Stadtwaldwirtschaft oder Stadt-Wald-Wirtschaft? Erfahrungen aus 20 Jahren Salzburger Stadtwaldpflege

Stadtwaldwirtschaft oder Stadt-Wald-Wirtschaft? Erfahrungen aus 20 Jahren Salzburger Stadtwaldpflege

Stadtwälder zählen zu den quantitativ und qualitativ wichtigsten Elemente der Durchgrünung unserer städtischen Ballungszentren. Neben Parkanlagen und Allee-/Solitärbäumen bilden sie die unmittelbar erlebbaren, rasch erreichbaren Naherholungsbereiche, die „Natur vor der Haustüre“. Der Mythos Wald lebt. Stadtwälder bedürfen der fachkundigen Betreuung. Wohin soll der Weg gehen? Stadtwaldwirtschaft oder Stadt-Wald-Wirtschaft? Wenn man dieses Wort derart trennt, trifft es vielleicht den emotionellen Kern besser, macht die speziellen Erfordernisse deutlicher, die Diskussion fruchtbringender …

 
Wohin …
… soll eine erfolgreiche Erholungswaldbetreuung steuern? Inwieweit werden Naturwälder den Erfordernissen von Erholungsräumen gerecht, können und sollen Erholungswälder naturschutzgerecht aufgebaut werden? Soll der Erholungswald sich selber überlassen bleiben? Welche Erkenntnisse der Forstwirtschaft sind zu übernehmen, welche zu modifizieren? Wie viel „Naturschutz“ braucht der Stadtwald? Wo liegt die Grenze zur Gartenarchitektur? Wie gewichtet und berücksichtigt man Ansprüche der Erholungssuchenden? Wo ist das Ziel, wie ist der Weg dorthin?

Ansprüche …
… sind kritisch zu hinterfragen.
Herrscht in der Fachliteratur noch weitgehend Einigkeit an das „technische“ Anforderungsprofil eines Erholungswaldes, wird dieses von den Erholungsuchenden viel differenzierter und zumeist sehr individuell gesehen. Dies verwundert nicht, da bekanntlich Geschmäcker sehr verschieden sein können. Kinder haben andere Vorstellungen und Wünsche als Senioren, Eltern andere als Jugendliche, Männer andere als Frauen, Mütter mit Kinderwägen andere als Hundebesitzer, Sportler andere als Spaziergänger, Anrainer andere als abseits Wohnende, Hobbynaturforscher andere als Touristen, Wissenschafter andere als Praktiker, selbst ernannte Experten andere als Verantwortliche. Gemeinsam ist allen, dass vorrangig Gefühle inhaltlich bestimmend sind. Der Wald tut meiner Seele gut – also hat „unser“ Wald so auszusehen, wie ich ihn mir vorstelle.
Dabei müssen Erholungswälder mehr als nur Natur anbieten. Gut, ganzjährig begehbare Wege, klare Beschilderungen, Aussichtspunkte, Gewässer, Sitzbänke, Liegewiesen, spezielle Sportangebote (Mountainbikeweg, Fitness-Parcours, Naturlehrpfad etc.) und Gastronomie stehen im Vordergrund, vor einer romantischen Naturkulisse Wald im Hintergrund. Vielfach ist das „Hineinschauen“ oft wichtiger als das „Hineingehen“.

Skepsis …
… scheint allen Nutzgruppen gemeinsam, wenn sich „Forstwirtschaft“ und „Naturwald“ und „Erholung“ begegnen. Befürworter bleiben meist wortlos und überlassen den (wenigen) Kritikern die öffentliche Meinungsbildung. Die Motorsäge wird zum Instrument, zum absoluten Feindbild. Schlagworte wie Baummord, Baumschlägertruppe, Abholzung, totale Verwüstung, brutale Waldsanierung, Umweltskandal, Kulturschande begleiteten die Anfänge der Stadtwaldpflege. Die Ängste liegen tiefer, wie

- dem idealisierten Vorbild vom Urwald in einem sich ständig veränderten Naturidylle vor der eigenen Haustüre,

- dem Unverständnis, dass bei Waldpflegemaßnahmen auch gesunde Bäume einzubeziehen sind,

- der Angst, dass Waldpflege nur den Vorgriff zur Rodung mit folglicher Baulandnutzung darstellt.
Der Mythos Wald manifestiert sich auch im Wunsch nach rechtlichen Absicherungen (Natur- und Landschaftsschutzgebiet, Grünlanddeklaration, Erholungswald nach dem ForstG 1975).

