Wo steht Europa? – Eine Bilanz

Wo steht Europa? – Eine Bilanz

„Die Schranken sind durchbrochen, welche Staaten und Nationen in feindseligem Egoismus absonderten. (…) Die europäische Staatengesellschaft scheint in eine große Familie verwandelt. Die Hausgenossen können einander anfeinden, aber hoffentlich nicht mehr zerfleischen. (…) Wie viele Kriege mussten geführt werden, wie viele Bündnisse geknüpft, zerrissen und aufs neue geknüpft werden, um endlich Europa zu dem Friedensgrundsatz zu bringen?“ (Friedrich Schiller, 1789).

 

Ich hoffe, wir können dasselbe heute mit mehr Recht behaupten. Das Streben nach einem dauerhaften Frieden sollte uns bei der Beurteilung des europäischen Projekts nie verlassen. Dennoch bedarf es nach der größten EU-Erweiterungsrunde und im Hinblick auf die kommende Europäische Verfassung einer realistischen Beurteilung der Fort- und Rückschritte, des Erreichten und der Mängel. Dies steht im Mittelpunkt der folgenden Bemerkungen.

Europäische Einigung im neuen Umfeld
Der europäische Einigungsprozess muss vor dem Hintergrund gesamteuropäischer und globaler Entwicklungen gesehen werden. Und dieser Hintergrund hat sich seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zum Teil radikal geändert.

- In Europa selbst kam es mit dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu einem radikalen Umbruch. Dabei ist der Prozess der Auflösung des sowjetischen/russischen Imperiums nach wie vor in Gang – siehe Ukraine bzw. Kaukasus.

- Mit dem Zerfall des Ostblocks blieb eine Supermacht übrig: die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Verbindung von wirtschaftlicher und militärischer Macht mit kraftvollem imperialem Auftreten beeinflusst auf vielfältige Weise die Entwicklung innerhalb der Europäischen Union.

- Alle Staaten und Staatengemeinschaften sehen sich im Prozess der Globalisierung neuen Herausforderungen und Herausforderern gegenüber. Die Liberalisierungen im Bereich des Handels sowie die Herausbildung stark wachsender Märkte und Mächte in der „Dritten“ Welt, vor allem China und Indien, beeinflussen ebenfalls den Rahmen, vor dem sich die europäische Einigung abzeichnet.

- Spätestens mit den Attentaten in New York und Madrid ist uns bewusst geworden, dass neue nichtstaatliche Akteure die weltweite Sicherheitspolitik massiv prägen. Damit ist auch Europas Beziehung zur islamischen Religion angesprochen, aber auch bestimmte Konfliktherde, wie insbesondere der Nahe Osten, der den Terroristen Akzeptanz und mitunter Unterstützung verschafft.

- Die EU übt auch eine große Anziehungskraft auf ärmere Regionen vor allem in der Nachbarschaft zu Europa aus. Armut, Unterentwicklung und Staatsversagen werden damit auch Themen der EU-Politik. Neben der Migration und ihren Ursachen beschäftigt uns aber auch die Integration der Zuwanderer.

Auf politischer und wirtschaftlicher Ebene gilt es, für Europa den richtigen Weg hinsichtlich Wettbewerb und Kooperation einzuschlagen. Die EU hat sich in vielen Fällen zu entscheiden, wann und in welchem Ausmaß sie dem Wettbewerb – (mit den USA, Russland, China, Indien, Brasilien etc., mit den Energieproduzenten, mit den Nachbarn im Mittelmeerraum usw.) den Vorzug gibt oder der Zusammenarbeit. In beiden Fällen beeinflusst das Verhältnis zur Außenwelt auch die Binnenverhältnisse.
Die Europäische Union als eine einmalige und neuartige Staatengemeinschaft – mehr als ein Staatenbund, weniger als ein Bundesstaat – muss sich auch mühsam im inneren und äußeren Integrationsprozess vortasten. Wieweit soll sie nationale bzw. regionale Aufgaben auf die europäische Ebene verlagern und in welchem Ausmaß soll sie die Nachbarn in die EU integrieren oder durch Teilintegration anbinden?

