Kommunale EDV-Landschaft im Zeichen von Verwaltungsreform und E-Government

Kommunale EDV-Landschaft im Zeichen von Verwaltungsreform und E-Government

Österreichs Städte und Gemeinden müssen eine Reihe von Anforderungen erfüllen – und dies in einer Zeit, in der immer mehr Aufgaben mit immer knapper werdenden Ressourcen zu bewältigen sind. Rahmenbedingungen wie die vielschichtige Verantwortungs- und Kompetenzstruktur, die komplexen Informationsflüsse, die unterschiedlichsten legistischen Vorgaben, das Föderalismusprinzip erfordern besondere Sorgfalt bei der Entwicklung hin zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen.

 

Das Projekt „Bregenz Modern“
Bregenz hat sich vor gut drei Jahren im Rahmen des Projekts „Bregenz Modern“ der Neu- und Umgestaltung der städtischen Verwaltung angenommen. Seit damals wird eine integrierte Entwicklung der städtischen Produkte, des Steuerungsmodells und der unterstützenden EDV-Lösungen verfolgt (siehe Grafik 1).
Neben der Verwaltungsreform ist vor allem die gesetzlich vorgeschriebene Einführung von E-Government in allen Verwaltungsbereichen treibende Kraft für die Entwicklung eines neuen kommunalen Softwaremodells. Im Rahmen der Einführung von E-Government müssen verschiedenste Interaktionsstufen für alle möglichen Geschäftsbereiche abgebildet werden (siehe Grafik 2).

- Einfache Infos (Worum geht es? Was ist erforderlich? Wohin wendet man sich?) in Bezug auf ein Verfahren (Information)

- Möglichkeit des Kontaktes mit Verwaltungsmitarbeitern, um spezifische Informationen zu erhalten (Kommunikation)

- Download und Upload von Formularen sowie Einsatz von Online-Formularen für die Antragstellung in Verfahren (Vertragsbildung)

- Abwicklung von Verfahren (Transaktion) inklusive erforderlicher Zwischeninteraktion, Leistungslieferung und Bezahlung

- Beschwerdemanagement, Dauerverfahren usw. (Nachsorge)

Für die neue Bregenzer IT-Landschaft (BITL) ergeben sich eine Reihe von fachlichen und technischen Herausforderungen wie die Nutzung von Kostenreduktionspotenzialen, die Aufhebung von alten und Vermeidung von neuen Medienbrüchen, die Optimierung und Standardisierung von Geschäftsprozessen, die Anpassung von rechtlichen Rahmenbedingungen, die Transparenz und Kundenorientierung, die Reduktion und Standardisierung von Schnittstellen, die Orientierung an bestehenden Standards, die Entwicklung von neuen offenen Standards, die Sicherstellung der Interoperabilität zwischen den einzelnen Systemteilen, die Reduktion des Wartungsaufwands, die Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Systemlieferanten etc.
Um den Anforderungen des neuen Steuerungsmodells einerseits und einem auf die Kundenbedürfnisse Rücksicht nehmenden und transaktional durchgängigen E-Governments andererseits gerecht zu werden, muss bei der Entwicklung eines modernen kommunalen EDV-Gesamtsystems folgenden Themenbereichen besonderes Augenmerk geschenkt werden:

1. Technologiegerechte Neugestaltung der Geschäftsprozesse

2. Serviceorientierte Architektur (SOA)

3. Mehrschicht-Architektur (Model-View-Controller, n-Tier)

4. Öffentliche Schnittstellen und Community-Prozesse

5. Open-Source-Software

Technologiegerechte Neugestaltung
der Geschäftsprozesse

Durch eine technologiegerechte Neugestaltung der Geschäftsprozesse sollen unter anderem Medienbrüche aufgezeigt und soweit möglich eliminiert, Aktenläufe optimiert und Durchlaufzeiten verringert werden. Auch oder gerade bereichsübergreifende Abläufe müssen automatisiert werden – der Workflow und die Regeln der Geschäftslogik ersetzen das System der Aktenläufe. Die Gestaltungshoheit muss dabei beim Prozessverantwortlichen bleiben und ihm lokale Variationen des Prozesses ermöglichen. Neue Abläufe müssen schnell und effektiv umgesetzt werden können. Methoden und Tools zur Geschäftsprozessmodellierung sollen Analyse, Dokumentation und Umsetzung unterstützen.
Die fachlichen Prozesse müssen sich anderer Module und Basiskomponenten (Signatur, Payment, Dokumentenmanagement, Archivierung etc.) standardisiert bedienen können (saubere Integration). Die vorhandenen Technologien und entwickelten Verfahren müssen für alle Geschäftsbereiche verfügbar sein (Wiederbenutzbarkeit). Die Verwendung von Highlevel-Programmgeneratoren, die Zurverfügungstellung von Baukästen und fertigen Modulen sollen eine effektive Implementierung des Gesamtsystems sicherstellen. Kleine ergebnisorientierte Teams entwickeln unter hoher Anwenderbeteiligung und kurzen Ausrollzyklen einzelne IT-Systemkomponenten (agile Entwicklungsprozesse). Ziel all dieser Maßnahmen ist die Entwicklung einer offenen, heterogenen IT-Architektur, die sich offener Schnittstellen und Standards bedient bzw. Grundlagen für offene Schnittstellen und Standards im kommunalen Bereich liefert.

