ÖPNRV-Reform, quo vadis?

ÖPNRV-Reform, quo vadis?

Seit der Landeshauptleutekonferenz am 4. November liegt nun ein erster Entwurf für ein neues Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV-G) vor. Laut BMVIT handelt es sich bei dieser „Reform“ lediglich um eine Neustrukturierung der organisatorischen und finanziellen Grundlagen des ÖPNRV. Ein Gesamtkonzept zur Zukunft des öffentlichen Verkehrs mit klaren Zielvorstellungen des Bundes fehlt bis heute.

Grundlagen
Im nunmehr vorgelegten, aber bis Redaktionsschluss noch nicht zur Begutachtung ausgeschickten Entwurf für ein neues Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV-G) sollen die Grundlagen für die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen für den Betrieb des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs sowie die Struktur und der Aufgabenbereich von Verkehrsverbünden festgelegt werden. Die geltenden Finanzierungsstrukturen aufgrund des Finanzausgleichsgesetzes 2005, des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 und des Privatbahngesetzes 2004 sollen von diesem Gesetz nicht berührt werden.

Begriffsdefinitionen
Als Nahverkehr werden öffentliche Verkehrsdienste definiert, die den Verkehrsbedarf innerhalb eines Stadtgebiets (Stadtverkehr) oder zwischen einem Stadtgebiet und seinem Umland (Vororteverkehr) befriedigen. Regionalverkehr hingegen dient der Befriedigung des Verkehrsbedarfs einer Region bzw. des ländlichen Raums.
Weiters wird zwischen den Begriffen Verkehrsverbund und Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft unterschieden: Verbünde werden als Kooperationsformen von Verkehrsunternehmen zur Optimierung des Gesamtangebots sowie zur Sicherstellung eines einheitlichen Tarifs angesehen. Unter einer Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft ist eine vom jeweiligen Land bzw. den jeweiligen Ländern eingerichtete Gesellschaft zu verstehen, die die organisatorische Umsetzung der im Zusammenhang mit Verkehrsverbünden stehenden Aufgaben der Gebietskörperschaften wahrzunehmen hat. Nicht nachzuvollziehen ist jedoch, warum sich Verkehrsverbünde räumlich an den Bundesländergrenzen und nicht an den Pendlerströmen orientieren sollen.

Aufgabenverteilung
Der Bund will sich mit dem neuen Gesetz aus der inhaltlichen Verantwortung für den ÖPNRV weitgehend zurückziehen. Zu den Aufgaben des Bundes sollen künftig nur noch die Bestellung von begünstigten Tarifen, der Ersatz der Fahrpreise für die Schüler- und Lehrlingsfreifahrt, die Zahlung des Bundesbeitrages zur Verbundabgeltung sowie zur Finanzierung von zusätzlichen öffentlichen Verkehrsdiensten zählen. Außerdem übernimmt der Bund das Monitoring. Eine Garantie des Bundes zur Sicherstellung eines gewissen Grundangebots soll es mit dem neuen Gesetz durch die Streichung des bisherigen § 7 nicht mehr geben.

Aufgaben für Länder und Gemeinden
Den Ländern und Gemeinden soll im Zuge der Reform die Verantwortung für die Planung nachfrageorientierter Verkehrsleistungen übertragen werden. Die ursprüngliche Absicht, die Länder und Gemeinden auch für die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung zu verpflichten, ohne dabei für eine adäquate Mittelausstattung zu sorgen, wurde aus verfassungsrechtlichen Gründen offenbar wieder fallen gelassen.
Zu den weiteren Aufgaben zählen der Betrieb von Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften, der Abschluss von Verträgen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienstleistungen, die Abgeltung der in den Verkehrsverbünden anfallenden Durchtarifierungsverluste unter Verwendung der dafür zugewiesenen Bundesmittel sowie die Abgeltung von zusätzlich bestellten Verkehrsdiensten – ebenfalls unter Verwendung der dafür zugewiesenen Bundesmittel. Zusätzlich werden die Länder verpflichtet, die für das Monitoring erforderlichen Daten (Kenndaten des Verbundraumes, Angebotsgrößen, Nachfragegrößen, Schüler- und Lehrlingsfreifahrt) bereitzustellen.
Die Verkehrsunternehmen werden zur Zusammenarbeit und Kooperation mit den übrigen Verkehrsunternehmen innerhalb des Verkehrsverbundes verpflichtet, übernehmen die unternehmensspezifische Verkehrsplanung sowie die Fahrplangestaltung in Zusammenarbeit mit der Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft.
Im Falle einer Nettobestellung von Verkehrsdiensten obliegt den Verkehrsunternehmen auch die Entwicklung und Festsetzung des Verbundtarifes. Die Verwendung der von den jeweiligen Bestellern aufgewendeten Finanzmittel ist in transparenter Weise streckenbezogen darzustellen, was für Verkehrsnetze in städtischen Agglomerationen nur schwer möglich sein wird.

