Bund und Europa lassen Gemeinden im Stich!

Bund und Europa lassen Gemeinden im Stich!

Es ist evident, dass die Städte und Gemeinden derzeit einem Zangenangriff ausgesetzt sind.

 

Einerseits sind sie mit der überfallsartigen Auflösung von Infrastruktureinrichtungen konfrontiert, wodurch ein Ausdünnungsprozess in der Region und eine Konzentration auf einige wenige Standorte einsetzt. Dafür ist hauptsächlich der Bund mit seinen Schließungsprogrammen – Stichworte Postämter, Gendarmerieposten, Bezirksgerichte oder Kasernenstandorte – verantwortlich.
Andererseits ist es die Fortentwicklung des europäischen Rechts, vor allem durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), das den Städten und den Gemeinden in immer stärkerem Maße den Gestaltungs- und Handlungsspielraum nimmt. Bei diesem Punkt geht es nicht allein um das viel zitierte Beispiel der Getränkesteuer, sondern grundsätzlich darum, ob und in welcher Form die Städte und Gemeinden die Leistungen der Daseinsvorsorge für ihre Bürger erbringen können bzw. ob die Definition der Leistungen weiterhin der demokratischen Kontrolle und der Mitwirkung durch die Bürger unterliegen.

Ja zur Veränderung, Nein zum Kahlschlag
Es ist völlig klar, dass die Motorisierung und die zunehmende technologische Vernetzung auch das Versorgungs- und Zentralitätsgefüge Österreichs beeinflusst. Das kann aber nicht bedeuten, dass man sich ohne jegliche Planung von über Jahrzehnten gewachsenen Infrastrukturen verabschiedet. Beispiel Bezirksgerichte: In Hall in Tirol ist das Gericht für 16 Gemeinden mit 60.000 Einwohnern zuständig. Raumreserven sind vorhanden, die Richter voll ausgelastet. Warum also schließen? Beispiel Gendarmerieposten: Die Zahl der Gendarmerieposten und Polizeidienststellen sinkt ständig, die Personalausstattung der Polizei ist ungenügend. Mehr Sicherheit ist damit nicht zu haben. Ganz im Gegenteil. Die Kriminalitätsraten steigen, die Aufklärungsraten sinken. Kein Wunder. Beispiel Postämter: In Judenburg soll das Postamt in Murdorf (4.000 Einwohner) geschlossen werden. 1.500 Unterschriften wurden für den Erhalt des Postamtes gesammelt. Der Raum Judenburg braucht jede Infrastruktur wie einen Bissen Brot. Beispiel Kasernenschließungen: Kasernenstandorte sind wichtige Logistikzentren, etwa für den Assistenzeinsatz, aber auch für den Katastrophenschutz, wie Landeshauptmann Niessl in der ORF-Pressestunde am 20. Februar richtig bemerkte.
Allen Fällen ist gemeinsam, dass es Einrichtungen des Bundes oder im Eigentum des Bundes befindliche Unternehmen (Post AG) sind und die betreffenden Gemeinden bzw. Bürger meist vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Alle Gespräche mit Gemeinden und Bürgermeistern haben nur mehr Feigenblattcharakter. Und weiters ist auch allen Entscheidungen gemeinsam, dass sie nur vom jeweiligen Ministerium bzw. Unternehmen und ohne Abstimmung mit anderen Infrastruktureinrichtungen bzw. ohne Blick auf die Regionalentwicklung getroffen werden.

Vorgehen des Bundes unkoordiniert und beliebig
Wenn einzelne private Unternehmen ihre Standorte nach Gewinnüberlegungen ausbauen oder schließen, ist das nachvollziehbar. Wenn aber der Bund ganz offensichtlich unkoordiniert vorgeht und scheibchenweise die Infrastruktur in der Fläche aushöhlt, ist das völlig kontraproduktiv. Man nimmt vielen Regionen ihr Stützkorsett.
Infrastruktur kann nicht nur von den Kosten her gesehen werden. Sie leistet auch einen wichtigen Beitrag zur regionalen Entwicklung und Wertschöpfung. Anders gesagt: Sie ist der Angelpunkt eines prosperierenden Landes.
Überhaupt nicht bedacht wird offensichtlich, dass man mit einer Fülle von Einzelmaßnahmen geradezu einen Teufelskreis in der regionalen Entwicklung auslösen kann. Dieser besteht darin, dass es weniger Arbeitsplätze gibt, weniger Regionalnachfrage mit allen negativen Auswirkungen auf die örtliche Wirtschaft und die kommunalen Budgets und vor allem eines: weniger Lebensqualität für die betroffenen Menschen und geminderte Entwicklungschancen für die Zukunft.
Der Bund ist aufgerufen, die Entwicklung der Infrastruktureinrichtungen zwischen den einzelnen Ressorts zu koordinieren. Er hat nicht nur eine Verantwortung für das Ergebnis des Bundesbudgets, sondern auch für die regionale Entwicklung Österreichs.
Von der Schließungswelle – und das wird oft übersehen – ist nicht nur der ländliche Raum, sondern auch der urbane Raum betroffen. Städte leben nicht aus sich allein heraus, sondern sind auf eine intakte Region angewiesen. Der Städtebund hat deshalb etwa beim Gespräch über die Postämterschließungen mit Vizekanzler Gorbach dringend gefordert, endlich ein räumliches Infrastrukturkonzept für ganz Österreich ausarbeiten zu lassen. Derzeit besteht aber offensichtlich kein Wille dazu.
Gefordert ist nämlich eine ehrlich gemeinte mittel- und langfristige Strategie, sodass die Städte und Gemeinden, die sich verantwortlich für die Versorgung der Bevölkerung und die Entwicklung ihres Raumes fühlen, aktiv an einem zukunftsorientierten Konzept mitwirken können.

