2 Jahre BVergG 2002 – eine kritische Betrachtung aus Sicht der Auftraggeber

2 Jahre BVergG 2002 – eine kritische Betrachtung aus Sicht der Auftraggeber

Das BVergG 2002 ist seit mehr als 2 Jahren in Kraft und von allen Städten und Gemeinden zumindest seit mehr als einem Jahr anzuwenden. Neben zahlreichen Verbesserungen hat es auch Erschwerungen für öffentliche Auftraggeber gebracht. Eine unklare Struktur und vielschichtige Gesetzesquellen, verbunden mit der nahezu uneingeschränkten Geltung für alle öffentlichen Aufträge (unabhängig von ihrem Auftragswert), haben gerade bei kleinen und mittleren öffentlichen Auftraggebern zu Rechtsunsicherheit und erheblichen Zusatzkosten geführt. Das neue Legislativpaket der EU ermöglicht es, die wahrgenommenen Probleme zu beseitigen.

 

BVergG 2002 – Schritt in richtige Richtung
Nach jahrelangem Ringen konnten sich die maßgeblichen politischen Kräfte unseres Landes zu einem einheitlichen materiellen Vergaberecht, dem Bundesvergabegesetz 2002 (BGBl. I 2002/ 99), durchringen und damit die allgemein beklagte Zersplitterung des Vergabewesens in 10 Vergabegesetze beseitigen.1
Neben dieser Vereinheitlichung des materiellen Vergabewesens (In Bezug auf die Nachprüfungsverfahren kam es zu keiner Vereinheitlichung.) zeichnet sich das BVergG 2002 vor allem durch die Verrechtlichung des Unterschwellenbereiches und die Erstreckung des vergabespezifischen Rechtsschutzes auch auf den Unterschwellenbereich aus:

- Infolge der Rechtsprechung des VfGH2 gilt das BVergG 2002 unabhängig vom Auftragswert und der Auftragsart grundsätzlich für alle Vergabeverfahren. Diese Ausweitung der rechtsverbindlichen Vergabevorschriften auch auf den so genannten Unterschwellenbereich (Aufträge mit einem Auftragswert, der geringer ist als jener der durch die EG-Richtlinien für die Anwendung der Vergabevorschriften vorgegeben wurde) trifft vor allem die kommunale Beschaffungspraxis. Auch Aufträge mit einem relativ geringen Auftragswert haben Vergaberegeln im Detail so zu beachten wie Auftraggeber von Großaufträgen.
So sind Bauaufträge ab einem Auftragswert von E 120.000,– im offenen oder nicht offenen Verfahren mit Bekanntmachung zu vergeben. Im Klartext: Die detaillierten Vergabevorschriften werden auf Bauaufträge erstreckt, die um 40-mal kleiner sind (!) als der durch die EG-Richtlinien vorgegebene Schwellenwert.

- Zwar wurde die Detailausgestaltung des Vergaberechtsschutzes den Ländern überantwortet. Die Grundsatzgesetzgebung hat das BVergG 2002 vorgegeben. Neu3 sind für die meisten Auftraggeber strenge Präklusionsvorschriften, die Einschränkung der anfechtbaren Entscheidungen und die Eröffnung des Rechtszuges zum Verwaltungsgerichtshof.
Die relativ kurzen Fristen, innerhalb derer Bieter/Bewerber/sonst interessierte Unternehmer angebliche Vergaberechtswidrigkeiten geltend machen müssen, gewähren den Auftraggebern rasch Rechtssicherheit. Ausgeschlossen ist mittlerweile die ehemals beliebte Praxis von Bietern, fehlerhafte Ausschreibungsunterlagen erst im Zuge der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung anzufechten.
Fehlerhafte Ausschreibungsunterlagen sind spätestens 14 Tage vor Ablauf der Angebotsfrist anzufechten.4
Voraussetzung für ein Nachprüfungsverfahren ist darüber hinaus auch, dass eine der im BVergG 2002 taxativ aufgezählten Entscheidungen angefochten wird. Ausgeschlossen sind dadurch Nachprüfungsanträge zu einer jeden denkbaren und undenkbaren Entscheidung eines Auftraggebers, wie sie vor allem Gegenstand zahlreicher Anträge in Sachen Chipkarten-Entscheidung waren.5