Serviceorientierte Architektur
Eine serviceorientierte Architektur basiert auf dem Provider/Consumer-Modell und führt zu funktional abgeschlossenen Komponenten, welche über einen Request/Response-Mechanismus medienbruchsfrei und online miteinander kommunizieren. Mehrschichtige Anwendungen laufen als Dienste auf einem Server. Die Dienste sind permanent verfügbar und ermöglichen einen heterogenen Zugriff auf die Geschäftslogik über öffentliche Schnittstellen. Die Dienste können von Anwenderprogrammen oder anderen Diensten aufgerufen werden. Ein Dienst ist eine Menge von wohl definierten, eigenständigen Funktionen und nicht vom Kontext oder Zustand anderer Dienste abhängig (siehe Grafik 3).
Webservices werden 2004/2005 so weit entwickelt sein, dass sie als Punkt-zu-Punkt-Kommunikation im B2B-Bereich professionell eingesetzt werden können. Ab 2005 können dann komplexe öffentliche Webservices im Internet erwartet werden (Quelle: www.eai-forum.de, EAI im Wandel, Wertschöpfungsnetze durch kollaborative Geschäftsprozesse, Strategic Bulletin, April 2002).

Mehrschicht-Architektur
Unter einer Mehrschicht-Architektur versteht man ein Software-Modell, das eine klare Trennung von Anwendungslogik, Kontrollfluss und Präsentation verfolgt (die Geschäftslogik existiert nur einmal und kann mehrere Präsentationskanäle bedienen). Multi-Tier-Architekturen sehen weitere Abstraktionsebenen für das Datenbanksystem, die Middleware (Infrastrukturdienste) und die Kerndienste vor. EDV-Systeme, die sich an diesem Modell orientieren, helfen, Komplexität zu reduzieren, sind tendenziell wiederverwendbarer, unterstützen den Austausch einzelner Module und ermöglichen eine Ausweitung auf weitere Präsentationskanäle, ohne dass durch eine neuerliche Programmierung der Geschäftslogik unerwünschte Seiteneffekte entstehen (siehe Grafik 4).

Öffentliche Schnittstellen und
Community-Prozesse

In der Vergangenheit wurden Datenquellen aus unterschiedlichen Fachbereichen in einem so genannten Datawarehouse zusammengeführt. Für Webportale und andere Informationssysteme konnte so eine scheinbar integrierte Datensicht realisiert werden. Wenn diese Systeme auch Schreibzugriff brauchen, muss dieser über proprietäre Schnittstellen realisiert werden und bringt meist unerwünschte Seiteneffekte mit sich.
Eine Fokussierung auf wenige, standardisierte Schnittstellen für jeden Dienst (Application Program Interface – API) hilft, solche Probleme zu vermeiden. Ein API bietet eine wohldefinierte Sicht auf die Funktionen und Daten des Diensts. Ein Programm, das einen Dienst über dessen API nutzt, weiß, welche Aufgaben über welche Funktionen (Verhalten) mit welchen Parametern (Daten) welche Ergebnisse (Daten) liefern.
Die Bedeutung offener APIs im Rahmen der Bregenzer IT-Landschaft sind:

- Offene Benutzung: Implementierung (als Dienst) und Benutzung (als Client) stehen frei

- Offene Dokumentation: Veröffentlichung in Verzeichnissen (UDDI)

- Offene Entscheidungsfindungsprozesse

- Offener Wettbewerb: alternative Produkte (Skalierung, funktional)

- Offene Software: gegebenenfalls auch Open-Source-Module

- Offene Zukunft: wird hoffentlich zum Standard

Community-Prozesse haben ihrerseits wieder die Definition und Weiterentwicklung von APIs in einem größeren Gremium zum Ziel. Die Beteiligten (Kommunen, Betreiber und Lieferanten) entwickeln in gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozessen APIs zur freien Benutzung als Standards für die Anwendungslandschaft ihres Bereiches (zum Beispiel kommunale Verwaltung).
Das Ergebnis befindet sich im gemeinsamen Besitz des Konsortiums. Alle APIs gemeinsam bilden ein Modell der Systemlandschaft, ihrer Funktionen und Abhängigkeiten und der dabei benutzten Datenstrukturen.

Open-Source-Software
Offene Standards bewirken offene Entscheidungsprozesse, offene Implementierungen und offene Benutzung. Durch offene Standards entsteht auch Open-Source-Software (OSS). Wo Standards verwendet werden, stehen in der kommunalen Anwendungslandschaft bereits heute OSS-Optionen bzw. freie Lizenzen zur Verfügung und werden auch verwendet (httpd: Apache WebServer, J2EE MiddleWare: jBoss, Datenbanken: MySQL, PostgreSQL, SapDB, Content-Management im Web: OpenCMS). So sind zum Beispiel die MOA-Module (ID, SP, SS) des IKT-Boards (E-Government-Stabsstelle des Bundeskanzleramtes) zwar nicht „open source“, aber frei zugänglich für die öffentliche Verwaltung.
Wer sich aus der OSS-Welt bedient, der kann auch etwas dazu beitragen – etwa über Bünde und Interessenvertretungen, aber auch durch Teilnahme an Entscheidungs- und Standardisierungsprozessen oder Test-Runden, durch Sponsoring oder Kostenübernahme, durch User-to-User-Support, aber auch durch Lobbying.
Open-Source-Software ist nicht in jedem Fall die beste Wahl, aber oft eine vollwertige Option. Generische Dienste und Komponenten (wieder Standards!) haben eine große Anwenderschaft und werden als stabile, gut getestete und standard-konforme Pakete angeboten.
Durch Beachtung und Verwendung der oben angeführten Richtlinien und Modelle erwarten wir in absehbarer Zeit, sowohl dem NPM-Ansatz gerecht zu werden als auch die Anforderungen aus E-Government umfassend und nachhaltig erfüllen zu können.

Fehlende Grafiken finden Sie in der ÖGZ 5/04.

OEGZ

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