Feinstaub in Graz: Herausforderung oder Schicksal?

Feinstaub in Graz: Herausforderung oder Schicksal?

Feinstaub – über keinen anderen Luftschadstoff wurde in den vergangenen Jahren derartig kontrovers diskutiert. Die Grazer Situation wird dabei von über 100 Überschreitungstagen charakterisiert. Für das Grazer Stadtgebiet wurden durch die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Verkehrsbelastungen und Feinstaubkonzentrationen hohe Anteile des Straßenverkehrs ermittelt. Graz hat sich gemeinsam mit dem Land Steiermark auf die Verringerung der Diesel-Feinstpartikel durch Nachrüstförderungen konzentriert, aber auch Maßnahmen im Bereich „Public Awareness“, Heizungsumstellungen und Winterdienst umgesetzt. Fahrverbote werden diskutiert.

1. Ausgangslage
Nach den Ergebnissen der Statuserhebungen gemäß § 8 Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L), wurde das Stadtgebiet von Graz neben mehreren Umlandgemeinden hinsichtlich der Feinstaubbelastung („PM10“) als „Sanierungsgebiet“ ausgewiesen. Die im IG-L mit Stand 2005 zulässigen 30 Überschreitungstage beim Tagesmittelwert von 50 µg/m3 wurden in den vergangenen Jahren weit überschritten – die Grazer Situation wird von über 100 Überschreitungstagen geprägt. Dies ist jedoch kein lokales Problem, sondern betrifft nach Messungen des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung praktisch alle austauscharmen (verkehrsreichen) Gebiete: Überschreitungen gibt es beispielsweise auch in vielen Bezirkshauptstädten!

Partikelgrößenverteilung
Für die Wirkung des Feinstaubes spielt die Partikelgrößenverteilung eine entscheidende Rolle1: Feinstpartikel unter 1 µm können in ihrer Wirkung je Masseneinheit nicht mit 10-µm-Partikeln verglichen werden.
In der öffentlichen Meinung werden aber allzu oft Probleme, die aus gröberen Staubfraktionen resultieren, mit der Problematik „Feinstaub“ verwechselt (Stichwort „Straßenreinigung“). Weiters ist eine Korngröße von 10 µm aufgrund der Messmethode nicht – wie häufig kolportiert – die obere Grenze des Durchmessers für „PM10“-Partikel, sondern es können in Abhängigkeit von der Korngrößenverteilung wenige grobe Partikel das Messergebnis dominieren.
Die für eine Überschreitung des Grenzwertes von 50 µg/m3 notwendige Masse wird in den meisten Fällen grob überschätzt: Es ist dafür keine mit Streusplitt übersäte Straße erforderlich, sondern auch augenscheinlich saubere (gewaschene) Verkehrsflächen bieten ausreichend Verschmutzungspotenzial.
Die verschiedenen Auflistungen der Verursacheranteile müssen mit großer Vorsicht beurteilt werden. Ein Österreich-Durchschnitt der Feinstaubverursacher kann sicher nicht direkt auf eine städtische Situation wie in Graz umgelegt werden. Für das Grazer Stadtgebiet wurden insbesondere durch die Untersuchung des statistischen Zusammenhanges zwischen Verkehrsbelastungen und Feinstaubkonzentrationen hohe Anteile des Straßenverkehrs (Feinstpartikel aus dem Auspuff plus Aufwirbelung = Gesamtanteil bis zu 70%) ermittelt. Der Hausbrand liegt in einer Größenordnung von etwa 25–30%, Gewerbe und Industrie weisen in Graz einen Anteil unter 10% auf. Aufgrund dieser Korrelationsrechnungen ist auch eine gute Prognose der Feinstaubbelastungen möglich.

