Mögliche Ausschreibungspflichten bei interkommunalen Kooperationen in der Bundesrepublik Deutschland

Mögliche Ausschreibungspflichten bei interkommunalen Kooperationen in der Bundesrepublik Deutschland

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in seinem Urteil vom 13.1.2005 (Rechtssache C-84/03) zu einem spanischen Gesetz, welches die Zusammenarbeit öffentlicher Institutionen generell als ausschreibungsfrei erklärt hatte, wird erhebliche Auswirkungen auf die kommunale Praxis in Deutschland haben. Der EuGH hatte dieses Gesetz mit dem europäischen Recht für unvereinbar erklärt und postuliert, dass auch solche Formen rein öffentlicher Zusammenarbeit ausschreibungspflichtige Tatbestände darstellen können. Damit könnten auch bisher übliche Formen interkommunaler Zusammenarbeit in Deutschland betroffen sein.

 

I. Allgemeines
Mit der Möglichkeit der interkommunalen Zusammenarbeit hat der Gesetzgeber den Kommunen in Deutschland die Möglichkeit eingeräumt, sich zur Erfüllung einer Aufgabe freiwillig und bisher ohne Ausschreibung zusammenzuschließen. Diese Kooperationsmöglichkeit gewinnt für sie insbesondere vor dem Hintergrund der Änderung der politischen, wirtschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen immer mehr an Bedeutung, da sie eine effizientere und effektivere Leistungserbringung ermöglicht. Dieses könnte allerdings in der Zukunft aufgrund der EuGH-Rechtssetzung nicht mehr uneingeschränkt möglich sein.

II. Rechtsgrundlagen der interkommunalen Zusammenarbeit
Die interkommunale Zusammenarbeit ist in Deutschland als föderalem Staat in den jeweiligen Gesetzen der Bundesländer über die kommunale Gemeinschaftsarbeit geregelt. Nach diesen Gesetzen, die kleine Unterschiede aufweisen, auf die allerdings nicht im Einzelnen eingegangen werden muss, ist die interkommunale Zusammenarbeit sowohl in öffentlich-rechtlicher als auch in privatrechtlicher Organisationsform mit unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad und damit institutioneller Verfestigung möglich.

III. Organisationsformen der interkommunalen Zusammenarbeit
Im Wesentlichen sind vier öffentlich-rechtliche Organisationsformen sowie eine privatrechtliche Organisationsform denkbar. Von Relevanz in der Praxis sind allerdings nur die nachfolgend dargestellten drei öffentlich-rechtlichen Formen, auf die sich die Darstellung auch beschränken soll.

1. Kommunale Arbeitsgemeinschaft
Eine denkbare Form der interkommunalen Zusammenarbeit ist die kommunale Arbeitsgemeinschaft. Sie wird häufig im Kulturbereich gebildet, um Angebote, Programme oder Veranstaltungen zu koordinieren. Aber auch im Bereich Einkauf ist die Arbeitsgemeinschaft bzw. „Einkaufsgemeinschaft“ weit verbreitet. Sie stellt eine kaum institutionalisierte Form der Zusammenarbeit dar und ist nicht in allen Landesrechten geregelt. Sie wird mittels öffentlich-rechtlichen Vertrags gegründet und hat keine eigene Rechtspersönlichkeit und kein gemeinschaftliches Organ. Mitglieder können je nach Regelung des jeweiligen Landesrechtes Kommunen, Anstalten, Stiftungen, aber auch Privatrechtspersonen sein. Ihr Sinn und Zweck besteht in der gemeinsamen Beratung und Abstimmung von Vorhaben aus allen kommunalen Aufgabenbereichen. Die Aufgaben- und Entscheidungshoheit verbleibt allerdings jeweils bei den Mitgliedern.
Die Arbeitsgemeinschaft ist neben der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit „mandatierendem“ Charakter die häufigste Form der kommunalen Zusammenarbeit.