Europas Anziehungskraft
Es gibt keine allgemein anerkannten notwendigen und ausreichenden Bedingungen für den Beitritt zur EU. Eindeutig europäischen Staaten wird man bei ausreichender Erfüllung der wirtschaftlichen und politischen, der sogenannten „Kopenhagener Kriterien“, den Beitritt nicht verwehren können. Aber weder existiert eine unbestrittene Definition des Begriffs „europäischer Staat“ noch des Wortes „ausreichend“ hinsichtlich der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien. Letztendlich ist es eine politische Entscheidung, wer wann beitreten kann, soweit ein geografischer und politischer Zusammenhang mit Europa gegeben ist.

Eindeutig europäischen Staaten wird man bei ausreichender Erfüllung der wirtschaftlichen und politischen Kriterien den Beitritt nich verwehren können.

Das entscheidende Beitrittskriterium bezieht sich aber nicht so sehr auf die Beitrittskandidaten – anerkannte oder potentielle –, sondern auf die EU selbst: Wird sie durch den Beitritt politisch und wirtschaftlich stärker oder im Gegenteil schwächer? Unter diesem Gesichtspunkt scheidet Russland sowohl aufgrund der geografischen Ausdehnung als auch der Bevölkerungszahl als Kandidat aus. Was die Türkei oder die Ukraine betrifft, kann dies heute nicht beantwortet werden. Aber schon aufgrund der internationalen Glaubwürdigkeit der Union mussten mit der Türkei Verhandlungen aufgenommen werden, die allerdings nicht nach Ablauf einer bestimmten Zeit mehr oder weniger automatisch in einer Mitgliedschaft enden. Einen solchen Quasi-Automatismus gibt es eventuell bei den Ländern des Balkans, auch wenn heute noch nicht klar ist, wie viele es letztendlich sein werden.
Wichtig ist, dass wir die nächsten Schritte der Erweiterung, insbesondere mit der Türkei, ohne Vorurteile und mit kühlem Kopf planen und begleiten. Die Türkei ist zweifellos ein widersprüchliches Land. Sie ist islamisch geprägt, aber laizistisch. Sie hat eine zukunftsorientierte und dynamische Wirtschaftselite, viele junge Unternehmer, aber auch große rückständige Gebiete. Sie war militärisch eng mit Amerika verbunden, steht aber nach dem Irak-Krieg den USA eher skeptisch gegenüber und würde in Europa ein großes militärisches Potential einbringen.
Deshalb ist es heute, zu Beginn der Verhandlungen, unmöglich zu sagen, ob die Türkei die EU stärken würde oder nicht. Erst wenn die jüngst begonnenen Reformen, kombiniert mit einigen Grundsätzen der Atatürk’schen Revolution (Laizismus, Gleichstellung der Frauen) dauerhaft abgesichert erscheinen und die EU sich im Klaren ist, welche Rolle die Türkei in Zukunft spielen kann, ist diese Frage mit gutem Gewissen zu beantworten.

Globale Herausforderung
Nicht nur der politische Rahmen für die Entwicklung der EU hat sich in den vergangenen 15 Jahren dramatisch verändert, sondern auch der wirtschaftliche. So sind die USA als einzige verbliebene politische und militärische Großmacht auch ökonomisch sehr selbstbewusst und erfolgreich unterwegs. Allerdings bestehen sowohl für die USA als auch für Europa neue Herausforderungen im Prozess der Globalisierung. Durch die Förderung der Globalisierung haben die USA nicht zuletzt ihre eigene Führungsrolle geschwächt. In einer zunehmend globalisierten Welt entstehen konkurrenzierende Zentren des Reichtums und der Macht: nicht nur Europa und Japan, sondern auch Brasilien, China und Indien.
Angesichts der großen Herausforderungen für Europa sind wir mit dem derzeitigen Aufbau neuer und widerstandsfähigerer Strukturen sehr spät dran. So, als würde man ein Haus erst dann ausreichend befestigen, wenn die Stürme schon ihre zerstörerische Wirkung begonnen haben. Wenn dann auch noch die neoliberale Ideologie der Allmacht des Marktes mit ihren US-amerikanischen Wurzeln Tabus aufstellt, die den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum des Staates stark einschränken, dann kommt die Union in die prekäre Situation, das selbst gesteckte „Lissabon-Ziel“ aus dem Jahr 2000 – der Aufstieg zum wettbewerbsfähigsten Kontinent – nicht erfüllen zu können.
Dieser sogenannte „Lissabon-Prozess“ ist aber die Antwort der EU auf alle wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Die letzte Beurteilung der Lissabon-Strategie erfolgte durch den sogenannten „Kok-Bericht“ (Bericht der Sachverständigengruppe unter dem Vorsitz von Wim Kok) unter dem Titel „Die Herausforderung anerkennen“. Der Bericht geht davon aus, dass die Beschäftigung in der EU seit Mitte der 90er Jahre „signifikant gestiegen“ ist, nicht zuletzt allerdings durch die „Schaffung von Niedriglohnarbeitsplätzen“. Ebenso ist die Beschäftigungsquote, vor allem jene der Frauen, gestiegen und in einigen Ländern auch jene der älteren Arbeitskräfte. Allerdings hat sich die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze in den vergangenen Jahren deutlich verringert. Und nur zwei Staaten haben das Ziel erreicht, 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Forschung und Entwicklung auszugeben. In diesen zwei Ländern zieht die Wirtschaft mit und gibt ihrerseits 2 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aus. Insgesamt also eine magere Bilanz!

