Städtefeindlichkeit in der deutschen Geschichte

Städtefeindlichkeit in der deutschen Geschichte

Warum haben es die Städte oft so schwer, zu ihrem Recht zu kommen? Dieser Frage geht das Buch nach. Um die Städtefeindlichkeit nicht als subjektive Meinung erscheinen zu lassen, wird weitgehend der Wissenschaft das Wort gegeben. Im 13. Jahrhundert wurde die Städtefeindlichkeit gesetzlich verankert, die Ursachen liegen weit zurück, zum Teil waren sie jedoch hochaktuell. Wichtige Stationen der Geschichte wie Goldene Bulle, Westfälischer Frieden, Zusammenbruch 1806 werden ebenso angesprochen wie der erstickende Absolutismus, der wiederum Steins Wiederbelebung der Städte zur Folge hatte. Das Scheitern der Paulskirche, die Ignorierung 1871, das unzulängliche Bemühen der Weimarer Verfassung und schließlich das Führerprinzip, das Volk und Staat entmachtete und im Krieg viele Städte in Schutt und Asche legte, führten zur Stunde null, die zur Stunde der Gemeinden wurde. Die Bundesrepublik hat die Selbstverwaltung etwas verbessert, ein garantiertes Mitgestaltungsrecht der Kommunen an Gesetzgebung und Verwaltung besteht aber immer noch nicht. Die augenblicklichen Finanznöte der Städte mahnen dramatisch die Überwindung der Städtefeindlichkeit an.

 

„Sein Tod war eine der größten Katastrophen der deutschen Geschichte.“ So beschreibt der Rechtshistoriker Heinrich Mitteis das Geschehen an jenem 28. September 1197, als Kaiser Heinrich VI. (1190–1197), 31-jährig, „die Welt zu seinen Füßen“, in Messina an Malaria starb1. Mit seinem Tod zerfällt das große Reich, das ihm sein Vater, Friedrich I. Barbarossa, als hervorragend organisierten Staat hinterlassen hat. Die Tragik seines frühen Todes bestand darin, dass er ein Jahr vorher mit seinem Erbreichsplan, mit dem er das Wahlkaiser- und Königtum überwinden und das Erbrecht für sein Herrscherhaus erlangen wollte, am Widerstand der Fürsten gescheitert war. Die ungeregelte Thronfolge brachte Heinrichs dreijährigen Sohn Friedrich unter die Vormundschaft des Papstes. Erst 1211 anerkannte der Papst den jungen Friedrich, worauf er als Friedrich II. (1212–1250) zum König und 1220 zum Kaiser gekrönt wurde. Dafür musste er bezahlen, zunächst 1220 mit der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis an die geistlichen Fürsten. Friedrich II. kehrte 1220 nach Italien zurück und sein Sohn Heinrich (VII.) betrieb als deutscher König eine außergewöhnliche Reichs- und Städtepolitik. Damit geriet er in scharfen Konflikt zu seinem Vater Friedrich II. und brachte die Fürsten gegen sich auf. Mitten in einem erblühenden Städtewesen und wohl auch gerade deswegen begann der große Kampf gegen die Städte. Die Fürsten zwangen Heinrich (VII.) die Stadträte, die Städtebünde und Bürgereinungen zu verbieten und 1231 das Statutum in favorem principum zu erlassen, ein Gesetz, mit dem alle Fürsten die Vorteile erlangten, die die Geistlichen schon 1220 erhalten hatten. Damit waren der deutsche Fürstenstaat geboren und die Städte sowie das aufstrebende Bürgertum zurückgedrängt.
Die Entscheidung kam nicht aus heiterem Himmel, sie war das Ergebnis einer langen Entwicklung. Neben den deutschen Römerstädten wuchsen unter den Merowingern und Karolingern entlang der Ströme und Flüsse Siedlungen zu Städten heran. Sie standen unter der Herrschaft von Bischöfen oder Königen, aber auch weltliche Große des Reiches traten mit Genehmigung des Königs als Städtegründer auf, wie z. B. die Babenbergischen Gründungen St. Pölten, Wien, Linz, Steyr, Friesach und Graz zeigen. Zwei Entwicklungen sind wichtig. Als 919 die Sachsenherzöge die Führung des Reiches übernahmen, versuchten sie den Stammespartikularismus durch das ottonisch-salische Kirchensystem in den Griff zu bekommen. In Canossa 1077 und in Worms 1122 scheiterte diese Politik. Der Investiturstreit hat den „Wandel von der Königs- zur Fürstenverfassung … vorgezeichnet“2. Neben diesem „Weg über Rom“ gab es noch eine andere interessante Möglichkeit, nämlich den „Eintritt der Städte in die Reichspolitik“3. Es waren, wie Thomas Martin feststellt, die beiden Salier Heinrich IV. und Heinrich V., die den Kontakt zu den Städten suchten und fanden.