2. Öffentlich-rechtliche Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung
Eine weitere, nicht institutionalisierte Form stellt die öffentlich-rechtliche Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung (je nach Landesrecht) dar. Diese wird dort getroffen, wo eine Kommune Dienstleistungen für eine andere Kommune erbringt. Viele Kooperationen im Bereich des allgemeinen Ordnungswesens basieren auf dieser Rechtsform, vor allem in den Bereichen Lebensmittel und Bedarfsgegenstände, Überwachung bzw. Veterinärwesen oder im Bereich Recht, Sicherheit und Ordnung sowie Abfallentsorgung und Stadtreinigung.
Bei der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung handelt es sich um einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, der jedoch einen stärkeren Organisationsgrad zur Folge hat als eine kommunale Arbeitsgemeinschaft. Auch hier entsteht kein neuer Rechtsträger und Verwaltungsapparat. Vielmehr dient die öffentlich-rechtliche Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung der gemeinschaftlichen Erfüllung einzelner oder mehrerer kommunaler Aufgaben. In den meisten Bundesländern können nur Kommunen und Verbände als Beteiligte in Betracht kommen.
Bei dieser Form sind zwei Arten von Vereinbarungen zu unterscheiden:

2.1 Die Zuständigkeit für die Erfüllung der Aufgabe wechselt von der übertragenden auf die übernehmende Kommune („delegierende“ Vereinbarung). Die Delegation beinhaltet eine völlige Aufgabe der Zuständigkeit bei der übertragenden Kommune und damit der Eigenverantwortung und Kontrollrechte.

2.2 Die Übertragung beschränkt sich allein auf die Durchführung der jeweiligen Aufgaben, die Trägerschaft für die Aufgabe verändert sich nicht („mandatierende“ Vereinbarung). Der Unterschied zur „delegierenden“ Vereinbarung besteht darin, dass hier die Aufgabe sowie Kontroll-, Aufsichts- und Kündigungsrechte bei der beauftragenden Kommune verbleiben. Die Mandatierung ist deshalb die weniger einschneidende Kooperationsform, bei der auch im Interesse der größeren Steuerbarkeit der Aufgabe durch die demokratisch unmittelbar legitimierten Kommunalorgane größere Einflussmöglichkeiten bei den Abgebenden verbleiben.

3. Zweckverband
Die dritte Form ist der Zweckverband, durch dessen Gründung per Satzung eine neue Rechtspersönlichkeit entsteht (Körperschaft des öffentlichen Rechts). Er ist dort besonders häufig anzutreffen, wo gemeinsame Einrichtungen für die Erfüllung der Aufgaben geschaffen werden können, wie in den Bereichen Wasserver- sowie Abwasserentsorgung, Verkehr, Schule und Kultur. Mit der Gründung gehen die Aufgaben vollständig auf den Zweckverband als selbstständigem Aufgabenträger von der übertragenden Kommune über, so dass diese damit weder weiterhin die Aufgabe noch die Kontrolle sowie Überwachungspflichten hat. Der Zweckverband kann auch eigene Rechtsakte wie Verwaltungsakte erlassen und verwaltet seine Angelegenheiten in eigener Verantwortung. Grundsätzlich ist es nur den Kommunen vorbehalten, einen Zweckverband zu gründen. In einigen wenigen Bundesländern ist es erlaubt, private Dritte unter bestimmten Voraussetzungen aufzunehmen.

