Anwendung des Vergaberechts bei In-House-Geschäften (Halle-Erkenntnis) und interkommunaler Zusammenarbeit

Anwendung des Vergaberechts bei In-House-Geschäften (Halle-Erkenntnis) und interkommunaler Zusammenarbeit

Mit zwei Grundsatzentscheidungen vom 11. und vom 13. Januar 2005 hat der Europäische Gerichtshof das Netz der vergaberechtlichen Vorschriften bzw. der Nachprüfungsmöglichkeit durch Bieter in drei für die Kommunen äußerst bedeutsamen Anwendungsbereichen (Anwendung des Vergaberechts bei der Beauftragung gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften, Ausschreibungspflicht bei interkommunalen Kooperationen, Bieterrechtsschutz auch bei – freihändigen – De-facto-Vergaben) enger gezogen. Damit sind die Regeln für öffentliche Ausschreibungen weiter verschärft worden. Mit den beiden Urteilen des EuGH vom Januar wird wieder eines in aller Deutlichkeit klar: Die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge und deren eigenverantwortliche Ausgestaltung durch die Kommunen wird weitgehend von den EU-rechtlichen Vorgaben des Vergaberechts bestimmt. Neben dem Bereich der Privatisierung kommunaler Aufgaben wird von diesen Vorgaben zunehmend auch die interkommunale Zusammenarbeit erfasst. Für die Kommunen vergaberechtsfreie Regelungsbereiche werden immer seltener. Sie lassen sich allenfalls noch durch eine Rekommunalisierung kommunaler Aufgaben bzw. durch das andere Pendant, nämlich eine komplette Entledigung kommunaler Leistungen und mithin durch eine materielle Privatisierung, die aber keinen Beschaffungscharakter haben darf, erreichen. Ob diese Wege aber im Einzelfall überhaupt sinnvoll sind, muss der Entscheidung der einzelnen Kommune vorbehalten bleiben.

 

I. Das EuGH-Urteil vom 11. Januar 2005 (In-House-Geschäfte)
1. Der Sachverhalt
In einem Grundsatzurteil vom 11. Januar 2005 (Internet: europa.eu.int cj/de/index.htm) hat der EuGH1 entschieden, dass Kommunen das Vergaberecht auch dann anwenden müssen, wenn sie Aufträge an die von ihnen beherrschten Unternehmen mit privater Beteiligung vergeben.
Das Urteil des EuGH betraf eine ohne Ausschreibung durch die Stadt Halle/ Saale im Abfallentsorgungsbereich vorgenommene Vergabe. Diese Direktvergabe der Stadt Halle erfolgte an eine Gesellschaft, an der diese mittelbar über die Stadtwerke mit Mehrheit (75,1%) und eine private Gesellschaft mit 24,9% beteiligt waren. Die Stadt Halle hat in dem Vergabenachprüfungsverfahren vor dem OLG Naumburg geltend gemacht, dass wegen ihrer Beherrschung über die Gesellschaft bei der ohne vorherige förmliche Einleitung eines Vergabeverfahrens stattgefundenen Direktvergabe ein – vergaberechtsfreies – In-House-Geschäft gegeben sei. Dieser Auffassung hat der EuGH auf der Grundlage verschiedener Vorlagefragen des OLG Naumburg eine Absage erteilt.

2. Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht
Nach dem Urteil des EuGH hat ein öffentlicher Auftraggeber zwar die Möglichkeit, seine im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben vergaberechtsfrei mit seinen eigenen Mitteln zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden. In einem solchen Fall kann von einem ausschreibungspflichtigen Vorgang mangels Vorliegen eines entgeltlichen Vertrages zwischen zwei rechtlich unterschiedlichen Parteien nicht die Rede sein (Rdn. 48).
Selbst wenn der Vertragspartner eine Einrichtung ist, die sich vom öffentlichen Auftraggeber rechtlich unterscheidet, ist es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht ausgeschlossen, eine Vergaberechtsfreiheit anzunehmen. Dies gilt dann, wenn die öffentliche Stelle über die fragliche Einrichtung, die ihrerseits auch selbst ein öffentlicher Auftraggeber sein kann, eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die öffentlichen Stellen verrichtet, die ihre Anteile innehaben (EuGH, „Teckal“, Rdn. 50)2. Der EuGH erinnert in seinem Urteil vom 11. Januar 2005 ausdrücklich daran, dass in der „Teckal-Entscheidung“ die fragliche Einrichtung zu 100% von öffentlichen Stellen gehalten wurde.