Größte Stadtgründungsepoche
„Das 12. Jahrhundert ist das Zeitalter stürmischen Aufschwungs der Städte.“4 Dieses Jahrhundert hat, so Planitz, „die deutsche Stadt geboren“.5 Geprägt wird dieses Jahrhundert vor allem von Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1152 bis 1190). Er hat dem Reich eine große Blüte gebracht und damit ermöglicht, dass, um mit Planitz zu sprechen, „das 13. Jahrhundert die größte Städtegründungsepoche geworden ist, die die Deutschen erlebt haben.“6 Barbarossas Städte- und Stammespolitik ist jedoch umstritten. Die deutschen Städte lagen z. B. in der Entwicklung gegenüber den italienischen Städten erheblich zurück. Die Stammespolitik Barbarossas ist vor allem eine Auseinandersetzung mit dem Welfen Heinrich den Löwen. Er verglich sich mit ihm 1156, indem er ihn im Besitz von Sachsen und Baiern bestätigte, aber von Baiern die bisherige Markgrafschaft Österreich als neues Herzogtum der Babenberger abzweigte. Dies war der Übergang von der Stammes- zur Gebietsherrschaft und „die wichtigste Wandlung der deutschen Reichsverfassung im Mittelalter“7. Als Barbarossa 1190 im dritten Kreuzzug im Fluss Saleph ertrank, folgte ihm sein Sohn Heinrich VI. und versuchte nun seinerseits mit einem Erbreichsplan die Fürstenmacht zu begrenzen. Er scheiterte. Wir sind wieder beim großen Schlag gegen die Städte von 1220 und 1231/32.

