Kunst in den Medien oder: Der Spektakelmarkt

Kunst in den Medien oder: Der Spektakelmarkt

„Der Kopfstand der Ökonomie lässt die Seele nicht ungerührt“ (Georg Franck). Dies gilt insbesondere auch für den Umgang der Massenmedien mit der Kunst. Deren tatsächlicher Stellenwert wird nicht durch die Anzahl der Kulturseiten in den Zeitungen bestimmt, sondern vielmehr durch die inhaltliche Darstellung, durch die Rhetorik der Repräsentation. Allgemein vorherrschend ist das Spektakelformat.

 

Kunstberichterstattung
Charles Baudelaire hat einmal gemeint: „Jede Zeitung, von der ersten bis zur letzten Zeile, ist nichts als [...] ein Rausch von allgemeiner Scheußlichkeit. Und mit diesem ekelhaften Aperitivum begleitet der zivilisierte Mensch tagaus, tagein seinen Morgenimbiss.“ Nun, dieses Aperitivum kennen wir alle, wie immer wir es einschätzen mögen, aus eigener Erfahrung. Und man kann die Sache leicht hochrechnen: von der Baudelaire’schen Zeitung bis herauf zum zeitgenössischen Internet, das in einem gewissen Sinn das multi- und transmediale Medium schlechthin ist.
Welche Rolle also spielt die Kunst in jenem Aperitivum, von dem Baudelaire gesprochen hat? Welchen Stellenwert hat sie, die Kunst, in diesem Gebräu? Möglicherweise ist diese Frage bereits ein falscher oder zumindest wenig interessanter Ausgangspunkt. Müsste man nicht eher fragen: In welcher Weise transportieren und transformieren die Massenmedien das Medium Kunst? Was machen sie aus Kunst? Der Stellenwert als solcher könnte leicht als Frage der Quantität verstanden respektive missverstanden werden. Demnach würde beispielsweise viel Kunstberichterstattung einen hohen, wenig Kunstberichterstattung dagegen einen geringen Stellenwert indizieren. Kunst hätte somit in Ö1, übrigens einem der hervorragendsten Sender, den ich kenne, einen sehr hohen Stellenwert, bei Ö3 verhielte es sich genau umgekehrt. So könnte man die Massenmedien der Reihe nach statistisch durchforsten und käme sehr rasch zu einem Stellenwert-Ranking.
Einer qualitativen Stellenwertanalyse, wenn man sie denn so nennen möchte, müsste es im Unterschied dazu primär um die Art und Weise der Vermittlung von Kunst gehen. Es interessiert mich in der Tat entschieden weniger, ob nun „Die Presse“ oder „Der Standard“ der Kunst einen höheren Stellenwert – in Form der Anzahl der wöchentlichen Kulturseiten – einräumt als die Frage, wie sie mit Kunst umgehen, was mit Kunst auf diesen Kulturseiten passiert.

Repräsentationsrhetorik
Nachdem in den Massenmedien das Spektakelformat vorherrschend ist, haben die Spektakelkünste (und sämtliche Unterarten) natürlich die besten Chancen, zumindest temporär den höchsten Warenwert und damit die größte Breitenwirkung zu erreichen. Um eine gewisse Kompatibilität zu erreichen, das heißt: um „Bestseller“-gerecht zu werden, muss das Kunstwerk selbst – oder zumindest die „Figur“ des Künstlers – in irgendeiner Form, etwa der der Inszenierung, die Repräsentationsrhetorik der Massenmedien aufnehmen, eine Art Mimikry betreiben. „Der verbindliche Stil unserer Epoche ist eine Medienästhetik, weil alles, was öffentliche Geltung gewinnen will, entweder durch die Medien hindurch muss oder in der Konkurrenz mit der Attraktionskraft der Medien bestehen muss“ (Georg Franck).
Umgekehrt: Da der massenmediale „Quotendruck“ ständig steigt, sind allerdings auch so genannte seriöse, hochqualitative Massenmedien mehr oder weniger gezwungen, entsprechende Adaptionen des „Formats“ vorzunehmen. Das heißt: um mithalten zu können, müssen sie ihre „Repräsentationsrhetorik“ quasi nivellieren, müssen Erlebnismanagement betreiben. Das „Format“, wie man heute sagen würde, muss stimmen. Rezipiert wird, was im allgemeinen Lärm der ständig überdrehten Geräuschkulisse noch mehr Lärm zu machen imstande ist. Das Supermedium Massenmedium feiert sich selbst, es genügt seinen Bedingungen der Repräsentation, und diese Bedingungen sind die der Quote, die an der statistisch erhebbaren Zuhörer- respektive Zuseherzahl gemessen wird.
Mit anderen Worten: Die Massenmedien sind keine Swimmingpools mit klarem Wasser, aus denen man herauskommt, wie man hineingeht – wenn man überhaupt hineingelassen wird. Und weiter: In welcher „Form“ wird man überhaupt hineingelassen, welche spezifischen Filter, Hürden, Deformatoren sind zu passieren? Für welchen Türsteher oder Schwimmwart muss man welches Rouge auflegen? In welcher Form, unter welchen Bedingungen wird Kunst in diesem, mit Baudelaire zu sprechen, Aperitivum allgemeiner Scheußlichkeit „repräsentiert“? Die Rhetorik der Repräsentation und nicht die Quantität, die nackte Zahl der Repräsentationen, scheint mir der tatsächliche Gradmesser für den so genannten Stellenwert von Kunst in den Medien.
Niklas Luhmann hat einmal gemeint: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Unabhängig von der in diesem Satz mitschwingenden, vielleicht etwas schrägen Polemik weist er auf einen gravierenden Sachverhalt, auf ein Gefälle hin: unser Bild von der Welt beziehen wir im Wesentlichen nicht aus der eigenen Erfahrung, den Bildern von Kunst, Technik usw., sondern aus deren Bild, deren Repräsentation in den Massenmedien. Das würde aber auch heißen, wir machen uns ein Bild von der Kunst, der Literatur, zumindest über weite Strecken, nicht aus eigener Anschauung, sondern nach dem Bild der technisch starken, der schnellen Medien. Unser Bild von Welt, von Kunst und Literatur ist also eines der massenmedialen Filterung und Repräsentation. Anderes kommt – zumindest in medienpessimistischer Variante – nicht mehr vor, gerät gar nicht erst in unseren Blick.