Naturwälder …
… zeichnen sich, ungeachtet der waldgesellschaftstypischen, unterschiedlichen Baumartenzusammensetzung und des Bestandsaufbaus durch einen mosaikartigen Wechsel aller Entwicklungsphasen und zumeist hohen stehenden und liegenden Totholzanteil aus. Die Vielfalt der Waldbilder reicht von verbuschten, dickungsartigen Initialphasen bis zu altholzreichen Zerfallsstadien. Erholungswaldbewertungsmodelle und Publikumsbefragungen sprechen jedoch gepflegten Waldbeständen eine höhere Erholungsfunktion zu als unberührten, ungepflegten Naturwäldern. Erholungswald erfordert somit aktives waldbauliches Handeln; ein über das konservierende Erhalten von natürlichen Wäldern hinausgehendes Waldmanagement.

Erholungswälder …
… bedürfen also einer laufenden Waldpflege. Die Stadt Salzburg hat im Jahr 1984 für ihre Erholungswaldflächen detaillierte Waldpflegepläne erstellt. Diese folgen nicht forstwirtschaftlichen Zielsetzungen, sondern es stehen ökologische, kulturgeschichtliche und waldbesucherbezogene Überlegungen unbestritten im Vordergrund.
Aktive Waldpflege bedeutet gezielte Steuerung der Waldbestandsentwicklung. Ausgehend von der natürlichen Waldgesellschaft werden so die im Minimum stehenden Edellaubbaumarten gefördert, dominante Baumarten zurückgenommen und standortsfremde Bäume gezielt ausgeschieden. Die Läuterungen und Durchforstungen gelten einem ungleichaltrigen, mehrschichtigen Bestandsaufbau; das Pflegeziel gilt gut strukturierten Waldbildern. Flächige Nutzungen (Kahlschläge) finden nicht statt, eine forstliche Umtriebszeit gibt es nicht. Das Alter der Bäume bestimmt sich ausschließlich aus dem natürlichen Lebenszyklus von Wäldern, sofern nicht aus Verkehrssicherheitsgründen punktuell eingegriffen werden muss. Durch Freistellungen werden die optische Wirkung eindrucksvoller Bäume und Altholzinseln verstärkt, Waldbestandsränder besser strukturiert und in ihrer ökologischen Funktion aufgewertet.
Totholz bildet einen integrierten Teil der Erholungswaldpflege. Grundsätzlich soll der Baumbestand an seine natürliche Altersgrenze herangeführt werden, um damit nicht nur urige, markante Baumriesen (Horst- und Hohlenbäumen) zu erziehen, sondern auch die für den geschlossenen Naturkreislauf erforderliche Totholzbildung zu ermöglichen. So werden die aufgerichteten Wurzelteller geworfener und Stümpfe gebrochener Bäume vor Ort belassen, das Schlagreisig nicht ausgeräumt.
Waldpflegearbeiten beschränken sich auf die laubfreie Jahreszeit, womit die Brutzeiten ausreichend berücksichtigt werden können. Der gezielte Einsatz von Pferden sichert eine bestands- und bodenschonende Holzrückung.
Stadtwaldpflege erfordert es auch, den Bezug zum historischen Umfeld zu suchen. Bei wertvoller Bausubstanz (ehemalige Wehranlagen, Denkmäler) und Stadtausblicken sind die Sichtachsen dosiert und kontinuierlich freizuhalten, ohne damit landschaftsbildstörende Sichtschneisen anzulegen. Bei hässlichen Funktionsbauten gilt es die Konturenauflösung der Bäume zur Sichtabdeckung zu nützen.