Warum es dazu kam
a) „Die Germanen waren städtefeindlich.“8 Diese schlichte Feststellung Heinrich Mitteis’ erklärt nicht alles, aber vieles, was auf deutschem Boden geschah und geschieht. Der ausgeprägte Unabhängigkeitsdrang der Germanen und ihre Scheu vor dem mit der Stadt zwangsläufig verbundenen gedrängten Zusammenleben waren gewiss ehrenwerte Veranlagungen, aber nicht unbedingt ideale Eigenschaften, die ein gesundes Wachstum von Städten förderten.
b) Die Grundherrschaft, die Verbindung von Adel und Grundbesitz, wurde maßgebend für die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Deutschland und erzeugte auch die Spannungen mit den Städten. „Schon im Pariser Edikt Chlotars II. von 614 ist die entscheidende Wendung vollzogen: der König muss versprechen, nur noch Grundbesitzer aus der Grafschaft selbst zu Grafen zu bestellen.“9
c) Die Verbindung der Verwaltung mit dem Grafenamt und die Überlassung des Grafenamtes an den Grundbesitzadel sowie die daraus abzuleitende Praktizierung des Grafenamtes nicht von der Stadt, sondern von seinem Grundbesitz aus, war entscheidend für die Entwicklung in Deutschland. Der deutsche Adel wurde dadurch stadtfremd, während z. B. in Italien eine Verstädterung des Adels stattfand.
d) Im Gegensatz zu Frankreich und Italien gelang es in Deutschland den Städten nicht, in das Lehnswesen einzudringen; das markiert die Kluft zwischen Bürgertum und Adel.
e) Im Rahmen des Wachstums der Städte gab es zwei Vorgänge, die den Gegnern der Städte besonders missfielen: „Stadtluft macht frei“, die ländliche Bevölkerung begann in die Städte abzuwandern und außerdem nahmen die Städte Landbewohner als „Pfahlbürger“ in ihr Bürgerrecht auf. Der zweite Vorgang, der Freunde zu Feinden werden ließ, war das Streben der Städte nach Autonomie, das Entstehen des freien Bürgertums.
Goldene Bulle gegen die Städte
Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen im 13. Jahrhundert. Einerseits wird in dieser Zeit der große Schlag gegen die Städte geführt, andererseits ist es, wie bereits erwähnt, „die größte Stadtgründungsepoche, die die Deutschen erlebt haben“. Der stürmische Aufschwung der Städte war zeitweise sogar von einer kaiserfreundlichen Phase begleitet. Der 1273 gewählte Rudolf von Habsburg stellte die Weichen „auf fruchtbare Zusammenarbeit mit den Städten“; es war sein Verdienst, „die emporkommende Schicht des Bürgertums erstmals systematisch mit Energie und Erfolg in die Reichspolitik“ einzubeziehen.10 Andererseits nutzten die Fürsten die Zeit des Interregnums (1256–1273), um ihre Macht zu festigen und für die sieben Kurfürsten das ausschließliche Recht zur Wahl der deutschen Könige zu erwerben. Als Karl IV. (1346–1378) den Ausgleich mit den Kurfürsten suchte, kam es 1356 zur Goldenen Bulle, dem wichtigsten Reichsgrundgesetz. Hauptinhalt war das Verfahren der Königswahl („Wer sich vier Kurstimmen kauft, ist König“11). Im Gegenzug verschaffte die Goldene Bulle den Kurfürsten die volle Landeshoheit bis hin zum Erb- und Majestätsrecht. Und natürlich durfte in diesem Bündnis zwischen Kaiser und Fürsten der Kampf gegen die Städte nicht fehlen. In Cap. XV und XVI erfolgte das Verbot der Pfahlbürger sowie der Einungen und Städtebünde.
Im weiteren Spätmittelalter verkörperte sich das Streben der Städte nach Lösung vom Stadtherrn im Status der Reichsstadt. Der Begriff Reichsstadt wurde schon unter Friedrich II. entwickelt; er nennt z. B. Wien 1237 eine civitas imperialis. Die Reichsunmittelbarkeit erlangten insgesamt 130 Städte. Im Laufe des Mittelalters entgingen lediglich 13 Reichsstädte der Pfandsetzung, d. h. der Vergabe auf Zeit, im Gegensatz zur Mediatisierung, der endgültigen Veräußerung in Landeshoheit. Kennzeichnend für die Stellung der Städte in jener Zeit ist ihr Verhältnis zum Reichstag, insbesondere ihre Behandlung im und ihr Handeln gegenüber dem Reichstag. Über die Hintanstellung der Städte berichtet Leopold von Ranke: „Man sagte ihnen, ,der Gebrauch im Reiche sei, was Kurfürsten, Fürsten und andere Stände beschlossen, das lasse man sich auch von Seiten der Städte gefallen‘.“12

