Hauptreferat zum Generalthema „INNOVATION: Stadt“

Hauptreferat zum Generalthema „INNOVATION: Stadt“

Oberbürgermeister Christian Ude, München, Präsident des Deutschen Städtetages

 

Oberbürgermeister Christian Ude, München, Präsident des Deutschen Städtetages
„Sehr verehrter Herr Bundespräsident! Frau Bundesminister! Frau Landeshauptfrau! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Michael Häupl hat es schon erwähnt, ich freue mich sehr, dass ich heute schon zum zweiten Mal zum Österreichischen Städtetag sprechen darf. Ich erinnere allerdings mahnend an ein Münchner Sprichwort, das da sagt, wenn etwas zum zweiten Mal passiert, gilt es bei uns schon als Tradition, beim dritten Mal entsteht ein Rechtsanspruch. Das sollten Sie sich denn doch überlegen.
Ich freue mich aber auch, dass ich nach dem gerade überstandenen 100. Geburtstag des Deutschen Städtetages zu den österreichischen Kolleginnen und Kollegen kommen darf, die mit 90 ja noch einen vergleichsweise jugendlichen Eindruck machen.
Auch wenn ich aus der IT-Metropole München komme – so nennen wir uns jedenfalls – und auch wenn München im Städteranking bei allen Fragen der Verwaltungsreform, Kosten-Leistungs-Rechnung, Internetauftritt, E-Government immer einen der vordersten Plätze belegt, werde ich doch vermutlich manchen Computer-Freak und manchen Privatisierungsstrategen etwas enttäuschen, denn ich möchte manche Modeerscheinung, die in der Innovationsdebatte der kommunalen Familie um sich greift, auch ein wenig problematisieren.
Zunächst aber natürlich das ganz klare Bekenntnis, das aber so selbstverständlich ist, dass es fast schon banal wirkt: Ja, selbstverständlich müssen Städte Orte der Innovation sein und selber als Reformmotoren mit gutem Beispiel vorangehen. Nur wenn die Städte Orte der Modernisierung sind und Orte der Innovation, und zwar sowohl der technologischen wie auch der ökonomischen, der sozialen Innovation, dann werden sie sich als Zukunftswerkstatt und Kristallisationspunkt behaupten können, andernfalls würden sie ins Hintertreffen geraten, nicht nur gegenüber anderen Siedlungsstrukturen, sondern vor allem im immer härter werdenden Standortwettbewerb, der nicht nur international, sondern inzwischen schon interkontinental ausgetragen wird.
Also das vorweg: Wir dürfen uns nirgendwo an überholten, an verkrusteten Strukturen festhalten, müssen reformbereit sein. Nur wenn auch zum Beispiel unsere Verwaltungen und unsere Betriebe modernsten Ansprüchen genügen, wird die Bürgerschaft darauf stolz sein und bereit sein, diese Einrichtungen gegen fremden Zugriff zu verteidigen. Wenn wir einen altmodischen, einen unzulänglichen Eindruck erwecken würden, wenn wir nicht auf der Höhe der Zeit wären, dann würde diese Identifikation in Zweifel gezogen.
Für uns ist selbstverständlich – bis auf einige Nostalgiker und Romantiker –, dass man den ökonomischen und ökologischen Wandel, der sich zurzeit besonders rasant abspielt, nicht aufhalten kann, weder als Bund oder Land mit den Mitteln der Subvention noch als Kommune mit den Mitteln etwa des Planungsrechtes, womit man bestimmte Nutzungsarten oder Betriebsformen vorschreiben möchte, die auf dem Markt nicht mehr überlebensfähig sind. Das kann gar nicht gut gehen.
Nein, zunächst einmal ist ein uneingeschränktes Ja zur Reformbereitschaft, zur Modernisierung und zu Förderungen von Innovationen verlangt. Wir müssen lernen, wo es nicht in den letzten 10, 15 Jahren ohnehin stattgefunden hat, dass die Bürgerschaft uns nirgendwo mehr als obrigkeitliche Behörde erleben möchte, sondern als modernen, technisch gut ausgestatteten Dienstleister. Wir müssen von der Kameralistik des 19. Jahrhunderts, auch wenn sich manche darin verliebt haben – eigentlich nur, weil sie sich darin auskennen, aber das ist noch kein tragfähiges Argument für die Zukunft –, lösen und zu einem kaufmännischen Rechnungswesen gelangen, damit wir wenigstens auch die Kosten von dem erkennen und durchschauen können, was wir alles treiben und unterlassen.