3. Ausschreibungspflicht bei privater Minderheitsbeteiligung
Dagegen schließt nach dem EuGH die auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall aus, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen. Insofern beruhe die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen – anders als die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zwischen öffentlichen Auftraggebern und ihren Dienststellen – auf Überlegungen, die mit privaten Interessen zusammenhängen (Rdn. 50).
Der EuGH betont weiter, dass die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung das Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessen beeinträchtigen würde. Insbesondere würde ein solches Verfahren einem am Kapital dieses Unternehmens beteiligten privaten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen. Dieser Vorteil wäre gerade angesichts der eng auszulegenden Ausnahmen eines Abweichens vom unverfälschten Wettbewerb nicht zu rechtfertigen.

4. Klarstellung
Die EuGH-Entscheidung vom 18. November 1999 (Teckal) hatte ebenso wie die Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in dem EuGH-Verfahren vom 11. Januar 2005 auch bei gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften mit privater Minderheitsbeteiligung noch einen Spielraum dafür gelassen, eine am Einzelfall orientierte Abgrenzung der „Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen“ und damit eine Vergaberechtsfreiheit anzunehmen. Mit dem EuGH-Urteil vom 11. Januar 2005 ist diese Möglichkeit entzogen. Obwohl es bei gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften auch seitens der Kommunen Möglichkeiten gibt, ihren Einfluss im Sinne einer „Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen“ zu sichern, hat der EuGH mit seiner neuen Entscheidung hier alle Spielräume genommen.
Klargestellt ist nunmehr, dass selbst bei einer privaten Minderheitsbeteiligung von wenigen Prozent und einer gesellschaftsrechtlich ausgeübten Kontrolle der Kommunen über die gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft der öffentliche Auftraggeber immer verpflichtet ist, bei der Gründung und Beauftragung einer derartigen Gesellschaft das Vergaberecht anzuwenden. Eine Vergaberechtsfreiheit kommt danach nur in Frage, wenn der Auftraggeber sämtliche Anteile an dem zu beauftragenden Unternehmen hält.

5. Bieterrechtsschutz auch bei freihändigen Vergaben
Klargestellt hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2005 weiter, dass private Unternehmen und Anbieter auch gegen direkte Auftragsvergaben eines öffentlichen Auftraggebers, die ohne Durchführung eines förmlichen Ausschreibungsverfahrens (De-facto-Vergaben) stattgefunden haben, Rechtsschutz geltend machen können. Der EuGH stützt sich dabei auf Art. 1 Abs. 1 der EG-Rechtsmittelrichtlinie vom 21. Dezember 1989. Danach müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Bau-, Liefer- und Dienstleistungsrichtlinien fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nachgeprüft werden können.
Der EuGH betont weiter, dass Art. 2 Abs. 1b der EG-Rechtsmittelrichtlinie unabhängig von der Möglichkeit des Bieters, nach Vertragsschluss Schadenersatz zu verlangen, ausdrücklich die Möglichkeit der Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen in jedem Dokument und Stadium vorsehe. Dies beinhalte auch die im Vorfeld einer Ausschreibung getroffenen Entscheidungen3. Nicht nachprüfbar sind nach dem EuGH nur Handlungen des Auftraggebers, die eine bloße Vorstudie des Marktes darstellen oder die rein vorbereitend sind und sich im Rahmen der internen Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags abspielen.
Weiters stellt der EuGH in seinem Urteil vom 11. Januar 2005 klar, dass die Nachprüfungsmöglichkeit jedem offen steht, der ein Interesse an dem fraglichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Eine formale Bieter- oder Bewerbereigenschaft ist hiernach nicht erforderlich (Rdn. 40).

