Das Märchen von der „Beamtenrepublik“ Österreich

Das Märchen von der „Beamtenrepublik“ Österreich

Warum Österreich schon lange keine Beamtenrepublik mehr ist, warum wir hierzulande mit weniger Mitteleinsatz im Gesundheitsbereich länger leben als etwa in den USA, warum die PISA-Studie selbst ungenügend konzipiert ist und warum es insgesamt gesehen nicht intelligent ist, dem öffentlichen Dienst auf Dauer die dringend notwendigen Mittel vorzuenthalten. Eine hintergründige Analyse von Univ.-Prof. Dr. Herbert Walther.

 

Im Zentrum politischer Diskussionen der jüngsten Zeit (von der Pensionsreform bis zu PISA, von der Gesundheitsreform bis zum Österreichischen Verfassungskonvent) stehen Fragen nach der zukünftigen Rolle des öffentlichen Sektors.

- Ist der öffentliche Sektor in Österreich zu groß? Entzieht er dem privaten Sektor zu viele Ressourcen? Wird in Österreichs öffentlichem Sektor besonders „ineffizient“ gewirtschaftet? Gefährdet die hohe Steuerquote den Standort Österreich?

- Sind Sonderformen des Arbeitsrechtes im öffentlichen Sektor (Stichwort „Pragmatisierung“, Senioritäts- und Pensionsrechte) eine Ursache dieser Ineffizienzen und obsolet? Ist die „Beamtenrepublik“ schuld an der hohen Steuerlast?

- Welche Möglichkeiten gibt es, die Steuerquote zu senken? Und wenn es diese Möglichkeiten gibt, weshalb werden sie nicht energischer genützt?

Diese und ähnliche Fragen werden häufig aus ideologischen Grundsatzpositionen heraus plakativ diskutiert („Weniger Staat, mehr Markt“), ohne dass man sich in seriöser Weise zunächst mit der trockenen Faktenlage beschäftigt.

Von der Missachtung der komplexen Wirklichkeit
Sofern Statistiken überhaupt argumentative Verwendung finden, werden sie gebogen, dass sich die Balken biegen. Die komplexe Wirklichkeit, der unverbesserliche Feind ideologischer „Wahrheiten“, wird schlicht ignoriert. Wie jede radikale Ideologie arbeitet die Staatskritik der „Marktfundamentalisten“, welche zur Zeit in den Medien Hochkonjunktur hat, mit Feindbildern („die überbordende Bürokratie“), grotesk überzogenen Versprechungen, aber auch mit unverblümter Angstmache: wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, dem droht der endgültige wirtschaftliche Niedergang. Auf dem Weg ins liberale Utopia der unbegrenzten Freiheit und wirtschaftlichen Dynamik müssen wir natürlich zuallererst die in den Untiefen der „Bürokratie“ verborgenen, von einer Beamtenmafia gehüteten Schätze heben, auf dass uns schmerzliche Anpassungen (zum Beispiel aufgrund demographischer Zusatzkosten im Gesundheitswesen oder bei den Pensionen oder bei den Agrarsubventionen) erspart bleiben …
Betrachtet man die Struktur der gesamten Staatsausgaben (aller Gebietskörperschaften und der Sozialversicherungsträger), so entfallen im Jahr 2004 exakt 69,5% auf Transfers an private Haushalte und Marktproduzenten (siehe Staatsschuldenbericht 2003). Dabei sind die Rückflüsse aus EU-Mitteln an die Landwirtschaft noch gar nicht enthalten! Diese Transfers sind Umverteilung von Privaten an Private und umfassen die Sozialleistungen (Pensionen, Arbeitslosengelder, Sozialfürsorge, Familienbeihilfe, Kindergeld, Pflegegeld), aber auch die Kostenersätze für die Leistungen der Krankenversicherungen, ferner Subventionen an die Landwirtschaft aus eigenen Budgetmitteln, Wohnbeihilfe, Pendlerbeihilfe, Zinszahlungen auf Staatsschulden (6,4% aller Ausgaben) usf.