Wir werden in Zukunft – ein internationaler Trend – mit produktorientierten Haushalten arbeiten. Die EDV hat ihren Siegeszug längst angetreten, und die Vernetzung von PCs auf sämtlichen Büroarbeitsplätzen wird in immer mehr, auch kleinen Gemeinden selbstverständlich. Auch kleine Gemeinden haben inzwischen selbstverständlich ihren Internetauftritt, ihr Internetportal, und E-Government ist eine Pflichtübung schon deshalb, weil die Wirtschaft, weil Unternehmen, weil Großkunden der Verwaltungsleistungen darauf bestehen.
Nach dieser euphorischen Einleitung will ich nun doch einige kleine Fragezeichen anbringen, ob alles so rosarot ist, wie es uns von Software-Firmen, von Unternehmensberatungen immer wieder nahe gebracht wird. Ich glaube, Fragezeichen sind zumindest angebracht, damit wir uns auf den Wesenskern kommunaler Aufgaben zu bewegen. Wir sind halt doch nicht ganz dasselbe wie privatwirtschaftliche Unternehmen, auch wenn man von denen in vielen Bereichen lernen kann.
Zum Beispiel stellt sich die Frage: Sind wir wirklich nur Dienstleister, der Erwartungen der Kundschaft optimal erfüllen muss? – In vielen Bereichen ja, da ist auch unser Selbstverständnis das eines Serviceunternehmens, aber wo wir Ordnungsaufgaben wahrzunehmen haben, wo wir beispielsweise Verbote durchsetzen oder Bußgeldbescheide erlassen müssen, wird das durch das Gerede vom König Kunde auch nicht schöner. Da sind halt Konflikte auszuhalten und Gesetzesnormen durchzusetzen. Offensichtlich sind wir nicht nur das Servicezentrum eines Dienstleistungsunternehmens.
Und fördert die Kenntnis der Kosten, die wir mit kaufmännischer Buchführung, mit Eröffnungsbilanzen mühevoll erarbeiten, wirklich schon das wirtschaftliche Denken? – Ich glaube, dass uns immer klar sein muss, dass wir nur Daten bekommen, die Entscheidungen werden wir hinterher aber immer noch treffen müssen. Und wenn es vor lauter politischer Rücksichtnahme keine Bereitschaft zu Sparmaßnahmen gibt, dann wird es sie auf der Grundlage perfekter kaufmännischer Buchführung auch nicht geben.
Also das dicke Ende des Entscheidungszwanges kommt schon noch, auch wenn die Buchhaltung auf der Höhe der Zeit sein wird.
Und hat die EDV alles gehalten, was sie uns versprochen hat? – Ich halte es für das größte Wunder des Modernisierungsprozesses, dass all die IT-Marketingleute, die uns das papierlose Büro nach Einführung der Computer versprochen haben, immer noch frei herumlaufen. Die Wahrheit ist, dass viele Kommunikationsprozesse ungleich aufwändiger und komplizierter geworden sind.
Und ist es wahr, dass alle Bürger am E-Government teilnehmen? Ja, es gibt Zuwachsraten. Am Anfang ging das rasant schnell, aber dann kam doch eine Stagnation, denn es gibt eine ältere Generation, die uns auch noch lange begleiten wird als Verwaltung, die zu diesem Umsatteln nicht bereit oder nicht in der Lage ist, jedenfalls Vorbehalte hat. Die Nutzerzahlen etwa von Dauerkunden wie großen Autowerkstätten, die natürlich mit der Kfz-Zulassungsstelle nur noch per E-Mail kommunizieren, dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch andere Gruppen der Bürgerschaft gibt.
Und wird E-Government so schnell halten, was es verspricht? Wir haben jedenfalls die Probleme der elektronischen Signatur, die in der Theorie gelöst sind und die technologisch gelöst sind, in der Praxis noch nicht in sozial relevanter Weise lösen können.
