Die Funktionen der Stadt der Zukunft

Die Funktionen der Stadt der Zukunft

Es ist später Vormittag, die richtige Zeit für einen Espresso und ausschweifende Diskussionen. Der kleine enge Platz in der Nähe des Domes ist das belebte Handelszentrum der Bischofsstadt, voller Lärm, Benzindüften der Lieferanten und dem unverwechselbaren Duft der Fiakerpferde. Das Geläut der Domglocken verkündet ein besonderes Ereignis, ein Brautpaar im Fiaker fährt winkend vorbei, begleitet von den Glückwünschen der Passanten. Schulkinder bummeln plaudernd in Richtung Museum, ein Straßenkünstler baut sein kleines Podest auf, um seine Künste darzubieten. Herren mit Körben gefüllt mit Gemüse streben dem Café zu. Es ist später Vormittag, die richtige Zeit für einen Espresso und ausschweifende Diskussionen! (Nach Hermann Korte, Soziologe an der Universität Bochum.)

Leben in der Künstlichkeit?
Diese Szene beschreibt, was wir alle an öffentlichen Plätzen schätzen und Urbanität nennen. Vielleicht aber ist diese Beschreibung nur die museale Ausgabe einer historischen Bischofsstadt, die vom Tourismus lebt.
Das Leben in der Künstlichkeit. Die Frage, die sich stellt, ist: Warum in ein Konzert gehen, wenn man zu Hause die CD anhören kann? Gibt es die Option einer Welt außerhalb der hybriden Welten von Las Vegas, außerhalb von Glasüberdachung und Klimaanlage?
Medialisierung und Globalisierung werden begleitet von radikalen Transformationsprozessen auf der Ebene des Lokalen. Suburbanisierung, Peripherisierung, Deindustrialisierung, schrumpfende Städte, Segregation und Ausgrenzung, Eventisierung, Musealisierung, Festivalisierung, Disneyfizierung und McDonaldisierung sind die Schlagworte dieser neuen Wirklichkeit, die verbunden ist mit der höchsten Arbeitslosigkeit der letzten Jahrzehnte.

Wachstum ohne Form
Amerika definierte in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts den „Sprawl“ als urbanes Wachstum ohne Form. Der „Sprawl“ erscheint seelenlos und menschenleer, da sich seine BewohnerInnen mehrheitlich in den neuen vorstädtischen Agglomerationsräumen aufhalten, die ausschließlich mit dem Privatauto zu erreichen sind: den Einkaufszentren, Cineplexx-Kinos, Flughäfen und großen Vergnügungsparks. Die Folgen dieser ausufernden Städte sind eine tief greifende Veränderung des städtischen Lebens und des Begriffes der Urbanität selbst. Die traditionellen Stadtzentren schrumpfen nicht nur gemessen an ihrer Einwohnerzahl, sondern auch, wie schon erwähnt, hinsichtlich der typischen Funktionsbestimmungen. Freizeitaktivitäten, Handel, Forschung und Lehre, sogar Produktion und kulturelle Betätigung scheinen den aktuellen Dezentralisierungsbestrebungen zu folgen. Die ungenutzten Stadtzentren werden von schwächeren und weniger stark verwurzelten Bevölkerungsschichten besiedelt.

Strategien und Gegenmaßnahmen
In den letzten 20 Jahren versuchte man dieser Entwicklung mit unterschiedlichsten Strategien und Maßnahmen zu begegnen. In Amerika und Kanada setzt man seither auf Business Improvement Districts (BIDs), Zusammenschlüsse von Immobilienbesitzern, die seither über die Verwendung des öffentlichen Raums entscheiden. Times Square in New York erlangte zweifelhafte Berühmtheit. Die einst vielfältige multikulturelle pulsierende Gegend ist heute an Sicherheit, Sauberkeit und Kulturlosigkeit nicht zu überbieten. In Europa versucht man die Bedeutung der historischen Ortskerne für die touristische Vermarktung zu unterstreichen. Bewahren, Erhalten und „Behübschen“ sind die zentralen Themen.
Die künstlichen Innenstädte der Europarks, Centros und Plus Cities sind nur Projektionen eines überzogenen Selbstverwirklichungsstrebens der konsumorientierten Individuen. Soziale Randgruppen sind unerwünscht.