Österreich ist eine „Transferrepublik“ – keine „Beamtenrepublik“!
Transferzahlungen werden in der Finanzwissenschaft nicht ohne Grund als „Negativsteuern“ bezeichnet. Subtrahiert man diese „Negativsteuern“ von der Summe aus Steuern und Sozialbeiträgen, so erhält man einen groben Indikator der „echten“ Steuerbelastung des privaten Sektors – also, grob gesprochen, des Nettoressourcenentzugs, den der Staat dem privaten Sektor auferlegt, um seine zentralen Aufgaben in der Verwaltung, im Bildungswesen, der öffentlichen Sicherheit und im Gesundheitswesen via Nettosteuern (= Steuern minus Transfers) zu finanzieren. Dieser Betrag deckt sich in etwa mit dem sogenannten Personal- und Sachaufwand des Staates, der 2003 etwa 28,1% der Gesamtausgaben des öffentlichen Sektors ausgemacht hat. Relativ zum nominellen BIP beträgt dieser Ressourcenverbrauch etwa 14,3% (= 32,229 Mrd. Euro von 224,13 Mrd. Euro). Grosso modo ist das nur etwas mehr als der biblische „Zehent“.
Nimmt man den reinen Personalaufwand des Gesamtstaates her, so beträgt dieser in den USA 9,6% des Bruttoinlandsprodukts, in Österreich 9,8%. (Quelle: OECD-Datenbank – ECO Datenbank – Reihen AUT-CGW-J durch AUT-GDP-J und Reihen USA-CGW-J durch USA-GDP-J des Jahres 2003).
Der Unterschied zwischen der „Beamtenrepublik“ Österreich und dem Mekka der Marktfundamentalisten bewegt sich somit im Bereich statistischer Messfehler …

Österreich schlägt die USA um Längen
Betrachtet man die Beschäftigtenzahl des öffentlichen Sektors (vgl. Projektbericht im Auftrag des Staatsschuldenausschusses, März 2004), so gab es im Jahr 2002 nach der zitierten Studie einen gesamten Personalstand von 503.176 öffentlich Bediensteten (auf Bundesebene 194.926). Laut OECD-Daten war die Beschäftigtenzahl insgesamt (Vollzeitäquivalente? Ausgliederungen?) etwas höher (524.891). Zieht man die international vergleichbaren und etwas höheren OECD-Daten heran (ECO-Datenbank), so entspricht dies 2002 einem Anteil der öffentlichen Beschäftigung von 12,9% an der Gesamtbeschäftigung in Österreich.
Im Mekka der Marktfundamentalisten, den USA, liegt dieser Anteil nach derselben Quelle bei erstaunlichen 15,9%! (ECO Zahlenreihe USA-EG-J/USA-ET-J und AUT-EG-J/USA-EG-J). Wie passen solche Daten zum Journalistenklischee von der „Beamtenrepublik“ Österreich?

