Naturgefahren: Rechtzeitig die Augen öffnen

Naturgefahren: Rechtzeitig die Augen öffnen

Um auf Krisen und Katastrophen bestmöglich vorbereitet zu sein, bedarf es nicht nur ausgearbeiteter Alarm- und Einsatzpläne, sondern auch Antworten auf die Frage: „Was kann letztlich noch alles passieren?“ Lösungen bietet hierbei eine vorsorgliche Betrachtung von möglichen Ereignissen, die mit Hilfe eines strategischen Risikomanagements angegangen werden. Die Stadt Innsbruck und das K-Plus Forschungszentrum alpS – Zentrum für Naturgefahren Management arbeiten in einem gemeinsamen Projekt an dieser Fragestellung.

„Um 5:45 Uhr massiver Wassereinbruch im Bereich der Universitätsklinik Innsbruck. Bis zu diesem Zeitpunkt war es im Stadtbereich Innsbruck einsatzmäßig ruhig. Ab diesem Zeitpunkt ging es allerdings Schlag auf Schlag. Wassereinbrüche in Kellern entlang des Innrains und Verklausungsgefahr eines Baches im Südwesten Innsbrucks, im Bereich der dort vorbeiführenden Autobahn, mit der Gefahr der Überflutung des dortigen Stadtteiles, sind nur ein Teil der Einsätze, welche die Kräfte der Berufsfeuerwehr und die Freiwilligen Einheiten der Feuerwehr Innsbrucks an diesem Morgen in Atem halten“, schildert Gesamteinsatzleiter Martin Gegenhuber, Berufsfeuerwehr Innsbruck, die bangen Stunden des Feuerwehreinsatzes am 23. August 2005.

Gefährdete Siedlungsräume
Das Hochwasser im August 2005 in Tirol hat einmal mehr gezeigt, dass Naturprozesse den Lebens- und Wirtschaftsraum auch in „sicher erscheinenden“ Siedlungsräumen gefährden können. Insbesondere die offenbare Verletzlichkeit sensibler öffentlicher Infrastrukturen lässt einen Bedarf im Risikomanagement für Gemeinden erkennen. Die jüngste Bedrohungssituation veranschaulichte, dass eine optimale Vorbereitung auf Risiken für Städte und Gemeinden immer entscheidender wird.
Schäden in Millionenhöhe in vielen Orten Tirols oder Vorarlbergs. Haarscharf vorbei an einer Katastrophe anderenorts – es hat genug Zerstörung gegeben, um zu fragen: „Was kann letztlich noch alles passieren?“
Krisen- und Katastrophenmanagement sind mit dieser Frage überfordert, geht es doch dort um die notwendigen Einsatzpläne und Abläufe zur Bewältigung einer Krisensituation. Die Frage nach dem schlimmstmöglichen Ereignis (Worst Case) muss bereits im Vorfeld beantwortet sein, um sich bestmöglich vorbereiten zu können.

Strategisches Risikomanagement
Aus diesem Grund hat sich die Stadt Innsbruck auf Initiative von Vizebürgermeister Michael Bielowski Gedanken über eine Optimierung der Sicherheitsvorkehrungen gemacht. Eine Optimierung im Sinne eines strategischen Risikomanagements mit dem Gedanken der Erstellung eines Risikoportfolios, der Steuerung des Risikos, der Einrichtung von Strukturen und Informationsebenen und der Nutzbarmachung all dieser Ergebnisse verbunden mit einer laufenden Evaluierung.
Eine Arbeitsgruppe unter der Federführung von Magistratsdirektor Christoph Platzgummer und unter der Mitwirkung des K-Plus Forschungszentrums alpS hat sich das Ziel gesetzt, ein strategisches Risikomanagement für die Stadt Innsbruck zu entwickeln. Das Zentrum alpS hat im Rahmen eines zusammen mit der Hypo Tirol Bank AG und der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck umgesetzten Forschungs- und Entwicklungsprojektes eine Systematik zum Risikomanagement in Unternehmen und Gemeinden entwickelt (Projekt C 2.3 – Einsatzpläne für Unternehmen). Das hieraus resultierende „Risiko-Handbuch“ wird nun am Beispiel der Stadt Innsbruck exemplarisch auf eine Stadt übertragen und evaluiert.

