„Wir müssen bei der Daseinsvorsorge auf Nummer Sicher gehen“

„Wir müssen bei der Daseinsvorsorge auf Nummer Sicher gehen“

Maria Berger, seit der EU-Wahl 2004 Delegationsleiterin der SPÖ-Abgeordneten im Europäischen Parlament, hat sich bereits als zuständige Berichterstatterin mit dem Vorgängerdokument zur Dienstleistungsrichtlinie intensiv beschäftigt. Im ÖGZ-Gespräch plädiert sie für eine vollständige Ausnahme der Daseinsvorsorge aus dem Anwendungsbereich der EU-Dienstleistungsrichtlinie und fordert einen Nachtrag in Form eines Sozialprotokolls zur EU-Verfassung.

ÖGZ: Welche Hauptkritikpunkte gibt es aus Sicht der SPÖ-Abgeordneten am vorliegenden Beschluss im Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments?

Maria Berger: Man muss klar sagen: Wir konnten einiges im parlamentarischen Entscheidungsprozess erreichen. Dazu gehört die Klausel, dass das gesamte Arbeitsrecht nach wie vor den Bestimmungen des Tätigkeitslandes unterliegen wird, das geht also deutlich über die Entsenderichtlinie hinaus. Auch das Sozial- und Konsumentenschutzrecht konnten wir entsprechend absichern. Nicht vergessen darf man, dass die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vollkommen vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. Diese Beschlüsse sollten auch am 14. Februar bei der Plenarabstimmung problemlos durchgehen.

ÖGZ: Was fehlt derzeit, wo besteht noch Bedarf an Nachbesserungen?

Maria Berger: Wir möchten zusätzlich erreichen, dass Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – hier sind ja primär auch Städte und Gemeinden betroffen – zur Gänze aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie herausfallen sollen. Bei der Berufsausübung soll das Herkunftslandprinzip zur Gänze entfallen. Im Vorfeld der Plenarabstimmung finden interfraktionelle Gespräche statt. Lässt sich hier keine Lösung finden, werden über die Fraktion entsprechende Plenarabänderungsanträge eingebracht, über die dann einzeln abgestimmt werden muss.

ÖGZ: Die Kontrollmöglichkeiten im Rahmen der Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie werden von vollziehenden Behörden in Frage gestellt.

Maria Berger: Das ist meiner Ansicht nach entscheidend, das muss in der Praxis handhabbar sein. Die Kontrollierbarkeit muss gegeben sein. Daher ist es ganz wichtig, dass das Tätigkeitsland eine starke Stellung bei der Kontrolle erhält. Hier müssen wir vor allem die Befürchtungen von Behördenvertretern, aber auch gerade der Arbeitnehmervertreter sehr ernst nehmen. Die Durchsetzbarkeit von Rechtstiteln in anderen Mitgliedsländern dürfte in einigen Fällen doch eher zweifelhaft sein.

ÖGZ: Stichwort Daseinsvorsorge: Die kritischen Punkte scheinen hier aber ausgeräumt zu sein.

Maria Berger: Das Problematische ist die Frage der Abgrenzung der Begriffe der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, die im Wettbewerb stehen. Die Definitionen sind hier äußerst vage. Wir sollten daher auf Nummer Sicher gehen und beide Formen im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie vollkommen ausnehmen. Dann entsteht dieses Abgrenzungsproblem erst gar nicht.
Übrigens hat die österreichische Regierung auch noch kein Licht ins Dunkel gebracht, in dem sie definiert hätte, was subsidiär Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind. Die SPE-Fraktion wird daher die Initiative ergreifen und einen Entwurf vorlegen, wie man insgesamt die Daseinsvorsorge regeln könnte. Das ist dringend notwendig, damit wir in der Rechtssetzung nicht ständig dieses Problem mit uns schleppen.

ÖGZ: Wie sehen die weiteren legislativen Schritte bei der Dienstleistungsrichtlinie aus?

