ÖPNRV-Reform als Eingeständnis des Scheiterns?

ÖPNRV-Reform als Eingeständnis des Scheiterns?

Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie hat im Dezember des vergangenen Jahres den Ländern einen Vorschlag für eine Reform des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs unterbreitet. Sollte diese Reform wie geplant umgesetzt werden, so würde dies massive Auswirkungen auf die Finanzierung und Organisation des öffentlichen Verkehrs in Österreich haben. Davon betroffen wären vor allem die Länder, aber auch an den Städten, die als Betreiber von kommunalen Verkehrsunternehmen einen bedeutenden Anteil am Zustandekommen eines funktionierenden öffentlichen Verkehrs haben, würde diese Reform nicht spurlos vorübergehen.

 

Grundsätzlich sieht der Vorschlag des Bundes vor, dass künftig all jene Mittel, die der Bund für die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsdienste aufgewendet hat, an die Länder übertragen werden sollen, die dann auf Basis von detaillierten Rahmenplänen unter Bezugnahme auf die Raumordnung diese Leistungen bei den Verkehrsunternehmen zu bestellen hätten. Dies würde bedeuten, dass sich der Bund damit völlig aus seiner Verantwortung für den Nahverkehr zurückzieht – die er leider schon bisher nicht in vollem Umfang wahrgenommen hat. Zwei Beispiele für die Versäumnisse des Bundes:

- Schon jetzt wäre es gemäß § 7 des Bundesgesetzes über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV-G 1999) die Aufgabe des Bundes gewesen, das Verkehrsangebot auf der Schiene im Umfang des Fahrplanjahres 1999/ 2000 sicherzustellen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung ist der Bund zum Teil nicht nachgekommen.

- Für zusätzlich von den Ländern und Gemeinden bestellte Verkehre sollte es gemäß § 24/2 und § 26/3 ÖPNRV-G 1999 eine Bundesförderung von bis zu 50% geben. Dafür sollten rund 60 Mio. Euro vom Bund zur Verfügung gestellt werden. Zu dieser versprochenen Ausweitung der Finanzmittel, ohne die es damals keine Zustimmung der Länder gegeben hätte, ist es allerdings nie gekommen. So waren es im Jahre 2004 lediglich 11 Mio. Euro und für heuer wird es bloß 8,5 Mio. Euro geben. Mittlerweile wurde der Fördersatz aufgrund budgetärer Restriktionen auf 33% gesenkt – und für Neuansuchen gibt es derzeit überhaupt kein Geld.

Mit dem vorliegenden Vorschlag will man im Verkehrsministerium offenbar auf die nicht besonders erfreuliche Kritik des Rechnungshofes reagieren. Darin wird zum Beispiel die fehlende Kenntnis des BMVIT über die Aufwendungen für den öffentlichen Verkehr, aber auch die fehlende Beurteilung der verkehrspolitischen Wirksamkeit des öffentlichen Mitteleinsatzes kritisiert. Außerdem vermisst der Rechnungshof neben einem Monitoring und Qualitätscontrolling auch jegliche verkehrspolitischen Ziele. Vor allem durch die Kritik an der geübten Praxis will das BMVIT das Problem nunmehr an die Länder abschieben, anstatt es zu lösen.
Gerade das Fehlen von verkehrspolitischen Zielen wird aber mit dem vorliegenden Vorschlag nicht korrigiert. Einziges Ziel der Reform ist die Steigerung der – wohlgemerkt – betriebswirtschaftlichen Effizienz der eingesetzten Finanzmittel des Bundes. Eine Verkehrspolitik, die diesen Namen auch verdient, hätte aber primär volkswirtschaftliche Ziele zu verfolgen und sich insbesondere im Nahverkehr an sozialen und ökologischen Prinzipien zu orientieren. Das Rufen nach Wettbewerb, um vermeintlich zu höherer Qualität bei niedrigeren Kosten zu kommen, ist jedenfalls kein verkehrspolitisches Ziel, sondern bestenfalls Neoliberalismus, dessen negative Auswirkungen in vielen europäischen Städten und Ländern zum Leidwesen der Fahrgäste bereits oft evident wurden.
Je länger nun in den Arbeitsgruppen mit den Länderexperten diskutiert wird, desto augenscheinlicher wird:

- Schon allein die dargestellte Ausgangslage entspricht nicht den Tatsachen. Denn zu behaupten, dass durch erhebliche Anteilsverluste und steigenden Finanzierungsbedarf die politische Akzeptanz für den öffentlichen Verkehr gesunken sei, ist schlichtweg falsch. Die Stadt Wien beweist hier das Gegenteil: In den letzten 10 Jahren ist der Anteil des öffentlichen Verkehrs in der Stadt kontinuierlich von 29 auf 34% gestiegen. Gleichzeitig konnte auch die Kundenzufriedenheit von 61 auf 82% gesteigert werden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Wiener Linien 2004 mit 735 Mio. Fahrgästen einen neuen Beförderungsrekord aufstellen konnten. Diese Fakten sind wohl der beste Beweis dafür, dass in Wien effizient und erfolgreich gearbeitet wird – und das mit tatkräftiger Unterstützung durch die politische Ebene.

- Die Diskussion dreht sich rein um die Steigerung der Effizienz. Verkehrspolitische Aspekte werden komplett ausgeblendet. Gerade wenn über zukünftige Strukturen im öffentlichen Verkehr diskutiert wird, wäre es angebracht, auch verkehrspolitische Ziele zu formulieren und deren Erreichung zu messen. Dazu zählt zum Beispiel die Sicherstellung einer Grundversorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu sozial gerechten Bedingungen als klares Bekenntnis zur Daseinsvorsorge. Was durch die Reform für den öffentlichen Verkehr und somit für den Fahrgast besser werden soll, blieb bisher jedenfalls unbeantwortet.

