„Die Dienstleistungsrichtlinie führt zu mehr Wettbewerb, entmonopolisiert aber nicht“

„Die Dienstleistungsrichtlinie führt zu mehr Wettbewerb, entmonopolisiert aber nicht“

Die EU-Dienstleistungsrichtlinie soll dem grenzüberschreitenden Dienstleistungsmarkt einheitliche Regeln geben. Seit dem EU-Wahlkampf 2004 gibt es eine heftige Diskussion über das Für und Wider des EU-Kommissionsvorschlags. Am 14. Februar 2006 ist das Europäische Parlament am Zug. Die Dienstleistungsrichtlinie betrifft auch die Kommunen: MEP Othmar Karas, Mitglied im zuständigen Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments und neuer ÖVP-Delegationsleiter im Europäischen Parlament, sieht im ÖGZ-Interview die wesentlichen Probleme ausgeräumt. Die Daseinsvorsorge ist abgesichert, die innerstaatlichen Ordnungsprinzipien werden nicht tangiert.

ÖGZ: Herr Abgeordneter, die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist in der Öffentlichkeit wild umstritten. Wie schaut es im Europäischen Parlament aus?

Othmar Karas: Die unterschiedlichen Interessen haben sich auch im Europäischen Parlament im Zuge der interfraktionellen Beratungen stark angenähert. Die Diskussion ist auch nicht auf das berühmte Herkunftslandprinzip reduzierbar, hier gab es eine ungerechtfertigte Stimmungsmache. Viele gehen undifferenziert noch immer vom Ursprungsentwurf vom Jänner 2004 aus, mittlerweile sind wir aber schon weit darüber hinaus. Alle Fragen und Wünsche der Bevölkerung und der Gebietskörperschaften spielen in den Beratungen des Parlaments eine große Rolle, das zeigen die eingebrachten Änderungsanträge.

ÖGZ: Schaut man in den EG-Vertrag, so ist die Dienstleistungsfreiheit dort schon enthalten.

Othmar Karas: Diese Richtlinie schafft die Dienstleistungsfreiheit nicht. Die Dienstleistungsfreiheit kann sich jeder beim EuGH am Klagsweg holen, wenn sie einem verwehrt wird. Dabei handelt es sich um eine Grundfreiheit der EU. Diese Richtlinie ordnet den Umgang mit der Freiheit und schafft Rechtssicherheit. Wenn wir jetzt sagen, was manche wollen: Das Herkunftslandprinzip darf in dieser Richtlinie keine Rolle spielen, was heißt das? Das heißt, dass ich mich, will ich in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden, dort niederlassen muss. Damit nütze ich aber nicht die Dienstleistungsfreiheit, sondern nur die Niederlassungsfreiheit. Unternehmen kann ich gründen, wo ich es will. Dienstleistungen kann ich grenzüberschreitend ohne Niederlassung anbieten. Diese Richtlinie reduziert de facto das Herkunftslandprinzip auf die Gründung des Unternehmens. Nur so kommen wir vom Recht der 25 Staaten zu gemeinsamen Regeln für einen Binnenmarkt.

ÖGZ: Nun gibt es aber gegen das sogenannte Herkunftslandprinzip, dass also das Recht des Standortlandes gilt, wenn im EU-Ausland Dienstleistungen angeboten werden, massive Vorbehalte.

Othmar Karas: Deshalb haben wir diesbezüglich auch entsprechende Vorkehrungen getroffen. Wir haben im Binnenmarktausschuss zentrale Bereiche aus dem Herkunftslandprinzip ausgenommen. Dazu gehören die Entsendung von Arbeitnehmern, Berufsqualifikationen, das Privatrecht oder auch die Umweltkriterien. Das Tätigkeitsland soll durch seine Behörden prüfen können und in Abstimmung mit dem Herkunftsland auch sanktionieren können! Auch die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, also Dienste, die im Wettbewerb im Inland stehen, sind explizit vom Herkunftslandprinzip ausgenommen. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind insgesamt Dienste von allgemeinem Interesse völlig ausgenommen. Dazu gehören Bildung, öffentliche Sicherheit, das Gesundheitswesen, alles zusammenhängend mit hoheitsrechtlicher Gewalt, also auch das Notariatswesen. Auch die Wasserversorgung steht expressis verbis als Ausnahme drinnen. Da sind wir mit der Abgrenzung wahrscheinlich noch nicht vollständig fertig, das habe ich auch im Ausschuss festgehalten.

ÖGZ: Der Forderung der Kommunalverbände nach vollständiger Herausnahme der Daseinsvorsorge wurde aber nicht entsprochen.

Othmar Karas: Hier fehlt uns durch das derzeitige Nicht-Inkrafttreten des EU-Verfassungsvertrages ein wichtiger Baustein. Der Verfassungsvertrag hätte die Daseinsvorsorge (Dienste von allgemeinem und Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse) vollständig unter die Regelung der Subsidiarität gegeben – das heißt, dass damit das Wettbewerbsrecht nicht greifen würde –, also die Mitgliedstaaten wären frei, das völlig selbständig zu regeln. Im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie ist es jetzt so, dass die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, also alle Aktivitäten, die im Wettbewerb stehen, unter das Subsidiaritätsprinzip fallen und vom Herkunftslandprinzip ausgenommen sind.

