Geht die kommunale Wasserversorgung im Strudel der europäischen Liberalisierungspolitik unter?

Geht die kommunale Wasserversorgung im Strudel der europäischen Liberalisierungspolitik unter?

Die Öffnung des Wassermarktes war eine der Prioritäten der EU-Kommission in der Binnenmarktstrategie für die Jahre 2003 bis 2006. Zu angekündigten Evaluierungen der Wasserwirtschaften durch die Kommission ist es gekommen – allerdings ohne Veröffentlichung eines Berichts. Das wirft die Frage auf: Warum ist es so still geworden und wie geht es in Brüssel weiter?

 

Von der Quelle des Lebens …
Wasserversorgungsdienstleistungen nehmen eine herausragende Rolle innerhalb der Leistungen der Daseinsvorsorge ein, da sie die Menschen mit einer Ressource versorgen, die eine einzigartige Kombination von Eigenschaften aufweist: Wasser ist lebensnotwendig und unersetzbar zugleich. Das Fehlen einer ausreichenden Wasserversorgung und sanitärer Anlagen hat unweigerlich Konsequenzen auf Gesundheit, Bildung, die soziale Inklusion sowie das Einkommen. Die WHO führt 80% aller Krankheiten und über ein Drittel der Todesfälle im Süden der Welt auf eine unzureichende oder unhygienische Wasserversorgung zurück. Aufgrund der Bedeutung der Wasserver- und Abwasserentsorgung für die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen zählen diese in weiten Teilen Europas zu einem elementaren Bestandteil der Daseinsvorsorge und in allen (alten 15) EU-Ländern (außer Großbritannien) liegt die gesetzliche Verantwortung für die Anlagen sowie die Dienstleistungserbringung bei der Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung. Wie die Kommunen ihre Aufgabe erledigen wollen, wird ihnen meist freigestellt: Entweder sie besorgen die Aufgabe selbst oder es werden andere AkteurInnen in die Aufgabenerfüllung miteinbezogen. Wählt sie letzteren Fall und gliedert einzelne Tätigkeiten aus (Outsourcing), treten die Binnenmarktregeln des Europäischen Gemeinschaftsvertrages in Kraft und in der Folge „sekundäre Rechtsprechungen“ wie das Vergaberecht. Traditionell nehmen viele Kommunen die Wasserversorgung selbst in die Hand, weshalb die Struktur der europäischen Wasserindustrie größtenteils durch kleine, kommunal besorgte Gebietsmonopole gekennzeichnet ist.1 Die Erbringung durch die Kommunen soll die allgemeine Zugänglichkeit und die Versorgung der BürgerInnen mit der Ressource abseits von Profitinteressen garantieren. Besorgt die Kommune die Aufgabe alleine, treten momentan keine Verpflichtungen hinsichtlich des Binnenmarkt- oder Wettbewerbsrechts auf.

… zur Quelle des Profits
Im Zusammenhang mit dem neoliberalen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik Ende der 1980er Jahre werden vermehrt Bereiche der Daseinsvorsorge zur Disposition gestellt und für das Europäische Wettbewerbsrecht geöffnet. Nach Telekommunikation, Energie, Post und Verkehr etc. rückt man stetig näher an den Hauptkern der Basisdienstleistungen heran. So stehen die kleinstrukturierten Wassermonopole dem primären Ziel der Europäischen Gemeinschaft (Art. 2, 3, 14 EGV), nämlich der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, entgegen und rücken Ende der 1990er Jahre ins Zentrum des Interesses der Kommission. Neben dieser haben auch europäische Wasserdienstleistungsunternehmen ein Interesse an der Öffnung dieses profitversprechenden Geschäftszweiges, denn mit Wasser ist viel Geld zu machen: Bereits heute beträgt das jährliche Volumen des globalen Wassermarkts 400 Milliarden US-Dollar, womit der Jahresumsatz der Wasserindustrie den der pharmazeutischen Industrie um ein Drittel übertrifft und bei annähernd 40% des Ölsektors liegt.2 Alleine der Umsatz des Wassermarktes der „alten“ EU-15 wird auf 80 Milliarden Euro geschätzt und ist damit höher als der des Erdgassektors3. Da sich der Großteil noch in öffentlicher Hand befindet, dürfte das Volumen des noch privatisierbaren globalen Marktes zwischen 800 Milliarden und 3 Billionen US-Dollar betragen.4
Der Bestand der staatlichen Dienstleistungsmonopole im Wassersektor war jedoch bis zum Jahr 2000 durch die „Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvorsorge (1996)”5 abgesichert, in der Wasser explizit von den Wettbewerbsbestimmungen ausgenommen wird.