Wirtschaft …
… verlangt Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit heißt Zukunftsvorsorge. Erholungswaldbewirtschaftung darf also nicht konservieren, sondern verlangt nach aktivem waldbaulichen Handeln. Zukunftsvorsorge verlangt heute Entscheidungen zu treffen, die erst morgen wirksam werden. Der gezielte „Baummord“ alter Bäume schafft Entwicklungsraum für neue, junge Bäume – deren Größe unsere Generation nicht mehr erleben kann, über dessen Erscheinungsbild sich unsere Nachfahren genauso freuen werden, wie wir dies mit der „ererbten Natur“ tun.

Wirtschaftlicher Erfolg …
… im Sinne forstbetrieblicher Grundsätze lässt sich in der Erholungswaldbetreuung nicht erreichen. Forstwirtschaftlich interessante Holzsortimente verbleiben ja im Wald, dürfen unbestimmt alt werden. In der Stadt Salzburg liegt der Deckungsbeitrag aus dem Holzverkauf (fast ausschließlich Brennholz) bei etwa 70% der Kosten für die Holzarbeiter, Verwaltungskosten nicht berücksichtigt.
Aber die Kommunalpolitik hat sich von Anbeginn dazu bekannt und ermöglicht somit eine an der Sache ausgerichtete optimierte Betreuung.

Information …
… über alles, zu allem und dies ehrlich. So wurden seit dem Jahr 1984 insgesamt 240 Waldinformationenwanderungen angeboten und von 3.700 Teilnehmern besucht. Diese Waldwanderungen sollen nicht nur den interessierten Teilnehmern einen umfassenden Überblick hinsichtlich Konzeption, Planung und Umsetzung der Waldpflegepläne geben, sondern auch zur Rechenschaft bisheriger Waldpflegearbeiten veranlassen. Unterschiedliche Standpunkte lassen sich im Wald besser ausdiskutieren, die differenzierten Vorstellungen der Erholungsuchenden werden durch das Verständnis für den anderen geschärft. Diese Wanderungen bilden somit das „Update“ für eigene Überlegungen, zahlreiche Anregungen der interessierten Bevölkerung können praktisch umgesetzt werden.

Waldpflege …
… ist ein dynamischer, ständig sich erneuernder Prozess, der von den Verantwortlichen und Beteiligten eine zukunftsgerichtete und von tagespolitischen Überlegungen abgekoppelte Betrachtungsweise einfordert. Heute, zwanzig Jahre später, ist das Modell der „Salzburger Stadtwaldpflege“ weitestgehend unbestritten; alle seinerzeit geäußerten Befürchtungen sind nicht eingetroffen. Viele der einstigen Kritiker sind diesen gemeinsamen Weg der aktiven Erholungswaldgestaltung engagiert mitgegangen, die verbliebenen Skeptiker von heute werden morgen zu überzeugen sein. Die Salzburger Stadtwälder sind nicht weniger geworden, Kahlhiebe sind ausgeblieben … und das Pferd der Holzarbeiter ist ein alle Jahre wieder gern gesehener „Zaungast“.

Zum Weiterlesen …
Bürg, J., Ottitsch, A., Pregernig, M, 1999: Die Wiener und ihre Wälder. Schriftenreihe des Institutes für Sozioökonomik der Forst- und Holzwirtschaft, Band 37, Universität für Bodenkultur, Wien.
Schlager, G., 1988: Erholungswald und Naturwald – Zielkonflikte in der Waldpflege? In: Natur und Landschaft, 63, Heft 19, 1988, Bonn.
Schraml, U., Volz, K. R. (Hrsg.), 2003: Urbane Waldbesitzer. Freiburger Schriften zur Forst- und Umweltpolitik, Band. 1, Verlag Dr. Kessel, Remagen-Oberwinter.
Schwarz, A., 2005: Ethische Perspektiven für Nachhaltigkeit. Vortrag bei der Österreichischen Forsttagung 2005 in Wien (Tagungsband).
Stölb, W., 2005: Waldästhetik über Forstwirtschaft, Naturschutz und die Menschenseele. Verlag Dr. Kessel, Oberwinter.
Zundel, R., Völksen, G., 2002: Ergebnisse der Walderholungsforschung. Verlag Dr. Kessel, Oberwinter.
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