Länger leben mit mehr Staat
Natürlich ist nicht nur die Inputseite, sondern auch die Outputseite für die Beurteilung der Effizienz des öffentlichen Sektors von Bedeutung. Es ist nicht möglich, in diesem Rahmen einen seriösen, umfassenden Vergleich der Outputindikatoren zentraler Dienstleistungsbereiche (öffentliche Sicherheit, Gesundheitswesen, Bildungswesen) durchzuführen. In einem Teilbereich des Dienstleistungsstaates, dem Gesundheitswesen, sei immerhin ein provozierender Hinweis gestattet.
Österreichs umfassende Krankenversicherung bietet bekanntlich auch noch für ältere Leute Leistungen (vom künstlichen Kniegelenk bis zum Bypass), die in den USA (und auch in Großbritannien) für wesentliche Teile der Bevölkerung nie (bzw. nur auf dem privaten Markt) zugänglich waren. Interessant ist das folgende Faktum (Quelle: OECD-Health Statistics): Während die Gesundheitsausgaben in Österreich mit 7,7% des BIP deutlich niedriger liegen als in den USA (14,1%), liegt die Lebenserwartung (die natürlich nicht nur von den Gesundheitsausgaben, sondern auch vom Lebensstandard, den Arbeitsbedingungen, der öffentlichen Sicherheit, den Mindesteinkommen im Alter usw. mitbestimmt wird) in Österreich heute bereits höher als in den USA.
Laut OECD lebten Männer im Jahre 2001 in Österreich bereits um 1,2 Jahre länger als Männer in den USA (75,6 in A/74,4 in den USA). Im Jahre 1980 lebten die Männer in Österreich noch um ein Jahr kürzer (69 Jahre in A/70 Jahre in den USA). Frauen lebten 2001 in Österreich sogar bereits um 1,7 Jahre länger als in den Vereinigten Staaten (81,5 Jahre in A/79,8 Jahre in USA). Im Jahre 1980 lebten hingegen die Frauen in Österreich noch um 1,3 Jahre kürzer (76,1 Jahre in A/77,4 Jahre in USA).
Während die Lebenserwartung ein unzweideutiger Schlüsselindikator der Summe all jener sozioökonomischen Faktoren ist, welche die Lebensqualität eines Landes bestimmen, sind internationale Vergleiche der Performance des öffentlichen Sektors auf anderen Ebenen, zum Beispiel im Bildungsbereich, sehr viel schwieriger.

Ist Österreichs Bildungswesen tatsächlich nur „teurer Durchschnitt“?
Die Leistungsseite: PISA 2003 führte Leistungsvergleiche anhand eines impliziten, von OECD-Experten erfundenen fiktiven Curriculums (mit zum Teil extrem unscharfen Indikatoren – „Lesefähigkeit“) durch, das es so in den meisten Ländern nicht gibt. Das in Wahrheit exzellente, weil sein Ziel der „employability“ im internationalen Vergleich bestens erfüllende berufsbildende Schulsystem Österreichs – das auch ein zentraler Erfolgsfaktor für unsere niedrige Jugendarbeitslosigkeit ist – schneidet dabei deutlich schlechter ab als die AHS.
Weshalb? Nicht weil es „schlecht“ wäre, sondern weil
1. AHS-Bildung eo ipso „allgemeinbildender“ ist und
2. die Erfinder des fiktiven OECD-Curriculums anscheinend den Bildungskanon einer AHS als den alleinig selig machenden verinnerlicht haben, wie an den Testfragen zu erkennen ist.
Damit ist bereits heute absehbar, dass sich Österreichs Rang weiter verschlechtern wird, je mehr Eltern ihre Kinder – angesichts besserer Jobchancen durchaus zu Recht – in HTLs oder HAKs oder andere berufsbildende Schulen schicken werden!
Ein Land wie Österreich mit vielen Klein- und Mittelbetrieben sollte es sich jedoch dreimal überlegen, den fragwürdigen Ratschlägen der OECD blind zu vertrauen. Auch das stetig wiederkehrende pauschale OECD-Geschwätz von der „viel zu niedrigen Akademikerquote“ in Österreich stützt sich auf abstruse, international nicht vergleichbare statistische Abgrenzungen der OECD.
Gleichwohl ist die PISA-Studie partiell wertvoll – sie zeigt gnadenlos auf, dass innerhalb jenes Schultyps, der durch die Tests als einziger einigermaßen beurteilt werden kann (der AHS), eine – im internationalen Vergleich – inakzeptabel breite Streuung der Leistungsniveaus (leider auch nach unten) existiert. Das verweist auf ein Problem: Gravierende Kontrolldefizite von Seiten der Schulaufsichtsbehörden bei der Durchsetzung allgemein verbindlicher Mindeststandards!
Die Kostenseite: Wenn die von Österreich an die OECD gemeldeten Kosten der Ausbildung die vollen staatlichen Pensionszahlungen für Lehrer plus den vollen Aktivgehältern inkludieren (!), ergeben sich groteske Übertreibungen der Kosten gegenüber Ländern mit „Pensionskassen“ für Lehrer (deren Pensionszahlungen nicht inkludiert sind). Alle das ASVG-Niveau übersteigenden Pensionsbeiträge der aktiven Lehrer müssten daher logischerweise ebenso wie der „ASVG-Teil“ ihrer Pension vom Pensionsaufwand der Lehrer subtrahiert werden!
Summa summarum: die Leistungsqualität des österreichischen Bildungswesens wird durch den monolithischen PISA-Test, welcher der Vielfalt der Bildungswege nicht gerecht wird, systematisch unterschätzt und die Kosten werden in „Education at a Glance“ (2003) überschätzt.