Vom kommunalen Zeitalter in die neue Zeit
Beim Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit sollte man sich nochmals die Spannung und Dramatik dieser Geschichtsepoche bewusst machen. Die deutsche, die europäische Stadt entstand und wuchs zu ihrer ersten großen Blütezeit heran; „sie brach ein in die Welt des Adels und der Höfe und wurde dafür von diesen bekämpft“, an der Spitze von den Fürsten, die mit den Fürstengesetzen und der Goldenen Bulle das Reich gegen sie mobilisierten und dabei sich selbst zur Gegenmacht des Kaisers aufschwangen. In der neueren Literatur werden zunehmend Wert und Wirkung der mittelalterlichen Stadt und des Kommunalismus gewürdigt. Professor Peter Blickle13 zeigt, dass der moderne Staat in Europa in viel stärkerem Maße durch den Kommunalismus als durch den von Adel und Königen getragenen Feudalismus geprägt ist. Der Historiker Wilhelm Ribhegge14 beschreibt die Entstehung der Zivilgesellschaft aus der Tradition der Städte. Und der Schweizer Historiker Karl Meyer15 bezeichnet das spätmittelalterliche Geschehen sogar als „kommunales Zeitalter“ und die mittelalterliche Stadt weltgeschichtlich als die Geburtsstätte der modernen freien Arbeit.
Das geschichtlich prägende Ereignis der früheren Neuzeit war der Dreißigjährige Krieg (1618–1648). Nach vierjährigen Verhandlungen in Münster und Osnabrück wurde im Westfälischen Friedensvertrag die Freiheit der Religionsausübung anerkannt, das Reich weitgehend zertrümmert, die Macht des Kaisers und des Papstes an der Spitze Europas gebrochen. Die Reichsstädte, die mit einer eigenen Kurie an den Verhandlungen teilnahmen, erhielten endlich volles Stimmrecht im Reichstag, sie konnten aber schon kurze Zeit später feststellen, wie wenig dieses Recht wert war. Der 1632 geborene Staatsdenker Samuel Pufendorf formulierte treffend die Ursachen für diese Zurücksetzung der Städte: „Die allgemeine Geringschätzung des Bürgerstandes durch den Adel, die sich auch auf den Reichstagen gegen das Kollegium der Städte richte, die genossenschaftliche Organisation der Stadtstaaten, d. h. die bürgerliche Freiheit, welche den Fürsten gleichsam ein Vorwurf gegen ihre eigene Herrschaft zu sein scheine, und schließlich die Spannungen, die der fürstliche Neid auf den bürgerlichen Reichtum hervorrufe, auf welchen die Städte so gerne pochten.“16

Niedergang des Reiches, Verfall der Reichsstädte
Das Reich existierte nach dem Westfälischen Frieden noch über 150 Jahre. Die Zahl der Reichsstädte nahm ab, einmal durch die Gebietsverluste des Friedensvertrages, zum anderen durch Mediatisierungen. „Die Idee des Reiches verblasste“, schreibt Stern17. Die Entwicklung war faktisch durch das System vorgezeichnet: Im Reich ein Wahlkaisertum mit Abhängigkeit von den Kurfürsten und Fürsten, in den Territorien Erbmonarchien mit Unabhängigkeit. Die Territorien werden souverän und absolut und dieser absolutistische Staat der Neuzeit, stellt Eisenhardt18 fest, war städtefeindlich. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, das letzte Reichsgrundgesetz, vollendete mit 41 Mediatisierungen den Niedergang der Städte. Am 6. August 1806 legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder, dankte als Franz II. ab und regierte als Franz I., Kaiser von Österreich, weiter.
„Das Ende des Reichs befreite die überlebenden, nunmehr souveränen Länder von den Fesseln der Reichsverfassung und leitete eine Periode sich überstürzender Reformen ein.“19 1809 erfolgte die Berufung Metternichs, unter dessen Regie der Wiener Kongress 1814/15 eine gebietliche Neugliederung Europas vollzog und der Deutsche Bund entstand, ein Staatenbund von 35 souveränen Fürsten und vier Freien Städten, nämlich Bremen, Hamburg, Lübeck und Frankfurt. Die übrigen der einst so stolzen Freien Reichsstädte wurden aus ihrer im Reich erworbenen Stellung gedrängt und unter Kuratel der Bundesstaaten gestellt.

