Die österreichische EU-Präsidentschaft 2006 Europa findet auf allen Ebenen statt – selbstverständlich auch in unseren Gemeinden

Die österreichische EU-Präsidentschaft 2006 Europa findet auf allen Ebenen statt – selbstverständlich auch in unseren Gemeinden

Am 1. Jänner 2006 übernimmt Österreich erneut, zum zweiten Mal nach 1998, die EU-Ratspräsidentschaft. Für sechs Monate werden Österreicherinnen und Österreicher in einer Vielzahl von EU-Gremien den Vorsitz führen – vom Europäischen Rat, der unter Leitung des Bundeskanzlers tagen wird, über den Ministerrat bis zu den rund 250 verschiedenen Arbeitsgruppen auf Expertenebene.

 

Die Präsidentschaft ist eine Dienstleistung an Europa. Es geht in unserem Vorsitzsemester nicht um österreichische Kürläufe, sondern um die Arbeit im Dienste der europäischen Bürger.
Im Zentrum unserer Präsidentschaftsarbeit werden deshalb die ganz konkreten Anliegen der Bürger stehen:

- die Förderung von Beschäftigung und Wachstum in Europa,

- die Absicherung des spezifisch europäischen Lebensmodells in unserer globalisierten Welt,

- die Festigung des Vertrauens der Bürger in das europäische Projekt und

- die Rolle Europas als starker und verlässlicher Partner in der Welt.