Probleme bei Anlagengenehmigungen
Eine Entscheidung des steirischen Unabhängigen Verwaltungssenates (UVS) vom Juni 2005 macht eine Vorgangsweise, wie sie bei bestimmten („kleinen“) feinstaubrelevanten Projekten seit der Ausweisung des Großraumes Graz als Gebiet mit Grenzwertüberschreitungen beim Parameter „PM10“ in gewerberechtlichen Verfahren gewählt wurde, unmöglich.
Bei bereits bestehenden Grenzwertüberschreitungen wurde geprüft, ob ein Emittent immissionsseitig “relevante” Belastungen verursacht oder der Immissionsbeitrag an der Gesamtbelastung zu vernachlässigen sei.2, 3
Einen Anhaltspunkt dazu bot bisher die „Irrelevanzklausel“ des Umweltbundesamtes, die wie folgt formuliert wurde4:
„Wenn die Zusatzbelastung auf der Beurteilungsfläche (Untersuchungsgebiet), erfasst als Kurzzeitwert (HMW, TMW), 3% des Immissionsgrenzwertes, Forstgrenzwertes oder Schwellenwertes (…) nicht überschreitet, ist die Umwelteinwirkung durch die Emissionen der bestehenden oder geplanten Anlage als unerheblich einzustufen …“
Nun hat aber – vom UVS aus den entsprechenden EU-Richtlinien (96/62/EG und 1999/30/EG) abgeleitet – die Behörde nicht zu prüfen, ob eine Zusatzbelastung „erheblich“ oder allenfalls „unerheblich“ sei (Konzept der „Irrelevanzklausel“!). Gesetzlicher Auftrag sei es, zu prüfen, ob die Grenzwerte eingehalten werden oder nicht.
Auch eine Prüfung, ob durch zusätzliche Auflagen eine „Genehmigungsfähigkeit“ erreicht werden könne, sei nur dann mit positivem Ergebnis möglich, wenn das beantragte Projekt „nullemissionsrelevant“ (!) wäre.
Diese geforderte „Nullemission“ ist aus abluft- bzw. abgastechnischer Sicht bei zahlreichen Projekten durch realistische Auflagen nicht zu erreichen.
Wird – wie vom UVS gefordert – aufgrund der bisherigen Grenzwertüberschreitungen von einer zusätzlich möglichen „Nullemission“ ausgegangen, sind dabei bei weitem nicht nur jene Projekte betroffen, die „auf den ersten Blick“ feinstaubrelevant sind (Anlassfall für den UVS war eine Bauschutt-Recyclinganlage!), sondern betroffen sind z. B. alle Projekte, mit denen KFZ-Fahrbewegungen (Parkplätze ab 1 Stellplatz!) verbunden sind.

„Feinstaub-Nullemission“ unrealistisch
Aber auch Heizanlagen für feste und flüssige Brennstoffe und Gastronomiebetriebe mit „Raucherplätzen“ (!) liegen deutlich jenseits der „Feinstaub-Nullemission“. Gerade eine pragmatische Grenze für „irrelevante Belastungen“ festzulegen, wird im zitierten UVS-Entscheid ja ausdrücklich abgelehnt.
Tatsache ist, dass sich bei der rechtlichen Umsetzung des o. a. UVS-Entscheides auf weitere gewerberechtliche Verfahren in der Praxis gravierende Standortnachteile für ausgewiesene Gebiete ergeben. Zu wünschen wäre eine Regelung mit Augenmaß, die zwar ermöglicht, großen Feinstaubemittenten einen Riegel vorzuschieben, geringe Zusatzbelastungen jedoch weiterhin zu tolerieren, da für eine Verhinderung (auch) von Kleinprojekten in Wirtschaft, Politik und Bevölkerung kaum Verständnis vorhanden ist. Hier bringt auch die aktuelle Novelle zum IG-L keine Verbesserung. In § 20 Abs. 3 wird zwar die Erteilung einer Genehmigung ermöglicht, wenn die „Emissionen der Anlage keinen relevanten Beitrag zur Immissionsbelastung leisten“, dies gilt jedoch ausdrücklich u. a. nicht für gewerbliche Betriebsanlagen (vgl. § 20 Abs. 4). Hier wäre eine Überarbeitung von § 77 Abs. 3 Gewerbeordnung 1994 dringend erforderlich.