Und wenn ich alle Zauberworte von modernen Finanzierungsmodellen höre, wo den Kommunen angeblich die Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder in Zukunft kostenlos hingestellt werden, frage ich doch skeptisch nach, ob es hier wirklich um eine Entlastung geht oder nicht nur um eine Verschiebung der Lasten in spätere Haushaltsjahre, was ja auch sinnvoll sein kann, was wir in verschiedenen Fällen selber bewusst gewählt haben, aber immer in dem Bewusstsein, dass das dicke Ende noch kommt.
Ich meine deshalb, dass wir die Innovationsdebatte nicht beschränken oder allein bündeln sollten auf technologische Entwicklungen, die sich sowieso überall abspielen, auch bei uns, und nicht nur auf das, was Unternehmensberater uns andienen, sondern dass wir den Innovationsbegriff erweitern sollten. Dafür nenne ich nur zwei Beispiele.
Erstens: Ich bin der Meinung, dass man nicht nur im Verhältnis zur privaten Seite, sondern vor allem innerhalb der kommunalen Familie noch völlig neue Ansätze der Kooperation entwickeln kann und entwickeln muss. Da liegen nach meiner Einschätzung noch unglaubliche Einsparungspotentiale und Synergieeffekte. Aber auch hier gilt, dass uns nicht das theoretische Modell allein hilft, sondern auch die politische Entscheidung erforderlich ist, die es am Ende tatsächlich realisiert.
Ich kenne viele Beispiele, dass sich Nachbarstädte zusammentun zu Einkaufsgemeinschaften, was immer richtig ist, um die Marktmacht der Nachfrage zu bündeln, oder auch, dass sie sich zusammentun, um bestimmte Dienstleistungen gemeinsam nur einmal durchzuführen, etwa die Aufgaben eines statistischen Amtes oder eines Messwesens oder anderer Verwaltungshandlungen, die man nicht unbedingt in jeder Kommune vor Ort haben muss. Wenn aber nach dem großartigen Zusammenschluss der Streit um den Standort so gelöst wird, dass jede beteiligte Kommune auf einer Niederlassung besteht, weil das aus Gründen des Lokalpatriotismus und des Lokalproporzes unerlässlich sei, dann ist die Reform natürlich müßig.
Wir müssen, glaube ich, die Kraft aufbringen, gerade angesichts der privaten Konkurrenz, die uns ja dann im unglücklichen Fall vollkommen eliminieren würde, wesentlich kraftvollere Reformschritte bei der regionalen Kooperation zu gehen, um das Potential an Einsparungen und Synergieeffekten tatsächlich auszuschöpfen. Da ist Musik drinnen.
Ich nenne ein positives Beispiel, das wir mit den kommunalen Stadtwerken nicht aller, leider, aber vieler Großstädte praktizieren. Seit wir gemeinsam den Stromeinkauf tätigen, haben wir eine ganz andere Rolle auf dem Markt, als wenn die einzelnen Kommunen dies auf eigene Faust täten, in Wahrheit ohne Spezialisten in diesem komplizierten Marktgeschehen. Da ist es bereits gelungen, und bei den Krankenhäusern nehmen wir neue Anläufe, um zum Beispiel den Medizinkonzernen, die eine große Marktmacht haben, mit einer gemeinsamen Nachfragemacht gegenüberzutreten. Hier wären sogar internationale Lösungen denkbar, wenn es europäisches Recht nicht verbietet.
Also bitte das Stichwort Kooperation nicht nur unter dem modischen Gesichtspunkt PPP, Public Private Partnership, zu sehen, sondern auch unter dem eigentlich in der kommunalen Zusammenarbeit viel näher liegenden Gesichtspunkt: Wo müssen wir zusammenarbeiten, um nicht durch eine viel zu kleinteilige Sparkassenlandschaft oder eine viel zu kleinteilige Wasserversorgungslandschaft denn Anschluss an die Entwicklung zu verlieren?
Ein Zweites: Ich glaube, dass das Stichwort Innovation nicht nur für den Cyber Spice gelten sollte – das ist die bayrische Aussprache, daran muss man sich hier noch gewöhnen; bei den Engländern heißt es Space, das ist mir bewusst –, sondern für die Fragen sozialen Zusammenlebens und Zusammenhalts. Auch das sind Innovationen, auch wenn sie von Computer-Freaks nicht gelobt und gewürdigt werden.