II. Das EuGH-Urteil vom 13. Januar 2005 (Interkommunale Zusammenarbeit)
1. Generelle Vergaberechtsfreiheit interkommunaler Kooperationen
EU-rechtswidrig

In einem weiteren Urteil vom 13. Januar 2005 (Internet: europa.eu.int cj/de/index.htm) hat der Europäische Gerichtshof4 die Geltung des Vergaberechts zusätzlich ausgedehnt. Die Richter werteten es als Verstoß gegen die EG-Vergaberichtlinien, dass Spanien in einem Gesetz über öffentliche Aufträge vom 16. Juni 2000 „Kooperationsvereinbarungen, die … Gebietskörperschaften untereinander schließen“, generell vom Vergaberecht ausgenommen hat, obwohl diese Vereinbarungen öffentliche Aufträge im Sinne der EG-Liefer- und Baukoordinierungsrichtlinien sein könnten.
Nach den Definitionen in Art. 1a der EG-Liefer- und Baukoordinierungsrichtlinie (EG-RL 93/36 und EG-RL 93/37) genügt es für die Anwendung des Vergaberechts sowohl im Liefer- als auch im Baubereich grundsätzlich, dass ein Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen wurde. Etwas anderes kann nach dem EuGH nur dann gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die betreffende Person eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt und diese Person zugleich im Wesentlichen für die sie kontrollierende Gebietskörperschaft oder Gebietskörperschaften tätig ist (Urteil „Teckal“, Rdn. 50).
Aufgrund dieser Vorgaben dürfen aber interkommunale Kooperationen nach dem Urteil des EuGH nicht generell – wie in Spanien mit dem Ausschluss „gleich welcher Art“ von Kooperationen geschehen – von der Anwendung des Vergaberechts ausgeschlossen werden.

2. Bestätigung nationaler Rechtsprechung
Aufgrund dieser neuen Entscheidung des EuGH ist es nunmehr für die Zukunft ausgeschlossen, dass z. B. Kommunen ihre gegenseitigen Beziehungen und Kooperationen generell vergaberechtsfrei stellen. Für Spezialfälle der Übertragung der Abfallentsorgung von einer Kommune auf eine andere Kommune hatten sich bisher schon in Deutschland die Oberlandesgerichte Düsseldorf5 sowie das OLG Frankfurt/Main6 für eine Vergaberechtspflicht ausgesprochen. Beide Gerichte kamen zu dem Schluss, dass nach den europarechtlichen Vergabevorschriften auch in diesen Fällen eine Ausschreibung erforderlich sei.

III. Schlussfolgerungen für die Kommunen
1. Jegliche private Minderheitsbeteiligung steht der Vergaberechtsfreiheit entgegen
Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2005 eindeutig festgestellt, dass jegliche „– auch nur minderheitliche – Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist“, einer vergaberechtsfreien Beauftragung durch den Auftraggeber im Wege eines In-House-Geschäfts entgegensteht. In diesem Fall ist es nach dem EuGH ausgeschlossen, dass der öffentliche Auftraggeber die für eine Vergaberechtsfreiheit erforderliche ähnliche Kontrolle über diese Gesellschaft ausübt wie über seine eigenen Dienststellen.
Damit hat eine Kommune bei der Gründung und Beauftragung einer gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft mit Bau-, Liefer-, aber auch mit Dienstleistungen stets das Vergaberecht anzuwenden, ohne dass es darauf ankommt, inwieweit dieses privatisierte Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber verrichtet (zweites Merkmal der EuGH-Teckal-Entscheidung vom 18. November 1999).

Lösungsansätze
Nach einer ersten Prüfung dürfte sich daher für den Auftraggeber empfehlen, Kooperationsmodelle mit der Privatwirtschaft so zu strukturieren, dass eine Ausschreibungspflicht nur einmal und zusammengefasst sowohl für die Auswahl des Privaten als auch für dessen Beauftragung durchgeführt wird.
Die richtige Vergabeart bei Privatisierungsvorgängen und bei der Gründung von gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften dürfte wegen der hiermit verbundenen Komplexität das Verhandlungsverfahren mit vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung sein.
Dieses Verfahren, das nach Art. 30 Abs. 1b der koordinierten Vergaberichtlinie 2004/18/EG vom 31. März 2004 in Ausnahmefällen dann zur Anwendung kommt, wenn die zu vergebenden Leistungen ihrer Natur nach – wie bei komplexen Privatisierungen – eine vorherige globale Preisgestaltung nicht zulassen, bietet den Auftraggebern die bei Privatisierungen erforderlichen Verhandlungsspielräume.

