Die Abfallwirtschaft in der erweiterten EU

Die Abfallwirtschaft in der erweiterten EU

Der 6. von der MA 48 der Stadt Wien veranstaltete Abfallwirtschaftskongress vom 10. bis 12. November 2004 brachte rund 500 Abfallexperten aus dem In- und Ausland nach Wien, die sich insbesondere mit der Situation in Osteuropa nach der EU-Erweiterung im Mai 2004 beschäftigten. Die Tagung brachte viele neue Anstöße, aber eine schon länger bekannte Conclusio: Der beste Abfall ist jener, der erst gar nicht entsteht!

 

Umweltstadträtin Mag. Ulli Sima eröffnete die Tagung mit einem Verweis auf die kommunale Verantwortung im Sektor Wasser und Abfall. Bei Letzterem sei das Prinzip der Müllvermeidung die beste, weil umfassendste Strategie. Frei nach dem Motto: Vermeiden, bewusst einkaufen, bewusst konsumieren. In diesem Zusammenhang appellierte Sima an die Produzenten. „Es gilt, auch die Produzenten in die Pflicht zu nehmen. Von der Entwicklung eines Produkts bis hin zur Verpackung und Wiederverwertung muss auf die Umweltauswirkungen verstärkt Rücksicht genommen werden. Fehlentwicklungen in diesem Bereich, etwa der rasante Anstieg von Einwegverpackungen bei Getränken, sind mit allen Mitteln zu bekämpfen – auch mit gesetzlichen Maßnahmen“, so die Wiener Umweltstadträtin. In das selbe Horn stieß Dipl.-Ing. Josef Thon, der auf die ungünstigen Rahmenbedingungen – finanziell angespannte Haushalte in den Städten und die geringe Wirtschaftsdynamik in Europa – verwies, unter denen die kommunale Abfallwirtschaft ihre Leistungen zu erbringen habe. Die Erweiterung sei gerade im Abfallbereich eine riesige Chance: Neue Wege finden, alte Fehler vermeiden!

Jeder Europäer erzeugt durchschnittlich 500 kg Abfall im Jahr
Laut Universitätsprofessor Dr. Gerhard Vogel kann man die Abfallwirtschaft der EU-25 als nicht nachhaltig bezeichnen. Es gebe eine sehr starke Korrelation zwischen Einkommen und dem Ressourcenverbrauch. Das Abfallaufkommen beträgt im Durchschnitt 500 Kilogramm pro Einwohner und Jahr in der EU. Die EU-15 bringen es sogar auf 550 Kilogramm. Dabei gibt es deutliche Unterschiede: Während etwa in Tschechien und Polen 300 Kilogramm/ Person an Abfall entstehen, sind es etwa in der Slowakei an die 680 Kilogramm. Professor Vogel mahnte dringend die Entwicklung der Abfallwirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit ein, nicht zuletzt, um einen friedlichen Globalisierungsprozess zu ermöglichen. Eine Möglichkeit wäre die Dematerialisation: Darunter versteht man die Vermeidung oder die Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der Abfallproduktion durch Produktgestaltung. Als Beispiele können etwa die Verwendung der elektronischen Datenübertragung statt der Erstellung von Kopien oder wiederverwertbare Verpackungen statt Einwegverpackungen genannt werden. Abfallvermeidung kann auch mit Hilfe der sogenannten Immaterialisation praktiziert werden. Hier heißt es Dienstleistungen zu konsumieren, statt materielle Gegenstände anzuschaffen. Beides kann zum selben Zweck führen, im ersten Fall jedoch entstehen viel weniger Abfälle. All das könne aber nur gelingen, wenn sich das Konsumverhalten nachhaltig verändere und beim Kaufen bewusst auf Ressourcenschonung geachtet werde.