Öffentlicher Raum wird privatisiert
Mit immer neuen Großprojekten wird eine geschützte private Öffentlichkeit für eine konsum- und freizeitorientierte Klientel gebaut und damit eine neue Form der Öffentlichkeit bereitgestellt. Diese separiert und segregiert, weil sie von privaten Investoren finanziert, gestaltet, kontrolliert und ausgewechselt wird. Öffentlicher Raum wird privatisiert und damit den BürgerInnen geraubt.
Zu der Frage, wie es weitergeht, ist eine öffentliche, von Konsumzwängen befreite Diskussion vonnöten, denn wenn es so weitergeht, dann gibt es den historischen Marktplatz mit seinen Cafés und Geschäften bald nur noch in Disneyland. Dort finden wir dann jenen öffentlichen Raum, von dem wir gelegentlich noch träumen, immer vorausgesetzt, wir können die hohen Eintrittspreise bezahlen.
In der Analyse von zukünftigen Funktionalitäten und Aufgaben einer Stadt, speziell ihrer historischen Ortskerne, ergeben sich fünf Handlungsräume:

1. Die Erfüllung touristischer Bedürfnisse
Die Wertschöpfung im touristischen Bereich liegt vielerorts jenseits der 30-Prozent-Marke und erscheint durchaus ausbaufähig. Die Erschließung neuer touristischer Märkte, begleitet von einer für Europa notwendigen Qualitätstourismusoffensive, zeigt sich als Gebot der Stunde. Dies bedeutet für den Standort oft auch schmerzliche Anpassungsprozesse.
Öffnungszeiten müssen touristischen Bedürfnissen angepasst werden: Die Öffnung der Geschäfte an bestimmten Sonntagen während der Festspielzeiten oder im Advent darf kein Tabuthema mehr sein. Über den Mietvertrag geregelte Parkumlagen, die zwar die Rendite der Flächen senken, die Flächenrentabilität aber steigern, müssen flächendeckend in den Ortskernen umgesetzt werden und auch für Ortskerne muss der Schlüssel, ein Parkplatz pro 12 m2 Einzelhandelsverkaufsfläche gelten. Verkehrsleitsysteme und ein hochwertiges Beherbergungsangebot tun ein Übriges.

2. Die Stadt als Kulisse
Schon jetzt ist das Bedürfnis, vor den Kulissen historischer Ortskerne Produkte ins rechte Licht zu rücken, enorm.
Ob Rad-WM, Fußball-EM, der Weihnachtstruck von Coca-Cola, die Classic Days von Mercedes oder das Oldtimer-Rennen von Red Bull, der Weltcup-Langlaufsprint, powered by XY Molkegetränk, das Kart-Rennen, unterstützt von Z, der Hamburger Fischmarkt oder der von einem Mobilfunkbetreiber getragene Marathon – sie alle ziehen das identitätsstiftende Ambiente der Altstädte dem hybriden Einerlei der EKZs vor.
Ortskerne müssen den Mut haben, die Spreu vom Weizen zu trennen, Placement teuer zu verkaufen und auf diesem Weg neue Kooperationen zu schließen.
Die Ereignisse müssen jung, trendy und urban oder traditionsbewusst und weltoffen sein, nicht kleinmütig und bieder. Herausragend und einzigartig, präsentieren sich die Ortskerne der Zukunft.

3. Die Stadt als Szenen
Junge kulturelle Veranstaltungen korrespondieren mit jungen, aber hochpreisigen Gastrokonzepten. Die Städte zeigen Trends und wiegen sich in den Sounds der Gegenwart. Einst verschmutzte heruntergekommene Hafenviertel werden zu stylischen Zonen neuer Urbanität. Verkehrsknotenpunkte entwickeln sich zu Themenstraßen, bereit für die „Forever young“-Generation.
Ruhige beschauliche Fußgängerzonen mit schattenspendenden Bäumen sind gestalterische Auslaufmodelle der 90er Jahre.

4. Die Stadt ist Diskurs
Wenn öffentliche Plätze als freie Räume für Diskurs und Vielfalt erhalten bleiben sollen, um dem Staat, der öffentlichen Sache den notwendigen Raum zu geben, muss auch die „res publica“ in die Verantwortung genommen werden. Wenn sich aber der Staat aus der Verantwortung zurückzieht, Private zunehmend dessen Aufgaben übernehmen, für Sicherheit und Sauberkeit sorgen, Platzgestaltungen und Verkehrslösungen finanzieren, Kultur ermöglichen und den Grad der Erhaltung bestimmen, dann wird öffentlicher Raum zum privaten Schrebergarten und Kultur kann nicht mehr stattfinden. Es gilt die Stadt als Raum für die BürgerInnen zu sichern, als Raum, um Mensch sein zu können. Denn zuerst verbietet man das Versammeln, dann die Meinung.

5. Die Stadt als Ort der Spiritualität
Die Kraft des Geistes, die in Bibliotheken und Kirchen seit Jahrhunderten Menschen in Andacht und Analyse vereint, ist zentrale Ursache für das oft zitierte und nicht wirklich erklärbare Flair. An Orten der Spiritualität ist das Verweilen im Augenblick möglich – der momentane Einklang zwischen Seele, Geist und Körper. Der Wellness-Boom der 90er Jahre muss als Vorläufer dieser Entwicklung gesehen werden. Hier tun sich für historische Ortskerne, ihre gewachsenen, sinnstiftenden Strukturen, enorme Potentiale auf.