Maria Berger: Jetzt stimmt das Europäische Parlament in Erster Lesung ab, dann legt die EU-Kommission wie üblich einen geänderten Vorschlag vor, wo Lösungen für die Zweite Lesung angeregt werden. Wir haben Signale, wonach die Kommission den Standpunkt des Parlaments nicht gravierend verändern möchte. Eines ist klar: Alles, was wir nicht am 14. Februar im Europäischen Parlament durchsetzen können, spielt es nicht! Die Kommission wird uns da nicht zu Hilfe eilen. Nach Aussagen von Minister Bartenstein traut sich die österreichische Präsidentschaft eine politische Einigung im Rat bis Ende Juni zu, da die EU-Kommission eine relativ rasche Prüfung des Parlamentsstandpunktes vornehmen will.

ÖGZ: Der EU-Verfassungsvertrag ist laut niederländischem Außenminister „dead, tot, dood, mort“. Andere Beobachter sehen das anders.

Maria Berger: Natürlich, die Niederlande glauben, dass sie den EU-Verfassungsvertrag mit der negativen Volksabstimmung für ganz Europa entschieden haben. An sich ist es die Aufgabe der Regierungen der Mitgliedstaaten, in einer solchen Situation einen Ausweg aufzuzeigen. Die Debatte geht weiter, 14 Mitgliedstaaten haben bereits die Ratifizierung vorgenommen, weitere wollen ratifizieren. Die Diskussion muss in die Richtung gehen: Was könnte der Ausweg sein? Was muss besser erklärt werden? Was an der Politik muss geändert werden? Der Ball liegt jetzt beim österreichischen Vorsitz, eine „Roadmap“ wäre ideal. Unter deutschem Vorsitz ab Anfang 2007 könnte dann eine Entscheidung getroffen werden, ob man mit dem Verfassungsprojekt gänzlich neu beginnt oder ob man beim bestehenden Text bleibt und einen Nachtrag aufnimmt, etwa ein Sozialprotokoll. Das Verfassungsprojekt muss weitergehen, es ist zu wichtig, auch wenn den Niederlanden oder anderen eine neuerliche Debatte unangenehm ist.

ÖGZ: Ein Festhalten an der Verfassung wäre auch für die Kommunen von hohem Interesse.

Maria Berger: Was uns an Neuerungen gelungen ist in Bezug auf die Rechtsstellung der Städte und Gemeinden, wollen wir natürlich vollinhaltlich aufrechterhalten. Beginnt man einzelne Textteile herauszubrechen und gegenseitig abzutauschen, dann bleibt nicht viel übrig. Dieses Projekt wäre dann zum Scheitern verurteilt.

ÖGZ: Was fordern Sie an weiteren Schritten vom österreichischen EU-Vorsitz?

Maria Berger: Wir wollen vom Vorsitz eindeutig mehr Einsatz für Wachstum und Beschäftigung, mehr Investitionen. Beim Frühjahrsgipfel im März wäre ja Gelegenheit, den Vorschlag der sozialdemokratischen Finanzminister aufzunehmen, um mit einem Investitionsprogramm das Wachstum auf 3% des BIP anzuheben. Mit dieser Wachstumsrate wären auch effektive Auswirkungen am Arbeitsmarkt spürbar. Auch darf man die finanzielle Vorschau für 2007–2013 nicht vergessen. Der Beschluss der Mitgliedstaaten vom Dezember 2005 ist für das Parlament inakzeptabel. Das Parlament fordert etwa ein garantiertes Mitentscheidungsrecht bei der Neugestaltung der Eigenmittel ab 2008. Insgesamt ist viel zu wenig Geld im Topf, da wurde kräftig gekürzt. Ein Beispiel sind die Transeuropäischen Netze. Hier gibt es – dank unseres Einsatzes im Europäischen Parlament – sechs österreichische Projekte, da wären 20% Kostenabdeckung durch die EU zu holen gewesen. Mit dieser Finanzvorschau geht sich das nicht aus. Das Projekt der Summerauer Bahn, also die Verbindung von Linz über Freistadt nach Budweis und Prag, ist vom Verkehrsministerium schon medial abgesagt worden, weil man erkannt hat, dass die eigenen Verhandlungsergebnisse bereits Erreichtes in Frage stellen. Und auch bei der Kohäsionspolitik fehlt noch einiges für ein akzeptables Ergebnis.

ÖGZ: Frau Abgeordnete, wir danken für das Gespräch.

Städtebund-Linktipp:
www.spe.at/berger

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