Naturgefahren im Stadtgebiet
Innsbruck, eine Stadt mit derzeit mehr als 136.000 Haupt- und Nebenwohnsitznehmern und ca. 1,1 Millionen Touristennächtigungen pro Jahr, ist weithin bekannt für seine wunderschöne Lage inmitten der Alpen. Vom Zentrum der Stadt gelangt
man in kurzer Zeit in hochalpines Gelände und kann den Blick auf die Stadt aus einer Höhe von mehr als 2300 Metern über dem Meeresspiegel genießen. Wie bereits der Name verrät, trennt der Inn die Stadt in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Mehrere Brücken stellen die notwendige Verbindung her. Die wunderschöne, von den Reizen der Natur geprägte Lage im Herzen der Alpen bedingt zwangsläufig auch das Vorhandensein und die Notwendigkeit des Auseinandersetzens mit den Gefahren der Natur in vielfältiger Hinsicht.
Das Hochwasser im vergangenen Jahr stellte das jedem nachhaltig vor Augen. Wenngleich Innsbruck dank diverser Hochwasserschutzbauten im Laufe der vergangenen Jahre sowie durch kompetente Einsatzkräfte vom Ärgsten verschont geblieben ist, kann sich jeder ausmalen, was es bedeutet hätte, wäre der Inn großflächig über die Ufer getreten, hätten Brücken dem Wasserdruck nicht mehr standgehalten, wären Klinik, Altstadt, Universität oder das Stadtarchiv geflutet worden.

Prävention durch Risikomanagement
Für Innsbruck war klar, dass neben der Hilfe für noch weitaus schwerer betroffene Gemeinden nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Die Verantwortlichen stellten sich Fragen nach der bestmöglichen Vorbereitung für den Fall des möglichen Wiedereintrittes einer solchen Gefahrensituation. Eine derartige Auseinandersetzung mit dem Thema Katastrophenarbeit lässt natürlich rasch erkennen, dass das Ergreifen von anlassbezogenen, zweifellos notwendigen Einzelmaßnahmen nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.
Innsbruck wendete in den letzten Jahren erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen auf, um das Katastrophenmanagement zu perfektionieren, und es wurde hier ein Stand erreicht, der es möglich macht, nunmehr die nächste Qualitätsstufe zu ersteigen und sich dem strategischen Risikomanagement zuzuwenden – dem Erkennen, Einordnen und Priorisieren von Risiken und die darauf aufbauende präventive Betrachtung im Sinne einer möglichst weitgehenden Vermeidung des Eintrittes von Krisen.
Die Schaffung aller notwendigen, dem Stand der Technik gerecht werdenden Entscheidungsgrundlagen und die fortlaufende Überprüfung auf Änderungen der Risikolage sind weitere Themen im strategischen Risikomanagement.

Gefahrenbekämpfung durch Kooperation
Für eine solche vorausschauende, vorbeugende Gefahrenbekämpfung bedarf es entsprechend spezialisierter und zugleich zusammenwirkender Fachleute, Wissenschafter und Forscher. Entscheidend dabei: der aktive Einbezug der im Katastrophenmanagement verantwortlich Tätigen, ihrer Erfahrung und Ideen. Im Zentrum alpS – Zentrum für Naturgefahren Management mit dem Sitz in Innsbruck fand man einen solchen Partner.

Dem Risiko auf der Spur
Der Begriff Risiko spielt in der gesamten Betrachtung eine entscheidende Rolle. Verwechslungen mit dem Begriff Krise, ein Gleichsetzen selbiger und ein falsches Verwenden der Begriffe sind nahezu alltäglich. Im Sinne eines strategischen Risikomanagements ist eine eindeutige Begriffsbestimmung Ausgangspunkt jeglichen Arbeitens. Risiko kann, einfach ausgedrückt, als eine „Vorstufe“ zur Krise bezeichnet werden. Treten Krisen auf, so spricht man auch von Risiken, die eingetreten sind. Grafik 1 aus der ONR 49000 (2004) zeigt die Herleitung des Begriffes Risiko.