Keine guten Nachrichten aus Brüssel und Luxemburg
Die schwache Haltung des Bundes in der Frage der innerösterreichischen Ausdünnung spiegelt sich auch auf der EU-Ebene wieder. Es ist kein Ansatz beim Bund erkennbar, dass er für eine gesicherte Rolle der Kommunen im zukünftigen Europa eintritt. Alles was in der Europäischen Verfassung verankert wurde (verbessertes Subsidiaritätsprinzip, Konsultationsverpflichtungen der Europäischen Kommission, Sonderregelungen für die Daseinsvorsorge) haben die europäischen Städteverbände alleine erkämpft.
Die Gemeinden werden auch in der ganzen Debatte über die Art der kommunalen Leistungserbringung und Daseinsvorsorge von der Regierung völlig alleingelassen. Eigentlich müsste die Bundesregierung Tag und Nacht in Brüssel, Luxemburg und Straßburg aktiv Lobbying betreiben, um die gut funktionierende Infrastruktur in Österreich vor überschießender Liberalisierung und Quasi-Privatisierung zu schützen. Stattdessen bekommen wir immer wieder zu hören, dass mehr Wettbewerb – etwa im öffentlichen Nahverkehr – notwendig sei oder die Wasserversorgung durchaus der Privatisierung preisgegeben werden kann.
Man stelle sich eine Dienstleistungsrichtlinie ohne sinnvolle Begrenzungen vor: Jeder Anbieter aus der EU kann Dienstleistungen in einem anderen Land anbieten, wobei generell das Herkunftslandprinzip zum Tragen kommen soll. Das heißt, es würden das Vertragsrecht, das Sozial- und Umweltrecht und die Sprache des Herkunftslandes gelten. Es ist unschwer abzusehen, dass damit eine geradezu „babylonische“ Vertragsverwirrung bei Ausschreibungen eintreten müsste. Man kann sich kaum vorstellen, dass eine Gemeinde dann noch ohne Zuhilfenahme eines teuren Rechtsbeistandes Leistungen ausschreiben kann.
Vorläufiger Schlusspunkt ist das EuGH-Erkenntnis im Fall „Stadt Halle“. Bisher konnte eine Stadt zur Aufgabenerfüllung gemischtwirtschaftliche Unternehmen gründen, bei denen sie die Mehrheit und Kontrolle behielt. Durch die Hereinnahme eines Privaten konnte dessen wirtschaftliches und technisches Know-how genutzt werden. Der EuGH hat – gegen die Empfehlungen der Generalanwältin – diese Möglichkeit mit einem Federstrich beseitigt, sodass eine solche Aufgabenübertragung nicht mehr ohne aufwändiges Vergabeverfahren vorgenommen werden kann. Das heißt, es gibt in Zukunft nur mehr die Möglichkeit, dass eine Gemeinde die Aufgabe innerhalb ihrer Administration selbst oder allenfalls mit einer Eigengesellschaft durchführt, an der sie das 100%ige Eigentum besitzt.

Stille Kompetenzverlagerung nach Brüssel trotz Gemeindeautonomie
Das bedeutet eine weitgehende Demontage einfacher Vergabeweisen und einen massiven Eingriff in die verfassungsmäßig gewährleistete Organisationsfreiheit der Gemeinde. Bis dato sind immer mehr Kommunen dazu übergegangen, aus Gründen der Effizienz und zur Nutzung von Synergieeffekten im Rahmen von interkommunalen Kooperationen Aufgaben an gemischtwirtschaftliche Unternehmen zu übertragen bzw. Aufgaben auch von anderen Gemeinden wahrnehmen zu lassen. Eine solche Aufgabenerfüllung sichert einerseits der Gemeinde volle Kontrolle darüber, dass die Leistungen erbracht werden. Und die Hereinnahme von Außenstehenden sichert die Effizienz einer solchen Aufgabenerfüllung. Noch dazu waren diese Vertragsformen relativ einfach. Mit dem Erkenntnis von Halle ist eine solche einfache Aufgabenerfüllung nicht mehr möglich. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen müssen sich in Zukunft im Rahmen eines von der Stadt dann durchzuführenden Vergabeverfahrens um einen Auftrag im Wettbewerb bemühen.

Bundesregierung muss endlich handeln
Europa kann sicher nicht bestehen, wenn die Gemeindeselbstverwaltung und die Möglichkeit der Bürger, Leistungen des täglichen Lebens selbst organisieren zu können, völlig ausgehöhlt und die Art der Aufgabenerfüllung in ein starres Korsett gepresst wird. Der Umfang der Leistungen auf der kommunalen Ebene würde letztlich nicht mehr durch die Gemeinderäte, sondern durch private Anbieter entschieden. Es kann doch niemand annehmen, dass sich große private Unternehmen, wenn diese als Quasi-Monopolist tätig sind, sich von irgendeiner Gemeinde etwas vorschreiben lassen.
Die Bundesregierung ist aufgerufen Konsequenzen zu ziehen. Sie muss die Interessen der Städte und Gemeinden ernst nehmen. Schweigen (in EU-Gremien) und Zusperren (in Österreich) ist keine zukunftstaugliche Strategie. Leistungsfähige Städte brauchen funktionierende öffentliche Infrastrukturen und Entscheidungsfreiheit.

OEGZ

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