Mit welchen Wohnformen reagieren wir auf den Auflösungsprozess der Kleinfamilie? Dass wir nur noch Single-Haushalte haben, in denen niemand auf niemanden aufpasst oder Nachbarschaftshilfe leistet, ist ja keine Zukunftsperspektive. Ein Zurück zur Dreigenerationenfamilie wird es aber nicht geben. Wir müssen die sozialen Realitäten zur Kenntnis nehmen – das hat uns ja immer schon vom Vatikan unterschieden –, wir müssen dann aber Antworten finden für die konkreten Probleme des Zusammenlebens.
Wenn ich mir vorstelle, dass die gesamte Gastarbeitergeneration der sechziger und siebziger Jahre jetzt in den Ruhestand kommt, oft noch mit Sprachproblemen, ohne die selbstverständliche Großfamilie, die jahrzehntelang das Bewusstsein geprägt hat, dann sind das Seniorenprobleme, Einsamkeitsthemen von nie gekanntem Ausmaß in allen Immigrationsstädten. Darauf brauchen wir neue Antworten.
Genauso auf die Frage, wie das unglaubliche Potential an Wissen, Können, Erfahrung und Freizeit der Ruheständler genutzt werden kann. Wir müssen zum Beispiel die Vorstellung überwinden, dass alle Ruheständler einer identischen Lebenssituation angehören. Der 55-jährige Vorruhestandsversetzte – der ist jünger als ich – und der 89-jährige oder 94-jährige Pflegefall sind nun wahrlich nicht in einem vergleichbaren Lebensabschnitt. Wir haben Phasen des Ruhestandes, die völlig neue kommunale Antworten verlangen. Was kann den Aktiven geboten, aber auch abverlangt werden? Was kann an Altenbetreuung von alten Menschen selber wahrgenommen werden? In Zeiten sinkender Einnahmen werden wir diese Explosion der Anforderungen an soziale Dienstleistungen nicht mit kommunalen Kräften, die hauptamtlich bezahlt sind, allein schultern können.
Ich kann das Thema immer nur anreißen. Es reicht mir, wenn als Stichwort stehen bleibt: Innovation hat nicht nur mit Computern zu tun und mit Internetverbindungen, sondern auch mit Wohn- und Lebensformen, mit neuen Formen des Ehrenamtes oder der Teilzeitbeschäftigung von lebenslustigen Senioren und ähnlichen Fragen.
Lassen Sie mich den hauptsächlichen Thesen zum Stichwort Innovation, Modernisierung der Kommunen doch etwas widersprechen. Die erste These, die ich immer häufiger höre: Je weniger die Menschen Ahnung haben von kommunaler Arbeit, desto häufiger zitieren sie das Wort, die Stadt sei ein Konzern, ein Konzern wie jeder andere, und müsse geführt werden wie ein Konzern und arbeiten wie ein Konzern. Jede Abweichung ist ein Defizit. Wir haben sogar extra Talkshows, wo das geradezu regelmäßig Sonntag- für Sonntagabend verkündet wird.
Ich konzediere, dass diese Betrachtungsweise richtige Elemente hat. Natürlich produzieren wir Strom wie ein Stromkonzern und Gas wie ein Gasunternehmen, auch Dienstleistungen des Gartenbaus müssen den Vergleich mit Privatunternehmen aushalten, und Krankenhäuser stehen schon im Wettbewerb mit privaten Krankenhäusern. Da stimmt vieles, auch dass wir wettbewerbsfähig sein müssen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Aber sind wir wirklich nur ein Unternehmen, dass sich an den anderen Unternehmen zu orientieren hat? – Es stimmt halt schon deshalb nicht, weil unsere oberste Maxime nicht der Shareholder Value ist, nicht die Gewinnausschüttung, die wir bei der Quartalsberichterstattung in Aussicht stellen müssen, sondern die Sicherung der Daseinsvorsorge.
Ein herrliches Wort des Berliner Finanzsenators Sarazin macht das deutlich. Er hat in resignativem Zynismus neulich gesagt, er habe eigentlich nur ein Problem. Und auf die gespannte Frage des Reporters: Was, ein Finanzminister hat nur ein Problem? Das müssen Sie uns erklären!, sagte er: Ja, ich müsste, um den Haushalt zu sanieren, vier Opernhäuser schließen, habe aber nur drei.
