket sei für die Auftragnehmer gut. Verzerrende Maßnahmen, etwa durch Beihilfen hervorgerufen, würden die Volkswirtschaft schädigen, postulierte der Vertreter der Industrieinteressen. Es sei egal, welche Eigentümer oder welche Rechtsform ein Unternehmen habe, entscheidend sei der Beitrag für die Wirtschaft in Europa. Für ihn gebe es auch kein Problem, wenn die öffentlichen Unternehmen mitmischten, jedoch müssten gleiche Grundlagen für alle Unternehmen gelten. Diese müssten auch unabhängig von Behörden sein (ungebundene Einrichtungen). Die Unabhängigkeit müsste unter Beweis gestellt werden, die Rechnungslegung nach internationalem Standard erfolgen. Zur verzerrenden Rolle von Beihilfen vertrat Miles die Ansicht, dass diese entweder für alle Marktteilnehmer gleich geleistet werden oder direkt an die Konsumenten fließen müssten.
Er sprach sich auch für PPP-Modelle aus, die eine Mittelaufbringung außerhalb des Steueraufkommens gewährleisten könnten und daher von Nutzen seien. Auf Seiten der Kommunen sei bei der Begründung von PPP sehr viel Geschick erforderlich. Und natürlich sei die Hilfe von Beratern – wie spezialisierten großen Beratungskanzleien (hic!) mit Erfahrung – in Anspruch zu nehmen. Die Kommunen dürften dies nie alleine machen.

Abschließende Bewertung
Rainer Plassmann sagte, dass man im CEEP nach wie vor für sektorielle Richtlinien eintrete – zur Schaffung von Rechtssicherheit, nicht zur Behinderung des Wettbewerbs. Der CEEP unterstütze auch ein EU-Rahmenrecht zur Regelung der Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse. Ansonsten gebe es für die kommunalen öffentlichen Dienstleistungen wohl keine Zukunft, die Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse würden dem Markt schlichtweg geopfert.

Februar 2004 – Grünbuch zu den Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse [KOM (2003) 270]
Die Podiumsdiskussion stand unter dem Motto „Politische und strategische Überlegungen zu den zukünftigen Herausforderungen im Hinblick auf die Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse“.

Meinungsbildung im Europäischen Parlament (EP)
MdEP Philippe Herzog erklärte, dass das EP zunächst dem Grünbuch negativ gegenüberstand. Das EP fühlte sich mit Herausgabe des Grünbuchs hintergangen und forderte sofort eine Rahmenrichtlinie. Herzog betonte jedoch, dass die Kommission richtig entschieden hätte, zunächst ein Grünbuch zu verfassen.
Während der Beratungen sei es gelungen, die Zivilgesellschaft und die kommunalen Verbände zu mobilisieren. Die kommunalen Netze hätten großen positiven Einfluss auf seine Kollegen im EP ausgeübt. Für seine Stellungnahme seien nach langer Diskussion auch die Gewerkschaften, die noch skeptischen Kommunalverbände und soziale NGOs gewonnen worden. Absolut dagegen sei UNICE aufgetreten, für sie sei der Bericht Herzog „gefährlich“, weil sein Inhalt eine Änderung des EU-Wettbewerbs- und Binnenmarktrechts bedeutete. Innerhalb der Zivilgesellschaft gab es jedoch größtmöglichen Konsens, so Herzog.
Würde die Kommission tatsächlich ein europäisches Rahmenrecht ausarbeiten, könnte man durch eine ebensolche Mobilmachung der Kommunalverbände und der Zivilgesellschaft ein Ergebnis erzwingen, dem sich weder Kommission noch Rat entziehen könnten. Dies würde eine viel bessere Grundlage für den Inhalt eines Rahmenrechts bieten, stellte der Berichterstatter klar.

Fehlende Definition in den Europäischen Verträgen
Laut Herzog sei es besonders Besorgnis erregend, wenn man stets dem EuGH und der Kommission überlasse, nur die Dienste von Allgemeinem Interesse zu definieren. Das sollte eigentlich von den Kommunen selbst vorgenommen werden. Für ihn sei besonders die Unterscheidung zwischen „wirtschaftlichen“ und „nicht wirtschaftlichen“ Tätigkeiten schwierig. Seiner Meinung nach gebe es keine klare Trennung. In Wirklichkeit seien viele Dienstleistungen gleichzeitig wirtschaftlich und nicht wirtschaftlich. Eine Opposition zwischen den beiden Begriffen bestehe eigentlich nicht. In seinem Bericht hat er jedenfalls eine sehr starke Formel gefunden: „Da öffentliche Behörden für die Dienstleistungen verantwortlich sind, obliegt es auch diesen, festzustellen, ob Tätigkeiten wirtschaftlich oder nicht wirtschaftlich seien. Auf Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse sollen Binnenmarkt- und Wettbewerbsregelungen keine Anwendung finden.“