2. Maßnahmen in Graz
In Graz setzt man schon seit geraumer Zeit vor allem auf zwei Schienen:

Förderung für Partikelfilter
Zum einen hat man sich bisher im Rahmen der rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten gemeinsam mit dem Land Steiermark auf die Verringerung der Diesel-Feinstpartikel (Auspuffemissionen) durch Nachrüstförderung von Diesel-KFZ konzentriert, daneben aber auch Maßnahmen im Bereich „Public Awareness“, Heizungsumstellungen und Änderungen im Winterdienst umgesetzt.
Partikelfilter wurden – dort wo das technisch möglich war – auch bei den Bussen der Grazer Verkehrsbetriebe eingebaut. Der Magistrats-Fuhrpark wird ebenfalls – soweit auch dort technisch möglich bzw. von der Restnutzungsdauer her sinnvoll – nachgerüstet.

Differenzierter Winterdienst
Der „differenzierte dreistufige Winterdienst“ der Grazer Wirtschaftsbetriebe umfasst folgende Punkte:
Im untergeordneten Verkehrsnetz wird auch weiterhin Basaltsplitt zum Einsatz kommen (Stufe 1). Im untergeordneten Verkehrsnetz für Fließverkehr, das heißt Gemeindestraßen ohne Steigung, ohne neuralgische Punkte bzw. ohne Unfallhäufigkeitsstellen, erfolgt ein verstärkter Einsatz der Räumung, nach Maßgabe der Möglichkeiten „Schwarzräumung“ mit „Nullstreuung“, wenn erforderlich mit ergänzendem Feuchtsalz (Stufe 2). Auf Hauptverkehrsstraßen, Straßen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Radwegen: ausschließlicher Einsatz von Feuchtsalz (Stufe 3).

Imagekampagnen für umweltfreundliche Mobilität
Zusätzlich setzt die Stadt Graz auf Imagekampagnen für den öffentlichen Verkehr und andere alternative Fortbewegungsmittel. Über das Spenden autofreier Tage im Internet unter www.feinstaubfrei.at bzw. das Ausfüllen eines „Umweltführerscheins“ kann die Bevölkerung auch Preise gewinnen.
Der zweite Ansatzpunkt betrifft Maßnahmen, um möglichst viele VerkehrsteilnehmerInnen zum Umstieg auf umweltverträglichere Mobilitätsformen zu bewegen. Trotz der schwierigen finanziellen Situation in Graz wurde ein „Feinstaub-Fonds“, dotiert mit 20 Millionen Euro, eingerichtet. Finanziert wird daraus die Diesel-Nachrüstförderung, Straßenbahnverlängerungen und für Bedürftige die Umstellung alter Heizungen auf Fernwärme oder Gas.

Leitprojekt City-S-Bahn
Und auch überregionale Projekte sind in Sicht – z. B. die Einrichtung einer leistungsfähigen ÖV-Alternative in Form einer City-S-Bahn. Die amtierende Landesregierung hat bereits ihre Bereitschaft signalisiert, dieses Vorhaben zu einem Leitprojekt zu erklären.
Sollten allerdings Appelle an die Vernunft der Bevölkerung beim motorisierten Individualverkehr nicht ausreichen, sind auch Verbote weiterhin in den Maßnahmenplänen enthalten. Fahrverbote für das Stadtgebiet – unter ganz bestimmten Bedingungen – wurden bereits 2004 im Petitionsweg an die Landesverwaltung herangetragen (nach dem IG-L liegt die Handlungspflicht in Österreich beim Landeshauptmann – im Gegensatz zur Situation beispielsweise in Südtirol, wo die Bürgermeister vor Ort tätig werden müssen). So sollen z. B. an besonders belasteten Tagen Dieselfahrzeuge nur noch dann fahren dürfen, wenn sie mit einem Partikelrückhaltesystem ausgerüstet sind.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass umfangreichere Fahrverbote – abgesehen von politischer Durchsetzbarkeit und wirtschaftlicher Verträglichkeit – den öffentlichen Verkehr in den Spitzenzeiten vor fast unlösbare Aufgaben stellen.

Lösungsansätze der Partner im EU-Projekt „KAPA GS“
Bereits früh wurde erkannt, dass die mit hohen Feinstaubbelastungen verbundenen Probleme nicht alleine gelöst werden können. Dies war der Ausgangspunkt für eine Zusammenarbeit der Stadt Klagenfurt, der autonomen Provinz Südtirol und der Stadt Graz im EU-Life-Projekt „KAPA GS“. Gemeinsame Auswege aus der Feinstaub-Krise zu finden war dann auch das Ziel der Fachtagung „PM10 – Herausforderung oder Schicksal?“, die am 17. und 18. November zur Projekt-Halbzeit in Graz stattfand.