Stärkung der Verbünde
In ihrer Kompetenz gestärkt werden die Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften. Diese übernehmen im geplanten Rechtsrahmen im Falle einer Bruttobestellung neben der Entwicklung und Festsetzung des Verbundtarifes auch die Bestellung und Auferlegung von öffentlichen Verkehrsdiensten, wenn sie dazu von den Gebietskörperschaften beauftragt werden. In diesem Zusammenhang soll den Verbünden auch die Kontrolle der Erfüllung der in den Verkehrsdiensteverträgen aufzunehmenden Qualitätskriterien (benutzerfreundliche Systeme, Fahrbetriebsmittel, Gewährleistung der persönlichen Sicherheit, bundesweit einheitliche und verkehrsträgerübergreifende Informationssysteme über Fahrpreise und Fahrpläne) obliegen. Verkehrsunternehmen, die ausschließlich Stadt- und Vororteverkehre betreiben, sind jedoch von den Bestimmungen über den Abschluss von Verkehrsdienstverträgen ausgenommen. Zusätzlich zu der verbundspezifischen Marketing- und Vertriebstätigkeit zählt auch die verbundspezifische Verkehrsplanung im Zusammenwirken mit den Verkehrsunternehmen und den Gebietskörperschaften zu den Aufgaben der Verkehrsverbundorganisationsgesellschaften. Gänzlich neu ist die verpflichtende Einrichtung eines Fahrgastbeirates zur Beratung der Verbünde in Angelegenheiten des Verbundtarifs, der Fahrplangestaltung und der Qualität der Verkehrsdienste. Warum dieser bei den Verbünden und nicht auch bei den Verkehrsunternehmen (wie es die Wiener Linien schon heute praktizieren) angesiedelt werden soll, ist unklar – wo diese doch näher am Kunden sind. Die näheren Bestimmungen dazu sollen Gegenstand einer eigenen Verordnung sein.

Finanzierung
Im Gesetzesentwurf werden die Zahlungen des Bundes an die Länder zur Verbundabgeltung auf Basis des Abrechnungsjahres 2003 exakt festgelegt. Diese Bundesbeiträge umfassen die anteilige Finanzierung von Durchtarifierungsverlusten, Semestertickets, die Organisation der Verkehrsverbünde und die laufenden Kosten für die Abrechnung der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt. In Zukunft sollen dann diese Beträge valorisiert werden, wofür folgende Indexregelung vorgesehen ist: 50 Prozent der Beträge werden auf Basis des Verbraucherpreisindexes wertgesichert, 50 Prozent auf Basis der relativen Veränderung der Nachfrage (nachzuweisen jeweils bis 30. Juni des Folgejahres). Die Gefahr dabei: Auch bei Rückgängen von Fahrgastzahlen, die auf externe Ursachen zurückzuführen sind, werden die Mittel gekürzt.

Bestellerförderung neu geregelt
Die Bestellerförderung wird neu geregelt. Wurde bisher nach dem Antragsprinzip vorgegangen, so sollen die Länder künftig fixe Beträge zugewiesen bekommen, die ausschließlich und zweckgebunden für die Finanzierung von zusätzlichen öffentlichen Verkehrsdiensten zu verwenden sind. Unklarheit herrscht allerdings darüber, was unter dem Begriff „zusätzliche Verkehrsdienste“ im neuen Rechtsrahmen zu verstehen ist, da die bisher als Basis dienende Leistungsgarantie des Bundes (§ 7 ÖPNRV-G 1999) ersatzlos entfällt. Für die Indexierung kommen die selben Regeln wie bei den Verbundzahlungen zur Anwendung. Im Gesetzesentwurf findet sich der deutliche Hinweis, dass neue Verkehrsdienstebestellungen, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgen, nur unter Berücksichtigung der anzuwendenden Bestimmungen des Vergaberechtes vorgenommen werden dürfen. Auslaufende Verträge sind anschließend neu zu vergeben, unbefristete Verträge sind spätestens 5 Jahre nach Inkrafttreten des neuen ÖPNRV-G zu beenden und neu zu vergeben.