Prozessphasen im Risikomanagement
Um den Eintritt einer Krise selbst zu verhindern, gilt es, Risiken rechtzeitig zu erkennen und mit Hilfe des Risikomanagements zu steuern und zu überwachen. Effizientes Risikomanagement beinhaltet folgende Prozessphasen:

- Risikoanalyse – Identifizierung und Bewertung von Risiken sowie eine Darstellung der Ist-Situation einer Gemeinde (z. B. Hochwasser)

- Risikosteuerung – Setzen von Maßnahmen

- zur Reduzierung von Risiken (z. B. Ausarbeiten detaillierter Alarm- und Einsatzpläne für die spezifischen Risiken sowie Bereitstellen einer Informationsbasis für alle notwendigen bzw. benötigten Informationen im Einsatzfall)

- Risikoüberwachung – Überprüfung der zu setzenden Maßnahmen sowie regelmäßige Prüfung der identifizierten Risiken hinsichtlich Veränderungen

Ausgangsbasis für das Durchlaufen dieser Phasen sind grundlegende Arbeiten wie zum Beispiel eine einheitliche Begriffsbestimmung und das Formulieren einer Risikostrategie.
In der Struktur, die in der Arbeitsgruppe konzipiert wurde, ist die Vorgehensweise des strategischen Risikomanagements sichtbar.

Steuerung des Risikos Hochwasser
Auf der einen Seite wird in der Risikoanalyse zum Beispiel das Risiko „Hochwasser“ genauer unter die Lupe genommen und ein Hochwassersimulationsmodell konzipiert. Auf der anderen Seite werden in der Risikosteuerung notwendige Maßnahmenpläne und Informationsdatenbanken erarbeitet. Die beiden Phasen – Risikoanalyse und Risikosteuerung – fließen in der Risikomanagementplattform zusammen, wo für verschiedene Hochwasserszenarien die notwendigen Maßnahmen und Informationen bereitgestellt werden. Der Output aus diesem System sind risikospezifische Maßnahmen zur Steuerung und Überwachung des Risikos „Hochwasser“. Nach dem Risiko „Hochwasser“, dass als prioritär angesehen wird, werden noch weitere Risiken (weitere Naturgefahren, technische Risiken etc.) in dieses strategische Risikomanagement eingebaut.

alpS – Zentrum für Naturgefahren Management
Das seit 2002 in Innsbruck ansässige Kompetenzzentrum alpS sieht sich als interdisziplinäre und unabhängige Forschungs- und Entwicklungsplattform in einer vermittelnden und verbindenden Position zwischen Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung. alpS hat sich zum Ziel gesetzt, durch angewandte und praxisnahe Forschung und Entwicklung den alpinen Lebens- und Wirtschaftsraum nachhaltig – auch unter sich verändernden klimatischen Rahmenbedingungen – zu sichern und in den nächsten Jahren als Markenzeichen im Naturgefahrenbereich eine führende Rolle zu spielen.
Das Zentrum sieht seine Kernkompetenz in der Entwicklung neuer Strategien, Technologien und Systeme zum verbesserten Umgang mit Naturgefahren sowie zur Abschätzung des aktuellen und zukünftigen Gefährdungspotenzials. Nicht zuletzt die verheerenden Zerstörungen in weiten Teilen Tirols, Vorarlbergs, Bayerns, in der Zentralschweiz und einzelnen steirischen Gemeinden durch die Hochwasserkatastrophe im August 2005 verdeutlichen die Notwendigkeit, die individuelle und gesellschaftliche Sicherheit in alpinen Lebensräumen zu erhöhen.

Grundlagenarbeit für kommunale Ebene
Die anstehenden Forschungs- und Entwicklungsaufgaben werden hierbei gemeinsam mit der Wissenschaft, mit Unternehmenspartnern (wie z. B. der Hypo Tirol Bank AG) sowie mit Ämtern und Behörden abgewickelt. Das Motiv für das starke Engagement der Tiroler Landesbank erklärt der Vorstandsvorsitzende Hannes Gruber: „Wir brauchen im Interesse unserer Kunden das beste Know-how für den Umgang mit Naturgefahren. Die Gefährdungen und die eingetretenen Ereignisse treffen auch uns Banker tief. Menschlich und beruflich. Deshalb engagieren sich unsere MitarbeiterInnen auch inhaltlich, etwa bei den Fachvorträgen, die die alpS-Projekte begleiten.“
Die Tendenz ist klar: Die Häufigkeit und das Ausmaß von „klimabedingten“ Naturkatastrophen und ihre menschlichen und wirtschaftlichen Folgen steigen. Fragen der Sicherheit, des Katastrophen- und Risikomanagements werden damit zu vorrangigen Themen, besonders in der unmittelbar betroffenen kommunalen Politik. Das Zentrum alpS hat für die Städte und Gemeinden und deren Betriebe eine eigene Informationsschiene eingerichtet, über die weitere Informationen hierzu zu erhalten sind.

Städtebund-Linktipps:
www.alps-gmbh.com
www.hypotirol.com
www.innsbruck.at
www.uibk.ac.at

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