- Zu den rechtlichen Aspekten des Reformvorhabens bestehen seitens der Stadt Wien verfassungsrechtliche Bedenken, weil Verkehr grundsätzlich Bundeskompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung ist. Die Bezugnahme auf die Raumordnung allein dürfte wohl nicht ausreichen, daraus überhaupt eine rechtliche Kompetenz der Länder abzuleiten.

- Die dargestellten Kompetenzverlagerungen würden zu einem zusätzlichen personellen und organisatorischen Aufwand vor allem bei den Ländern führen. Dieser hohe Zusatzaufwand, der durch die Erstellung von detaillierten Rahmenplänen für den ÖPNRV mit Vorgaben für Angebotsdichte und Qualität (inklusive Monitoring und Controlling) entsteht, wäre entsprechend abzugelten. Es reicht aufgrund des entstehenden Zusatzaufwandes keinesfalls aus, nur jene Finanzmittel zu übertragen, die vom Bund bisher aufgewendet wurden.

- Mit dem Abschieben der Verantwortung würde ein beträchtliches finanzielles Risiko an die Länder abgewälzt werden, das sich derzeit überhaupt nicht abschätzen lässt. Zu dürftig sind die dazu vom BMVIT als Entscheidungsgrundlage vorgelegten Daten – sofern diese überhaupt vorhanden sind. Ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor im Bereich des Schienenverkehrs ist dabei das jährlich um ca. 6% steigende Infrastrukturbenützungsentgelt (IBE). Eine Abgeltung dieser von den Bestellern der Verkehrsleistungen nicht zu beeinflussenden Kostensteigerung ist nicht vorgesehen.

- Zum Problem wird die beabsichtigte Kompetenzverschiebung auch dort, wo Bundesländergrenzen überschritten werden. Gerade die Stadt Wien ist in diesem Bereich durch die Pendlerproblematik wohl am stärksten betroffen, da ein verursachergerechter Modus für die Aufteilung der Finanzmittel wohl kaum zu finden ist. Abgesehen davon ist völlig unklar, wer künftig grenzüberschreitende Verkehrsleistungen (dazu zählt fast der gesamte Schnellbahnverkehr im VOR) zu bestellen hat.

- Im vorliegenden Reformkonzept fehlen jegliche Anreize für die Bestellung zusätzlicher Verkehrsdienste, da die Mitfinanzierung von Projekten durch den Bund gem. § 24/2 bzw. § 26/3 ÖPNRV-G im künftigen Finanzierungsrahmen nicht mehr vorgesehen ist. Es wird den Ländern also nicht erspart bleiben, auch diese Kosten zu schlucken, wenn Angebotsverbesserungen umgesetzt werden sollen.

- Im Rahmen eines umfangreichen Monitorings will das BMVIT nach Umsetzung der Reform die Effizienz der eingesetzten Mittel überprüfen, wobei sich die grundsätzliche Frage stellt, ob dies nach einer Verländerung überhaupt noch zulässig ist. Es genügt jedenfalls nicht, nur die Effizienz der eingesetzten Finanzmittel zu hinterfragen. Vielmehr müsste auch die Erreichung verkehrspolitischer Ziele gemessen werden, doch diese sind nicht definiert. Der vom BMVIT vorgeschlagene Evaluierungskatalog beschränkt sich auf Leistungskennzahlen innerhalb des ÖV-Sektors, ohne jedoch auf die verkehrspolitischen und räumlichen Rahmenbedingungen einzugehen. Da den Ländern bei positiver Entwicklung keine Anreize für zusätzliche Finanzmittel geboten werden, besteht die Gefahr, dass dieses Monitoring lediglich als Argumentationshilfe für weitere Kürzungen verwendet werden soll.

So einfach, wie sich das Ministerium die Umsetzung der Reform vorstellt, dürfte es allerdings nicht werden, da die Länder der Diskussion mit Skepsis gegenüberstehen.
Bereits im Dezember 2004 haben die Landeshauptleute den Bund aufgefordert, die Kürzungen für Förderungen gem. ÖPNRV-G zurückzunehmen, um die Finanzierung sowohl bestehender als auch neuer Projekte zu sichern und einer Reduktion von Verkehrsleistungen entgegenzuwirken.
Am 3. Mai 2005 befassten sich die Landesfinanzreferenten mit dem Reformvorhaben des BMVIT und hielten in einem Beschluss fest, dass die Verländerung des ÖPNRV zum jetzigen Zeitpunkt nicht für möglich gehalten wird, weil damit ein Eingriff in den erst 2004 auf vier Jahre paktierten Finanzausgleich verbunden wäre. Weitere Diskussionen sind zudem erst sinnvoll, wenn die Datengrundlagen ausreichend vorliegen.
Die Landeshauptleutekonferenz bekräftigte schließlich am 25. Mai 2005 den Beschluss der Landesfinanzreferenten und forderte überdies ein klares Gesamtkonzept zur Zukunft des öffentlichen Verkehrs ein.

Fazit
Es ist nicht zu leugnen, dass grundsätzlich Reformbedarf besteht, da die Länder und Gemeinden vor allem im Hinblick auf die Finanzierung zusätzlicher Verkehrsleistungen ein berechenbares und auch verlässliches Finanzierungsinstrumentarium brauchen. Eine wirkliche Reform sollte aber den gesellschaftlichen Nutzen im Rahmen der Daseinsvorsorge in den Vordergrund stellen – und sich nicht bloß mit dem Umschichten von knapper werdenden Finanzmitteln und dem Abschieben von nicht wahrgenommener Verantwortung durch den Bund beschäftigen.

OEGZ

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