Wachstum und Beschäftigung zu fördern, ist derzeit die vordringlichste Aufgabe der Politik, auf nationaler wie auf EU-Ebene. Alle Umfragen zeigen, dass die Bürger gerade hier besondere Hoffnungen in Europa setzen. Diese Erwartungen dürfen nicht enttäuscht werden. Allerdings ist auch Realismus geboten. Vieles fällt hier in den Bereich der einzelnen Mitgliedstaaten.
Die österreichische EU-Präsidentschaft wird diese Aufgabe sehr ernst nehmen. Wir werden uns in besonderer Weise um die europäische Strategie für Wachstum und Beschäftigung, den sogenannten Lissabon-Prozess, kümmern.
Wachstum und Beschäftigung werden auch das Hauptthema unseres ersten Europäischen Rates im März 2006 sein. Bis dahin wird uns die Analyse der Kommission über die nationalen Reformprogramme der einzelnen Mitgliedstaaten vorliegen. Die Aufgabe des Europäischen Rates wird es sein, darüber zu beraten und wenn nötig neue Vorgaben festzulegen.
Eine zweite Hauptaufgabe der österreichischen Präsidentschaft sehe ich in der Absicherung und Weiterentwicklung des spezifisch europäischen Lebensmodells. Es macht Europa einzigartig und setzt – wie kein anderes – auf Gerechtigkeit, Solidarität, auf Nachhaltigkeit und den Respekt der Vielfalt. Die Bürger sind sich dieser Einzigartigkeit bewusst. Sie schätzen sie hoch ein. Dieses Lebensmodell ist aber in einer zunehmend kompetitiven Welt keine Selbstverständlichkeit.
Ich zähle zum europäischen Lebensmodell übrigens auch das europäische Landwirtschaftsmodell. Es hat gerade in unserem Land auch für viele einen hohen Wert, die selbst nicht von der Landwirtschaft leben, etwa diejenigen, die bei Lebensmitteln Wert darauf legen, wie sie entstehen und woher sie kommen.
Auch Kulturlandschaften sind ein Ausdruck der Kultur, der gewachsenen Tradition und damit letztlich des europäischen Lebensmodells. Sie sind auch ein unersetzlicher Vorteil für den Tourismus.
Das spezifisch europäische Lebensmodell abzusichern und zukunftsfest zu machen – das scheint mir eine zentrale Antwort auf die Frage: „Wozu Europa?“
Die österreichische Präsidentschaft wird sich dafür einsetzen, dass die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte Europa für den einzelnen auf diese Weise verständlich und greifbar wird. Wir wollen einen Beitrag zu einem „Europa konkret“ leisten. Eine der größten Herausforderungen unserer Präsidentschaft wird es generell sein, gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen dafür zu sorgen, dass Europa wieder zum Bürger aufschließt.
Die letzten Monate haben gezeigt, dass es Verwerfungen im Vertrauen der Bürger zu Europa gibt. Besonders deutlich wurde dies durch die beiden negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden.
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben daraufhin im vergangenen Juni beschlossen, den Genehmigungsprozess zum Verfassungsvertrag zwar fortzuführen, den Zeitplan aber an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Während einer sogenannten „Reflexionsphase“ soll in jedem Mitgliedstaat eine breite Debatte über Europa stattfinden. Während unserer EU-Präsidentschaft soll dann im Frühjahr 2006 Bilanz gezogen und über das weitere Vorgehen entschieden werden.
Wir wollen das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union stärken und wieder Lust auf Europa machen. Unser Bemühen kann aber nur erfolgreich sein, wenn es beim Bürger direkt ansetzt, bei seinen ganz konkreten Erwartungen an Europa. Unsere Analysen zeigen übrigens deutlich, dass den Bürgern der europäische Integrationsprozess durchaus am Herzen liegt. Man kann deshalb die Entwicklungen der letzten Monate keineswegs als Ablehnung der EU sehen.
Die Bürger glauben sehr wohl an Europa. Sie erwarten aber, dass sich Europa vordringlich mit ihren Sorgen und Problemen auseinander setzt, mit ihrem Lebensumfeld, das schon durch die Globalisierung einem großen Anpassungsdruck unterworfen ist.
Es geht also jetzt um ein behutsames und glaubwürdiges Eingehen auf diese Besorgnisse. Europa darf sich da nicht verzetteln. Es muss sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Sorgen der Menschen orten, gemeinsam mit ihnen nach Lösungen suchen. Wenn das gelingt, wird sich das Vertrauen in die Europäische Union wieder festigen. Das wird aber zweifellos seine Zeit brauchen.
In Österreich haben wir die Phase des Nach- und Vordenkens schon sehr frühzeitig eröffnet. Zunächst mit der Initiative „Europa hört zu“, mit der wir auf den Websites von Bundeskanzleramt (www.bundeskanzleramt.at) und Außenministerium (www.aussenministerium.at) den Bürgern Gelegenheit gegeben haben, ihre Sorgen und Anregungen zu Europa mitzuteilen.
Vor kurzem haben wir auch, als nächsten Schritt, „Zukunft Europa“ gestartet, eine Informationsinitiative, die bis zum Ende unserer EU-Präsidentschaft fortgeführt werden wird. Sie umfasst neben einer Internetseite (www.zukunfteuropa.at) und dem Europatelefon (0800 21 11 11) auch eine „Road Show“, die wir gemeinsam mit der Österreichischen Wirtschaftskammer durchführen und die ab Mitte Oktober durch ganz Österreich touren soll. Sie wird Europa in die Städte und Gemeinden bringen.
Nicht unterschätzen darf man die europäische Außenpolitik. Die Bürger wollen ein starkes Europa in der Welt. Sie wünschen sich von Europa Schutz vor dem Armutsrisiko, vor Gefahren für ihre persönliche Sicherheit, wie internationale Kriminalität, Terrorismus und unkontrollierte Migration. Kurz: Schutz vor den Schattenseiten der Globalisierung.