Öffentliche Sicherheit und Sauberkeit der Verwaltung
Beim Vergleich der öffentlichen Sicherheit – dem dritten wichtigen Dienstleistungsbereich – würde Österreich sicher weitaus besser abschneiden als viele andere Länder, einschließlich der USA, wo zur Zeit bereits mehr als 2 Prozent des Arbeitskräftepotenzials im Gefängnis sitzen. Und bezüglich „Sauberkeit“ der öffentlichen Verwaltung (siehe „Corruption Peception Index“ von Transparency International) schneidet Österreich ebenfalls seit Jahren deutlich besser ab als etwa die USA (und unser Nachbarland Deutschland, notabene).
Unsere Schlussfolgerung ist die folgende: Österreich hat einen relativ effizienten Staat als Produzenten öffentlicher Dienste, auch im internationalen Vergleich. Was nicht bedeutet, dass wir nicht in allen Bereichen entschieden besser werden sollen und können! Allerdings sollten wir uns dabei nicht an den USA, auch nicht an zweifelhaften „Rankings“ der OECD orientieren, sondern – cum grano salis – an der in vielen Bereichen (auch an den Universitäten) vorbildhaften und strukturell „verwandten“ Schweiz.
Der tiefere Grund für die hohe Steuerlast der privaten Haushalte und Unternehmen ist nicht ein extrem ineffizienter Staat, die zentrale Ursache ist der dynamisch expandierende „Umverteilungsstaat“, sind die relativ hohen Transferzahlungen an private Haushalte und Unternehmen. Wenn sich der „Bund der Steuerzahler“, wie jedes Jahr, mit derselben Platitüde (am 1. Juni?) zu Wort meldet, „dass wir bis zum heutigen Tag nur für Vater Staat gearbeitet haben“, sollte er sich vielleicht das nächste Mal mit dem „Bund der Transferempfänger“ zusammensetzen, um zu ergründen, wie viele Monate ihres Lebens dieselben Leute, die ständig über die hohen Steuern jammern, im Laufe ihres Lebens „von Vater Staat erhalten werden (oder wurden)“ …

Die verdrängte Grundsatzfrage
Das führt uns zur entscheidenden Frage, welche Politiker aller Farben den Bürgern nie (oder höchst selten) stellen: Wollen „wir“ weniger Steuern bei gleichzeitigem Verzicht auf Transferleistungen?
Das wirft natürlich sofort die weitergehende Frage auf, wessen Transfers denn nun gekürzt werden sollen, und führt uns mitten in das Dickicht der eigentlichen politischen Widerstände gegen eine nachhaltige Reduktion der Staatsquote und damit der viel beklagten „Reformunfähigkeit“. Keine Gruppe gibt gerne etwas her und auch nicht gegen das Versprechen einer letztlich doch unsicheren, allgemeinen Steuersenkung in der Zukunft. Gleichzeitig mobilisiert der Transferstaat enorme Lobby-Energien, spezifische Besitzstände permanent auszuweiten. (Siehe jüngster Dieseltreibstoffrabatt für die Landwirtschaft in Höhe der Kosten eine Wirtschaftsuniversität mit 20.000 Studierenden …)
Wer weniger Staat will, darf daher vor allem eines nicht tun – neue Transferleistungen (Kindergeld, Pflegegeld etc.) erfinden und einführen! Jenseits egoistischer „Partikularinteressen“ und „Besitzstandswahrung“, die man natürlich immer nur bei den jeweils anderen ortet, gibt es jedoch einen anderen, durchaus legitimen Grund, weshalb die Staatsbürger eine höhere Steuer- und Transferquote vorziehen können. Dahinter kann eine (mehrheitliche) politische Präferenz für mehr soziale Sicherheit und Umverteilung stehen.