Mehr Dynamik
Von den vielen Strategien und Maßnahmen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu erhöhen, möchte ich unterschiedliche, aber miteinander verbundene Ansätze hervorheben. Die europäische Wettbewerbsfähigkeit hängt in großem Ausmaß mit Quantität und Qualität von Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung zusammen. Trotz der klaren Aussagen und Versprechungen im Lissabon-Prozess bleibt die EU nach wie vor hinter den USA und auch anderen Ländern zurück. Laut einem Bericht der EU-Kommission haben die 500 größten Unternehmungen der Union 2003 rund 100 Milliarden Euro an Forschungs- und Entwicklungsausgaben getätigt – das sind um 2 Prozent weniger als 2002. Die 500 größten Unternehmungen, die nicht zur Union gehören, gaben fast doppelt so viel aus und haben ihre Beiträge für Forschung und Entwicklung im Jahr 2003 um 4 Prozent erhöht.
Diese Erhöhung ist insbesondere auf Ausgabensteigerungen der amerikanischen und japanischen Firmen zurückzuführen. Eine ähnliche Entwicklung zeigt auch der „Innovationsindex“. In diesem werden die Anzahl der Diplome, der Patente, der Beschäftigten in innovativen Industriezweigen etc. aufgenommen. Für die EU beträgt dieser Index rund 40 Punkte und hat sich im Zeitraum 1996–2003 kaum erhöht. Sowohl für Japan als auch die USA betrug er 1996 rund 60 Punkte und ist bis 2003 auf 70 Punkte angestiegen! Die EU als solche, aber auch die Mitgliedsländer müssen daher entscheidende Schritte setzen, um die Attraktivität unseres Kontinents für Forschung bzw. für Forschende zu erhöhen. Dabei geht es um mehr Geld, um mehr europaweite Kooperation und um mehr Anreize.

Marktliberalisierung und die damit oft einhergehende Privatisierung sind keine Allheilmittel für die Versorgungssicherheit und die Wahrung der Konsumenteninteressen.

Kontinuierliches Wachstum bedarf auch einer erneuerten und erweiterten Infrastruktur. Die übermäßige und ungleichgewichtige Betonung der Liberalisierung in der EU, insbesondere im Bereich Energie und Verkehr, beschert der Wirtschaft Engpässe, die möglichst bald behoben werden müssen. Europa ist auch ein gemeinsamer Markt und demgemäß liegt die Marktöffnung und damit die Beseitigung nationaler Monopole in der Logik der Herstellung eines europäischen Marktes. Allerdings ist die Marktliberalisierung und die damit oft einhergehende Privatisierung kein Allheilmittel für die Versorgungssicherheit und die Wahrung der Konsumenteninteressen, von der notwendigen Berücksichtigung der externen Effekte (z. B. Umweltschutz) ganz zu schweigen. Wenn nicht besonders im zentral- und osteuropäischen Raum mehr in die Infrastruktur investiert wird, kann es zu einschneidenden Wachstumsengpässen kommen. Dabei ist es die Aufgabe der Union, ausreichend finanzielle Anreize zur Herstellung der Transeuropäischen Netze (TEN) zu schaffen.
Auch das Europäische Parlament beschäftigt sich derzeit mit der notwendigen Dynamisierung des Lissabon-Prozesses. Die SPE-Fraktion erarbeitet momentan Vorschläge zur Lissabon-Strategie unter dem Titel: „Ein Europa der Spitzenleistungen“. Besonderer Wert wird dabei auf eine verstärkte Koordination der EU-weiten und der nationalen Politiken gelegt. Denn in einer mangelhaften Kooperation liegen auch die Gründe für die größten Schwächen der europäischen Wirtschaftspolitik. Und so streng die EU-Kommission auch auf die Einhaltung der Budgetkriterien des Stabilitätspaktes achtet – wenngleich nicht immer mit Erfolg –, so gering sind die Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung der beschäftigungspolitischen Vorgaben des Paktes. Auch der Kok-Bericht verweist auf diese Mängel. Die sozialdemokratischen Vorstellungen vertrauen allerdings weniger auf Liberalisierung und Flexibilisierung als vielmehr auf Ausgabenerhöhungen für Bildung und Forschung, Anreizsysteme für Wissenschaftler und Forscher sowie den Ausbau der transeuropäischen Infrastruktur.