Die Bürger wollen Europa als verlässlichen Partner der Ärmsten und Schwächsten auf der Welt. Sie schätzen Europas Rolle als größter Geber von Entwicklungshilfe. Aber auch von außen richten sich viele Hoffnungen auf uns. Europa wird in vielen Weltregionen als engagierter und glaubwürdiger Partner gesehen. Genau das wollen auch wir in unserer Präsidentschaft sein. Ein besonderes Anliegen ist mir dabei die Förderung des Dialogs der Kulturen und Regionen. Österreich hat gerade hier viel Know-how, das es während seines EU-Vorsitzes für ganz Europa nutzen kann.
Österreicher werden im nächsten Semester Gesicht und Stimme Europas in der Welt sein. Auch hier gilt wieder: Worauf es ankommt, ist seriöse Dienstleistung an unseren Partnern – in Europa und in der Welt.
Wenn in den kommenden Monaten viel von Europa die Rede ist, muss man auch bedenken, dass Europa vor allem Vielfalt bedeutet. Und Europa findet auf allen Ebenen statt – selbstverständlich auch in unseren Gemeinden.
Österreich hat sich bei der Ausarbeitung der künftigen europäischen Verfassung erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten durch die Union ausdrücklich festgeschrieben wird. Dazu gehört natürlich unsere historisch gewachsene regionale Struktur und an erster Stelle die Gemeinden. Wir verstehen darunter aber auch die Art, wie wir – sehr erfolgreich – die wesentlichen kommunalen und regionalen Dienste für unsere Bürger erbringen: um die Qualität unserer Wasserversorgung zum Beispiel werden wir von vielen in Europa beneidet. Wir sehen daher kein Erfordernis, diese bewährte Struktur aufzugeben. Wir haben – zusammen mit anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Erfahrung gemacht haben – durchgesetzt, dass diese „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ ausdrücklich auch in Zukunft auf der Ebene organisiert werden können, auf der sie am besten erbracht werden: auf Ebene der Gemeinden und der Bundesländer.
Damit dies auch in der Praxis ausreichend berücksichtigt wird, sieht die Verfassung eine genaue Kontrolle der Einhaltung der Subsidiarität auf europäischer Ebene vor, dass also die Entscheidungen bürgernahe getroffen werden. Die Regionen und der Ausschuss der Regionen werden dies sogar einklagen können.
Aufgrund der Verzögerungen beim Inkrafttreten des Verfassungsvertrages setzt sich Österreich gemeinsam mit der britischen Präsidentschaft dafür ein, dass auch in der Zwischenzeit alles getan wird, damit gesetzliche Regelungen in Europa so nahe wie möglich beim Bürger getroffen werden. Die Kommission hat dazu kürzlich angekündigt, Dutzende von Gesetzesvorschlägen zurückzunehmen bzw. zu vereinfachen. Wir beabsichtigen, solche Projekte auch während unserer Ratspräsidentschaft weiterzuführen.
Bürgernähe bedeutet aber natürlich auch, genau hinzuhören, wo den Bürger der Schuh drückt. Niemand ist dazu besser geeignet als die Mandatare und Entscheidungsträger auf lokaler Ebene. Sicher, nicht für jedes Problem kann sinnvollerweise Europa zuständig sein – im Gegenteil. In vielem, was die Menschen in ihrem täglichen Leben bewegt, kann Europa aber sehr wohl einen Mehrwert bringen. So etwa bei der Verbesserung der Umweltbedingungen über die Grenzen hinweg oder bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität.
Wir alle – Verantwortliche auf Bun- des-, Landes- und lokaler Ebene – sollten dazu beitragen, können dazu beitragen, Europa auch in den Städten und Gemeinden ins rechte Licht zu rücken. Europapolitik beginnt hier.
Während der Präsidentschaft wird die EU im ganzen Land verstärkt präsent sein. Zahlreiche Städte im gesamten Bundesgebiet werden Gastgeber für hochrangig besetzte Treffen und Konferenzen sein.
In Wien werden die Justiz- und Innenminister der Union im Jänner, die Bildungsminister im März sowie die Finanzminister im April tagen. Ebenfalls in der Bundeshauptstadt ist das informelle Gesundheitsministertreffen im April geplant. Die Minister für Beschäftigung und Soziales kommen im Jänner nach Villach. Ebenfalls im Süden – nämlich im April in Graz – tagen die für Wettbewerbsfähigkeit zuständigen Minister. In Bregenz und Innsbruck finden die Treffen der Verkehrs- bzw. Verteidigungsminister statt. Jugendfragen werden im März im oberösterreichischen Bad Ischl besprochen. Gegen Ende unseres Vorsitzhalbjahres treffen sich im Mai die Umweltminister in Rust und die Landwirtschaftsminister in Krems.
Bei all diesen Gelegenheiten und einer Vielzahl weiterer Veranstaltungen werden die einzelnen Städte und Gemeinden im medialen Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Die lokale Wirtschaft wird profitieren – vom kleinen Bäckereibetrieb bis hin zum großen Kongressveranstalter. Der Name der Veranstaltungsorte wird weit über die Grenzen Österreichs hinaus getragen werden. Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, sind wir auf die Mitarbeit und das Engagement der Bürgermeister und anderen Verantwortlichen vor Ort angewiesen. Der Vorsitz wird auch in diesem Sinne nur als Teamarbeit eine gute Arbeit sein.
Jeder einzelne persönliche Beitrag ist wichtig, damit Europa wieder in unsere Köpfe und unsere Herzen kommt.

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