„Die öffentliche Wirtschaft in Europa braucht mehr Binnennachfrage“

„Die öffentliche Wirtschaft in Europa braucht mehr Binnennachfrage“

Caspar Einem ist im Oktober 2005 für die nächsten drei Jahre zum Präsidenten des Europäischen Zentralverbandes der Öffentlichen Wirtschaft (CEEP) gewählt worden. Im ÖGZ-Interview fordert er eine Stärkung der Binnennachfrage durch mehr Investitionen in Europa, verweist auf die Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten in Sachen Daseinsvorsorge und analysiert die EU-Skepsis in Österreich.

 

ÖGZ: Sie sind Präsident des Europäischen Zentralverbandes der Öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und zugleich Präsident des VÖWG – des Verbandes der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs. Was sind momentan die Hauptanliegen des CEEP auf europäischer Ebene?

Caspar Einem: Es gibt bei den Anliegen mehrere Ebenen. Wir haben bis vor ganz kurzer Zeit vor allem darum gekämpft, dass die Dienstleistungsrichtlinie auf europäischer Ebene in einer Weise Wirklichkeit wird, die auch unseren Mitgliedsunternehmen nützt bzw. nicht schadet. Dass war ein relativ intensives Bemühen, wo wir versucht haben, auf Kommissionsebene und auf Ebene des Europäischen Parlaments, auf Ebene von Ratsmitgliedern – insbesondere auch der Ratspräsidentschaft – Einfluss zu nehmen. Wobei das Hauptziel, das wir verfolgt haben und weiter verfolgen, jenes ist, dass es für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einen eigenen, leichtverständlichen und auch für kleine Gemeinden anwendbaren Rechtsrahmen geben soll. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist eine doch nach wie vor relativ schwer verständliche gesetzliche Regelung mit vielen Ausnahmen unterschiedlicher Art und mit einigen unklaren Rechtsbegriffen, wo man nicht weiß, wie beispielsweise künftig Pflegedienstleistungen zu bewerten sein werden. Das ist in einem Feld, in dem eben nicht primär große, mit dementsprechenden Rechtsabteilungen ausgestattete Unternehmen tätig sind, sondern vielfach auch mittlere Städte und kleine Gemeinden Leistungen vergeben, eine nicht wirklich zumutbare Lösung. Also das war sachlich zweifellos einer der Hauptpunkte.

ÖGZ: Die Arbeitszeitrichtlinie brennt Ihnen auch unter den Nägeln – Stichwort Gesundheitsdienstleistungen.

Caspar Einem: Der CEEP hat in den letzten Monaten auch hier versucht, darauf Einfluss zu nehmen, dass es bei der Arbeitszeitrichtlinie zu einem Kompromiss kommt. Wir haben eine große Zahl von Krankenhausträgern in unseren Organisationen. Insbesondere die Arbeitszeit der Ärzte und des medizinnahen Personals bedarf dringend einer Regelung, sodass die Krankenhäuser nicht ständig mit einem Fuß vor Gericht stehen. Wir denken an eine Regelung der Art, dass man aus der Anrechnung der Arbeitszeit die nichtaktiven Bereitschaftszeiten herausnimmt, was keinen Einfluss auf die Bezahlung haben muss, sondern was nur darauf Einfluss nimmt, welches die legal gemessene Arbeitszeit ist. Wir meinen, dass das eine vernünftige Lösung wäre. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass aus Gründen, die nicht so sehr an der Sache selbst liegen, das Dossier zurzeit zwischen Frankreich und England blockiert ist.

ÖGZ: Wie geht es der europäischen Sozialpartnerschaft, wie läuft das ab?

Caspar Einem: Das Problem auf europäischer Ebene ist, dass in den letzten Jahren die Sozialpartnerschaft ein bisschen schief geworden ist. Sowohl Kommissionsdienststellen als auch zum Teil der Rat hatten eine Zeitlang die Tendenz, nur mehr zwei Sozialpartner voll anerkennen zu wollen, nämlich einerseits den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und andererseits UNICE, die Vertretung eher der großen Industrieunternehmen. Das hat vor allem seinen Ausdruck darin gefunden, dass der Rat im Jahr 2003 beschlossen hat, UNICE mit der Koordination der Arbeitgeberseite zu betrauen. Unser Anliegen, um das es in den letzten Monaten auch in bilateralen Gesprächen sowohl mit der Kommission als auch mit UNICE gegangen ist, ist es, ein Verständnis und eine Praxis durchzusetzen, die sicherstellt, dass beide anerkannten Arbeitgeberorganisationen UNICE und CEEP sich gleichberechtigt auf dem europäischen Parkett bewegen und auch in gleicher Weise über Gespräche oder Vorhaben informiert werden. Das scheint sich zu bessern. Und als dritter Punkt, der für unsere Mitgliedsbetriebe und auch für die kleineren und mittleren Unternehmen auf europäischer Ebene von sehr großer Bedeutung ist, muss die Frage der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Europas genannt werden. Wir nehmen auch Teil an den makroökonomischen Dialogen und an den Sozialpartnergipfeltreffen vor den jeweiligen Sitzungen des Europäischen Rates. Dabei ist es in den letzten Monaten natürlich immer um die Frage gegangen, welche Maßnahmen die EU und die Mitgliedsstaaten im Lichte einer globalisierten Wirtschaft und im Lichte einer doch sehr hohen und gänzlich unakzeptablen Arbeitslosigkeit und eines sehr, sehr schwachen Wachstums auf den Binnenmärkten ergreifen könnten und sollten.