Mehr Geld für das öffentliche Pensionssystem: Warum nicht?
Wenn der internationale Währungsfonds uns Österreichern sauertöpfisch vorrechnet, dass wir uns das „teuerste Pensionssystem der Welt leisten“, so bedeutet dies ja nur, dass die Mehrheit der Österreicher in demokratischer Wahl ihre Präferenz für ein solches System, trotz der damit verbundenen höheren Abgaben auf Konsum und Einkommen, durchgesetzt haben. Sie wollen es offensichtlich mehrheitlich nicht anders – so wie die US-Bürger regelmäßig, jedenfalls implizit, für das teuerste Militär der Welt votieren (was der IWF im Übrigen noch nie kritisiert hat).
Wenn es das gute Recht der Franzosen (der Amerikaner) ist, mehr Geld für Käse (für Tomahawks) auszugeben als jede andere Nation der Welt, so ist es das gute Recht der Österreicher, mehr Geld für Pensionen auszugeben als andere Länder. Das geht den IWF eigentlich gar nichts an. (Außer man unterstellt ihm, vermutlich zu Recht, dass er weltweit deshalb so eifrig die Privatisierung der Sozialversicherungen propagiert, damit das US-System „kapitalgedeckter“ Renten der Babyboom-Generation ab 2010 durch Eintritt neuer, europäischer „Pyramidenspieler“ etwas später seine geschönten Bilanzen offen legen muss ...).
Unbestritten ist, dass die Finanzierung eines teureren Pensionssystems über ausschließlich lohnabhängige Abgaben Probleme bereiten kann, wenn Kontrollmechanismen versagen (Stichwort: Schattenwirtschaft) und/oder die Abgaben zu relativ höheren Lohnstückkosten führen (Stichwort: internationale Wettbewerbsfähigkeit). Gerade Letzteres war jedoch nicht zu beobachten. (Die Lohnquote ist seit Anfang der 80er auf dem Rückzug und bereits deutlich niedriger als in den USA oder in Frankreich, die Lohnstückkosten sind in Österreich in den 90ern langsamer gestiegen als in fast allen anderen OECD-Ländern!)

Zauberwort „Verwaltungsreform“
Verlassen wir das politische Minenfeld der Transferkürzungen und kehren wir nochmals zurück zur Senkung der „Verwaltungskosten“, dem imaginären Goldesel. Um sich die maximale Größenordnung einer durch Verwaltungsreformen ermöglichten Senkung der Steuerquote auszumalen, ist es von Interesse, die Verwaltungskosten insgesamt abzuschätzen. Betrachten wir zum Beispiel isoliert nur den Bund, so dürften vom gesamten Sach- und Personalaufwand (2003) in der Höhe von 14,14 Mrd. Euro etwa ein Drittel reine Verwaltungskosten sein (der Rest geht für Sicherheit und Bildung auf). Die Verwaltungskosten des Bundes sind demnach „satte“ 2,1% des BIP: Bei einer Steuer- und Abgabenquote von 44,5% macht selbst eine vollständige Eliminierung aller Verwaltungsbeamten des Bundes das Kraut nicht wirklich fett. Spart man, was extrem viel wäre, ein Drittel der Verwaltungskosten des Bundes ein, so könnte die Steuerquote dauerhaft um bescheidene 0,7 Prozentpunkte sinken.
Etwas mehr Spielraum besteht, wenn man zusätzlich auch Länder und Gemeinden in die Pflicht nimmt (die bislang – auf diesem Feld – zu wenig getan haben oder deren Erfolge zumindest zu wenig bekannt sind!). Im Übrigen wäre zu prüfen, ob nicht die EU-Gesetzgebung ständig neue administrative Belastungen erfindet, die Länder, Städte und Gemeinden „ausbaden“ müssen, wobei die nationale Ebene mangels Betroffenheit ihre Interessen in Brüssel nicht ausreichend nachdrücklich vertritt (exzessive statistische Meldungen, teure Ausschreibungsverfahren, arbeitsrechtliche und Umweltvorschriften, um nur einige zu nennen). Würde man ein Drittel der Verwaltungskosten auf allen Ebenen einsparen, so könnte man die Steuerquote um immerhin 1,6 Prozentpunkte senken. Das ist natürlich nicht nichts. Fraglich ist allerdings, ob es nicht besser wäre, die ausgehungerten öffentlichen Investitionen auszuweiten, statt die Steuern zu senken.