- Vor dem Hintergrund, dass das BVergG 2002 grundsätzlich auch Aufträge mit einem Wert bis zu 1 Cent erfasst, sieht es für Klein- und Kleinstaufträge Sonderverfahren vor: Direktvergabe, nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung, Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung und geladener Wettbewerb. Darüber hinaus eröffnet das BVergG 2002 die Möglichkeit zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen, also Vereinbarungen ohne Abnahmeverpflichtung des Auftraggebers.6

- Das BVergG 2002 und die E-Procurement-Verordnung schaffen die gesetzlichen Grundlagen für das so genannte E-Procurement, also die vollständig elektronische Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Neben einer – ob ihres geringen Auftragswerts – bloß pro forma ermöglichten e-Auktion7, wird die elektronische Übermittlung jeder Art von Mitteilungen/Informationen einschließlich Ausschreibungsunterlagen und Angebote grundsätzlich als zulässig erklärt.
Für die Übermittlung von Ausschreibungsunterlagen, Angeboten und Angebotsbewertungsdokumenten sind besondere elektronische Vorkehrungen, insbesondere die sichere elektronische Signatur, erforderlich. Darüber hinaus muss die Abgabe von elektronischen Angeboten in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich für zulässig erklärt werden.8

- Das BVergG 2002 verrechtlicht zahlreiche wesentliche Entscheidungen der Vergabekontrollinstanzen und des EuGH. So findet sich mit Wirkung für alle Auftraggeber die gesetzliche Trennung zwischen Zuschlagsentscheidung und Zuschlagserteilung und die von den Auftraggebern zwingend einzuhaltende Sperrfrist. Ausdrücklich verankert ist auch die Verpflichtung zur Gewichtung der Zuschlagskriterien. Eine ausdrückliche Regelung findet auch die nicht unerhebliche Ausnahmebestimmung der „Inhouse-Vergabe“.

- Schließlich vergrößert das BVergG 2002 den Entscheidungsspielraum der Auftraggeber in vielen Detailregelungen und nutzt den durch die EG-Vergaberichtlinien vorgegebenen Gestaltungsspielraum zugunsten der Auftraggeber: So wird – anders als im BVergG 1997 und zahlreichen Landesvergabegesetzen – die Gleichwertigkeit des offenen und nicht offenen Verfahrens festgeschrieben.
Das Billigstbieterprinzip, also die Möglichkeit, den Auftrag an das Angebot mit dem niedrigsten Preis zu erteilen, wird unter eingeschränkten Bedingungen zugelassen. Die grundsätzliche Zulässigkeit von Alternativangeboten wird auf technische Alternativangebote eingeschränkt, sodass wirtschaftliche/ rechtliche Alternativangebote ausgeschlossen werden können.
Die Fragestellung, wie mit einem rechnerisch nicht korrekten Angebot umzugehen ist, wird dem Auftraggeber zur Entscheidung übertragen. Der Auftraggeber kann in den Ausschreibungsunterlagen eine abweichende Regelung zu der allgemein üblichen Rechenfehlerregelung vorgeben, wie sie der ÖNORM A 2050 entstammt.9

Zwischenergebnis 1: Das BVergG 2002 ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es sieht zahlreiche Erleichterungen im Vergleich zu den früher in Österreich in Geltung gewesenen Vergabevorschriften vor. Nicht übersehen werden darf, dass viele der heute zu Recht kritisierten Probleme aus den Vorgängerregelungen, nicht zuletzt der jahrzehntelangen Vergabepraxis (ÖNORM A 2050) und den zahlreichen Selbstbindungsbestimmungen öffentlicher Auftraggeber, herrühren. In Ermangelung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes wären bisher diese Unklarheiten zu diesen internen Vergabevorschriften, zu wenig bewusst. In Verbindung mit dem vergabespezifischen Rechtsschutz erwachten diese Unklarheiten bzw. Rechtsfragen aber nun einmal zum Leben.

