Der Europäische und der Österreich-Konvent – Versuch eines Vergleichs

Der Europäische und der Österreich-Konvent – Versuch eines Vergleichs

Die Einsetzung des Österreich-Konvents war explizit inspiriert von der Tatsache, dass der Europäische Konvent nicht nur tagte, sondern entgegen den ursprünglichen Erwartungen ein Erfolg absehbar war. Die Konventmethode hatte sich auf europäischer Ebene zuvor auch schon bei der Erarbeitung der Europäischen Grundrechte-Charta bewährt.

 

Freiere Konventmethodik zur Überwindung verfahrener Ausgangssituationen
Mit dem Verlassen der jeweils rechtlich vorgegebenen Verfahren und dem Übergang zur freieren Konventmethode verband und verbindet sich in allen Fällen die Hoffnung, eingefahrene und verfahrene Ausgangssituationen zu überwinden und ein positives Resultat wahrscheinlicher zu machen. Der Umstand, dass die eigentlich vorgesehenen Verfahren für Verfassungsänderungen bzw. für die Revision der EU-Verträge damit nicht außer Kraft gesetzt, aber wirksam präjudiziert werden können, sorgt für zusätzliche Spannung und Dynamik. Ob dies letztendlich zu einem positiven Resultat führt, kann weder für den österreichischen noch den europäischen Prozess derzeit beurteilt werden.

Von Reforminteressierten und Systemverteidigern
Der entscheidende Vorzug der Konventmethode kann dann zum Tragen kommen, wenn die personelle Zusammensetzung so gewählt wird, dass die Anzahl der an echten Reformen Interessierten größer ist als jene der Systemverteidiger und dass viele mitgestalten können, die diese Chance im regulären Verfahren nicht hätten. Im Europäischen Konvent war Ersteres insofern in hohem Ausmaß gegeben, als der von den alten Verträgen ausgehende Leidensdruck so groß war, dass die Reformwilligkeit nicht nur bei den parlamentarischen Mitgliedern gegeben war, sondern auch bei den Vertretern der Regierungen.

Innovative und engagierte neue Mitgliedstaaten
Die ursprüngliche Befürchtung, dass sich die Konventmitglieder aus den neuen Mitgliedstaaten als Systemverteidiger positionieren, wurde von diesen schnell widerlegt. Eine weitaus überwiegende Anzahl von „Outsidern“ war durch den hohen Anteil von nationalen und europäischen Parlamentariern gewährleistet. Diese sind im normalen Verfahren zur Revision der Verträge praktisch ausgeschlossen und hatten daher alle Interesse, die einmalige Chance des Konvents zu nutzen. Im Österreich-Konvent gibt es zwar auch diese Mehrheit von „Outsidern“, sie kommen aber überwiegend aus dem Lager der Systemverteidiger, die wissenschaftlichen Mitglieder ausgenommen. Die parlamentarische Komponente ist im Vergleich zur Regierungskomponente (Bund, Länder) eher schwach und bei der Stellvertreterregelung benachteiligt.

Der Europäische Konventsgeist – unbelastet, aufmerksam und neugierig
Die meisten Mitglieder des Europäischen Konvents sind sich im Konvent zum ersten Mal begegnet. Das hatte den Nachteil, dass zu Beginn der Tagungen des Konvents ein sehr förmliches Klima herrschte. Die Vorteile, nämlich unbelastet, aufmerksam und neugierig aufeinander zugehen zu können, haben aber letztlich den viel beschworenen „Konventsgeist“ ausgemacht. In diesem Zusammenhang war es auch per Saldo positiv, dass der Präsident und die beiden Vizepräsidenten in höchsten Ämtern erfahrene, aber nicht mehr aktive Politiker waren. In einem so kleinen politischen Biotop wie Österreich ist diese Unbefangenheit nicht möglich, zu viele verbindet eine lange Beziehungsgeschichte; in aktiver politischer Funktion springt man auch nicht über den langen eigenen Schatten. Diese Beobachtung gilt auch für so manche akademische Vertreter.
Beiden Konventen ist gemeinsam, dass die Zusammensetzung geschlechts- und altersmäßig sehr einseitig ist.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Konvente
Die Aufträge beider Konvente sind durchaus sehr ähnlich, nämlich nach Möglichkeit ein einziges neues Verfassungs(vertrags)dokument vorzulegen, ebenso die vorgefundene Ausgangslage: eine unübersichtlich gewordene Vielzahl von Bestimmungen. Hier Abhilfe zu schaffen, ist dem Europäischen Konvent gelungen: sein Entwurf enthält insgesamt 456 Artikel, die anstelle der ca. 1.300 Artikel des derzeitigen EU-Primärrechts treten und zusätzlich die Europäische Grundrechte-Charta inkorporieren. Diesem eher technischen – wenn auch nicht einfachen – Auftrag gerecht zu werden, müsste als Mindestresultat wohl auch dem Österreich-Konvent gelingen. Ein Problem könnte es allerdings werden, dass in einigen Ausschüssen nicht neue Texte erstellt werden, sondern die geltenden gesichtet und überarbeitet werden. Im Europäischen Konvent ist sehr frühzeitig entschieden worden, ein komplett neues Dokument zu erarbeiten, das alle bisherigen ersetzen sollte und auch in Struktur und Systematik einen Neubeginn setzt. Ein erster Entwurf – das so genannte Skelett – wurde vom Präsidium etwa zur Halbzeit des Konvents vorgelegt.