Tariflöhne im öffentlichen Dienst seit 1986 um 14 Prozent gefallen
Selbstverständlich kann der Staat insgesamt auch dadurch sparen, dass die Gehälter und Pensionen der öffentlich Bediensteten weiterhin, so wie in der Vergangenheit, nur unterdurchschnittlich erhöht (oder sogar real gekürzt) werden. Laut Tariflohnindex des Wirtschaftsforschungsinstituts sind die Tariflöhne des öffentlichen Dienstes seit 1986 (= 100) auf 160,7 gestiegen, diejenigen der Gesamtwirtschaft ohne öffentlichen Dienst auf 186,1. Das bedeutet, dass die Tariflöhne des öffentlichen Dienstes relativ zum Rest der Wirtschaft seit 1986 um 14% gefallen sind – ein Beitrag zur Konsolidierung, der von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurde.
Es ist jedoch evident, dass man diese Strategie nicht auf Dauer durchhalten kann, weil man in sensiblen Bereichen des öffentlichen Dienstes hochqualifiziertes Personal benötigt und eine negative Auslese droht. Die Attraktivität des öffentlichen Arbeitgebers wird zweifellos weiter sinken, wenn auch das Pensionsrecht der Beamten ohne entsprechende Kompensationen voll „harmonisiert“ wird. Wie sich dies auf die „Leistungsanreize“ von älteren Spitzenbeamten mit intensiven Kontakten zur Wirtschaft und wertvollem Insiderwissen (vom Betriebsprüfer bis zur Auftragsvergabe) auswirken wird, das hat die US-Verwaltung (siehe militärisch-industrieller Komplex) immer schon elegant vorexerziert. Das Modell des „Stronach’schen“ Auffangnetzes würde sich wohl aus der Politik auf die Spitzen der Verwaltung ausbreiten. Die Zerstörung eines dem Staate gegenüber dauerhaft loyalen Berufsbeamtentums bahnt aber einer Entwicklung den Weg, wo der Staat selbst zur willigen Beute kleinster, aber kapitalkräftiger Sonderinteressen wird. Manche wünschen sich das – natürlich – heftig. Jeder, dem die „res publica“ ein Anliegen ist, sollte vehement dagegen sein.
Welche Folgen es hat, wenn man jahrzehntelang in den zentralen Dienstleistungsbereichen des Staates von der Substanz lebt, wobei man verkündet, „Effizienzreserven“ zu heben, kann man am Beispiel Großbritanniens studieren, wo in London aus Gründen des Lehrermangels jüngst die Viertagewoche in Grundschulen eingeführt werden musste, fünfzig Kinder in einer Grundschulklasse keine Seltenheit sind und alte Leute lange vor einem beantragten Operationstermin das Zeitliche segnen. Davon sind wir – Gott sei Dank – weit entfernt. Aber der Zug der Einschränkung des Leistungsstaates fährt in genau diese Richtung, unter Volldampf gesetzt von den illusionären Versprechungen der Marktfundamentalisten, aber auch von der höchst erfolgreichen Wühlarbeit kleiner „special interest groups“, denen direkte und indirekte Transfers (Subventionen und spezifische Steuernachlässe) niemals hoch genug sein können.

OEGZ

ÖGZ Download