Probleme im Zusammenhang mit BVergG 2002
Das BVergG 2002 wird vielfach und zu Recht als äußerst komplexe und für den Rechtsanwender zum Teil unverständliche Rechtsmaterie bezeichnet. Die Verbindung der EG-Vergaberichtlinien mit der jahrzehntelang gewachsenen österreichischen Vergabepraxis, wie sie in der ÖNORM A 2050 dokumentiert ist, hat diese Komplexität zur Folge. Ergänzt wird diese Komplexität durch politische Kompromisse, welche oftmals schwer verständlich sind und keine klare Antwort geben.
Ein Paradebeispiel für eine derart unklare Regelung ist § 26 Abs. 4 BVergG 2002: Danach ist ein Verhandlungsverfahren mit nur einem Bieter bis einem Auftragswert von SZR 130.000,– (ca. E 154.000,–) zulässig, „sofern im Hinblick auf die Eigenart der Leistung, die Durchführung eines wirtschaftlichen Wettbewerbs aufgrund der Kosten des Beschaffungsvorgangs wirtschaftlich nicht vertretbar ist“. Diese dreifache Betonung der Wirtschaftlichkeit eines Vergabeverfahrens ist zwar im Kern richtig. Wortlaut und Systematik dieser Ausnahmevorschrift lassen jedoch offen, inwieweit aus „Gründen der wirtschaftlichen Beschaffung“ geistig-schöpferische Dienstleistungen im Verhandlungsverfahren mit einem Bieter vergeben werden dürfen.
Nicht zu übersehen ist der systematische Zusammenhang, insbesondere die relativ niedrigen Schwellenwerte für die Direktvergabe von geistig-schöpferischen Dienstleistungen (E 30.000,–) bzw. für ein Verhandlungsverfahren mit 3 Bietern (E 60.000,–). Dass die Beschaffung von geistig-schöpferischen Dienstleistungen im Wege eines mehrere Bieter umfassenden Vergabeverfahrens beschwerlich und kostenintensiv ist, gilt grundsätzlich für die Vergabe einer jeden geistig-schöpferischen Dienstleistung. Geistig-schöpferische Dienstleistungen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass ihr Leistungsinhalt nicht standardisierbar ist und die Bewertung der Angebote ausgefeilter Bewertungsmethoden und geeigneter Prüfer bedarf, also im Vergleich zu einer normalen Leistungsbeschaffung besonders kostenintensiv ist. Worin im Einzelfall die besonders hohen Kosten bzw. das besondere Wirtschaftlichkeitsgebot bei der Beschaffung einzelner geistig-schöpferischer Dienstleistungen liegen soll, die die Anwendung des § 26 Abs. 4 rechtfertigen, während andere geistig-schöpferische Dienstleistungen offenbar bereits ab E 60.000,– im Verhandlungsverfahren mit Bekanntmachung zu vergeben sind, ist schwer ersichtlich. Derzeit ist § 26 Abs. 4 BVergG 2002 eine Einfallspforte der Rechtsunsicherheit und guter Argumente für „mutige“ Auftraggeber.
Eine weitere – wesentliche – Unsicherheit offenbart sich im Zusammenhang mit der Direktvergabe. Die Direktvergabe ist eine Leistung, die formfrei unmittelbar von einem ausgewählten Unternehmen gegen Entgelt bezogen wird.10 Dem Sinn nach handelt es sich also bei der Direktvergabe um die Beschaffung von Leistungen direkt bei einem Unternehmen, ohne dass Angebote von anderen Unternehmen eingeholt werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass – nicht zuletzt aus Effizienzüberlegungen – zumindest drei Vergleichsangebote eingeholt werden und der Auftrag dem günstigsten dieser drei eingeholten Angebote erteilt wird. Eine derartige Beschaffungspraxis ist jedoch in der Regel keine Direktvergabe (auch wenn der Auftragswert kleiner als E 20.000,– ist), sondern entweder ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung oder ein nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung.