Liberalisierung und ihre Grenzen
Unbestreitbar wirken auf euopäischer Ebene starke und einflussreiche Kräfte, die sich die möglichst rasche und weitreichende Liberalisierung auf ihre Fahnen geheftet haben. Einer pragmatischen Kombination von Marktöffnung und Investition in die Infrastruktur ist aber eindeutig der Vorrang vor einer kurzsichtigen und ideologisch motivierten Überbetonung der Liberalisierung zu geben. Letztere scheint mir beispielsweise dann gegeben, wenn die EU-Kommission massiv in die regionalen und kommunalen Vertragsstrukturen eingreifen bzw. wenn sie im Rahmen der geplanten Liberalisierung der Dienstleistungen das „Herkunftslandprinzip“ durchsetzen möchte. Somit würden dann nicht mehr die Konsumentenschutzbestimmungen jenes Landes gelten, in dem die Leistung erbracht wird, sondern jenes Staates, dem die Leistungserbringer angehören. Damit würde die Durchsetzung von Arbeits- und Konsumentenschutzrechten extrem erschwert werden, überdies entstünde die Gefahr des Sozialdumpings.
Das Beispiel dieses derzeit vorliegenden Entwurfs für eine europaweit gültige Dienstleistungsrichtlinie führt einmal mehr die negativen Auswirkungen kurzsichtiger Liberalisierungspolitik vor Augen. Aus meiner Sicht bleibt zu hoffen, dass die Mehrheit des jetzigen EU-Parlaments dieses Dienstleistungsgesetz genauso ablehnt wie das ehemalige Parlament übermäßige Eingriffe in die Verkehrspolitik der Kommunen abgelehnt hat. Dabei sind aber die Interessen der einzelnen Länder bzw. Bevölkerungsvertreter im neuen EU-Parlament nicht gleich gelagert. Beim Konsumentenschutz lässt sich vielleicht noch eher ein gemeinsames Interesse an einem hohen Niveau feststellen. Schon schwieriger wird es bei der Entlohnung: denn nicht nur Unternehmer, auch Arbeitnehmervertreter aus den Niedriglohnländern wollen die niedrigen Gehälter nutzen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen oder zumindest die bestehenden zu schützen. Dies nicht zuletzt durch Angebote in Ländern mit höherem Lohnniveau.
Worauf allerdings viele von uns Abgeordneten warten, ist eine positive EU-Richtlinie für die „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“. Denn vor allem für jene vielfach öffentlichen bzw. öffentlich garantierten Dienstleistungen der Daseinsvorsorge brauchen wir einen EU-weiten gesetzlichen Rahmen, der das Recht und Interesse der Bürger an einem erschwinglichen Leistungsangebot berücksichtigt.