Zentral: Übertragbarkeit von Lösungsansätzen
Mehr als 100 politisch Verantwortliche und Fachleute verglichen Lösungsansätze zur Bewältigung der Feinstaub-Problematik und untersuchten deren Anwendbarkeit in den Luftsanierungsgebieten.
Ziel des Projektes „KAPA GS“ ist es, durch ein Paket von Maßnahmen in den jeweiligen Teilnehmerregionen jene Aktivitäten herauszufinden, die bei dauerhafter Umsetzung zu einer spürbaren Reduktion der Feinstaubbelastung führen und auch auf andere Belastungsgebiete übertragbar sind. Die Lösungsansätze sind vielfältig, etwa die Vernetzung technologischer Maßnahmen, z. B. den Einbau von Partikelabscheidesystemen in Bussen des öffentlichen Verkehrs oder der Einsatz alternativer Streumittel und moderner Kehrmaschinen. Organisatorische Maßnahmen wie Verkehrsleitsysteme, Park & Ride, die Adaptierung des Winterstreudienstes und der Straßenreinigung (basierend auf der aktuellen Partikelbelastung) werden ebenfalls auf ihre Wirksamkeit untersucht, weiters die Förderung von Gas- und Fernwärmeanschlüssen bei Heizungen sowie Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung und aktiver Beteiligung der Bevölkerung.
Damit soll bewiesen werden, dass eine Reduktion der Partikelbelastung (auch) auf lokaler Ebene erreicht werden kann.
Insgesamt werden in den drei Partnerregionen Klagenfurt, Graz und Südtirol mehr als 4 Millionen Euro in das Projekt investiert, davon kommen 45% – also über 1,8 Millionen Euro – an Förderung aus dem EU-Life-Programm.

Prognosen durch Grazer Rechenmodelle
Erarbeitet wird auch ein Ausbreitungsmodell, um die Auswirkung von umgesetzten Maßnahmen zur Reduzierung der Partikelbelastung zu simulieren.5 Ein weiteres Rechenverfahren dient dazu, die aufgrund der Wetterbedingungen und der Emissionscharakteristik zu erwartende Belastung zu prognostizieren. Ein dazu in Graz vom Institut für Statistik an der Technischen Universität entwickeltes Vorhersagemodell ermöglicht seit dem vergangenen Winter treffsichere Prognosen der Feinstaub-Belastung.6

Überprüfung der Maßnahmen
Durch eine „Verdichtung“ des Luftgütemessnetzes mit zusätzlichen Geräten werden die errechneten Werte validiert und die Wirksamkeit von Maßnahmen überprüft.

Städtebund-Linktipps:
www.feinstaubfrei.at
www.graz.at

Fußnoten:
1 Neuberger, M.: Medizinische Relevanz des Feinstaubes; PM10-Herausforderung oder Schicksal; 1. Internationale Fachtagung zum EU-Feinstaub-Programm KAPA GS; Graz, 17.–18. 11. 2005

2 Baumgartner, Ch.: Immissionsgrenzwerte im Anlagengenehmigungsverfahren; RdU [2002] 04, Seite 124 ff.

3 Baumgartner, Ch., Niederhuber, M.: Die Judikatur des Umweltsenates 2000–2004; RdU [2005] 01, Seite 17 ff.

4 Umweltbundesamt Wien: Grundlagen für eine Technische Anleitung zur thermischen Behandlung von Abfällen; UBA-95-112, Wien, März 1995, Seite 148.

5 Öttl, D. et al.: PM10 modeling for the city of Klagenfurt, Austria; PM10-Herausforderung oder Schicksal; 1. Internationale Fachtagung zum EU-Feinstaub-Programm KAPA GS; Graz, 17.–18. 11. 2005.

6 Hörmann, S., Stadlober, E.: Modellierung und Prognose der Feinstaubkonzentration in Graz-Mitte für den Zeitraum Herbst/Winter. Technical Report, Institut für Statistik, TU Graz, Dezember 2004.

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