Finanzierung, Organisation und Evaluierung
Herzog stellte fest, dass es eine große Vielfalt an Finanzierungsmöglichkeiten gibt und man dabei nicht immer sofort von staatlichen Beihilfen sprechen müsse. Einen europäischen Rechtsbesitzstand gebe es dazu nicht. Bezüglich Konzessionen, PPPs und In-house verlangte Herzog, dass Verträge, wie sie normalerweise von Kommunen abgeschlossen würden, von der Europäischen Kommission anerkannt werden müssten. Die Evaluierung der Dienstleistungen sollte den Mitgliedstaaten, respektive den Kommunen, überlassen werden – unter dem notwendigen Druck der europäischen Ebene.
Der Bericht Herzog wurde am 14. Jänner 2004 im EP mit überwältigender Mehrheit (383 : 123 : 13) angenommen. Ein Teilerfolg für das harte Lobbying der Kommunalverbände.
Danach stellte Simone Wohleser, Leiterin des Brüssel-Büros des Österreichischen Städtebundes, als einzige Vertreterin eines nationalen Kommunalverbandes in pointierter Weise die Ernüchterung der österreichischen Städte dar. In ihrem Statement zeichnete sie den Weg der Erkenntnis in Bezug auf die Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse nach:

Lernprozess der Städte
In den fast 10 Jahren seit dem Beitritt zur Europäischen Union hätten die österreichischen Städte ihre Gutgläubigkeit verloren. Man habe erkennen müssen, dass der Schlachtruf der Kommunen nach Subsidiarität zahnlos sei, wenn er Binnenmarkts- und Wettbewerbsregeln gegenüberstehe. Ebenso habe man erfahren müssen, dass die europäische Integration eine viel engere Marschrichtung genommen habe – forciert und unterstützt werde eine neoliberale Wirtschaftsagenda. Schlagwörter der politischen Entscheidungsträger auf EU-Ebene seien: Deregulierung, Märkte, Wettbewerb, Effizienz oder Liberalisierung, hoffnungslos veraltet hingegen sind Solidarität, Gemeinschaft oder soziale Kohäsion. Integrationspolitiken würden nur noch als Feigenblätter verwendet, seien nur als Ergänzung zu einer größeren wirtschaftlichen Effizienz zu sehen.
Die Städte hätten von der Unabdingbarkeit des marktorientierten Prüfschemas für staatliche Beihilfen gelernt, dem so genannten Private-Investor-Principle-Test (ebenso nachzulesen in der EuGH-Entscheidung zu „Altmark-Trans“). Auch hätte man erkennen müssen, dass die Europäische Kommission nicht die politisch neutrale Institution ist, als die sie zu Zeiten des Beitritts den Städten präsentiert worden sei, so Wohleser. Auch die Europäische Kommission habe ihre eigenen politischen Zielvorstellungen und eine starke Vorliebe für marktgetriebene Lösungen. Sie möge zwar Hüterin der Verträge sein, aber sie interpretiere und re-interpretiere diese auch in Permanenz. Zusätzlich mussten die Städte erkennen, dass es innerhalb der Europäischen Kommission nur einige wenige Abteilungen gebe, die die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Europäischen Union initiierten und dominierten. Diese Abteilungen beeinflussten die öffentliche Meinung, stimulierten die öffentliche Diskussion und legten nur dann Gesetzesvorschläge vor, wenn die Zeit reif sei, betonte die Leiterin des Städtebund-Büros in Brüssel.
Außerdem seien die Städte befremdet darüber, dass Mitgliedstaaten die Entwicklung dieser neoliberalen Agenda indirekt durch ihren begrenzten und halbherzigen Widerstand förderten. Es scheine so, als ob das Liberalisierungsprogramm der Europäischen Union Hand in Hand mit den Privatisierungsprogrammen der Mitgliedstaaten gehe.
Die österreichischen Städte hätten auch den eigenartigen Status des EU-Wettbewerbsrechts erfahren: Weder das Europäische Parlament noch der Rat könnten die Umsetzung von europäischen Wettbewerbsregeln überprüfen, kritisierte Wohleser. Das obliege allein der Generaldirektion Wettbewerb. Diese Art Vertragsartikel wären in der heutigen Zeit wohl nicht mehr durchsetzbar.
Die Städte hätten auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Idee des ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors, das Binnenmarktprojekt zur Entwicklung des europäischen Sozialmodells gegen die oftmals zerstörenden Kräfte der Globalisierung und des Neoliberalismus zu nutzen und zu schützen, nur beschränkt Erfolg gehabt hätte.
Den Höhepunkt auf dem Weg der Erkenntnis der österreichischen Städte bildete, so Wohleser, der Europäische Rat von Lissabon, wo für „Monsieur“ Wettbewerb die attraktive Begleitung von „Madame“ Benchmarking gefunden worden sei.