1848 gescheitert, 1871 ignoriert
Der Absolutismus hatte die kommunale Selbstverwaltung fast erstickt. Die „Überspannung der Staatsvormundschaft“ hat andererseits zur Reaktion geführt und den Wunsch nach Selbstverwaltung belebt. In Preußen fanden die Städte im Reichsfreiherrn vom Stein mit der Städteordnung vom 19. November 1808 ihren großen Retter und Erneuerer. In Bayern mussten sie zunächst Graf Montgelas’ strengste staatliche Kuratel überstehen, um mit der Gemeindeordnung von 1818, wie auch in weiteren Bundesländern, in die Steinschen Reformvorstellungen einzumünden.
Industrielle Revolution, Bevölkerungsexplosion, Liberalisierung der Wirtschaftspolitik und Steins Wiederbelebung der Städte führten zu einem radikalen Wandel der Gesellschaft und zu einer starken Entfaltung der Wirtschaft in den Städten. Die Paulskirche 1848/49 wollte im Rahmen ihres Grundrechtskatalogs auch eine Garantie der kommunalen Selbstverwaltung verankern, aber „das Scheitern der Paulskirche legte das Schicksal des deutschen Volkes erneut in die Hände der Fürsten“20. 1871 schuf Bismarck ein neues Deutsches Reich, bestehend aus 22 Monarchien und den drei Freien Städten Bremen, Hamburg und Lübeck; Frankfurt war, wie auch das übrige Süddeutschland, schon beim Norddeutschen Bund 1867 durch Einspruch Napoleons III. ausgeschlossen worden. „Im Bismarckreich war nicht Preußen in Deutschland aufgegangen, sondern Deutschland unter Ausschluss Österreichs Preußen eingegliedert worden.“21 Von den Grundrechten und der kommunalen Selbstverwaltung nahm die Reichsverfassung von 1871 keine Notiz. Eine besondere Leistung dieser Zeit erbrachte Preußen mit der Miquelschen Steuer- und Finanzreform von 1891–1893. Sie brachte den Städten und Gemeinden eine gewisse Finanzautonomie, die bis in die unmittelbare Gegenwart wirkt.

Das 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert ging zunächst das zweite Kaiserreich nach Weltkrieg, Niederlage und politischer Revolution zu Ende. Das war kein guter Start für die Erste Republik und den ersten Versuch einer parlamentarischen Demokratie. Trotz Umbruch gelang es nicht, der „Wesensgleichheit der drei Stufen von Gemeinde, Einzelstaat und Reich“ gerecht zu werden und das Konzept von Prof. Hugo Preuß, wonach „allen drei Stufen, auch der Gemeinde, ein politisches Eigenrecht zukomme“, in der Verfassung zu verankern.22 Art. 127 der Weimarer Verfassung garantierte formal das Recht der Selbstverwaltung, jedoch nur innerhalb der Schranken des Gesetzes. Die Erzbergersche Finanzreform von 1920 trieb viele Städte in die Finanznot und hatte eine Krise der Selbstverwaltung zur Folge. Das Ende des Weimarer Systems führte über die „Präsidialdiktatur“ mittels Notverordnungen zur echten, brutalen Diktatur Hitlers, dessen Wahn zu Despotie und Verbrechen führte und dessen Führerprinzip Volk und Staat entmachtete. Die Hälfte der Zeit des „Dritten Reiches“ war wieder Krieg, der schließlich ins eigene Land zurückkehrte, total und katastrophal. Das Ende brachte auch im Bewusstsein der Niederlage ein Gefühl der Befreiung, vor allem in den Städten, die Opfer des Luftkrieges geworden waren und die die schwerste Zeit ihrer bisherigen Existenz hinter sich hatten.