Das macht die ganze Problematik der nur ökonomischen Betrachtung von kommunalen Einrichtungen deutlich. Natürlich könnten wir das Betriebsergebnis der Kammerspiele, des Volkstheaters, des Lenbachhauses schlagartig verbessern, indem wir es schließen. Dann ist die unternehmerische Bilanz besser, das Defizit nach wenigen Jahren der Abwicklung beseitigt, aber der kulturelle Auftrag, der Zweck der Daseinsvorsorge vollkommen verfehlt.
Auch Standortuntreue wie die mancher Unternehmen, die halt notfalls einen Firmensitz nach Italien veräußern oder eine Sparte nach Korea, kommt für die Kommunen überhaupt nicht in Frage. Wir können keine Global Player sein, um Lohnkosten zu senken, selbst wenn wir wollten, was ja schon ein verrückter Gedanke wäre. Wir haben die Aufgabe, Probleme vor Ort zu lösen. Und von denen, die unsere Probleme oft verschärfen, möchte ich nicht hören, dass wir sie kritiklos nachmachen sollten.
Deswegen glaube ich, dass die Kommunen mit einem gerüttelt Maß kommunalen Selbstverständnisses sagen sollten: Wir können vieles von der Privatwirtschaft lernen, aber eine Eins-zu-eins-Abkupferung, wie sie uns jetzt immer wieder nahe gelegt wird, ist schon theoretisch der falsche Ansatz.
Zweiter Punkt – und da darf ich anschließen an die Umfrage, die Michael Häupl zitiert hat: Bei jeder öffentlichen Diskussion, die von Steuerpolitikern oder Wirtschaftskapitänen oder Wirtschaftsjournalisten geprägt wird, gilt der Abbau von Stadtverwaltungen als Vorzug an sich. Es wird nicht gefragt, wer die Aufgabe dann erfüllt, ob die Entsorgung wirklich billiger wird, wenn die Müllabfuhr privatisiert worden ist, nein, die Verkleinerung der Stadtverwaltung gilt als Fortschritt an sich.
Das ist richtig, wenn man damit meint, dass man im Zeitalter des technologischen Fortschritts, der Datenverarbeitung, des Internets, der E-Mail-Kommunikation traditionelle Aufgaben heute mit weniger Personal bewältigen können muss als früher; selbstverständlich, aber das tun wir auch. Aber wenn jedes Veräußern von Teilen der Stadtverwaltung als Fortschritt gilt, dann kann ich nur sagen, dies deckt sich überhaupt nicht mit den Erwartungen der Bürgerschaft, und wir müssen diese Erwartungen der Bürger, die wir vertreten aufgrund unserer Wahl, etwas mehr in die nationalen Debatten einführen.
Ich kenne nur Bürger, wirklich nur, die mehr von der Stadt wollen und die mehr Stadt wollen. Die wollen alle mehr Kinderbetreuung im Krippenalter, im Kindergartenalter, sie wollen Nachmittagsangebote, zu denen die Kommunen beitragen sollen, sie wollen bessere, modernere Schulbauten, sie wollen mehr Park-and-ride-Plätze, selbstverständlich kürzere Taktzeiten bei Bus und Tram, mehr Außenlinien der U-Bahn, für jedes Stadtviertel ein Kulturzentrum und so fort.
Dass dies nicht alles zu erfüllen ist, weil wir kein Schlaraffenland haben, ist unser tägliches Brot, und wir machen das der Bürgerschaft klar. Aber die Erwartung, dass Demontage von Verwaltung, Reduzierung von Tätigkeitsfeldern der Stadt an sich schon ein Fortschritt wäre, ist meines Erachtens eine neoliberale Irrlehre, und das sollten wir ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
Beim dritten Punkt kenne ich die österreichische Diskussionslage nicht so genau, dafür die deutsche sehr präzise. Da gibt es immer mehr gesellschaftliche Kräfte – das geht ins jetzige Regierungslager hinein –, die Privatisierung für einen Fortschritt an sich halten. Ich glaube, dass wir auch diese Debatte mit der betroffenen Bürgerschaft stärker führen müssen.
