Gruß des Staatsoberhauptes

Gruß des Staatsoberhauptes

Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe Bundespräsident Dr. Thomas Klestil

 

„Meine Damen und Herren!
In sechs Wochen werde ich gemäß unserer Bundesverfassung als Bundespräsident aus dem Amt scheiden und die Amtsgeschäfte meinem Nachfolger übergeben.
Nun hat sich vieles, sehr vieles in den zwölf Jahren meiner Amtszeit verändert: Österreich wurde Mitglied der Europäischen Union. Unsere Nachbarn sind vollberechtigte Partner geworden. Der Kalte Krieg gehört definitiv der Vergangenheit an, aber die Welt ist leider nicht sicherer geworden. Die Globalisierung der Märkte stellt Industriestaaten wie Österreich weiterhin und zusätzlich vor große Probleme, dennoch hat unser Land seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigern und den Export ausweiten können, andererseits haben sich Strukturprobleme als hartnäckig erwiesen. Eine Reform unserer Bundesverfassung ist in Diskussion, konkrete Änderungen, wie sie auch der Städtetag seit vielen Jahren fordert, stehen noch aus.
In diesen Jahren habe ich elfmal die Städtetage besucht und ebenso oft die Gemeindevertretertage, denn es war mir immer ein echtes Bedürfnis, vor allem vier Gesichtspunkte bewusst zu machen:
Zum Einen, dass die Städte und Gemeinden tragende Elemente des Föderalismus sind, zu dem ich mich stets vorbehaltlos bekannt habe;
zum Zweiten, dass die Arbeit der Kommunalverwaltungen für unsere moderne Zivilisation unverzichtbar ist, und das nicht nur im Hinblick auf das Zusammenleben, sondern auch auf das Überleben. Sie, meine Damen und Herren, sind es auch, die für die Bürger am direktesten das demokratische Prinzip verkörpern durch konkrete Überschaubarkeit, durch unmittelbaren Kontakt, durch persönliche Verantwortlichkeit. Je komplexer und abstrakter sonst die Probleme der großen politischen Einheiten sind, desto direkter erlebt der Bürger die Demokratie zu Hause, in den Gemeinden.
Weiters war es mir immer ein Bedürfnis, Ihnen, den Mandataren in den Stadt- und Gemeindeverwaltungen, ein ehrliches Danke zu sagen. Sie sind es, die sich jahrein, jahraus mit den angeblich kleinen Sorgen der Bürger vor der Haustür auseinander zu setzen haben, aber dadurch sind Sie auch die wichtigste politische Instanz der Hilfe vor Ort.
Und schließlich sind die Kommunen auch Schulen der Demokratie. Erst wenn sich Jungpolitiker in der Gemeindepolitik bewährt haben, sollten sie für die Landes- oder Bundespolitik reif sein. Vielleicht hätte man sich so manche personalpolitische Enttäuschung erspart.
Meine Damen und Herren! Ich habe von den hinter uns liegenden Jahren gesprochen, und aus meiner Sicht meine ich, dass man eine sehr positive Bilanz ziehen kann, was die Entwicklung unserer Städte betrifft, denn sie sind summa summarum mit den anstehenden Problemen der letzten Jahre recht gut zurechtgekommen. Der Prozess der Urbanisierung ist in Österreich kontrolliert weitergegangen, und die Lebensqualität unserer Städte hat sich weiter verbessert. Die Wohnbauleistung hat eine erhöhte Wohnqualität bewirkt, die Infrastruktur hat sich trotz rapider Verkehrszunahmen generell verbessert. Was die Entsorgung betrifft, können wir auf technologisch ausgereifte Systeme zurückgreifen, um die uns viele, die aus der ganzen Welt gerade auch deshalb zu uns zu Besuch kommen, beneiden. Und das kommunale Schul- und Spitalswesen Österreichs – ich sage das gerade jetzt, weil es wieder Diskussionen gibt – gehört zu den besten der Welt, wie objektive Untersuchungen gezeigt und ergeben haben – aller Selbstkritik zum Trotz.
Ich sage das nun nicht, um schönzufärben, denn ich weiß sehr wohl, in welcher prekären Situation sich die Finanzen einiger unserer Städte befinden, und ich habe auch Verständnis für die Kernanliegen, die der Städtebund an den Verfassungskonvent heranträgt, nämlich abgesicherte Kompetenzen dafür zu erhalten, wofür man auch verantwortlich ist. Und es ist richtig: Dienstleistungen, die unsere Städte erbringen, können nicht dem freien Spiel des Marktes überlassen werden.
Es wurde heute schon gesagt, und ich wiederhole es ganz bewusst aus Überzeugung: Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe, weil die zentralen Anliegen des Bürgers nicht allein dem Markt, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, unterworfen werden dürfen.
