Alkohol am Arbeitsplatz: Stadt Graz setzt auf Prävention

Alkohol am Arbeitsplatz: Stadt Graz setzt auf Prävention

Da der Arbeitsplatz für viele Menschen eine bedeutende Lebenswelt darstellt, die über suchtfördernde und suchtpräventive Potenziale verfügt, ist es von Seiten des Dienstgebers möglich, verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen zu setzen. Die „Betriebliche Suchtprävention“ ist ein spezifischer Bereich Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Magistrat Graz.

Alkohol in der Form von alkoholischen Getränken ist nicht nur ein Genussmittel, sondern das bei uns mit Abstand am weitesten verbreitete Rausch- und Suchtmittel.
Nur etwa ein Sechstel der erwachsenen ÖsterreicherInnen sind abstinent, ein Viertel trinkt täglich und 40% mindestens einmal in der Woche. 37% der Männer trinken täglich, hingegen nur 12% der Frauen. Jede/r zehnte ÖsterreicherIn erkrankt im Laufe seines/ihres Lebens an Alkoholismus. Die Art des Getränkes ist völlig unerheblich für den Alkoholismus. Es kommt nur auf die Menge des reinen Alkohols (Äthanol) und den Anteil an Methylalkohol und anderer Schadstoffe an.

Betriebswirtschaftliche Bedeutung
Alkoholkrankheit ist durch ihre Schwere, Verbreitung und langwierige Behandlung auch ein bedeutsamer volkswirtschaftlicher Kostenfaktor. Bis zu 10% der ArbeitnehmerInnen sind zumindest gefährdet und verursachen einen betriebswirtschaftlichen Schaden von mehr als 725 Millionen Euro jährlich in Österreich. Menschen mit Alkoholproblemen findet man überall in der Arbeitswelt und auf allen Hierarchieebenen. Die Amortisation von Investitionen (abgesehen vom sozialen und humanitären Effekt) ergibt sich im Bereich Betrieblicher Suchtprävention durch Abwendung bzw. Reduzierung des betriebswirtschaftlichen Schadens, der durch Alkoholkrankheit oder -missbrauch verursacht wird.

Besseres Arbeitsklima
Von einem positiven Arbeitsklima profitieren alle Beteiligten: die Bediensteten, weil es sich in einem angenehmen, konfliktfreien Arbeitsumfeld einfach leichter arbeiten lässt; der/die DienstgeberIn, weil motivierte und einsatzbereite MitarbeiterInnen bessere Leistungen erbringen.
Seit 2002 hat die Stadt Graz eine „Richtlinie zum Erhalt und zur Förderung eines positiven Arbeitsklimas” und verfügt so über geeignete Maßnahmen gegen einige den Arbeitsfrieden störende Faktoren, wie insbesondere Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Mobbing.

Frage der Unternehmenskultur
Abseits der betriebs- und volkswirtschaftlichen Dimension ist auch der Umgang mit Alkohol im Betrieb vor allem eine Frage der Unternehmenskultur. Maschinen erhalten regelmäßiges Service und Pflege. Ähnliches sollte auch für die MitarbeiterInnen gelten. Dazu wird das Betriebsklima durch gefährdete/abhängige MitarbeiterInnen schwer belastet. Führungskräfte geraten unter Druck, da sie im Umgang mit der Thematik als inkompetent erlebt werden.
Um bei einer Suchtproblematik von MitarbeiterInnen ein geeignetes Maßnahmenpaket zu haben, entschloss sich die Stadt Graz zum Start des Projektes „Betriebliche Suchtprävention”. Ein Schritt, der oft Verwunderung hervorruft, wie Magistratsdirektor Martin Haidvogl weiß: „Ich werde oft gefragt, warum ich mit dem Projekt implizit zugebe, dass eigene MitarbeiterInnen derartige Probleme haben. Ich verstehe diese Ängstlichkeit nicht. Niemand braucht Scheu davor zu haben, Probleme, die ganz offensichtlich existieren, anzusprechen und dafür Lösungen anzubieten.”
Das Projekt wird derzeit in vier Magistratsabteilungen mit insgesamt 1.700 MitarbeiterInnen durchgeführt. Bis 2007 wird die „Betriebliche Suchtprävention” magistratsweit implementiert; damit werden alle 4.300 Bediensteten eingebunden sein.