Diese unterschiedliche Einstufung eines solchen Beschaffungsvorgangs hat vor allem eine erhebliche Konsequenz: Auch im Verhandlungsverfahren bzw. nicht offenen Verfahren ohne Bekanntmachung hat der Auftraggeber den nicht zum Zuge kommenden Bietern die Zuschlagsentscheidung bekannt zu geben und die Sperrfrist abzuwarten. Erst danach darf er den Auftrag an den Bestbieter erteilen. Verstößt der Auftraggeber gegen diese Vorschrift, ist der Auftrag nichtig.11 Das heißt, gerade die bei Kleinstaufträgen beliebte Praxis, „Vergleichsangebote“ einzuholen, schafft die Gefahr einer nichtigen Beschaffung.
Verstärkt wird diese Rechtsunsicherheit durch § 27 Abs. 2 BVergG 2002, der im Zusammenhang mit der Direktvergabe von „Vergleichsangeboten“ spricht. Was unter derartigen „Vergleichsangeboten“ zu verstehen ist, die im Zusammenhang mit der Direktvergabe eingeholt werden, ohne dass diese Vergleichsangebote ein „Verhandlungsverfahren oder nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung“ auslösen, lässt sich dem BVergG 2002 nicht eindeutig entnehmen. Diese Unklarheit betrifft eine Vielzahl an Kleinauftragsvergaben und wird durch die Nichtigkeitssanktion nach § 100 BVergG 2002 verschärft.
Unklar – zumindest für nicht juristisch besonders ausgebildete Anwender wenig verständlich – ist die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommene Fristenberechnungsregelung. Wieso eine Fristenberechnungsregelung für Stunden, Wochen, Monate oder Jahre vorgesehen wird, obwohl das BVergG 2002 nur Tagesfristen kennt, ist nicht erklärbar. Wenig verständlich ist auch, wieso der Beginn der Fristen, die vom Auftraggeber bei der Festsetzung der Angebotsfrist zu beachten sind, je nachdem, ob es sich um den Unter- oder den Oberschwellenbereich handelt, unterschiedlich geregelt ist.
Nicht hinreichend geklärt ist die Stellung des Billigstbieterprinzips. Zwar wird das Billigstbieterprinzip in jenen Fällen zugelassen, in denen ein Qualitätswettbewerb nicht in Frage kommt. Gleichzeitig wird jedoch als Grundsatz die Zulassung von technischen Alternativangeboten vorgegeben. Berücksichtigt man, dass Alternativangebote nur im Zusammenhang mit dem Bestbieterprinzip zulässig sind, wird das Bestbieterprinzip über die Hintertür des Alternativangebots – entgegen den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers – wieder festgeschrieben. Auch wenn vertreten werden kann, dass in jenen Fällen, in denen das Bestbieterprinzip berechtigt ausgeschlossen wird, auch technische Alternativangebote ausgeschlossen sind, verbleibt ein Rest an Rechtsunsicherheit für den Auftraggeber.
Vor allem hat der Auftraggeber im Zuge der Angebotsprüfung und Angebotsbewertung zahlreiche Entscheidungen für und gegen Bieter zu treffen, bei denen er zwischen den Stühlen sitzt. Unabhängig davon, wie er sich entscheidet, hat der Auftraggeber in besonders umstrittenen Auftragsvergaben mit Nachprüfungsanträgen der unterlegenen Bieter zu rechnen. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass die „richtige Entscheidung“ nicht dem BVergG 2002 mit 100%iger Sicherheit zu entnehmen ist. Unterschiedliche Auslegungen der Vergabekontrollbehörden einschließlich der Höchstgerichte machen es dem Auftraggeber schwer, immer die richtige Entscheidung zu treffen. Auch wenn der Auftraggeber sich nach bestem Wissen und Gewissen um eine sachlich richtige Prüfung und Entscheidung rund um die Bestbieterermittlung bemüht, drohen die Nichtigerklärung einer Entscheidung und letztlich auch Schadenersatzansprüche der Bieter.