Unterschiede in der Leistungserbringung
In den Mitgliedstaaten herrschten grundlegende Unterschiede in den öffentlichen Dienstleistungen. Darin begründe sich auch die Schwierigkeit, diese zu vergleichen, besonders im sozialen Bereich. Es wäre demnach absurd, Listen über Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse und Dienstleistungen von Allgemeinem wirtschaftlichen Interesse anzufertigen, wie die Kommission und einige Abgeordnete vorgeschlagen hatten. Die Kommission ziehe auch nie die spezielle Situation in den Mitgliedstaaten in Betracht, wenn Regelungen zu den öffentlichen Dienstleistungen entworfen würden, sondern vertraue nach wie vor auf die enge Sichtweise von Spezialisten, die sich nur auf bestimmte enge Bereiche konzentrieren. Ebenso trage die verwirrende Anzahl von Rechtsinstrumenten und Verfahren, die die Kommission anwendet, nicht gerade zur Verständniserleichterung bei, sondern erzeuge große Rechtsunsicherheit in den Kommunen.

Zukunftsaussichten
Wohleser betonte, dass die österreichischen Städte zu einem konstruktiven Dialog mit der Europäischen Kommission bereit seien und man erwarte, dass die Städte in den neuen Mitgliedstaaten so schnell wie möglich in die Debatte eingebunden würden. Mit Spannung erwarte man auch das für Ende April versprochene Weißbuch zu den Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse: Man hoffe auf einen EU-Rahmen allgemeiner Prinzipien (z. B. zur Organisation und zur Finanzierung), mehr Rechtssicherheit und ein verbessertes Gleichgewicht zwischen den öffentlichen Dienstleistungen und den Wettbewerbsregeln. Ebenso muss das Mitentscheidungsverfahren eingehalten werden. Das Europäische Parlament als Kontroll- und Filterorgan ist absolut notwendig.
Die österreichischen Städte, wie auch die deutschen Städte, seien einem „Benchmarking“ gegenüber aufgeschlossen, aber unter Verwendung von nicht nur betriebswirtschaftlichen Indikatoren, sondern auch unter Berücksichtigung sozialer und nachhaltiger Kriterien.

Schlussbemerkungen
Städte sind nicht gesichtslose, kapitalistische Gebilde, wie sie oft von der Europäischen Kommission gesehen werden. In Städten wohnen BürgerInnen, deren Stimmen gehört werden müssen, und zum Erhalt des gemeinsamen Wohls ist es manchmal eben notwendig, regulierend einzugreifen. Man soll auch nicht stets davon ausgehen, dass eine gesunde Wirtschaft automatisch das Wohlergehen der Bevölkerung impliziert.
Jedenfalls werden die österreichischen Städte weiterhin ihre kommunale Selbstverwaltung, ihre Rechte und Pflichten in den Städten zu entscheiden und zu planen, verteidigen. Sie sind sich jedoch bewusst, dass, je weiter die Europäische Integration fortschreitet, die Verbindung zwischen Subsidiarität und Wettbewerbs- bzw. Binnenmarktregeln immer weniger funktionieren wird. Es seien daher Kompetenzen auf die EU-Ebene zu verschieben, vor allem als Schutzfunktion für die Städte, um ein wirksames Gegengewicht zu den freien Marktkräften zu schaffen.
Es wird schwierig sein, einen kohärenten und wirkungsvollen Weg zu finden gegen die „anti-öffentliche Dienstleistungsbewegung“, die in den Institutionen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union Fuß gefasst hat. Die Intensivierung und Erweiterung der „Regenbogen-Koalition“ zum Schutz der Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse sowie die weitere Mobilisierung politischer und zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Mitgliedstaaten ist daher nötig, um den Druck auf die Kommission und die Regierungen zu erhöhen.
Man wird weiter in Richtung eines modernisierten wohlfahrtsstaatlichen Modells arbeiten, dabei Binnenmarkt, bisherige Liberalisierungen und die zugrunde liegenden ökonomischen Interessen zur Kenntnis nehmen und darauf aufbauend versuchen, realistische politische Ziele zu formulieren.

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