Ideales Feld für Prävention
Suchterkrankungen sind durch ihre Schwere, Verbreitung und langwierige Behandlung das bedeutsamste psychosoziale Problem in unserer Gesellschaft. Der Arbeitsplatz als besonders relevante Lebenswelt ist daher ein ideales Feld präventiver Bemühungen: die Organisation spart Kosten und bei den MitarbeiterInnen werden Suchterkrankungen verhindert, frühzeitig erkannt oder fachgerecht behandelt. Ein solches Projekt zielt somit auf alle Ebenen der Prävention (Primärprävention, Sekundärprävention, Tertiärprävention).

Projektbeschreibung und -ziele
Der Projektaufbau folgt dem Modell von R. Fuchs, dessen Bausteine eines entwickelten Alkoholpräventionsprogramms in der Grafik auf Seite 27 gezeigt wird.
Die Projektziele des Magistrates Graz sind:

- Erhaltung der Gesundheit der Bediensteten, Senkung der Krankenstände;

- Förderung von verantwortungsbewusstem Umgang mit Alkohol;

- Früherfassung von MitarbeiterInnen mit einer Abhängigkeitsproblematik;

- Einrichten von geeigneten Maßnahmen, um der Gefahr durch Suchtmittel entgegenzuwirken (z. B. Interventionsprogramm);

- Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Dienststelle durch klare und transparente Handlungsanleitungen, Verbesserung des Betriebsklimas;

- Entlastung der Führungskräfte;

- Erhöhung der Leistung und der Sicherheit am Arbeitsplatz.

Vorgesetzte und Kollegen erhalten Richtlinien und Handlungsvorlagen für die Bewältigung von Konflikten, die aus dieser Problematik entstanden sind.

Drei Stufen der Prävention
Die „Betriebliche Suchtprävention” baut auf folgenden drei Stufen auf:

- Primärprävention: Sensibilisierung der Grazer Magistratsbediensteten für einen Gesundheitsbegriff im ganzheitlichen Sinne durch Thematisierung, Information und Aufklärung, um sie in der Folge durch entsprechende gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen in ihren Gesundheitskompetenzen zu stärken.

- Sekundärprävention: Beeinflussung der Führungs- und Kommunikationsstruktur; fachgerechter Umgang mit gefährdeten MitarbeiterInnen; verbesserte Integration abstinenter MitarbeiterInnen; Aufbau eines niederschwelligen betriebsinternen Hilfesystems; regelmäßige Follow-ups mit Führungskräften und PersonalvertreterInnen.

- Tertiärprävention: Kooperation mit Beratungs- und Therapieeinrichtungen; magistratsweite nachhaltige Einrichtung von funktionstüchtigen Strukturen der Betrieblichen Suchtprävention.

Projektplanung
Das Projekt „Betriebliche Suchtprävention” bedurfte einer langen Vorbereitungszeit und sensibler Umsetzung mit laufender Evaluierung, geht es doch um das wichtigste Kapital des Magistrates Graz, die MitarbeiterInnen. Ein Überblick über die Projektphasen:

- Vorprojektphase: Vorgespräche und Grobplanung; Schaffung formeller und informeller Voraussetzungen für die Durchführung des Projektes „Betriebliche Suchtprävention” in den ausgewählten Abteilungen; Detailplanung; Grundseminar für die Steuerungsgruppe – Einführung in die Thematik (Konzeption von Interventionsketten und Hilfesystemen, organisatorische Verankerung, Auswahl von Schlüsselkräften)

- Umsetzungsphase: Training von Führungskräften (Einführungsseminar, Gesprächsführungstraining); Training von MultiplikatorInnen (Peers); Planung und Durchführung von Aufklärungsmaßnahmen und strukturellen Veränderungen

- Nachprojektphase: Revision der Praxiserfahrung in Follow-ups; Dokumentation

Zielgruppe der zweitägigen Schulungsseminare sind Führungskräfte sowie PersonalvertreterInnen, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Rollen getrennt geschult werden. Informiert über das Projekt werden im Rahmen von Kick-off-Veranstaltungen, mittels Intranet und MitarbeiterInnenzeitung aber sämtliche Bedienstete. Die Seminare werden von externen Kooperationspartnern gehalten, die auch den gesamten Prozess begleiten. Hier konnte die Stadt Graz drei Experten der „DELPHIn ARGE Betriebliche Gesundheitsförderung“ gewinnen.