IV. Bestehen möglicher Ausschreibungspflichten bei der interkommunalen Zusammenarbeit
Der EuGH hat in einem Urteil in der Rechtssache Spanien (Az.: C 84/03 vom 13. 1. 2005) zu der Frage Stellung genommen, inwieweit zwischen Einrichtungen des öffentlichen Rechts geschlossene „Kooperationsvereinbarungen“ durch eine national-gesetzliche Regelung vom Anwendungsbereich des Vergaberechtes ohne jede Ausnahme und Einschränkung ausgenommen werden dürfen. Im vorliegenden Fall lag der EuGH-Rechtsprechung ein spanisches Gesetz zugrunde, nach dessen Art. 3 Abs. 1c von diesem Gesetz und damit von der Vergabepflicht Ausnahmen vorgesehen sein sollten, für Kooperationsvereinbarungen, die die allgemeine Staatsverwaltung mit der Sozialversicherung, den autonomen Gemeinschaften, den Gebietskörperschaften, deren autonomen Einrichtungen und allen anderen öffentlichen Einrichtung geschlossen hat oder diese Einrichtung untereinander schließen. Der EuGH hat die Regelung in dem spanischen Gesetz für unzulässig gehalten mit der Begründung, dass es für einen öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag im Sinne von Art. 1a der Richtlinie 93/36 und 93/37 genüge, dass der Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen wurde.
Dieses Urteil wird erhebliche Auswirkungen auf die derzeitige Praxis der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland haben. Es wird dazu führen, dass die bekannten und praktizierten Formen zwar noch faktisch zur Verfügung stehen, in der Praxis aber nicht mehr in vollem Umfang ausschreibungsfrei sind.
Es ist fraglich, welche Formen der interkommunalen Zusammenarbeit noch ohne Ausschreibung möglich sind.

1. Ausschreibungspflichten bei der Gründung von Arbeitsgemeinschaften
Die Arbeitsgemeinschaft ist aus dem Vergaberechtsaspekt nicht von Relevanz und braucht deshalb im Näheren nicht weiter untersucht zu werden. Hier wird keine Kommune mit der Durchführung einer Aufgabe für eine andere Kommune betraut, was eine Nähe zum öffentlichen Auftrag bedeuten könnte.

2. Ausschreibungspflichten beim Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung
Schwieriger dagegen zu beurteilen ist das Bestehen einer Ausschreibungspflicht im Falle der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung. Der EuGH hat zwei Kriterien aufgestellt, mit Hilfe derer festgestellt werden kann, ob entsprechende Kooperationen ausschreibungspflichtig sind:

- Liegt ein schriftlicher entgeltlicher Vertrag über eine Dienst-, Liefer- oder Bauleistung im Sinne der EG-Vergaberichtlinien vor?

- Wurde bzw. wird dieser zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person abgeschlossen?

Danach ist bei einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung nach Auffassung des EuGH wie folgt zu unterscheiden:

2.1 Soweit es sich um eine „delegierende“ Vereinbarung (s. III.2.) handelt, soll kein öffentlicher Auftrag vorliegen; diese stellt vielmehr eine „rein administrative“ Maßnahme dar. Es handelt sich hierbei um die Übertragung einer hoheitlichen Aufgabe, die sich nur zwischen zwei Hoheitsträgern vollziehen kann. Diese Vereinbarungen scheinen damit auf jeden Fall weiterhin ausschreibungsfrei zu sein.

2.2 Bei einer „mandatierenden“ Vereinbarung (s. III.2.) dagegen kann eine Nähe zum öffentlichen Auftrag bestehen. Damit scheinen diese Vereinbarungen ausschreibungspflichtig.

Diese Auffassung vertreten auch nationale Gerichte. So wurde die Übertragung der Aufgabe „Sammlung und Beförderung von Altpapier“ im Wege einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit „mandatierendem“ Charakter auf eine Nachbarkommune auch von den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Frankfurt/Main als entgeltlicher öffentlicher Auftrag angesehen, für den ein Vergabeverfahren durchzuführen gewesen wäre.
Der Deutsche Städtetag teilt diese Auffassung nicht, da das Ziel der interkommunalen Zusammenarbeit gerade eine Verlagerung und Umorganisation der Aufgabenwahrnehmung und -verteilung innerhalb der kommunalen Ebene als Teil der öffentlichen Hand ist. In Rede steht das der innerstaatlichen Kompetenz unterfallende Organisationsrecht, nicht eine Beschaffung zwischen Dritten und damit handelt es sich mithin bei der Aufgabenwahrnehmung einer Kommune durch eine andere nicht um eine Vergabe an Dritte im Sinne des Vergaberechts. Die einzelne Kommune fragt keine Leistung am Markt nach, sondern wählt einen Weg der effizienteren Wahrnehmung durch gemeinsame Durchführung innerhalb der kommunalen Ebene. Solange über die Ausschreibungspflicht öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen bzw. Zweckvereinbarungen keine Rechtsklarheit besteht, hat der Städtetag seinen Mitgliedern den Abschluss derartiger Vereinbarungen nur als „delegierende“ Vereinbarungen empfohlen.