ÖGZ: Die Wachstumsschwäche der EU-Wirtschaft machen ja auch den im CEEP organisierten Unternehmen zu schaffen.

Caspar Einem: Ja, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen und die Unternehmen, die der CEEP vertritt, sind vor allem daran interessiert, dass endlich die Binnennachfrage in Gang kommt, nur davon leben diese Unternehmen. Dort gibt es eben schon seit mehreren Jahren ein sehr geringes Wachstum und entsprechende Probleme auch für die auf diesem Markt tätigen Unternehmen. Während die Exporte dieser Unternehmen zum Teil außerordentlich erfolgreich laufen, insbesondere in den Ländern, die in den letzten Jahren auch noch weitere Wettbewerbsvorteile durch Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften – auch in Österreich – errungen haben. Diese Exporterfolge sind erfreulich, aber sie reichen nicht aus, um die Binnennachfrage in Gang zu bringen. Während eben UNICE und zum Teil auch die Europäische Zentralbank (EZB) und die Finanzminister weiterhin vor allem für Lohnzurückhaltung und ausgeglichene Budgets eintreten, treten wir gemeinsam mit den kleinen und mittleren Unternehmen für Maßnahmen ein, die zu einer Belebung der Binnenkonjunktur beitragen können. Das kann von der reinen Vertrauensbildung reichen, wie man es derzeit in Deutschland beobachten kann, wo einfach die jetzige Regierung besser als die vorangegangene versteht, den Bürgern ein Mindestmaß an Vertrauen in die Zukunft wiederzugeben, was sofort zu messbaren Effekten, was die Konsumausgaben betrifft, führt. Das kann über dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur und in die Bildung geschehen. Das ist etwas, was unsere Mitglieder besonders interessiert. Das können steuerliche Entlastungsmaßnahmen für die Masseneinkommen sein. Es gibt also eine ganze Reihe von Maßnahmen.

ÖGZ: Sie haben eine Selbstverpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten für mehr Investitionen vorgeschlagen. Wie soll das konkret aussehen?

Caspar Einem: Wir haben beim letzten makroökonomischen Dialog vorgeschlagen, dass die Mitgliedsstaaten sich selbst verpflichten, in den nächsten 5 Jahren ihre Ausgaben für die Bereiche Bildung, Infrastruktur, Forschung und Arbeitsmarktpolitik jährlich prozentuell geringfügig real zu erhöhen. Weil das nicht nur eine zusätzliche Nachfrage bringen würde, sondern auch über den Prozess der Jährlichkeit das Vertrauen der Menschen heben kann, dass es wirklich aufwärts geht. Damit könnten wir einen Effekt erreichen, der der europäischen Wirtschaft sehr gut täte und der vor allem den Unternehmen, die wir vertreten, nützen würde.

ÖGZ: Stichwort EU-Frühjahrsgipfel. Mit den Ergebnissen waren sie nicht wirklich zufrieden. Was geht Ihnen ab?

Caspar Einem: Die Ergebnisse sind maximal verkauft worden, aber sie sind an sich sehr bescheiden gewesen. Dieser große Erfolg, beim dem sich die europäischen Mitgliedsstaaten angeblich darauf verständigt haben, dass jährlich 2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, ist in Wirklichkeit eine Luftblase. Es gibt nicht eine Maßnahme, die erwarten ließe, dass durch vereinbarte Maßnahmen jetzt ein zusätzlicher Arbeitsplatzschaffungseffekt eintreten würde, und es ist im Übrigen so, dass das prognostizierte Wirtschaftswachstum diese Arbeitsplätze heuer wahrscheinlich zusätzlich hervorbringt. Zusätzlich, aber nicht netto, sondern wenn man den Zuwachs allein ansieht – ohne den Abgang! Schon für nächstes Jahr wird wieder ein Rückgang des Wirtschaftswachstums erwartet. Daher sind schon im Jahr 2007 die 2 Millionen nicht mehr drinnen. Es ist einfach absurd. Am lächerlichsten sind jene Maßnahmen, die beispielsweise für die kleinen und mittleren Unternehmen beschlossen worden sind. Das sind zwar eine ganze Reihe von mehr oder minder konkreten Maßnahmen, aber sie beziehen sich fast ausschließlich auf neu zu gründende Unternehmen. Dass es schon Abermillionen kleiner und mittlerer Unternehmen gibt und dass diese vielleicht auch etwas brauchen könnten, damit sie wieder in Schwung kommen, das geht an den Beschlüssen des Europäischen Rates vollkommen vorbei.