Natürlich kann Privatisierung, noch dazu, wenn sie mit technologischem Fortschritt einhergeht wie bei der Telekommunikation, ein großer Fortschritt sein, und ich glaube, dass wir das auch als kommunale Unternehmer, als Gesellschaft öffentlicher Unternehmen zugeben müssen. Kein Mensch will eine Rückkehr zum Telefonmonopol, wo man wochenlang auf den Anschluss warten musste. Also es gibt in der Tat Bereiche, wo die Privatkonkurrenz enorme Dynamik und auch Fortschritt im Sinne größerer Kundenfreundlichkeit brachte.
Beim Strom darf man schon mal ein Fragezeichen setzen, denn dem Preiskampf der ersten Jahre folgte der Wiederanstieg der nächsten Jahre, und wir sind beim Stromtarif jetzt ziemlich genau da, wo wir vor der Privatisierung waren. Es sind halt vier, fünf Oligopole mit am Geschäft beteiligt, aber das war ja wohl auch Zweck der Übung. Ob die Sicherheit des Netzes verbessert wird, wagt noch niemand zu beurteilen. Aus Amerika gibt es da sehr bedenkliche Erfahrungen. Noch haben wir die Netze in kommunaler Hand und deshalb auch den Stand der Versorgungssicherheit, den wir so schätzen.
Beim Verkehr wird die Sache schon kritischer. Beim Verkehr haben wir viele kleinere Kommunen, die selbstverständlich nur Leistungen ausschreiben wollen, weil sie Besteller sind. Es macht für kleine Gemeinden keinen Sinn, eigene Fahrzeugflotten, Personalkörper und Werkstätten anzuschaffen. Denen schreibt das aber auch kein Mensch vor. Aber den Großstädten, die seit Generationen eine Fahrzeugflotte und eigene Werkstätten haben und die ihren öffentlichen Personennahverkehr selbst durchführen, muss dies nach unserer Überzeugung auch in Zukunft möglich sein, und europäisches Recht darf den Städten ihren Nahverkehr nicht gegen ihren Willen entziehen. Wenn sie es wollen, ist es ja okay, aber nicht gegen ihren Willen.
Man muss sich doch nur anschauen, was die Konsequenz wäre. Dann müssten wir Städte mit eigenen Verkehrsbetrieben die auszuschreibende und zu bezahlende Verkehrsleistung finanzieren und außerdem die Abwicklung der Verkehrsbetriebe mit ihren Investitionen, Liegenschaften, technischen Einrichtungen und vor allem ihrem Personal. Es wäre eine Bestrafung der Kommunen, wenn wir in einem übersteigerten Wettbewerbseifer dazu gezwungen würden. Ich kann daran nichts Innovatives erkennen. Es war ja im Gegenteil eine Innovation, auch wenn sie schon hundert Jahre her ist, dass man den öffentlichen Nahverkehr durch die Kommunen hat durchführen lassen, nachdem Privatunternehmen vorher mit der elektrischen Trambahn und anderem nicht so eine bella figura gemacht haben.
Beim Wasser – und da baue ich jetzt auf die alpenländische Nachbarschaft, weil ich schon in Deutschland spüre, dass das Problembewusstsein vollkommen unterschiedlich ist –, da stehen wir in Bayern Schulter an Schulter, ob rot, ob schwarz, ob grün oder liberal spielt keine Rolle. In Bayern und Teilen Baden-Württembergs ist das Wasser in kommunalen Händen ein absolutes Tabu, an dem niemand rüttelt, aber in Ostdeutschland mit seinem riesigen Investitionsbedarf sind viele Städte froh, wenn sie diese lästige Aufgabe loswerden, und am Niederrhein ist die Wasserqualität auch nicht so toll, dass man sich damit als Bürgermeister besonders zieren könnte.
Wir haben also eine sehr gespaltene Interessenlage in der kommunalen Landschaft, und ich meine, hier gilt dasselbe wie beim Verkehr: Wer privatisieren will, weil er einen strategischen Partner für Großinvestitionen braucht, der soll das bitte machen, wer privatisieren muss, weil er anders seine wichtigeren anderen Investitionen nicht tätigen kann, möge dies in eigener Verantwortung beschließen, aber Kommunen, die in Europa – und das ist im Alpenraum aus gutem Grund besonders verbreitet – ihre Wasserversorgung in kommunaler Hand behalten wollen, die sollen dies auch in Zukunft tun können. Ich halte es für einen Skandal, dass in Europa immer wieder Vorstöße unternommen werden, die Wasserversorgung der kommunalen Hand zu entwinden, nur weil einige Großunternehmen gerne das örtliche Know-how hätten, um bessere Chancen auf den Weltmärkten zu haben. Die können sie sich weiß Gott auch anderswo erwerben.