Zäsur im Jahr 2000
Das Jahr 2000 markiert in zweierlei Hinsicht eine Zäsur. So erschien eine aktualisierte „Mitteilung der Kommission zu Leistungen der Daseinsvorsorge“6, in welcher Wasser nicht mehr explizit als Ausnahme Erwähnung findet. Weiters wird durch den Europäischen Rat von Lissabon ein energisches Programm zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Dienstleistungssektor ins Leben gerufen, wovon in der Folge auch der Wassersektor betroffen ist. Parallel dazu häufen sich Beschwerden von europäischen Wasserversorgungsdienstleistern bei der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission hinsichtlich unlauteren Praxen und Zugangsbeschränkungen zum Markt. Das dadurch geweckte Interesse der Generaldirektion Wettbewerb greift bald auf die Generaldirektion Binnenmarkt über, welche sich ebenso für den letzten noch zu liberalisierenden Bereich der Netzwerkindustrien im Europäischen Binnenmarkt zu interessieren beginnt.
Im Jahr 2003 kündigt die „Binnenmarkt-Strategie“7 der Kommission eine Evaluation der wettbewerbstechnischen Aspekte im Wassersektor und mögliche gesetzgeberische Maßnahmen an. Weiters werden Wasserversorgungsdienstleistungen im Grünbuch zu „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“8 nunmehr explizit als „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ bezeichnet und fallen somit klar in den Geltungsbereich der Wettbewerbsbestimmungen. Hiermit wird das Interesse der Kommission an einer möglichen Liberalisierung des Wassersektors, dem Beispiel anderer Netzwerkindustrien folgend, deutlich.

Wasser, ein „dummes Produkt“?
Für die Erstellung des Berichts über die Evaluierung der Wasserwirtschaften wird noch im Jahr 2003 eine interkommissionelle Arbeitsgruppe bestehend aus den Generaldirektionen Wettbewerb, Binnenmarkt und Umwelt eingerichtet. Obwohl der Bericht für Anfang 2005 angekündigt und termingerecht abgeschlossen wird, liegt bis heute offiziell kein Dokument vor. Dabei wäre das Ergebnis höchst interessant, da die Arbeitsgruppe zur Erkenntnis gelangt, dass eine Liberalisierung des Wassersektors für den europäischen Binnenmarkt im traditionellen Sinn nach Vorbild der anderen Netzwerkindustrien aus technischen, gesundheitlichen und politischen Gründen nicht möglich ist. So sieht schlussendlich auch die Kommission ein, dass ein „Wettbewerb im Markt“ im Wassersektor aufgrund seiner Eigenschaft als natürliches Monopol und der besonderen Konsistenz des Wassers nicht möglich ist. Der parallele Bau von Netzleitungen wäre ökonomisch nicht sinnvoll und ein Durchleitungswettbewerb (für Haushalte) aus hygienischen Gründen unmöglich. Weiters wird im Laufe des Evaluierungsprozesses die ablehnende Haltung einiger Mitgliedsstaaten, des Europäischen Parlaments (das sich in zwei Entschließungsanträgen 2004 dezidiert gegen eine Wasserliberalisierung ausspricht) und der Zivilgesellschaft deutlich. In Folge zog sich die Generaldirektion Binnenmarkt vom Projekt einer möglichen Liberalisierung und dieser Thematik zurück. Ein Verantwortlicher der Kommission kommentiert das Ergebnis folgendermaßen: „Wasser ist eben ein dummes Produkt.“ Ein Produkt, weil seiner Ansicht nach dafür wie für jedes andere bezahlt werden muss. Dumm, weil es sich aufgrund seiner Konsistenz nicht für einen Wettbewerb im traditionellen Sinn eignet.9 Dies gibt einen Einblick, wie einzelne Mitarbeiter der Kommission selbst lebensnotwendige Ressourcen in erster Linie ökonomischen Notwendigkeitsanforderungen unterwerfen.