3. Ausschreibungspflichten bei der Gründung eines Zweckverbandes
Aus dem EuGH-Urteil lässt sich ebenfalls nicht ableiten, dass die Gründung kommunaler Zweckverbände den vergaberechtlichen Regelungen unterliegt, was auch aus Sicht des Deutschen Städtetags zutreffend ist mit der gleichen Begründung wie zu den öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen bzw. Zweckvereinbarungen. Bei einem Zweckverband ist die Aufgabenübertragung – wie bereits unter III.3. dargestellt – viel evidenter durch den Beitritt der Kommunen als im Falle der Vereinbarungen. Zudem obliegt es dem jeweiligen Staat bzw. der jeweiligen Kommune, seine Aufgaben mit eigenen Ressourcen zu erfüllen oder ggf. Private zu beauftragen.
Diese Auffassung wird von der EU-Kommission allerdings nicht uneingeschränkt geteilt. Sie hat in einem nunmehr eingestellten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland die Auffassung vertreten, dass für den Fall, dass sich die übertragende Gemeinde zu viele Informations- und Kontrollrechte bei der Übertragung einer Aufgabe vorbehalte, hierin generell ein Dienstleistungsauftrag oder eine Dienstleistungskonzession gesehen werden könnte.

V. Änderung der Rechtslage erforderlich
Aufgrund der für die Kommunen erheblichen Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf die interkommunale Zusammenarbeit und damit das verfassungsrechtlich garantierte Recht der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz unternehmen der Städtetag sowie die anderen kommunalen Spitzenverbände in Deutschland alle möglichen Versuche auf europäischer und nationaler Ebene, um eine Änderung der Rechtslage zu erreichen.
Nach vielen Gesprächen mit Vertretern der EU-Kommission sowie des EU-Parlamentes zeichnet sich nun ein Silberstreif am Horizont ab.
Das EU-Parlament hat nunmehr jüngst beschlossen, im Frühjahr 2006 eine Anhörung zum Änderungsbedarf der EG-Vergaberichtlinien 2004/18 EG und 2004/17 EG durchzuführen. In Vorbereitung dieser Anhörung diskutieren die kommunalen Spitzenverbände bereits jetzt Änderungsanträge, die sich auf die Ausschreibungsfreiheit interkommunaler Zusammenarbeit beziehen.
Auf nationaler Ebene scheinen die Bemühungen des Städtetags sowie der anderen kommunalen Spitzenverbände von größerem Erfolg gekrönt zu sein.
Hier plant das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit eine Änderung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Rechtsgrundlage für die europaweite Vergabe) und eine Formulierung aufzunehmen, die die Freiheit der Kommunen bei der Formenwahl der interkommunalen Zusammenarbeit von der Ausschreibungspflicht freistellt.
Insoweit bleibt zu hoffen, dass es in diesem Bereich eine Lösung gibt und die wichtige und erfolgreiche Möglichkeit der interkommunalen Zusammenarbeit nicht durch rechtliche Hürden erschwert wird.
Es bleibt festzuhalten: Es bedarf aller möglichen Anstrengungen in Deutschland, die interkommunale Zusammenarbeit frei von Ausschreibungspflichten zu halten. Der Städtetag wird alle Bemühungen auf nationaler und europäischer Ebene unternehmen, um dieses zu erreichen.

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