2. Konstellationen für eine Vergaberechtsfreiheit
Auch nach den beiden EuGH-Entscheidungen vom 11. und 13. Januar 2005 kommt in folgenden Konstellationen für kommunale Auftraggeber eine Vergaberechtsfreiheit in Betracht:

- Auftraggeber erfüllt Aufgaben mit eigenen Mitteln
Erfüllt eine Kommune ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln, z. B. durch einen rechtlich mit ihr identischen Eigenbetrieb, und schaltet sie keine externen Einrichtungen ein, liegt kein öffentlicher Auftrag und damit auch keine Vergaberechtspflichtigkeit bei der „Beauftragung“ dieser kommunalen Einrichtung vor. In einem derartigen Fall kann von einem nach Art. 1 Abs. 2a für einen öffentlichen Auftrag vorausgesetzten „entgeltlichen Vertrag“ zwischen dem Auftraggeber und einer Einrichtung, die sich rechtlich von ihm unterscheidet, nicht die Rede sein.

- Rein öffentlich (kommunal) getragene Gesellschaft
Hat eine Kommune oder haben mehrere Kommunen eine formelle Privatisierung dergestalt vorgenommen, dass sie eine zu 100% von ihr bzw. ihnen gemeinsam getragene Gesellschaft (Eigengesellschaft) gegründet haben, liegt zwar in Form dieser Gesellschaft eine eigenständige juristische Person vor, die sich rechtlich von der Gemeinde bzw. den Kommunen, die sie gegründet haben, unterscheidet. In Anknüpfung an das EuGH-Teckal-Urteil, auf das auch der EuGH in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2005 (Rdn. 49) Bezug nimmt, ist aber unter bestimmten Voraussetzungen trotz der Möglichkeit eines Vertragsschlusses zwischen den Kommunen und der Gesellschaft keine Vergaberechtspflichtigkeit gegeben.
Ein Absehen von der Ausschreibungspflicht kommt danach immer dann in Frage, wenn die Kommune(n) – wie dies bei einer 100%-igen Eigengesellschaft der Fall ist – über diese privatisierte Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt bzw. ausüben wie über ihre eigenen Dienststellen (Beherrschungskriterium) und diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die öffentliche(n) Stelle(n) verrichtet, die ihre Anteile innehat bzw. innehaben (Dienstleistungskriterium).
Der EuGH hat bisher zum Wesentlichkeitskriterium keine Ausführungen gemacht. Von daher ist es nicht ohne weiteres zulässig, sich hierzu auf Art. 23 der EG-Richtlinie 2004/ 17/EG (Sektorenkoordinierungsrichtlinie) vom 31. März 2004 zu berufen und für das Wesentlichkeitsmerkmal auf einen Mindestumsatz der gegründeten Einrichtung für die beherrschende Stelle von 80% auszugehen. Jedenfalls beinhaltet das Wesentlichkeitskriterium – anders als das Kontrollkriterium – noch einen Spielraum. Hieraus folgt, dass die von der bzw. den Kommune(n) kontrollierte Einrichtung für ein Absehen von der Ausschreibungspflicht auf keinen Fall zu 100% für die sie beherrschende Stelle(n) tätig sein muss.

- Vergabe von Dienstleistungskonzessionen
Ebenfalls keine Anwendung findet das Vergaberecht auf Dienstleistungskonzessionen. Insoweit bestimmt Art. 17 der EG-Richtlinie 2004/18/EG vom 31. März 2004 in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH7 ausdrücklich die Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts auf Dienstleistungskonzessionen. Dienstleistungskonzessionen sind nach Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie „Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht“.
Voraussetzung ist daher, dass das mit der Dienstleistungskonzession beauftragte Unternehmen, das naturgemäß auch ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen sein kann, mit dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung auch ein maßgebliches Risiko zum Erhalt seiner Vergütung von einem Dritten trägt.
Auch bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen muss jedoch gem. Art. 3 der EG-RL 2004/18/EG in dem Rechtsakt über die Zuerkennung der Dienstleistungskonzession bestimmt sein, dass die betreffende Einrichtung bei der Vergabe von Aufträgen an Dritte im Rahmen dieser Tätigkeit den Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit beachten muss. Gleiches gilt nach der erwähnten Rechtsprechung des EuGH auch für die Einräumung der Dienstleistungskonzession durch den Auftraggeber an einen privaten Unternehmer selbst. Auch insoweit müssen Dienstleistungskonzessionen nach den Grundregeln des EU-Vertrages in einem transparenten Verfahren unter Gleichbehandlungsbedingungen vergeben werden. Dies bedingt grundsätzlich auch eine Publizität der Vergabe der Dienstleistungskonzession in Form einer Bekanntmachung.

