Architektur im Spannungsfeld

Architektur im Spannungsfeld

Die tägliche Auseinandersetzung mit der städtischen Architektur ist für die Mitarbeiter einer Bauverwaltung eine interessante und reizvolle Aufgabe. Mehr und mehr geraten sie aber in das Spannungsfeld zwischen persönlichen Bedürfnissen, vorausschauender Planung und Selbstverwirklichung einerseits und Politik sowie Verordnungen andererseits.

 

Verantwortung zeigen oder dem aktuellen Trend nachgeben
Für viele Sachbearbeiter, die sich hierzulande im öffentlichen Dienst mit Planung und Bau beschäftigen, ist die Arbeitswelt zweigeteilt. Intensive Architekturstudien und einige Jahre Berufserfahrung liegen hinter ihnen und vor ihnen das Baurecht samt einschlägigen ergänzenden Gesetzen und Verordnungen. Architektur gerät in einen neuen Zusammenhang, in ein weites Spannungsfeld, wie es sich bald herausstellt – ein Spannungsfeld irgendwo zwischen Verantwortung und Modeströmungen.
Die Mitarbeiter im städtischen Bauamt üben täglich die reizvolle Aufgabe aus, sich mit der Architektur oder, anders gesagt, dem „Bauen“ in der Stadt zu befassen. Als Sachverständige im Bereich Orts- und Landschaftsbild befinden sie bei jeder Bauanfrage, bei jedem Bauantrag oft mehrmals täglich darüber, inwiefern sich die gegenständlichen Bauwerke – seien es Neu-, Um- oder Zubauten – hinsichtlich Größe, Form, Farbe und Baustoffen in ihre Umgebung einfügen oder ob sie auf eine andere Art ihrer Umgebung gerecht werden. Sie beurteilen die Charakteristik des Orts- oder Landschaftsteiles, in dem die Anlage errichtet werden soll, und nehmen dabei Rücksicht auf die erhaltenswerten Sichtbeziehungen mit anderen Orts- oder Landschaftsteilen. Immer wieder überprü-
fen sie mit Lokalaugenscheinen oder forschen auch in den Archiven nach, ob kulturhistorisch oder architektonisch wertvolle Bauwerke die Umgebung prägen. In manchen Gemeinden gibt es Gestaltungsbeiräte, Bregenz geht den konventionellen Weg (Amt – Bauausschuss – Stadtrat).

Bedürfnisse so vielfältig wie die Menschen
So haben es die Mitarbeiter mit den unterschiedlichsten Projekten zu tun – von ganzen Wohnanlagen oder Verwaltungsbauten bis hin zu Carports, von kubischen, modernen Gebäudezuschnitten über Fertigteilhäuser bis zu organischen Ausformulierungen, von Fassadenfärbelungen über das Anbringen von Werbeanlagen, Antennen oder Satellitenschüsseln bis zu Mobilfunkanlagen und weiteren telekommunikationstechnischen Anlagen, von provisorischen, von Heimwerkern errichteten Konstruktionen bis hin zu experimentellen Wohnbauten und ungewöhnlichen Baumaterialien.
Vielerlei Beweggründe führen zu den Anliegen und Anträgen aus den Reihen der Bürger. Hier gilt es stets, die Interessen abzuwägen: Auf der einen Seite stehen die persönlichen Bedürfnisse der Bauherren nach Einsichtschutz, zur Schaffung von Wohnraum, der Wunsch nach mehr Licht, nach einem überdachten Autoabstellplatz, einem Schwimmbad im Garten. So befassen sie sich mit Zäunen, Garten- und Gerätehäuschen, Dachflächenfenstern und Dachbodenausbauten, Garagen und Schwimmbecken.
Hierbei schweben den Bauherren oft Bilder aus Zeitschriften oder – schlimmer noch – aus Prospekten von Baumärkten vor. Auch erhalten die Bürger in Beratungen wertvolle Hinweise zu verschiedenen Themen wie Förderungen oder alternative Energienutzung.