Waldwege und Lähmung
Martin Heidegger schrieb 1954 in seiner herausragenden Analyse zur Frage der Technik: „Der Forstwart, der im Wald das geschlagene Holz vermisst und dem Anschein nach wie sein Großvater in der gleichen Weise dieselben Waldwege begeht, ist heute von der Holzverwertungsindustrie bestellt, ob er es weiß oder nicht. Er ist in die Bestellbarkeit von Zellulose bestellt, die ihrerseits durch den Bedarf an Papier herausgefordert ist, das den Zeitungen und illustrierten Magazinen zugestellt wird. Diese aber stellen die öffentliche Meinung daraufhin, das Gedruckte zu verschlingen, um für eine bestellte Meinungsherrichtung bestellbar zu werden.“
Das kausale Prinzip (der Forstwart, mit seiner Erinnerung an den Großvater) wird in der heideggerischen Denkfigur zwangsläufig zugunsten eines teleologischen Prinzips deklassiert. Teleologisches Ziel ist die „bestellte Meinungsherrichtung“: das ist der mutmaßliche Konsument, und dieser ist der abstrakte Geldfluss, oder wie man heutzutage sagen/fragen würde: „Wie sieht es mit dem ‚shareholder-value‘ aus?“
Man muss davon ausgehen, dass jedes Medium ab einem bestimmten Grad seiner historischen Entwicklung selbstreflexiv wird, das heißt die spezifisch medialen Bedingungen, die für ein spezifisches Medium konstitutiven Gesetze, zu reflektieren beginnt. Nun sind die medialen Bedingungen des Mediums Kunst – so könnte man mutmaßen – andere als die der Massenmedien. Während die schnellen Medien, das heißt die Massenmedien, auf schnelle Quote eingestellt sind, redet man im Zusammenhang mit der Kunst lieber von Nachhaltigkeit, von Longsellertum. Nachhaltigkeit, das Wort entstammt dem Jargon der Massenmedien, meint zum Beispiel: Auch wenn Egon Schiele nicht der Star der ersten fünfzehn Jahre dieses Jahrhunderts gewesen ist, auf Dauer rentiert er sich. Aber er rentiert sich erst ab dem Augenblick, ab dem er sich zum Star machen lässt.
„Kunst in den Massenmedien“, Kunst also in jenen forcierten, beschleunigten Medien, von Heideggers „illustrierten Magazinen“ bis zum transmedialen Internet, ähnelt in gewisser Weise jenem Forstwart, dessen „Vermessung“ letztendlich und, ohne dass er es ahnen würde, von „einer bestellten Meinungsherrichtung bestellt ist“. Der Forstwart, der Künstler, träumt von seinem Großvater, während er schon längst von seinem Verleger, Galeristen, Produzenten, von der Erlebnisgesellschaft, von den Massenmedien „bestellt“ ist.
Das klingt ziemlich nach Verschwörungstheorie, nach den großen Maschinisten, den Puppenspielern im Hintergrund. Könnte man, mit Heidegger, noch einen Gott, ein Seinsgeschick unterstellen, so hat der postmoderne Künstler spätestens seit Warhol seinen eigenen Gott, seine eigene Strategie entwickelt: „Mach die Medien, die Massenmedien, zu deiner Kunst, zu deinem Seinsgeschick!“
Abschließend erlaube ich mir, Guy Debord zu zitieren, den Hauptakteur der SI, der Situationistischen Internationale in den 60er Jahren: „Das Spektakel, als gegenwärtige gesellschaftliche Organisation der Lähmung von Geschichte und Gedächtnis, des Verzichts auf die Geschichte, der auf der Grundlage der geschichtlichen Zeit fußt, ist das falsche Bewusstsein der Zeit.“ Ich bin mir nicht sicher, ob Debord Recht behalten wird. Das „falsche Bewusstsein“ hat Konjunktur, und was gestern „falsch“ war, hat heute Recht. Vielleicht ist es das „falsche Bewusstsein der Zeit“, das die Zeit machen und damit die Bedingungen für die Zukunft festlegen wird.

OEGZ

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