- Beleihungen
Nach Art. 1 Abs. 2a der EG-RL 2004/ 18/EG setzen öffentliche Aufträge Verträge zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Auftraggebern voraus. Hieran fehlt es, wenn Leistungen nicht auf vertraglicher Basis für den Auftraggeber, sondern aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen, also z. B. einem Gesetz, einer Rechtsverordnung oder einem Verwaltungsakt, erbracht werden.
Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 12. Juni 20018 entschieden, dass ein Vertrag im vergaberechtlichen Sinne nicht vorliegt, wenn eine auf Gesetz beruhende Beleihung (Bsp.: Abfallbereich) erfolgt. Denn eine reine Beleihung ist kein Vertrag i. S. d. Vergaberechts, sondern ein hoheitlicher Akt. Allerdings können auch hier Umstände hinzutreten, die als öffentliche Aufträge i. S. d. Vergaberechts gelten können.

- Materielle Privatisierungen
Vergaberechtsfrei sind auch materielle Privatisierungen, also die gänzliche Eigentums- und Verantwortungsübertragung kommunalen Vermögens auf einen privaten Dritten. Bei einer derartigen reinen Veräußerung kommunalen Eigentums, mit der kein Beschaffungsvorgang verbunden sein darf, handelt es sich gerade nicht um einen öffentlichen Einkauf, sondern im Gegenteil um einen – vergaberechtsfreien – Veräußerungsvorgang.
Auch hier gelten aber die Vorgaben des Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsprinzips, so dass z. B. ein Verkauf eines kommunalen Schwimmbads „unter Wert“ rechtlich unzulässig wäre. Unabhängig hiervon ist rechtlich zu prüfen, ob überhaupt eine komplette Entledigung kommunaler Aufgaben und eine Übertragung auf Private zulässig ist. Insoweit kann es, wie in Deutschland z. B. bei der Abwasserbeseitigung, Aufgaben geben, die den Kommunen als Pflichtaufgaben übertragen sind. Bei diesen Aufgaben ist – zumindest in Deutschland – eine komplette Entledigung durch die Kommune und eine gänzliche Übernahme durch private Dritte rechtlich ausgeschlossen.

3. Zweifelsfall: Interkommunale Zusammenarbeit und Zweckverbände
Trotz der Entscheidung des EuGH vom 13. Januar 20059, die eine spanische Regelung, die Beziehungen „gleich welcher Art“ zwischen Gebietskörperschaften vom Vergaberecht ausnahm, als nicht EG-vergaberechtskonform ansah, kann die interkommunale Zusammenarbeit und die Gründung kommunaler Zweckverbände nicht generell vergaberechtspflichtig gestellt werden. Hiefür spricht schon, dass der EuGH in seinem Teckal-Urteil aus dem Jahre 1999 die Einrichtung einer von mehreren öffentlichen Auftraggebern zu 100% gehaltenen eigenständigen Rechtspersönlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen nicht dem Vergaberecht unterwarf.
Eine Vergaberechtspflichtigkeit ist auch bei einer interkommunalen Zusammenarbeit daher dann zu verneinen, wenn sich die Vertragsparteien nicht – wie es Art. 1 Abs. 2a der EG-RL 2004/18/EG für das Bestehen eines öffentlichen Auftrags voraussetzt – als Auftraggeber und Wirtschaftsteilnehmer (Unternehmer) gegenüberstehen, sondern es sich nur um einen Vertrag zwischen verschiedenen „öffentlichen Auftraggebern“ selbst handelt10.
Eine derartige Konstellation ist aber regelmäßig bei kommunalen Zweckverbänden, bei denen ausschließlich Kommunen als Auftraggeber Teilnehmer des Zweckverbandes werden, gegeben. Weiters fehlt es bei kommunalen Zweckverbänden an der „Ausführung“ von Leistungen durch Dritte und damit am Beschaffungscharakter. Insoweit hatte insbesondere der EuGH in seiner Entscheidung vom 11. Januar 200511 als Hauptargument für den Ausschluss von Beauftragungen gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen vom Vergaberecht einen Wettbewerbsvorteil, den der private Teilhaber dieses Unternehmens vor anderen möglichen Bietern habe, als Grund für die Vergaberechtspflichtigkeit herausgestellt.
Auf die interkommunale Zusammenarbeit trifft dies aber gerade nicht zu. Diese ist eine Partnerschaft unter Hoheitsträgern und erfolgt regelmäßig ohne Beteiligung privater Dritter. Mithin findet hier gerade kein Wettbewerb auf dem Markt um einen Auftrag zwischen verschiedenen Unternehmen statt. Das Vergaberecht kann demnach bei den Formen interkommunaler Zusammenarbeit, bei denen es sich nicht um Beschaffungsakte handelt, sondern der Vertrag nur zwischen öffentlichen Auftraggebern zustande kommt, keine Anwendung finden.
Anders ist der Sachverhalt dann zu beurteilen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einem anderen öffentlichen Auftraggeber in dessen Funktion als Anbieter von Leistungen, die dieser in Konkurrenz zu privaten Unternehmen in einem Vergabewettbewerb erbringt, gegenübersteht. In diesem Fall (Bsp.: Kommune tritt als Anbieterin von Abfallentsorgungsleistungen in Konkurrenz zu privaten Dritten auf12) muss von einer Anwendung des Vergaberechts ausgegangen werden.