All das sind Probleme, die mit gutem Willen langfristig zu lösen sind und die klein sind im Vergleich zu den Riesensorgen, die die Städte in unserer Nachbarschaft haben. Der Kommunismus hat durch Ideologisierung und Bürokratisierung überwiegend völlig kaputte Strukturen hinterlassen, und es wird noch viel Zeit und Geld nötig sein, die großartigen Stadtlandschaften an der Donau, der Moldau, der Save zu sanieren.
Umso mehr freue ich mich, dass der Österreichische Städtebund seit nunmehr 15 Jahren Erfahrungen zur Verfügung stellt – nicht besserwisserisch, sondern partnerschaftlich und freundschaftlich. Und wenn ich lese, dass rund 1.000 gemeinsame Projekte durchgeführt wurden und rund 3.000 Kommunalpolitiker aus den Reformstaaten sowie nicht weniger als 18.000 Experten von den Städtebund-Angeboten Gebrauch gemacht haben, dann danke ich Ihnen voll Stolz im Namen der Republik und im eigenen Namen für diese außergewöhnliche Solidarität, und ich bin sicher, dass Ihre Bemühungen auch bei unseren Nachbarn dankbare Anerkennung gefunden haben.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich persönlich in den letzten Jahren stark für eine mittel- und osteuropäische Zusammenarbeit engagiert, und ich werde auch in wenigen Stunden zu meinem letzten Gipfeltreffen nach Rumänien aufbrechen, an dem 17 Staatspräsidenten teilnehmen werden. Das neue Europa ist heute eine Friedens-, eine Schicksalsgemeinschaft von Staaten, Regionen und Städten, und so ist es auch von Bedeutung, dass der Rat der Gemeinden und Regionen Europas, dessen Vorsitzender derzeit Valery Giscard d’Estaing ist, immer mehr an Bedeutung innerhalb der EU gewinnt.
Ich freue mich, dass gerade dort und weit über unsere Grenzen hinaus die Arbeit des Österreichischen Städtebundes unter Präsident Michael Häupl besondere Würdigung erfährt, und es sollte uns nicht erstaunen, wenn viele in Europa in der Person des Wiener Bürgermeisters einen neuen Präsidenten des Rates der Gemeinden und Regionen sehen. Ich würde mich über eine solche Entscheidung außerordentlich freuen, und ich gehe davon aus, dass dies auch für Sie alle, meine Damen und Herren, gilt.
Ich möchte Sie alle in diesem Zusammenhang dazu ermutigen, Ihre Anstrengungen für unsere Freunde in den neuen Demokratien im bisherigen Sinne fortzusetzen, ihnen mit Rat und Tat weiterhin zu helfen. Wenn wir dies heute tun, wird es auch morgen nicht zu unserem Schaden sein.
Es gibt Städteplaner und Soziologen, die vom angeblichen Verschwinden der europäischen Stadt in der Zukunft sprechen. Ich meine, das wird nicht der Fall sein. Im Gegenteil! Unsere europäischen Städte lassen ihre Einwohner weder in grauen Betonwüsten allein noch in menschenunwürdigen Slums. Die Lösung von Problemen kann daher auch nicht in der Demontage des sozialen Netzes liegen. Was wir anstreben, ist die souveräne Gemeinschaft freier Bürger in der Polis, die miteinander kommunizieren, deren Kultur- und Freizeitangebot durch Vielfalt und Lebensfreude gekennzeichnet ist. Erst die – auch historisch – an den Bedürfnissen der Menschen orientierte europäische Stadt sichert Freiheit und Autonomie, schafft Wohlstand wie Eigentum.
Meine Damen und Herren! Ich habe nicht vor, mit diesen Bemerkungen das große Arbeitsprogramm dieses Städtetages auszuweiten, aber ich möchte Sie herzlich bitten, immer daran zu denken, dass sich zukunftsorientierte Politik zwar auf das Dringliche, Heutige, heute Wichtige konzentrieren muss, dass wir aber die große Vision, den weiten Horizont nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Wer immer politisch aktiv ist, fällt Entscheidungen, die nicht nur die unmittelbar Betroffenen und die Zeitgenossen angehen, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder von Bedeutung sind. Auch das muss uns allen immer wieder bewusst sein.
So danke ich Ihnen allen, meine Damen und Herren, für die gute Zusammenarbeit in all diesen Jahren. Sie haben mir auf den Städtetagen stets einen freundlichen Empfang bereitet. Ich danke Ihnen auch für das Vertrauen, das Sie und so viele Mitbürger mir über Jahre hinweg bewiesen haben.
Ich habe mich ehrlich bemüht, mein Bestes zu geben, wünsche Ihnen allen viel Erfolg auch für die Zukunft, für unsere Städte und Gemeinden, für die Menschen unseres Landes.“

Die Tagungsteilnehmer erheben sich von ihren Plätzen und spenden lang anhaltenden Beifall. – Sodann wird Bundespräsident Dr. Klestil von Präsident Bürgermeister Dr. Häupl aus dem Saal geleitet.

OEGZ

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