ÖGZ: Vor kurzem hat es die Einigung zum EU-Finanzrahmen für den Zeitraum 2007 bis 2013 gegeben. Braucht Europa mehr Geld, um agieren zu können?

Caspar Einem: Es ist wahr, was Bundeskanzler Schüssel sagt, dass man etwa in der Forschungspolitik im Wege der Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten zu mehr Ausgaben mehr erreichen könnten, als über eine Steigerung des europäischen Budgets. Der Punkt ist: die Staats- und Regierungschef sind sehr zurückhaltend, solche Selbstbindungen einzugehen. Also in der Forschung scheint es gelungen zu sein, das ist aber der einzige Bereich. Es gibt sonst nirgends vergleichbare Selbstbindungen, die konkrete Ziele pro Jahr und Mitgliedsstaat zum Gegenstand haben und kontrollierbar wären.

ÖGZ: Ich komme zurück zur Daseinsvorsorge. Generell gefragt: Versucht man da nicht sozusagen Teufel und Weihwasser miteinander zu verbinden, allgemeinwohlorientierte Leistungen mit dem Wettbewerbspostulat. Wo sehen Sie eine künftige Lösung?

Caspar Einem: Es bedarf einer besseren Klarstellung der Grenzen, die man zwischen Wettbewerbsorientierung und allgemeiner Orientierung ziehen kann und muss. Der Artikel 16 des EG-Vertrages, der eher ein „entwickelter Zwitter“ ist, der in seinem einen Teil sozusagen die Daseinsvorsorgeleistungen als wesentlichen Teil für die Kohärenz Europas interpretiert und im anderen den Vorrang des Wettbewerbsrechts, ist ein ungeeigneter Krüppel zur Steuerung dieser Fragen. Wir haben schon im Rahmen des EU-Verfassungskonvents versucht, eine etwas präzisere Trennung hinzukriegen. Der jetzt vorliegende Text des Artikels 122 im dritten Teil der Verfassung ist eine Spur besser, aber bleibt natürlich auch noch hinter dem zurück, was man sich wünschen könnte. Der bisherige Artikel 16 wird in Wahrheit nicht verändert, sondern nur mit mehr Text angereichert, womit allerdings auch deutlich wird, dass die Mitgliedsstaaten da ein starkes Wort mitzureden haben.

ÖGZ: Welche Rolle sollten die Mitgliedsstaaten in Fragen der Daseinsvorsorge einnehmen?

Caspar Einem: Es geht darum, die Bedingungen festzulegen, unter denen die Mitgliedsstaaten berechtigt sind, für ihre Bürger bestimmte Leistungen als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu definieren und was dann für diese Dienstleistungen gelten soll. Dort könnte man für die Mitgliedsstaaten auch tatsächlich einigen Handlungsspielraum eröffnen, den sie dann allerdings auch selber nützen müssen. Wir haben auch schon jetzt das Problem, dass in Wahrheit die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, deren Schutz uns ein besonderes Anliegen ist, vielfach keine entsprechende Rechtsgrundlage haben. Da muss in den Mitgliedsstaaten agiert werden, auch in Österreich.

ÖGZ: Im April hat Nationalratspräsident Khol in Vorbereitung der Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten gemeint, man müsse wieder Kompetenzen aus Brüssel in die Länder und Kommunen zurückholen. Wie stehen Sie dazu?