Ich nenne ein letztes Beispiel, weil das jetzt gerade besonders aktuell und brisant ist. Ich finde es faszinierend, was sich im Bankenwesen die letzten Jahre in Deutschland abgespielt hat. Da haben Geschäftsbanken – das war ja im Fernsehen zu sehen – sogar in die Fernsehkamera hineinsagen lassen, dass sie kein Interesse an Otto Normalverbraucher haben, weil sie jetzt nur noch Investment Banking machen. Da haben sie gesagt, dass sie ihren eigenen Anlageberatern glauben und geschickte Wertpapierpolitik machen, was dann allerdings zu der Erfahrung führte, dass man sein Vermögen an der Börse nicht nur vervielfachen, sondern auch auf einen Bruchteil reduzieren kann. Sie haben völlig neue Entwicklungen wie das Scheckkarten-Geschäft genauso verschlafen wie die Autofinanzierung, sie haben Finanzabenteuer im ganz nahen Osten gemacht und im fernen Osten mit wertlosen Aktienpaketen. Und nach ihrer Krise, in die sie durch diese Geschäftspolitik hineingerutscht sind, sagen sie jetzt, die Sparkassen sind schuld, die müssen wir uns einverleiben können, denn die sind ein Stabilitätsfaktor.
Das darf doch nicht über die Bühne gehen! Ich meine, das Sparkassenwesen hat sich als Teil des öffentlichen Sektors bewährt. Gerade die Fläche ist darauf angewiesen, sage ich an die Adresse des Gemeindebundes, gerade der Mittelstand ist darauf angewiesen, ortsnahe Kreditinstitute zu haben. Wir sollten daher an den kommunalen Sparkassen genauso wenig rütteln lassen wie an kommunalen Verkehrsbetrieben und der kommunalen Wasserversorgung.
Mein Vorschlag und meine Bitte ist, dass wir bei diesem Thema der Daseinsvorsorge, bei dem Deutschland und Österreich schon eine besondere Situation haben, weil manche Länder diesen kommunalen Sektor nicht in gleicher Weise ausgebildet haben, stärker zusammenarbeiten und versuchen, in europäischen Gremien, aber auch als europäische Städte stärker auf die Willensbildung einzuwirken. Ich bin Michael Häupl sehr dankbar, dass er schon Entschließungen der größten Städte in Europa – von Paris und London bis Rom, München war dann dankenswerterweise auch dabei – zustande gebracht hat. Ich glaube, dass wir hier gerade jetzt noch entscheidende Monate vor uns haben. Die kommunale Daseinsvorsorge darf nicht im Wettbewerbsübereifer geopfert werden. Sie ist ein Stabilitätsfaktor vor Ort, um den wir kämpfen sollten.
Bei der Public Private Partnership, die uns auch als Innovationsmodell angedient wird, sage ich, das ist sie häufig tatsächlich, und in einer akuten Haushaltskrise ist es schön, wenn man mit einem Leasingmodell trotzdem zu Investitionen kommt, die man mit Kreditaufnahme gerade nicht finanzieren könnte. Einverstanden. Aber wenn der Eindruck erweckt wird, für die Kommunen gebe es die Chance, Geschenke zu erhalten, dann rate ich zu kritischem Verständnis. Das wird uns doch nicht aus karitativen Gründen angedient, sondern in Kenntnis langfristiger Zahlungsverpflichtungen. Selbstverständlich, es ist ein reelles Geschäft, aber wir müssen den Gemeinderäten ehrlich sagen, neuen Finanzierungsmodelle, die so faszinierend klingen, sind im ersten Haushaltsjahr wunderbar, bei der Eröffnung der neuen Kommunaleinrichtung gelten sie wahrscheinlich als Geniestreich, aber dann kommen Jahre der Abfinanzierung, die man bitte schön in die Gesamtbilanz mit einstellen muss. Dann ergibt sich ein nüchterneres Bild.