4. Umgang mit bestehenden (De-facto-)Verträgen
- Die Rechtsprechung des EuGH
In seinem Urteil vom 11. Januar 2005 hat der EuGH eindeutig festgestellt, dass auch die Entscheidung der Vergabestelle, ein Beschaffungsvorhaben – rechtswidrig – nicht auszuschreiben (De-facto-Vergabe), der Nachprüfung zugänglich gemacht werden muss. Dabei steht die Nachprüfungsmöglichkeit jedem potentiellen Bieter zu, dem ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
In weiteren Entscheidungen des EuGH13 (u. a.: Abwasservertrag Bockhorn/Abfallentsorgung Braunschweig) hatte der EuGH in Fällen, in denen langjährige Verträge ohne Anwendung des Vergaberechts abgeschlossen wurden, klargestellt, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in seinen Wirkungen so lange fortwirkt, wie ein ohne Einhaltung des EU-Vergaberechts zustandegekommener Vertrag implementiert wird. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ hebelt daher nach dem EuGH nicht einen nach wie vor fortwirkenden Vergabeverstoß aus.
Mittlerweile hat die EG-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland in den beiden Fällen, bei denen die Stadt Braunschweig und die Gemeinde Bockhorn (Niedersachsen) rechtswidrig ohne Durchführung eines formellen Vergabeverfahrens Verträge von 30 Jahren über Abfall- bzw. Abwasserentsorgungsleistungen an einen Privaten vergeben haben, den EuGH angerufen. Die Kommission hat hierbei gegenüber dem EuGH die Festsetzung eines von Deutschland zu zahlenden Zwangsgeldes in Höhe eines Satzes pro Tag der Vertragsverletzung von 31.680 Euro (Fall Bockhorn) und von 126.720 Euro (Fall Braunschweig) beantragt.

- Keine Pflicht zur Kündigung
Aus einer trotz Vertragsschluss fortwirkenden Europarechtswidrigkeit von rechtswidrig abgeschlossenen De-facto-Verträgen kann aber auch nach der EuGH-Rechtsprechung keine Pflicht zur Kündigung des Vertrages durch den Auftraggeber folgen. Vielmehr erkennt der EuGH14 ausdrücklich an, dass das Prinzip „pacta sunt servanda“ trotz der fortwirkenden Europarechtswidrigkeit der Verträge die Mitgliedstaaten ermächtige, „nach Vertragsschluss den nationalen Rechtschutz auf Schadensersatz für die durch einen solchen Verstoß geschädigten Personen zu begrenzen“.
Auch in dem „Bockhorn/Braunschweig“-Urteil hatte der EuGH unter Berufung auf Art. 2 Abs. 6 der EG-Rechtsmittelrichtlinie 89/665/ EWG den Mitgliedstaaten zugestanden, die Wirkungen der unter Verstoß gegen die EG-Vergabevorschriften geschlossenen Verträge aufrechtzuerhalten und die Befugnisse der Nachprüfungsinstanzen nach dem erfolgten Vertragsschluss darauf zu beschränken, einer durch einen Verstoß gegen das gemeinschaftliche Vergaberecht geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen15.