Zwischenergebnis 2: Das BVergG 2002 ist derart komplex und vielschichtig, dass es zur Rechtsunsicherheit bei den Auftraggebern führt. Diese Rechtsunsicherheit wird durch unterschiedliche Auslegungspraktiken der Nachprüfungsbehörden und durch eine zu geringe Berücksichtigung der Situation des Auftraggebers im Zeitpunkt der jeweils zu treffenden Entscheidung verstärkt.

Gestiegene Transaktionskosten infolge BVergG 2002
Das BVergG 2002 fordert von den Auftraggebern nicht nur im Oberschwellenbereich die Bekanntmachung im EU-Amtsblatt, sondern auch die Bekanntmachung in einem nationalen Medium. Diese Bekanntmachung im nationalen Medium ist – anders als die Bekanntmachung im EU-Amtsblatt – in der Regel kostenpflichtig. Auch wenn diese Bekanntmachungskosten – gerechnet auf eine Ausschreibung – als „lächerlich gering“ und daher nicht weiter diskutierenswert bezeichnet werden mag, darf nicht die Summe übersehen werden, die Auftraggeber jährlich für derartige Bekanntmachungen zu entrichten haben. Auch Kleinvieh kostet Geld! Zu berücksichtigen gilt dabei auch, dass die nationalen Medien zum Teil – von den gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen Standardformularen – abweichende Eingabeanforderungen stellen. Dies hat in der Praxis die Folge, dass der Auftraggeber ein und dieselbe Bekanntmachung zweimal konzipieren (einmal für das EU-Amtsblatt und einmal für das nationale Medium) oder sich der oftmals nicht bedienerfreundlichen Eingabemasken der nationalen Medien bedienen muss.
Das auch für den Unterschwellenbereich geltende Prinzip, dass von allen (!) Bewerbern/Bietern zunächst die Eignung zu prüfen ist, führt zu – beachtet man die Summe der Aufträge – erheblichen Kosten seitens der Auftraggeber. Mit der Prüfung dieser Eignungsnachweise ist ein erheblicher bürokratischer Aufwand verbunden; nicht zuletzt auch wenn man das Gebot zur Behebung dieser fehlenden Eignungsnachweise berücksichtigt.
Die zivilrechtlichen Regelungen (§ 62 BVergG 2002; § 80 BVergG 2002) führen zu einer – im Vergleich zum allgemeinen Zivilrecht – oftmals nicht nachvollziehbaren weitgehenden Einschränkung des Gestaltungsspielraums des Auftraggebers. So begrüßenswert und so richtig die Vorgabe in § 62 BVergG 2002 und § 80 BVergG 2002, insbesondere der Verweis auf ÖNORMEN ist, so wenig können sie Allgemeingültigkeit für eine jede Auftragsvergabe beanspruchen, noch dazu für eine jede Auftragsvergabe im Unterschwellenbereich. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass auch diese mittlerweile durch § 80 BVergG 2002 vorgegebenen ÖNORMEN kostenpflichtig sind, was dann an Bedeutung gewinnt, wenn man die Vielzahl der unterschiedlichen ÖNORMEN, je nachdem um welche Leistungsart es sich handelt, zu berücksichtigen und allenfalls auch auszugeben hat.
Ein Mehraufwand ist auch mit den geforderten Vergabevermerken verbunden. Richtig ist zwar, dass es derartiger Vergabevermerke bei größeren Aufträgen bedarf. Übersehen wird jedoch, dass ein solcher Vergabevermerk in den von § 106 BVergG 2002 geforderten Details auch bei Kleinstaufträgen (zumindest größer als E 20.000,–) zu konzipieren ist und diese Konzeption ein Mindestmaß an vergaberechtlichem Know-how erfordert. Auch eine weniger detaillierte Dokumentation würde jedoch den Anforderungen der Kontrollorgane (Rechnungshöfe) entsprechen.

Zwischenergebnis 3: Das BVergG 2002 schafft gerade in Bezug auf die Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich zusätzliche Transaktionskosten, die nicht immer sachlich gerechtfertigt sind. Vor allem erfordern gerade auch Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich besonderes vergaberechtliches Know-how und auch besondere Kenntnisse des Beschaffungsmarkts. Ein derartiger Aufwand ist bei Klein- und Kleinstaufträgen vor dem Effizienzgrundsatz (Art. 51a B-VG) nicht zu rechtfertigen.

Das neue EU-Legislativpaket in Vergabesachen – ein Lichtblick?
Nach jahrelangen Diskussionen ist Anfang dieses Jahres das EU-Legislativpaket in Sachen Vergabewesen in Kraft getreten.12 Eine Vielzahl der durch dieses Legislativpaket den Mitgliedstaaten vorgegebenen Vergabevorschriften hat das BVergG 2002 bereits vorweggenommen. Daneben zeichnet sich das Legislativpaket durch einige Erleichterungen für die Auftraggeber aus, die einen Teil der unter Punkt 2 und 3 georteten Probleme zumindest zu mildern geeignet sind. Unter anderem sind folgende Erleichterungen für Auftraggeber bei einer Umsetzung des EU-Legislativpakets zu erwarten:

- Die maßgeblichen Schwellenwerte, nach denen das EU-Vergaberecht zu beachten ist, werden um ca. 20% angehoben.13

- Die Fristen können um bis zu 12 Tage gekürzt werden, wenn die Bekanntmachung an das EU-Amtsblatt elektronisch übermittelt wird und alle Ausschreibungsunterlagen vollständig und uneingeschränkt von der Homepage abrufbar sind.14

- Die Eignungsprüfung kann durch amtliche Verzeichnisse zugelassener Wirtschaftsteilnehmer und/oder Zertifizierung durch öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Stellen erleichtert werden. Anders als derzeit nach § 52 Abs. 4 BVergG 2002 vorgesehen ist, ermöglicht das EG-Legislativpaket Wirtschaftsteilnehmern, sich in amtlichen Verzeichnissen registrieren zu lassen bzw. eine entsprechende Zertifizierung einzuholen und durch Vorlage einer derartigen Bescheinigung die Eignung für den gegenständlichen Auftrag zu belegen, ohne alle übrigen Unterlagen vorlegen zu müssen. Auch wenn eine derartige Eintragung in amtliche Verzeichnisse oder eine derartige Zertifizierung nicht zwingend erforderlich sein soll, sollte zumindest ein wesentlicher Teil der Eignungsprüfung ohne weitere Aufwendungen für Auftraggeber ausgelagert werden können. Dies gilt vor allem für jene Bieter/Bewerber, deren Eignung ohnehin notorisch ist, die jedoch derzeit in jedem Vergabeverfahren zu prüfen ist und wobei Fehler nicht auszuschließen sind.

- Dieses EU-Legislativpaket sieht im Hinblick auf die bisherige EuGH-Judikatur Klarstellungen vor. Ausdrücklich festgehalten wird unter anderem die Zulässigkeit der Gesamtvergabe eines Planungs- und Ausführungsauftrags; also eine in Österreich heiß diskutierte Frage15. Technische Spezifikationen müssen nicht im Detail (konstruktiv) vorgeschrieben werden, sondern können auch in Form von Leistungs- und Funktionsanforderungen vorgegeben werden.16 EU-Mitglieder können zentrale Beschaffungsstellen einrichten, derer sich Auftraggeber bedienen können. Für den Fall, dass Auftraggeber Beschaffungen über diese zentralen Beschaffungsstellen durchführen, gilt die Vermutung, dass sie den Vergabevorschriften entsprochen haben.17
Nunmehr werden auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene die E-Auktion und der Abschluss einer Rahmenvereinbarung zugelassen, sodass einer Ausweitung dieser beiden Beschaffungsinstrumente auch auf den Oberschwellenbereich in Österreich nichts entgegensteht. Damit werden den Auftraggebern Beschaffungsvorgänge ermöglicht, wie sie von Privaten praktiziert werden. Darüber hinaus ermöglicht das EU-Legislativpaket noch eine weitere Spielart des E-Procurements, nämlich dynamische Beschaffungssysteme.18

Zwischenergebnis 4: Das Legislativpaket in Sachen Vergabewesen sieht erhebliche Erleichterungen für die Auftraggeber vor. Ihnen werden modernere, dem Wirtschaftsleben angepasste Vergabeverfahren in die Hand gegeben, kürzere Fristen werden ebenso ermöglicht wie der Einsatz von zentralen Beschaffungsstellen sowie amtlicher Verzeichnisse bzw. Zertifizierungsstellen zur Eignungsprüfung.