Politische oder soziale Union?
Immer aktuell bleibt die Frage, inwieweit die EU eine Sozialunion sein kann, wenn ihr auch für eine klassische Sozialpolitik jegliche Ressourcen fehlen. Mit einem Budget in der Höhe von etwas mehr als einem Prozent des europäischen Sozialprodukts besteht keinerlei Spielraum für soziale Transfers. Man kann höchstens versuchen, den Anteil jener Gelder, die der regionalen und sozialen Kohäsion dienen, zu erhöhen bzw. den Ausgabenrahmen der EU insgesamt zu erhöhen.
Anders steht es um die sozialen Rechte, insbesondere um die Rechte der Arbeitnehmer. Hier gab es in der Vergangenheit eine Reihe von gesetzlichen Regelungen, die vor allem schlechter gestellten Arbeitnehmergruppen und Frauen zugute kamen. Dabei hat auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in vielen Fällen eine klare Position gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz eingenommen. Man kann also zusammenfassend feststellen, dass die EU wesentlich zur Fortentwicklung der „Menschenrechte am Arbeitsplatz“ beigetragen, aber zu wenig für die Schaffung von Arbeitsplätzen getan hat. Und starke neoliberale Einflüsse im Bereich der Mitgliedstaaten, der EU-Kommission und im EU-Parlament haben eine Liberalisierungspolitik sowie eine Auslegung des Stabilitätspaktes, der genau genommen „Stabilitäts- und Wachstumspakt (!)“ heißt, durchgesetzt, die den beschäftigungs- und sozialpolitischen Spielraum auf nationaler und EU-Ebene stark eingeschränkt haben. Leider konnten sich auch die Regierungen der Staaten, die den Euro eingeführt haben, nicht zur notwendigen Koordination der Wirtschaftspolitik durchringen. Das strenge Korsett des Stabilitätspaktes für die nationalen Budgets musste gesprengt werden und die Umsetzung der Vorhaben im Rahmen des Lissabon-Prozesses war äußerst mangelhaft.
Früher hat man immer wieder gesagt: „Europa ist wirtschaftlich eine Weltmacht, aber politisch ein Zwerg.“ Jetzt muss man feststellen, dass wir politisch deutlich gewachsen sind, aber wirtschaftlich in Bedrängnis geraten sind. Es braucht großer Anstrengungen, um wieder ein Mehr an wirtschaftlicher Dynamik zu erreichen.

Die soziale Dimension der EU-Verfassung
Wir befinden uns derzeit in der europaweiten Debatte um die EU-Verfassung. Dieser Text hat eine entscheidende soziale Dimension.
Die Behauptung mancher Gruppierungen, der Verfassungsentwurf schreibe die neoliberalen Politiken Europas fest, entspricht jedenfalls keineswegs den Tatsachen. Abgesehen davon, dass Verfassungen immer nur den Rahmen für die tagespolitischen Entscheidungen bilden können, gibt es im vorliegenden Entwurf eine Vielzahl von Bestimmungen, die der sozialen Ausgestaltung der Marktwirtschaft gewidmet sind. So sind beispielsweise als Ziele der Union festgeschrieben: eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität. Im Kapitel über die Grundrechte ist unter den Überschriften „Gleichheit“ und „Solidarität“ ausführlich von Arbeitsmarktrechten die Rede. Und im Kapitel „Sozialpolitik“ werden ausführlich die Maßnahmen behandelt, die zu einem „dauerhaft hohen Beschäftigungsniveau“ und zur „Bekämpfung von Ausgrenzungen“ führen sollen.
Bis diese Verfassung mit ihren auch sozialen Zielbestimmungen von allen Mitgliedstaaten ratifiziert ist und in Kraft treten kann, ist es noch ein langer Weg. Was sind aber schon jetzt und während der kommenden Jahre die wichtigsten politischen Vorgaben, um die EU als globalen Akteur fit zu halten? Künftig wird die Europäische Union jedenfalls den Lissabon-Prozess ernst nehmen und die Kommission die Mitgliedstaaten stärker auf ihre Verantwortung und ihre Verpflichtung in diesem Zusammenhang hinweisen müssen. Dabei ist sowohl der Stärkung der Wissenschaft und Forschungseinrichtungen sowie dem Ausbau der Infrastruktur für Verkehr und Energie besonderes Augenmerk zu widmen. Notwendig ist aber vor allem eine tiefergreifende Reform des Stabilitätspaktes, eine flexiblere Anwendung und eine Finanzierung der Union, die in höherem Ausmaß den von den Mitgliedstaaten an Brüssel herangetragenen Aufgaben entspricht.

Städtebund-Linktipps:
www.hannes-swoboda.at
www.spe.at

OEGZ

ÖGZ Download