Ich komme zu meiner Schlussbetrachtung: Brauchen wir ein neues Leitbild der Städte, eine Innovation Stadt, dass die Stadt selber neu erfunden werden muss? – Ich bestreite das mit allem Nachdruck und denke, dass wir im Gegenteil, auch wenn Innovation zurzeit das modernere Stichwort ist, gute europäische Traditionen verteidigen sollten. Wir hören von der Wirtschaft – nicht der gesamten, der Einzelhandel sieht das ganz anders –, von großen Unternehmen, der Trend der Zeit verlange nach innovativen Zentren außerhalb der Städte, nach Factory-Outlet-Centers, die man mit Wellness-Centers, Fitness-Centers und Multiplexx-Kinos anreichern könne, das wolle der Kunde.
Natürlich will der Kunde wirklich Schnäppchen machen und fährt dafür auch gerne eine halbe Stunde ins Umland hinaus, das stimmt ja, und die beteiligten Unternehmen wollen es auch, aber ich meine, dass wir den Mut haben sollten, so altmodisch zu sein, dass wir die lebendige Altstadt auch als Ort des Einkaufens, als Ort des Handels verteidigen wollen und nicht planerisch auch noch dazu beitragen möchten, dass die Kaufkraft in große Kästen auf der grünen Wiese abwandert und den Städten Urbanität entzieht. Und wie schnell der Auszehrungsprozess wirklich bedrohlich wird, kann man in etlichen deutschen Städten schon betrachten, wo man sich das vor einigen Jahren noch nicht vorstellen konnte. Ich meine, die lebendige Innenstadt ist eine jahrtausendealte, aber dennoch bewährte Innovation, die wir gegen pseudomoderne Entwicklungen verteidigen sollten.
Eine andere Kritik sagt uns, die Stadt herkömmlicher Art sei überholt durch die technologische Entwicklung, durch die Vernetzung der Arbeitsplätze, weil es jetzt gar nicht mehr darauf ankomme, wo man sitzt, wo man arbeitet. Es lässt sich alles vernetzen, und in der Tat können die Arbeiten ganzer Hauptabteilungen von Großunternehmen bis nach Indien verlagert werden. Der Standortkonkurrenzkampf ist in der Tat schärfer geworden, als wir uns das vor wenigen Jahren noch vorstellen konnten, aber ich widerspreche der These, dass dadurch die Stadt unaktueller oder überflüssiger geworden wäre. Im Gegenteil. Hier kann ich Trendforscher zitieren, die uns sagen, High Tech verlangt High Touch. Menschen, die die ganze Zeit am Bildschirm sitzen, sei es für die Ausbildung, in der Arbeit, in der Freizeit, für die Fortbildung, die also nur noch in virtuellen Welten leben, Leben aus zweiter Hand vom Bildschirm konsumieren, haben ein umso elementareres Bedürfnis, realen Menschen zu begegnen, kulturelle Erlebnisse vor Ort zu haben, kommunizieren zu können, sich mit anderen Menschen austauschen zu können. Und das sind alles Dinge, die nur Kommunen anbieten.
Ich denke also, dass wir durch den technologischen Wandel, der uns auch in den nächsten Jahrzehnten noch bevorsteht, sogar erhöhte Anforderungen an kulturelle und soziale, an soziokulturelle Angebote der Gemeinde haben und dass wir die nicht vergessen können, bloß weil man sich alle Filme auch aus dem Internet herunterladen kann und der Ort der Arbeit nicht mehr so wichtig ist wie früher.
Das letzte Stichwort hat der Herr Bundespräsident schon formuliert. Die Megastädte dieser Welt sind ganz bestimmt nichts, was die europäische Kulturstadt in Zweifel zieht. Ich war öfter in Shanghai, wie der Herr Bundespräsident in Mexiko, und muss sagen, es ist natürlich faszinierend, es ist atemberaubend, es ist großartig. Wenn man die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsentlohnung, die Lebensumstände zu Hause in Dreiquadratmeterwohnungen, wenn man die Umweltsituation und den sozialen Sprengstoff sieht, der dort angehäuft wird, auch mit Kinderarbeit, dann ist man wieder froh, in nahezu idyllischen, wie Dorfgemeinschaften wirkenden alten europäischen Städten zu leben.
Das sage ich gerne als Münchner in Salzburg. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.“

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