Ein Sturm im Wasserglas?
Die Klarstellung der Kommission, keine Vorschläge hinsichtlich einer Sektorenrichtlinie zur Liberalisierung der Wasserversorgung anzustreben, darf nicht mit einem gänzlichen Verlust ihres Interesses an diesem Sektor verwechselt werden. Lediglich für einen Teil der Generaldirektion Binnenmarkt findet diese Thematik damit ein Ende. Im Gegensatz dazu identifiziert die Generaldirektion Wettbewerb eine Reihe von Möglichkeiten zur Schaffung von mehr Wettbewerb im Wassersektor.
Die zwei entscheidendsten Punkte zur Stärkung des Wettbewerbs werden in der Reduktion von ausschließlichen Rechten sowie in einer Verbesserung des Funktionierens der bestehenden Outsourcing-Märkte gesehen. Eine vollständige Öffnung des Wassersektors durch das Wettbewerbsrecht (Art. 86) ist jedoch nicht zu erwarten, aber wahrscheinlich werden mit dessen Hilfe kleine Teilbereiche für den Markt geöffnet, was schlussendlich in einer Aufweichung der Gebietsmonopole münden wird. So wird u. a. angedacht, die Exklusivrechte zu verkürzen, den Markt in verschiedene Segmente (Industrie, Haushalt etc.) zu teilen oder die Dienstleistungen der Wasserversorgung aufzugliedern (Bau, Wartung, Trinkwasserversorgung etc.). Hierdurch könnte beispielsweise für den Bereich der Industrieversorgung ein tatsächlicher „Wettbewerb im Markt“ durchgesetzt und der Bereich der „angrenzenden Dienstleistungen“ für den Binnenmarkt geöffnet werden. Zusätzlich soll der „Wettbewerb um den Markt“ ausgedehnt und Ausschreibungen forciert werden (Stichwort: In-house-Vergaben, Interkommunale Zusammenarbeit). Auch das Benchmarking wird in der Zukunft eine große Rolle spielen.10

„Holzhammermethode“ hat ausgedient
Zum derzeitigen Zeitpunkt sind jedoch keine konkreten Aktivitäten der Generaldirektion Wettbewerb in der Form des Aufrollens von Einzelfällen wahrscheinlich, zumal sich die zuständige Energieabteilung momentan in einer Abteilungsevaluierung befindet und alleine aufgrund der Ressourcen nicht in der Lage wäre, großartig tätig zu werden.11
Taktisch gesehen ist die Zeit der „Holzhammermethode“ vorbei, in der versucht wurde, offensiv mit einer traditionellen Liberalisierung im Wassersektor, dem Beispiel anderer bereits liberalisierter Netzwerkindustrien folgend, vorzupreschen. Nun bricht eine Zeit der subtileren und stilleren Herangehensweise an, die auf den ersten Blick zwar weniger bedrohlich wirkt, aber dennoch nicht außer Acht gelassen werden darf.

Fußnoten:
1 Aufgrund finanzieller Engpässe (die nicht zuletzt durch die europäische Politik mitverschuldet sind; Stichwort: Stabilitäts- und Wachstumspakt), entschließen sich in den letzten Jahren Kommunen vermehrt zu Ausgliederungen. Dies führt dazu, dass in der EU bereits ein Drittel der Bevölkerung von privaten Anbietern versorgt wird.

2 Barlow, Maude et al. (2003): Blaues Gold. Das globale Geschäft mit dem Wasser. München: Verlag Antje Kunstmann GmbH.

3 Europäische Kommission Vertretung in Österreich (2005): Fact Sheet: Das Wasser und die EU. Aktuelle Tätigkeiten der EU-Kommission im Bericht des Wassermarktes. Wien, 7. April 2005. Abrufbar unter: europa.eu.int/austria/factsheets/wasser%20und%20die%20eu_04_2005.pdf

4 Staritz, Cornelia et al. (Hg.) (2003): Die geheimen Spielregeln des Welthandels. Wien: Promedia.

5 European Commission (1996): Communication from the Commission – Services of General Interest in Europe. Brussels, 11. 9. 1996. COM (96) 443 final.

6 Europäische Kommission (2000): Mitteilung der Kommission – Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa. Brüssel, 20. 9. 2000. KOM (2000) 580 endg.

7 European Commission (2003a): Communication from the Commission […] Internal Market Strategy – Priorities 2003–2006. Brüssels, 7. 5. 2003. COM (2003) 238 final.

8 Europäische Kommission (2003b): Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Brüssel, 21. 5. 2003. KOM (2003) 270 endg.

9 Interview am 9. 6. 2005.

10 Gee, Alexander (2004): Competition and the Water Sector. In: Competition Policy Newsletter 2004, Nr. 2/Summer, 38–41. Interview am 10. 6. 2005

11 Interview am 10. 6. 2005.

12 Europäisches Parlament (2006): Legislative Entschließung des EP zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des EP und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (KOM [2004] 0002 – C5-0069/2004 – 2004/0001 [COD]).

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