Über die Umsetzung des EG-Legislativpakets hinausgehende Änderungserfordernisse
Weithin anerkannt ist das Erfordernis eines klaren und verständlichen Gesetzestextes. In diesem Sinn wurden Prof. Aicher und Prof. Holoubek zur Ausarbeitung eines Vorschlags für die Strukturierung eines neuen Bundesvergabegesetzes vom Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten beauftragt. Es ist zu hoffen, dass nicht zuletzt durch deren Hilfe und die verschiedenen Hinweise im Rahmen der umfangreichen Evaluierung des BVergG 2002 die genannten Widersprüche im BVergG 2002 behoben werden. Vor allem gilt es, die Direktvergabe, die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen und geistig-schöpferische Dienstleistungen neu und frei von Unklarheiten zu regeln.
In Anbetracht dessen, dass ein allen Anforderungen des BVergG 2002 entsprechendes Vergabeverfahren für geistig-schöpferische Dienstleistungen immer mit erheblichen, und zwar im Vergleich zu normalen Vergabeverfahren überdurchschnittlichen Kosten verbunden sind, sollte deren Vergabe ebenso wie die Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen bis zum Schwellenwert von E 154.000,– ausschließlich den Vergabegrundsätzen und den Regeln über den Rechtsschutz unterworfen sein. Der Auftraggeber sollte ohne erheblichen Argumentationsaufwand in die Lage versetzt werden, geistig-schöpferische Dienstleistungen und nicht prioritäre Dienstleistungen bis E 154.000,– unter Beachtung der Vergabegrundsätze von einem Bieter zu beschaffen. Damit können die derzeit ohnehin je nach Argumentationsfreudigkeit genutzten Ausnahmebestimmungen des § 26 Abs. 4 und § 27 Abs. 1 Z 3 BVergG 2002 entfallen. Verfassungsrechtliche Bedenken sprechen nicht gegen eine derartige Liberalisierung. Der VfGH hat ausdrücklich festgehalten, dass eine differenzierte und liberale Regelung für bestimmte Auftragsarten und Auftragswerte zulässig ist, sofern ein Mindestmaß an Vergabevorschriften und Vergaberechtsschutz gewahrt wird. Letzteres wäre hier der Fall.
Überlegenswert ist auch, ob die Schwellenwerte für die Direktvergabe nicht leicht erhöht werden (z. B. von E 20.000,– auf E 30.000,–). Vor allem sollte klargestellt sein, dass der Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen mit einem Auftragswert kleiner als E 300.000,– unabhängig von der gewählten Verfahrensart nicht verpflichtet ist, die Zuschlagsentscheidung vorab den nicht zum Zuge kommenden Bietern bekannt zu geben. Damit erübrigt sich die problematische Abgrenzung zwischen Direktvergabe und nicht offenem Verfahren ohne Bekanntmachung bzw. die Abgrenzung zwischen Vergleichsangeboten und normalen Angeboten.
Vor allem sollten die Schwellenwerte für ein nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung für Bauaufträge zumindest auf E 500.000,– angehoben werden. Damit wird eine Verpflichtung zu einem bekannt gemachten Verfahren ohnehin weiterhin für Aufträge festgehalten, die zwölfmal kleiner sind als der nunmehr EG-rechtlich relevante Schwellenwert. Der Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge sollte zumindest auf E 100.000,– erhöht werden.
Darüber hinaus könnten die Transaktionskosten der Auftraggeber und deren Rechtssicherheit noch durch folgende Ergänzungen gesenkt werden:

- Ausdrückliche Regelung, dass dem Auftraggeber ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, sofern nichts Gegenteiliges gesetzlich geregelt ist. Und zwar als Vergabegrundsatz! Damit wird der EuGH-Judikatur Rechnung getragen und Nachprüfungsbehörden angehalten, im Zweifel für den Auftraggeber zu entscheiden, zumindest jedoch die Situation des Auftraggebers bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

- Die zivilrechtlichen Bestimmungen im BVergG 2002 sind entbehrlich. Hiefür reicht die nachprüfende Kontrolle der Ausschreibungsunterlagen durch den OGH gemäß § 879 Abs. 3 ABGB. In diesem Sinn können § 62 und § 80 BVergG 2002 ersatzlos gestrichen werden.

- Die Zuschlagsfrist sollte in der Regel 3 Monate betragen.

- Klargestellt sollte werden, dass Auftraggeber berechtigt sind, auch technische Alternativen auszuschließen, wenn sie zu Recht das Billigstbieterprinzip anwenden.

- Auftraggebern sollte entweder das Recht zur kostenlosen Veröffentlichung in den genannten nationalen Medien eingeräumt werden oder das Recht eingeräumt werden, die Bekanntmachung in einem eigenen Bekanntmachungsorgan zu veröffentlichen.