Ausweitung der Mittel fraglich
Um den Ländern die Zustimmung zu diesem Gesetz schmackhaft zu machen, wird eine Ausweitung der Bestellerförderung von derzeit gesetzlich festgelegten 7,2 Mio. € auf 30 Mio. € in Aussicht gestellt, wofür es allerdings noch keine Zusicherung durch das Bundesministerium für Finanzen gibt. Hier ist auch anzumerken, dass die 30 Mio. € noch immer deutlich weniger sind als die in den Erläuterungen zum derzeit noch gültigen ÖPNRV-G erwähnte Ausweitung der Mittel auf 64 Mio. €. Eine Erhöhung der Bestellerförderung wiegt den Wegfall der Sicherung des Grundangebotes durch den Bund jedenfalls nicht auf.

Nebenbahnen strukturell gefährdet
Die bisher an die Österreichischen Bundesbahnen geleisteten Zahlungen für die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen (Ökobonus und Verlagerungsbonus) werden zu einer reinen Tarifbestellung umgewandelt. Die Zahlungen sind künftig bundesländerweise und streckenbezogen darzustellen. Entfallen in einem Bundesland durch die Einstellung von Schienenverkehrsstrecken Mittel aus diesem Titel, so erhöhen sich im gleichen Ausmaß die auf das betreffende Land entfallenden Mittel für die Bestellerförderung. Der Einstellung von weiteren Nebenbahnen ist damit Tür und Tor geöffnet!
Der im Bereich der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt zu ermittelnde und anzuwendende Verrechnungstarif wird mit den tatsächlich entstandenen Kosten, höchstens jedoch mit dem Verbraucherpreisindex wertgesichert.

Verkehrsanschlussabgabe
Auch im neuen Gesetzesentwurf ist wieder die Möglichkeit zur Einhebung einer Verkehrsanschlussabgabe durch die Gemeinden vorgesehen, von der bisher allerdings nicht Gebrauch gemacht wurde. Sollten die Gemeinden also zur Sicherung eines nachhaltigen öffentlichen Verkehrsangebots eine flächenbezogene Abgabe zur Deckung der mit dem Anschluss von öffentlichen Verkehrsmitteln verbundenen Kosten ausschreiben, so sind die Bestimmungen des ÖPNRV-G zu beachten. Die Mindesthöhe liegt bei 10 Cent pro Quadratmeterfläche und Kalendermonat.

Zieldatum 1. Juli 2006
Geht es nach den Plänen des Bundes, soll das neue ÖPNRV-G mit 1. Juli 2006 Gültigkeit erlangen. Mit der Begutachtung hätte laut Aussagen des BMVIT noch im Jahr 2005 begonnen werden sollen.
Die in Aussicht gestellte Einbindung des Städtebundes beschränkte sich bisher lediglich auf ein Gespräch mit Staatssekretär Kukacka sowie die Präsentation des Reformvorhabens durch das BMVIT im Rahmen der Sitzung des Verkehrsausschusses im Oktober 2005. Ziel des Städtebundes ist es weiterhin, die Rolle der Städte als Akteure im öffentlichen Verkehr entsprechend zu verankern und eine ausreichende Mittelausstattung garantiert zu bekommen, um ein Auseinanderklaffen zwischen Aufgabenverantwortung und Finanzierungsverantwortung hintanzustellen.
Den kritisch eingestellten Ländern wurden vorher jedoch noch Gespräche auf politischer Ebene angeboten. Dieses Angebot wurde von den Ländern angenommen – mit dem deutlichen Hinweis, dass damit keine Zustimmung zu den bisher bekannt gewordenen Plänen des Bundes verbunden sind. Versuche des Verkehrsministeriums, in der Öffentlichkeit zu suggerieren, Länder und Bund wären sich in dieser Sache weitgehend einig, entsprechen also nicht den Tatsachen.

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