My home is (not) my castle
Oft muss der Mitarbeiter im Bauamt den Bauherren zusätzlich zu gestalterischen Anmerkungen über die Vorschriften in Verordnungen aufklären, die vor allem im Bereich der Flächenwidmung, der Regelung für die Baueingabe, der Bauabstände oder der Stellplätze beachtet werden müssen. Der Ausspruch „My home is my castle“ oder auch „Mein Grundstück gehört immer noch mir, und da kann ich machen, was ich will“ kann hier weder im Gesetzesbereich noch im Bereich der Gestaltung Anwendung finden, obwohl die Vielfalt in der kleinräumigen Nutzung durchaus gefördert wird.
Auch die Nachverdichtung, der haushälterische und sparsame Umgang mit Grund und Boden, dem unvermehrbaren Gut, wird in diesem Zusammenhang immer wieder fachlich thematisiert und diskutiert.
Aber leider wird auf der anderen Seite von den Bauherren und ihren Planern, wenn es welche gibt, bei all ihren großen und kleinen Projekten zumeist nur das eigene Interesse, der eigene Vorteil gesehen. Ein globales Denken in Richtung Städtebau und Stadtgestaltung lässt sich meist nicht erkennen. Der persönliche wirtschaftliche Vorteil mag Beweggrund sein, ebenso wie die Kosten und vor allem der Geschmack, über den es sich ja bekanntlich streiten lässt.

Rechtfertigen
Innovation und Verkaufsdruck alles?
Besonders schwierig wird die Sachlage, wenn Architekten, Künstler oder Freiberufler in ihren Werken Selbstverwirklichung leben wollen. „Innovative Lösungen unter Fortentwicklung der vorhandenen Gestaltungselemente“ sollen zwar gemäß Baugesetz zulässig sein, vielleicht sogar gefördert werden.
Aber bedeutet das gleichzeitig das Umsetzen ausgefallenster Ideen? Wo liegt sie, die schmale Grenze, zwischen Auffallen um jeden Preis, das meistens zulasten der Nachbarschaft geht und nicht befürwortet werden kann, und der vorgenannten Innovation?
Bauträger spielen in dieser Liga ebenfalls mit. In Zeiten des schnelllebigen Verkaufes muss manches Mal mittels Effekten die Aufmerksamkeit der werten Käuferschar erhascht werden, denn auch die zahlreichen Wohnungen unter den begehrten Penthouses mit riesigen Dachterrassen sollten an den Mann und die Frau gebracht werden, sonst wäre ja kein Geschäft zu machen.
Und während „unten“ bei den Bürgern der private Kleinkrieg mittels übermannshoher und bewilligungsfreier Einfriedungselemente tobt, wollen „die da oben“ alle hoch hinaus, immer noch höher, um über die anderen Gebäude hinweg sehen zu können.
Der Quadratmeterpreis spielt dabei keine Rolle, Aussicht und Exklusivität sind alles. Ein Gedanke an den Städtebau wird nicht verschwendet. Der eigene Vorteil soll voll ausgenutzt werden.

Und dann wäre da noch die Politik
Wenn sich seitens des Amtes fachliche Bedenken regen, wenn Zweifel an der Funktion, der Ausformulierung, des Volumens, der Nutzung geäußert werden, wenn Themen wie die städtebauliche Entwicklung oder gar globales Denken auf den Tisch kommen, kann dem politisch gebildeten Bauwerber auch hin und wieder die Kenntnis der Gesetzeslage hilfreich sein, da er genau weiß, auf welche Art und Weise Entscheidungen herbeigeführt werden und wer schließlich die Zustimmungen erteilt.
Mit seinem persönlichen und täglichen Engagement um städtische Qualität, die überall spürbar sein soll, mit seinem Bemühen um Lebensqualität für jeden einzelnen Bürger, mit seinem Streben nach guter Architektur und – aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit – mit dem Wissen, dem Überblick und der Vorausschau über die städtische Entwicklung fühlt sich der Mitarbeiter dann oft einsam, verlassen und unverstanden.
Oft bleibt in solchen Fällen nur ein kleiner Trost, nämlich dass das nächste Bauansuchen wieder ein Verbesserungspotential in sich birgt, das wir als engagierte und erfahrene Planer in einem persönlichen Beratungsgespräch dem glücklichen und aufgeschlossenen Bauherrn vermitteln können.

OEGZ

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