EU-Umweltrecht auch in den Erweiterungsländern gültig
Seit 1. Mai 2004 gilt das EU-Umweltrecht inklusive der Bestimmungen im Sektor Abfall (mit allfälligen Übergangsfristen) auch in den neuen EU-Mitgliedstaaten in Zentraleuropa bzw. auf Zypern und Malta. Nach Schätzung der EU-Kommission werden die Kosten für die Übernahme des sogenannten Umwelt-Acquis in den zehn neuen Mitgliedsländern insgesamt etwa 100 Milliarden Euro betragen.
Dr. Guido Dernbauer, Umweltexperte im Österreichischen Städtebund, stellte die Studie „Staatliche Steuerung, Finanzierung und Kapazitäten – Abfallwirtschaft in den EU-Beitrittsländern“ vor. Das 6. Umweltaktionsprogramm legt die EU-Prioritäten u. a. im Segment Abfallwirtschaft fest:

- Vermeidung der Abfallentstehung durch optimierte Produktgestaltung;

- mehr Recycling und Wiederverwertung;

- weniger verbrennungsinduzierte Umweltverschmutzung.

Die Studie enthält eine umfangreiche Beurteilung der Entwicklungen in der Abfallwirtschaft in Osteuropa. Folgende Basisdaten konnten erhoben werden:

- Signifikante Steigerung des Abfallaufkommens in Polen, Tschechien und Ungarn; gleichzeitig ein Rückgang in anderen Ländern;

- in vielen Gebieten keine Erfassung durch kommunale Abfallentsorgung;

- enttäuschende Recyclingquoten von lediglich 8,6 Prozent im Durchschnitt;

- 80 Prozent der Abfälle werden deponiert;

- nur rund 6 Prozent des Restmülls werden verbrannt.

Osteuropa: Intelligente Abfallkonzepte vonnöten
Dr. Martina Ableidinger schloss sich dieser Momentaufnahme an und diagnostizierte, dass sich der Aufbau getrennter Sammelsysteme für Altstoffe und biogene Abfälle erst im Entwicklungsstadium befinde. Der Großteil der Abfälle landet nach wie vor auf der Deponie, wo in den allermeisten Fällen noch nicht einmal eine Deponiegasnutzung vorgenommen werde. Fehlende Kapazitäten in der Abfallverbrennung und bei der mechanisch-biologischen Abfallbehandlung runden dieses Bild ab. Hinzu kommen die Privatisierungsprozesse. Sie führen dazu, dass lokale Behörden nicht nur die Eigentumsrechte über die kommunalen Abfälle verlieren, sondern auch die Informationen darüber. Daher sei die Umsetzung der zentralen EU-Bestimmungen (Deponierichtlinie, Verpackungsrichtlinie oder der aktuelle Fall der Richtlinie über Elektro- und Elektronikaltgeräte) wesentlich.

Der alte Diesel ist immer noch der beste Treibstoff für Müllfahrzeuge
Trotz einer interessanten Entwicklung im Bereich der alternativen Antriebssysteme und Treibstoffe (Gasturbine, Brennstoffzelle, neue Treibstoffe wie Wasserstoff oder Pflanzenöl) scheint der alte Dieselmotor immer noch ökologisch die Nase vorne zu haben, wie Dipl.-Ing. Günther Hohl berichtete. Bei fast allen umweltrelevanten Faktoren schneidet diese Antriebsform besser ab als alle anderen Systeme. Die Entwicklung der letzten Jahre ist durch erhebliche Verbesserungen gekennzeichnet. Der aktuell auf Müllfahrzeuge entfallende Anteil der klimarelevanten Emissionen liegt österreichweit zwischen 0,003% (CO) und 0,011% (Partikel und NOx). Eine weitere wesentliche Emissionsreduktion wird mit der Einführung des EURO-V-Motors spätestens im Jahre 2009 eintreten. In manchen besonders sensitiven Bereichen (Wasserschutzgebiete, Forstgebiete, Parkanlagen etc.) ist die Verwendung von alternativen Treibstoffen (wie z. B. von veresterten Pflanzenölen und Altspeiseölen) nach wie vor sinnvoll.
Durch keine Maßnahme kann jedoch eine so starke Verminderung der Umweltbelastungen erreicht werden, wie durch den Einsatz von konventionellen Motoren neuester Bauart.