ÖGZ: Ist die Dienstleistungsrichtlinie ein Angriff auf monopolisierte Dienstleistungen durch die Hintertür?

Othmar Karas: Nein, diese Richtlinie ist keine Liberalisierungs- oder Privatisierungsrichtlinie. Sie greift in die innerstaatlichen Ordnungsprinzipien nicht ein. Ja, sie führt sicher zu mehr Wettbewerb, zu mehr Chancen für Marktteilnehmer. Aber sie entmonopolisiert etwa nicht, darum geht es nicht und das ist auch explizit derzeit ausgeschlossen. Alle jene Dinge, die im Staat quasi ein staatliches Monopol sind, das ist in Österreich sehr viel, Dinge, die von einem Gemeinwesen direkt ausgeübt werden, sind Dienste von allgemeinem Interesse, weil hier der Staat Gemeinwohlaufgaben wahrnimmt, damit sie geleistet werden können. Diese Dinge können gar nicht unter die Dienstleistungsrichtlinie fallen, weil das ja im Widerspruch zu innerstaatlichen Ordnungsprinzipien stehen würde. Daher fallen diese Dienste heraus. Die Dienste, wo der Staat andere beauftragt, dort wo wir auch innerstaatlich im Wettbewerb stehen, sind Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, diese Dienste mit öffentlichen Gemeinwohlcharakter soll der Staat subsidiär definieren, diese Dinge fallen dann unter das Prinzip des Tätigkeitslandes, damit es nicht die innerstaatliche Ordnung aushebelt. Hier muss man sicher noch nachschärfen.
Ich bin auch Präsident des Österreichischen Hilfswerks. Wir hatten eine lange Diskussion, was für uns besser ist: Eine völlige Herausnahme der Pflegeberufe bzw. mobilen Dienste aus der Richtlinie. Dann hätte ich zahlreiche Probleme wie 24-Stunden-Dienste oder Leiharbeit nicht gelöst, die derzeit mein Hauptproblem sind. Oder sie drinnen lassen. Wir haben uns derzeit dafür entschieden, die Sozial- und Gesundheitsdienste herauszunehmen. Was aber nicht heißt, das ich das nicht regeln muss. Denn gerade hier haben wir in Österreich einen hohen Schwarzmarktanteil ausländischer Anbieter. Wenn diese außen vor bleiben, fallen sie auch nicht unter die Meldepflicht, fallen sie auch nicht in die Entsenderichtlinie, fallen sie auch nicht unter die im Binnenmarktausschuss beschlossene Regelung, dass die Leiharbeiter sowohl unter die Entsenderichtlinie als auch unter die Dienstleistungsrichtlinie fallen. Die Leiharbeiter-Regelung war bisher nicht Teil der Entsenderichtlinie. Hier wird versucht, einen Missstand in einem ersten Schritt zu minimieren.

ÖGZ: Bei den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wo also Wettbewerb vorliegt, greift das Subsidiaritätsprinzip.

Othmar Karas: Ja, dort gilt das Herkunftslandprinzip nicht. Sozial- und Gesundheitsdienste sind ausgenommen. Das Arbeitsrecht fällt zusätzlich zur Entsenderichtlinie aus dem Herkunftslandprinzip heraus. Auch die Frage des Privatrechts wurde aus dem Herkunftslandprinzip herausgenommen, d. h. alle privatrechtlichen Verträge sind außen vor. Noch einmal: Das Herkunftslandprinzip wird ausschließlich auf die Gründung des Unternehmens im Herkunftsland beschränkt.

ÖGZ: Wie geht es im Legislativverfahren weiter?

Othmar Karas: Nach der Ersten Lesung im Europäischen Parlament wird die Europäische Kommission bis zum April 2006 ihre Stellungnahme dazu vorlegen. Inwiefern die österreichische Präsidentschaft davon berührt wird, hängt vollkommen vom Fristenlauf ab, was die Arbeit im Rat betrifft. Hier möchte ich übrigens daran erinnern, dass es zwischen Bundesregierung und den Arbeitnehmervertretern einen Grundkonsens gibt, dass Österreich letztlich nur zustimmen soll, wenn die Sozial- und Gemeinwohlfragen im österreichischen Sinne gelöst sind. Ich finde, dass der Binnenmarktausschuss hier gegenüber dem Kommissionsvorschlag einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht hat.

ÖGZ: Der Verfassungsvertrag soll unter österreichischem Vorsitz wieder flottgemacht werden. Welche Rolle können hier die Gemeinden spielen?

Othmar Karas: Ich wünsche mir, dass sich die Kommunen verstärkt zum Anwalt des Verfassungsvertrages machen, weil dort auch die kommunale Selbstverwaltung klar geschützt ist. Derzeit haben wir manche Dinge im Definitionsgraubereich. Wenn wir die nationalstaatliche Definition der Subsidiarität in der Verfassung verankert haben, tun wir uns bei jeder Richtlinie, die in diesen Bereich eingreift, leichter in der Argumentation.

ÖGZ: Herr Abgeordneter, wir danken für das Gespräch.

Städtebund-Linktipp:
www.othmar-karas.at

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