- Zukünftige Entwicklungen
Wenn sich damit aus dem EG-Recht auch keine Pflicht zur Annullierung der unter Verstoß gegen die EG-Vergaberichtlinien abgeschlossenen Verträge ergibt16, ist für öffentliche Auftraggeber dennoch – unabhängig von der Möglichkeit privater Unternehmer – Schadensersatz zu verlangen, Vorsicht geboten. Grund ist, dass die EU-Kommission im Rahmen der anstehenden Revision der EU-Rechtsmittelrichtlinien eine Rückgängigmachung unzulässig direkt vergebener Aufträge erreichen will. Damit will sie das von ihr bemängelte Defizit der Durchsetzungsfähigkeit europäischen Rechts beseitigen.
Unabhängig vom Ausgang dieser Entwicklung ist den Kommunen aber nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH dringend anzuraten, das Vergaberecht auch bei der Gründung und Beauftragung gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften zu beachten und keine rechtswidrigen De-facto-Vergaben vorzunehmen.

- Politische Initiativen auf EU-Ebene erforderlich
Für die Kommunen in Europa muss schnellstmöglich Rechtssicherheit insbesondere bei der Frage der Anwendung des Vergaberechts bei interkommunalen Kooperationen herbeigeführt werden. Es ist für die Kommunen als größte öffentliche Auftraggeber höchst unbefriedigend, wenn sie wie die Kaninchen vor der Schlange ausschließlich auf die jeweiligen Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu für sie ganz essentiellen Fragen angewiesen sind.
Auf politischer Ebene sind daher das EU-Parlament und die EU-Kommission dringend aufgefordert, insbesondere bei der Frage der Vergaberechtspflicht und der Vergaberechtsfreiheit interkommunaler Kooperationen für Rechtsklarheit zu sorgen. Hierfür bietet sich neben einer Klarstellung in den EU-Vergaberichtlinien insbesondere auch das Weißbuch zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse an. Jedenfalls müssen das EU-Parlament und die EU-Kommission ihrer politischen Verantwortung in diesem für die Kommunen wichtigen Feld schnellstens gerecht werden.

Städtebund-Linktipp:
www.dstgb.de

Fußnoten:
1 EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – Rs. C-26/03.
2 EuGH, Urteil vom 18. November 1999, NZBau 2000, 90, 91.
3 So auch schon: EuGH, Urteil vom 28. Oktober 1999 („Alcatel Austria“), NZBau 2000, 33 ff., Rdn. 43.
4 EuGH, Urteil vom 13. Januar 2004 – Rs. C-84/03.
5 OLG Düsseldorf vom 5. Mai 2004, VergabeR 2004, 619 ff.
6 OLG Frankfurt/Main vom 7. September 2004 – 11 Verg 11 und 12/04.
7 EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000, EuZW 2001, 90-Telaustria = NZBau 2001, 148 ff.
8 BGH, NZBau 2001, 517.
9 EuGH, Urteil vom 13. Januar 2005 – Rs. C-84/03.
10 Schröder, Die vergaberechtliche Problematik der interkommunalen Zusammenarbeit am Beispiel der Bildung von Zweckverbänden, NVwZ 2005, 25 ff.
11 EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, Rs. C-26/03.
12 EuGH, Urteil vom 18. November 2004 – Rs. C-126/03.
13 EuGH, Urteil vom 10. April 2003, NZBau 2003, 393; EuGH, Urteil vom 18. November 2004, Rs. C-126/03.
14 EuGH, NZBau 2004, 563 = EuZW 2004, 636 Rdn. 15.
15 EuGH, NZBau 2003, 393; siehe auch schon: EuGH, „Alcatel Austria“-Entscheidung, EuZW 1999, 759.
16 Heuvels, Fortwirkender Richtlinienverstoß nach De-facto-Vergaben, NZBau 2005, 32 ff.

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