Die Beispiele Kopenhagen und Budapest
Dänemark war beim Kongress u. a. durch Niels Joern Hahn vertreten, dem Leiter des nicht gewinnorientierten Abfallverwertungsunternehmens der Stadt Kopenhagen und Vizepräsidenten der ISWA (International Solid Waste Association). Die Abfallbehandlung und die Abfallentsorgung sind im Staate Dänemark ein Monopol der kommunalen Ebene. Während die Abfallsammlung meistens ausgelagert wird, ist die Abfallverbrennung Aufgabe der Kommune. Die dänische Gesetzgebung verfolgt das klare Ziel der Vermeidung, d. h.

- stoffliche Verwertung zuerst,
- Verbrennung ist eine (akzeptable) Alternative und
- die Deponierung ist die am wenigsten erwünschte Alternative.

Das dänische System wurde bereits vor Jahren durch ein ausgeklügeltes Steuersystem geregelt. Abfälle, die verwertet werden, unterliegen keiner Besteuerung. Die Verbrennung und Deponierung ist mit Steuern verbunden, allerdings gibt es für Kohlendioxid-neutralen Strom (inkl. Strom aus Müll) einen hohen Fixpreis, der ca. 75 Prozent über dem Marktpreis liegt.
Janos Banhidy, Chefingenieur der Budapester kommunaltechnischen Dienstleistungs AG (FKF Rt) widmete sich eingehend den Voraussetzungen für die Errichtung von Abfallbehandlungsanlagen sowie der konkreten Planung und Umsetzung einer Anlage in Budapest. Dabei gelte es, von der konkreten Standortwahl (Berücksichtigung der Anraineranliegen) bis hin zur eingesetzten Technik und der Finanzierung zahlreiche Punkte zu beachten. Den Anrainern müsste durch nachvollziehbare Anreize eine Art Kompensation für verschiedene Beeinträchtigungen geboten werden, etwa der Bau einer Schule, ein besseres Wegenetz, die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die unentgeltliche Übernahme der Abfallentsorgung in der Standortgemeinde.

Liberalisierung mit Fragezeichen
„Freie Fahrt für Abfälle im erweiterten Europa?“ war der Titel des Vortrages von Paul de Bruycker von der Europäischen Kommission. Über weite Strecken war der Vortrag ein Plädoyer für die Liberalisierung von abfallwirtschaftlichen Leistungen innerhalb der EU. Grundsätzlich bekannte sich de Bruycker zum Vorrang des Wettbewerbsprinzips, das aus Brüsseler Sicht zu mehr Innovation und niedrigeren Preise führe. Bei den Arbeiten an der geplanten Novellierung der Abfallverbringungsrichtlinie (RL 259/93) gelte es, unbedingt intelligenten Regelungen zum Durchbruch zu verhelfen. Neben dem Einsatz optimaler Technologien zur Errichtung von Anlagen in bestmöglicher Größe und mit hoher Rentabilität sei mit Konsequenzen zu rechnen. Etwa müsse eine einfache Liberalisierung zwangsläufig zur Verbringung von Abfällen in Länder mit niedrigen Umweltstandards führen, womit wiederum Wettbewerbsverzerrungen einhergingen und letztlich klare Nachteile für die Umwelt zu erwarten seien.
Bei der Abfallverwertung gelte grundsätzlich: offener Markt für Verwertung, Beschränkungen bei der Entsorgung. Die Verbrennung von Siedlungsabfällen wird als Entsorgung eingestuft, für feste, zur Verwertung bestimmte Abfallfraktionen soll das Recht des EU-Binnenmarktes zur Anwendung kommen.
Daher gelangte de Bruycker zu folgendem Fazit: Liberalisierung ja, aber innerhalb eines exakten Rahmens, unter gleichen Wettbewerbsbedingungen, unter der Auflage der Erreichung der Umweltziele und der Absicherung der bisherigen Errungenschaften insbesondere auf kommunaler Ebene.
Der Tagungsband kann unter conference@gutwinski.at um € 50,– (inkl. CD-ROM, Versand und USt.) erworben werden.

Städtebund-Linktipp:
www.cameronsds.com
conference.gutwin.at
www.wien.gv.at/ma48

OEGZ

ÖGZ Download