Trends
- Entfesselte Ökonomie:
Die Politik verabschiedet sich mehr und mehr von ihrer gestalterischen, steuernden Aufgabe. Die Städte werden zu Resonanzräumen einer neuen Sprache des Widerstandes und der Gegenwehr. Hier ist die Kunst zu Hause, aber nicht jene Kunst, die versucht, mit fragwürdigen Konzepten Brachen zu beleben, sondern die Kunst, die sich ihre Räume ihren Produktivitätsbedürfnissen angepasst sucht.

- Kultur als „weicher“ Standortfaktor hat ausgesorgt:
Liest man neue Kriterien der Standortbeurteilung, so finden sich Verkehrsanschlüsse, Universitäten, Kriminalitätsraten und Steuerquote, Korruptionsgrad und Demokratieverständnis; Kultur spielt für die Betriebsansiedlung vielfach keine Rolle mehr, zumindest nicht im Kriterienkatalog der Ansiedler.

- No time:
Immer weniger Menschen arbeiten immer schneller, immer mehr. Hier bleibt keine Zeit für soziale Kontakte oder die Auseinandersetzung mit Kunst. Die daraus resultierende hohe Arbeitslosenrate generiert den Typus des neuen Selbständigen, der entweder nur einen Kunden hat oder vier Jobs macht.
Die Differenzierung zwischen Arbeitszeit und Freizeit löst sich immer mehr auf.

- Credit junkies & Luxese:
Mehr Kauflust als Kaufkraft ist angesagt. Produkte werden konsumiert, aber nicht bezahlt. Geschäftesterben und Arbeitslosigkeit sind die Folge. Luxese – Luxus und Askese – bedeutet einen Spagat zwischen Sparen und Verschwenden. Es ist der Verzicht auf das Mittelmaß in allen Bereichen. Auch im Bereich des Kulturgenusses.

- Konsumkultur = Sinnkultur:
Der romantische Konsum, in dem der Genuss nach dem Motto „man gönnt sich ja sonst nichts“ eine tragende Säule ist, ist die Antwort auf nicht eingelöste Träume und latente Ängste, hervorgerufen durch die Undurchschaubarkeit der Globalisierung und New Economy.

- Industriegesellschaft wird zur Dienstleistungsgesellschaft:
Die Ausbildungssituation ist immer noch von der Industriegesellschaft geprägt, demgegenüber gibt es kaum geregelte Ausbildungsmöglichkeiten für Seniorenbetreuer, Gesundheitsberater, Mitarbeiter in Ferienanlagen sowie im Messe- und Ausstellungswesen. Auch der wachsende Informations- und Beratungsbereich sucht MitarbeiterInnen mit passenden Qualifikationen.

- Service wird zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor:
Die Produktqualität ist großteils ausgereift. Service und Beratung gewinnen an Bedeutung. Servicequalität gleicht im Idealfall einem Zeitgeschenk. Für den „No-time-Menschen“ ein wahres Geschenk und damit ein Wirtschaftspotential der Zukunft.

- Massenhaft genießen. Überfüllung als Normalität:
Das Phänomen des Wartens – der Stau – gehört ganz automatisch zum motorisierten Freizeiterleben. Nach Feierabend fangen die Menschen massenhaft zu genießen an – in Einkaufszentren, in Lokalmeilen, auf Straßenfesten und in expandierenden Kulturstätten. Eine Generation wächst heran, die sich ganz selbstverständlich mit dem Phänomen der Massenmobilität arrangiert.

- Wohnen – Wohn- und Arbeitswelten wachsen wieder zusammen:
„Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein.“ Die privatisierte, ausschließlich auf Konsum festgelegte Öffentlichkeit ist nicht länger Ort der Entfaltung und Gestaltung. Was im 19. Jahrhundert getrennt wurde, wächst nun wieder zusammen. Hip ist das Konglomerat. Tolle Wohnungen in urbaner Umgebung, tolle Läden und Restaurants, Kunst und Kultur, Galerien. Der Traum vom Einfamilienhaus mit Hecke und Gartenzwerg ist für immer ausgeträumt. „Urban people“ wohnen in „urban areas“.

- E+U=I:
Das Ernste gepaart mit Unterhaltung wird als Identität erlebt. Hohe künstlerische Qualität gepaart mit Unterhaltung, Teil der urbanen Gesellschaft zu sein, über das Erlebte mit Gleichgesinnten sprechen zu können, schafft die notwendige Identität.

Kontakt:
Tourismusverband Salzburger Altstadt
Herbert-von-Karajan-Platz 2/III
5020 Salzburg
Tel.: +43(0)662/84 54 53

Städtebund-Linktipps:
www.salzburg-altstadt.at
www.stadt-salzburg.at

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