Stunde null – Stunde der Gemeinden
Zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert beendete Deutschland einen Weltkrieg mit einer Niederlage, zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert fand in Deutschland ein radikaler Wandel der Staatsform sowie der politischen Struktur und der gesamten Gesellschaft statt. Reich und Länder verschwanden, Städte, Gemeinden und Kreise waren, vom Führerprinzip „gereinigt“, die einzige Stufe deutscher Verwaltung. Die Stunde null war die Stunde der Gemeinden. Diese Bewährung der kommunalen Selbstverwaltung wurde gekrönt durch den Wiederaufbau, den die Städte unter Einströmen von 13 Millionen Vertriebenen aus dem Osten in relativ kurzer Zeit bewältigten.
Die staatliche Neugestaltung begann mit der Wieder- oder Neugründung der Länder und wurde 1949 durch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland vollendet. Zu den Mitgliedern des Bundesrates gehören neben den Bundesstaaten die drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin; Lübeck hatte seinen Status 1937 verloren. Bis zum Jahr 2000 sind 46 Änderungen zum Grundgesetz verabschiedet worden. Nach dem derzeitigen Stand garantiert das Grundgesetz in Art. 28 die Gemeinde institutionell. Diese Gewährleistung gilt zwar ebenfalls (nur) im Rahmen der Gesetze, jedoch schützt Art. 28 Abs. 2 einen Kernbereich gemeindlicher Selbstverwaltung gegen jede gesetzliche Schmälerung. Auch im Grundgesetz von 1949 wird also den Städten und Gemeinden die volle Anerkennung als dritte Ebene vorenthalten.
Für die praktische Arbeit der Städte und Gemeinden ist neben dieser Verfassungsfrage noch wichtiger, wie sie an der Gesetzgebung und Verwaltung mitwirken können. Das erweist sich vor allem in der Verteilung der gemeinsamen Finanzmasse von Bund, Ländern und Gemeinden, bei der jede der drei öffentlichen Ebenen Partei ist. Sachstand ist, dass die Städte und Gemeinden keine Mitwirkungsrechte durch ein Verfassungsorgan (z. B. 3. Kammer oder Teilhabe am Bundesrat) haben. Jedoch wird in Bund und Ländern durch Einzelregelungen in einigen Aufgaben- und Gesetzesbereichen ansatzweise eine Mitwirkung praktiziert. Die sich häufenden unverschuldeten Finanzkrisen der Städte beweisen aber, dass sie noch unzulänglich ist. Mit großem Interesse verfolgen die deutschen Kommunen die derzeit geltende Regelung in Österreich. Dort sind nicht nur der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund in der Bundesverfassung verankert und damit als Vertragspartner des Bundes und der Länder anerkannt, es existiert auch ein Beteiligungsmodell zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
Bund und Länder sind nicht mehr das ganze Problem, wenn die Stellung der dritten Ebene untersucht wird. Hinzu kommt, und zwar zunehmend, die Europäische Union (EU). Mehr als 50% des deutschen Rechts hält man mittlerweile als EG-rechtlich determiniert. Die Bilanz dieses Problembereiches zeigt, dass der Schutz und die Stellung der Kommunen gegenüber der EU noch sehr schwach sind. Durch Einbeziehung des Prinzips der Subsidiarität in das Europarecht sind sie praktisch erst in der Entstehung, wobei die Ansätze aber bisher von den Bundesländern blockiert werden, wie die deutsche Besetzung des „EU-Ausschusses der Regionen“ zeigt.

Fußnoten:
1 Heinrich Mitteis ist 1952 verstorben. Seit der 3. Auflage erscheint das Buch unter Mitteis-Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, München, hier wird zitiert aus der 17. Aufl. 1985, S. 127.

2 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 118.

3 Thomas Martin, Die Städtepolitik Rudolfs von Habsburg, Göttingen 1976, S. 13.

4 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 268.

5 Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Köln 1954, S. 161.

6 Hans Planitz, aaO, S. 154.

7 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 121.

8 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 267.

9 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 70.

10 Martin, aaO, S. 45.

11 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 234.

12 Leopold von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Wien, Phaidon-Ausgabe, S. 296 ff.

13 Peter Blickle, Kommunalismus, Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, München 2000, Band 2, S. 359.

14 Wilhelm Ribhegge, Stadt und Nation in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Entstehung der Zivilgesellschaft aus der Tradition der Städte, Münster/NewYork/ München/Berlin 2002, S. 7.

15 Karl Meyer, Weltgeschichte im Überblick, Zürich 1959, S. 357.

16 Zitiert nach Günter Buchstab, Reichsstädte, Städtekurie und Westfälischer Friedenskongreß, Münster 1976, S. 7 ff.

17 Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V, Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 54.

18 Ulrich Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, München 1995, S. 287.

19 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 390.

20 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 419.

21 Mitteis-Lieberich, aaO, S. 425.

22 Hans Herzfeld, Demokratie und Selbstverwaltung in der Weimarer Epoche, Stuttgart/Köln 1957, S. 14 ff., S. 26.

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