Co-Abhängigkeit
Ein Kernstück der Sekundärprävention ist die Interventionskette. Dabei handelt es sich um ein klassisches Instrument strukturierter Vorgehensweise. Sie dient vor allem dazu, Verhaltens- und Haltungsphänomene zu überwinden, die man landläufig unter Co-Abhängigkeit versteht. Letztendlich wird jede/r als Co-AlkoholikerIn bezeichnet, die/der mit AlkoholikerInnen lebt oder arbeitet, das Problem als solches erkannt hat, aber aus welchen Gründen auch immer eine Konfrontation vermeidet; jede/r, die/der es einem/r AlkoholikerIn in bester Absicht mangels Abgrenzung ermöglicht, dass diese/r ihr/sein Verhalten nicht ändern muss.
Co-AlkoholikerInnen können z. B. KollegenInnen oder Vorgesetzte sein. Magistratsdirektor Martin Haidvogl: „Vielen Führungskräften fällt es schwer, MitarbeiterInnen auf ihre Alkoholfahne anzusprechen. Sie haben das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, in deren Intimleben herumzustochern. Auch die meist sehr phantasievollen Ausreden der Betroffenen machen es Führungskräften nicht gerade leicht. Gerade deswegen ist es aber so wichtig, allen Vorgesetzten klar zu machen, dass sie durch das Übergehen von Suchtmerkmalen das Problem nur verstärken und damit den Betroffenen geradezu in seiner Selbstzerstörung unterstützen.”

„Konstruktiver Druck”
Im Wesentlichen versteht man unter Interventionsketten oder Stufenplänen in diesem Zusammenhang die festgelegte Abfolge von Gesprächen, den TeilnehmerInnen (Führungsebenen) und Inhalten. Sie regeln die Fristen zwischen den Gesprächen, die (dienstrechtlichen) Konsequenzen und den „konstruktiven Druck”, der auf die betroffenen MitarbeiterInnen ausgeübt wird.

Sechs Stufen der Intervention
Die vorliegende Interventionskette wurde von den Steuerungsgruppen an die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Führungskräfte adaptiert.

- Bei Auffälligkeiten einzelner MitarbeiterInnen (Leistung, Arbeitsverhalten, Zuverlässigkeit, Anzeichen von Substanzmissbrauch bzw. dessen Folgen) ist der/die unmittelbare Vorgesetzte angehalten, diese Beobachtungen zu dokumentieren.

- Erhärtet sich der Verdacht bzw. erreicht das Arbeitsverhalten bestimmte Grenzen, führt der/die unmittelbare Vorgesetzte ein erstes Gespräch, in dem es vorrangig darum geht, die Probleme anzusprechen, also den eigenen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, klare Ziele zu setzen, Konsequenzen in Aussicht zu stellen und Hilfe anzubieten. Dabei wird ein weiterer Gesprächstermin vereinbart.

- Dauern die Auffälligkeiten an, wird zu diesem Gespräch die nächste Führungsebene herangezogen.

- Im Verlauf der sechs Stufen wird – vorausgesetzt, es gibt keine Besserung – der Teilnehmerkreis erweitert. VertreterInnen weiterer Führungsebenen, der Personalvertretung und ab der vierten Interventionsstufe auch Angehörige können zugezogen werden, um auch die Umgebung des Suchtkranken einzubinden – schließlich geht es um die Existenz und den Arbeitsplatz.

- Auch für die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten gilt ein klarer Stufenplan:
Aus der reinen Information über Hilfsmöglichkeiten wird eine Empfehlung. Wird dieser nicht nachgekommen, kann eine Behandlungsauflage (Entzug, Therapie) erteilt werden, deren Erfüllung auch nachgewiesen werden muss.

- Weiters werden im Stufenverlauf auch dienstrechtliche Konsequenzen angedroht und bei negativem Verlauf vollzogen – bis hin zur Beendigung des Dienstverhältnisses.

Klarer Handlungsleitfaden
Durch diese standardisierte Vorgangsweise sollen co-abhängige Haltungen überwunden und den betroffenen MitarbeiterInnen zunehmend der Ernst der Lage verdeutlicht werden, um sie so zu Verhaltensänderungen bzw. zur Inanspruchnahme fachgerechter Hilfe zu motivieren.
Wichtige Aspekte der Interventionskette – neben der Schulung der Führungskräfte – sind der allgemeine Konsens über diese Maßnahmen und eine umfassende Information aller MitarbeiterInnen über Inhalte und Verlauf. Magistratsdirektor Haidvogl: „Dort, wo das Projekt schon durchgeführt wurde, haben wir durchwegs positive Erfahrungen. Besonders die Führungskräfte sind froh darüber, einen klaren Handlungsleitfaden für die Vorgehensweise in so schwierigen Situationen in den Händen zu haben. Sie können damit auch klar vermitteln, keine Einzelfallentscheidungen zu treffen. Sämtliche Interventionsschritte werden in allen gleichgelagerten Fällen in derselben Form durchgeführt.”

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