65 Fragen und viel mehr Antworten ...
Für die inhaltlichen Reformen hatte es der Europäische Konvent insofern leichter, als bereits in seinem Mandat – die 65 Fragen des Gipfels von Laeken – Richtungen vorgegeben wurden. Gleiches galt auch für die Mandate der Arbeitsgruppen. Das Mandat hatte zwar auch Lücken und enthielt viele Fragen, an deren Beantwortung der Konvent auch scheitern hätte können, es überließ den Reformprozess aber nicht der kompletten Beliebigkeit.

... und zum österreichischen Mandat
Das Mandat des Österreich-Konvents ist wesentlich offener und gibt wenig konkrete oder widerspruchsfreie Vorgaben. Diese mangelnde politische Einigkeit kann dann im Konvent und seinen Ausschüssen nur teilweise überbrückt werden. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass die ersten Endberichte für die meisten Punkte Dissens und nicht Konsens feststellen.

Arbeitsweisen
Auch wenn die Mehrzahl der Ausschüsse die Endberichte erst noch vorlegen muss und ich insbesondere für den Grundrechteausschuss, dem ich angehöre, hoffe, dass er ein gutes und weitgehend konsensuales Ergebnis vorlegen kann, steht zu befürchten, dass insgesamt eine sehr große Anzahl von ungelösten Fragen an das Plenum des Konvents weitergereicht wird. Im Europäischen Konvent ist es hingegen in den meisten Arbeitsgruppen gelungen, konsensuale Lösungen vorzuschlagen. Dem Plenum und dem Präsidium blieben dann zwar die schwierigsten Fragen über – in diesem Fall die institutionellen –, die Lage war aber übersichtlich. Zusätzlich zu den günstigeren Ausgangsbedingungen – präziseres Mandat, allgemeiner Reformwille – war wohl auch die Kompromissbereitschaft bereits in der Ausschussphase eine größere. Der österreichische Verhandlungsstil – sich ja nicht zu früh auf etwas festzulegen und sich nichts zu vergeben – ist auch auf europäischer Ebene nicht unbekannt. Angesichts der Fülle zu lösender Fragen und der allgemein sehr konstruktiven Haltung der meisten Konventmitglieder waren aber alle bemüht, so viel als nur möglich schon in den Ausschüssen zu lösen. So konnte selbst der Vertreter des britischen Regierungschefs bereits relativ früh die rechtsverbindliche Aufnahme der Grundrechte-Charta und die einheitliche Rechtspersönlichkeit der Union akzeptieren. Es galt ohnehin nichts als akzeptiert, solange nicht Konsens zum Gesamtentwurf hergestellt war.
Diese unterschiedliche Lage muss aber nicht bedeuten, dass der Österreich-Konvent zu keinem Ergebnis kommt. Es wird hier allerdings letztendlich mehr von Parteiengesprächen hinter den Kulissen oder bestenfalls im Präsidium abhängen als von den Beratungen direkt im Konvent.
Spätestens hier enden die Möglichkeiten für einen Vergleich der beiden Konvente. Die inhaltlichen Fragen und die politischen Rahmenbedingungen sind zu unterschiedlich. Insbesondere für die Städte und Gemeinden steht im Österreich-Konvent wesentlich mehr auf dem Spiel. Da war es vergleichsweise leicht, im Europäischen Konvent die Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung und eine Rechtsgrundlage für die Daseinsvorsorge in der neuen Europäischen Verfassung durchzusetzen. Als Mitglied beider Konvente fällt mir weiters die unterschiedliche Herangehensweise an die Frage von Zielbestimmungen auf. Während es auf europäischer Ebene von vorneherein klar war, dass es einen Artikel mit den Zielen der Union geben muss und niemand einer reinen „Spielregelverfassung“ das Wort redete, gehört diese Frage zu den umstrittensten im Österreich-Konvent. Ich halte es für richtig, dass sich die Europäische Union damit nicht nur eine inhaltliche Ausrichtung gibt, sondern sich damit auch vor den europäischen Bürgern legitimiert. Mich verblüfft allerdings, dass der Nationalstaat noch immer glaubt, quasi zum Selbstzweck zu existieren und sich vor seinen Bürgern nicht inhaltlich rechtfertigen zu müssen.

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