Zwischenergebnis 5: Viel wurde bereits durch das BVergG 2002 umgesetzt. Einige wesentliche Änderungen sind infolge des EG-Legislativpakets zu erwarten. Darüber hinaus bedarf es jedoch noch weiterer Adaptierungen und Umstrukturierungen des BVergG 2002. Vor allem ist dem Effizienzgrundsatz und dem Grundsatz nach einer klaren Regelung Rechnung zu tragen. In diesem Sinn sind die Schwellenwerte für Direktvergaben/Verhandlungsverfahren mit einem Bieter und nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung zu überdenken und die im Zuge der Evaluierung des BVergG 2002 aufgezeigten Widersprüche zu beseitigen.

Fußnoten:
1 Art. 1 des Bundesgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz sowie das Bundesgesetz über die Errichtung einer Bundesbeschaffungsgesellschaft mit beschränkter Haftung geändert und ein Bundesvergabegesetz erlassen wird (BGBl. I 2002/99), schafft mit Art. 14b B-VG das „öffentliche Auftragswesen“ als neuen Kompetenztatbestand. Mit Ablauf des 30. 6. 2003 traten die letzten ehemaligen Landesvergabegesetze außer Kraft und wurden durch das BVergG 2002 ersetzt.

2 Vgl. Erkenntnis vom 30. 11. 2000, G 110, 111/99; Erkenntnis vom 26. 2. 2001, G 43/00; Erkenntnis vom 9. 10. 2001, G 10/01; Erkenntnis vom 26. 2. 2002, G 351/01 u. a.
3 Mit Ausnahme jener Auftraggeber, die dem ehemaligen Wiener Landesvergabegesetz unterstanden.

4 Sofern es sich nicht um ein beschleunigtes Verfahren oder um ein Verfahren im Unterschwellenbereich handelt

5 Zur nicht nachvollziehbaren/undenkbaren Anfechtung nach dem BVergG 1997 vgl. vor allem VfGH vom 2. 3. 2002, B 691/01. Zu Recht verweist der VfGH darauf, dass schon der Natur der Sache nach nicht möglich ist, die von den Antragstellern geltend gemachte „Unterlassung des Auftraggebers für nichtig zu erklären“.

6 Vgl. § 26 ff. BVergG 2002.

7 Derzeit nur zulässig bis E 40.000,–; vgl. § 116 ff. BVergG 2002.

8 Vgl. § 22 BVergG 2002, § 68 BVergG 2002, § 85 BVergG 2002 und E-Procurement-Verordnung 2004, BGBl II 2004/183.

9 § 67 Abs. 5 BVergG 2002; § 94 Abs. 4 BVergG 2002: Entsprechend der jahrzehntelangen ÖNORM-A-2050-Praxis sind rechnerisch fehlerhafte Angebote – sofern nichts Gegenteiliges in den Ausschreibungsunterlagen festgehalten wird – auszuscheiden, wenn infolge der Berichtigung des Rechenfehlers es zu einer Vorreihung kommt oder die Summe der Absolutbeträge aller Berichtigungen 2% oder mehr des ursprünglichen Gesamtpreises beträgt.

10 § 23 Abs. 7 BVergG 2002.

11 § 100 BVergG 2002.

12 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 3. 2004, ABl 30. 4. 2004, L 134/1; Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 3. 2004, ABl 30. 4. 2004, L 134/114.

13 Infolge einer nachträglichen Anpassung dieses EU-Legislativpakets durch EG-Verordnung der Kommission Nr. 1874/2004, sind folgende Schwellenwerte bis auf weiteres maßgeblich: Bauaufträge E 5,923.000,–; Liefer-/Dienstleistungsaufträge E 236.000,–; Liefer-/Dienstleistungsaufträge Sektorenunternehmer E 473.000,–.

14 Art. 38 Abs. 5 und 6 RL 2004/18/EG.

15 Vgl. BVA 29. 3. 2004, 15N-06/04-29 Stadionbau Klagenfurt; Art. 1 Abs. 2 lit b EG-RL 2004/18/EG.

16 Vgl. Art. 23 RL 2004/18/EG.

17 Vgl. Art. 1 Abs. 10 und Art. 11 RL 2004/18/ EG.

18 Vgl. Art. 1 Abs. 5, 6 und 7 sowie Art. 32 und 34 EG-RL 2004/18/EG.

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