Caspar Einem: Die Konferenz hatte ein sicher nicht unvernünftiges Motto: „Europa beginnt zu Hause“. Das wäre im Prinzip durchaus vernünftig, weil das bei uns noch gar nicht angekommen ist. In Österreich haben wir ja ein Verständnis von „mir do“ und „de durt in Brüssel“. Das ist aber nicht die Realität, in der wir uns befinden. Wir sind dort in Brüssel auch, genauso wie eben Brüssel auch bei uns ist. Das wäre noch in Ordnung. Ansonsten war diese Konferenz von ihrer ganzen Ausrichtung her – dass sie in St. Pölten stattfand, dass sie unter der Schutzherrschaft des Präsidenten Khol, des Bundeskanzlers Schüssel und des Landeshauptmannes Pröll stand – nicht ungewöhnlich. Konservative Landesfürsten haben beispielsweise schon in der Vergangenheit begleitend zum EU-Verfassungskonvent immer wieder verlangt, dass Kompetenzen auf die Nationalstaaten zurückverlagert werden sollten. Und dort vor allem auf die Länderebene. Das ist insoweit verständlich, als vielfach die Bundesländer in den Staaten, in denen es solche gibt, von der Bundesebene mit europäischen Tricks aufs Kreuz gelegt werden. D. h. es finden Kompetenzverschiebungen statt, die den Ländern allenfalls etwas wegnehmen. Das führt immer wieder dazu, dass die Landesfürsten in Deutschland und in Österreich mit dem Schlachtruf „Subsidiarität“ in die Schlacht ziehen und damit meinen, Regelungen müssten am Allerbesten auf der Landesebene stattfinden, was nicht der Sinngehalt von Subsidiarität ist. Subsidiarität heißt richtig verstanden, dass die Regelungen auf der Ebene getroffen werden sollten, auf der sie am wirkungsvollsten und am sinnvollsten sind, und das kann durchaus die europäische Ebene sein.

ÖGZ: Ein Problem für viele kleinere Verbände mit nicht so üppigen Ressourcen sind ja auch die engen Zeiträume, um der EU-Positionen überhaupt mitteilen zu können. Könnte das österreichische Modell der Begutachtung hier Vorbild sein?

Caspar Einem: Generell gesprochen: Alles für eine bessere Koordination, alles für eine bessere Information, vor allem vor Gesetzgebungsakten. Das Gesetzesbegutachtungsverfahren in Österreich, bei dem alle Betroffenen Stellung nehmen können, bevor es überhaupt zum Ministerratsbeschluss in Österreich kommt, das könnte man auf europäischer Ebene genauso machen. Bevor es zum Kommissionsbeschluss kommt, müssten alle Betroffenen vorher Gelegenheit für Stellungnahmen haben. Sei es, um auf Fehler aufmerksam zu machen, sei es, um auf Unvollziehbarkeiten, sei es, um darauf aufmerksam zu machen, dass damit einzelne Betroffene einfach marginalisiert oder ihre Handlungsgrundlage zerstört werden. Das wäre ein vernünftiger Ansatz, sonst ist der Begriff „Subsidiarität“ ein Schlachtruf jener, die in Wirklichkeit weniger Europa und mehr Heimatverbundenheit spüren wollen.

ÖGZ: Ein Punkt, der in der letzten Monaten für Aufsehen gesorgt hat, war die Kritik des amtierenden Ratspräsidenten am EuGH. Wie schätzen Sie die Rolle des EuGH ein? Füllt der EuGH jene Lücke auf, die entsteht, wenn die Politik nicht eindeutig entscheidet?

Caspar Einem: Ja, das ist immer so. Der EuGH ist von seiner Konzeption her eher ein Gerichtshof nach angloamerikanischem Muster. Das hat dann auch sehr stark den Charakter, fehlende oder unklare Gesetzgebung zu kompensieren bzw. zu ersetzen. Das geht sehr stark ins Verfassungsgesetzliche hinein, aber sehr stark eben auch in die Interpretation aus dem EU-Recht, wo der EuGH zum Teil rechtsschaffend tätig ist. Städte und Gemeinden sind etwa beim Vergaberecht stark betroffen. Der EuGH ist sehr integrationsfreundlich, ist für mehr Europa, und das kommt auch in der Rechtsprechung heraus. Der EuGH ist sehr binnenmarktorientiert, also sehr wirtschaftsliberal orientiert in seiner Rechtsprechung. Natürlich kann man im Einzelfall mit manchen Entscheidungen durchaus unzufrieden sein. Ich glaube auch, dass die Entscheidung zum österreichischen Universitätszugang falsch ist, dass die der Sache nach so nicht zu rechtfertigen ist. Insoweit kann man auch natürlich Kritik an einzelnen Entscheidungen eines Gerichtshofs üben, selbst wenn es müßig ist. Denn: wenn es entschieden ist, dann ist es entschieden. Der Punkt ist, dass ich daher auch Kritik an einzelnen Gerichtsentscheidungen für berechtigt halte. Leute, die es selbst in der Hand haben, das EU-Primärrecht zu ändern wie die Staats- und Regierungschefs, sollten allerdings nicht öffentlich Kritik üben. Sie sollen bei ihrer Ansicht nach falschen Rechtsgrundlagen diese abändern. Vorschläge für konkrete Änderungen liegen – soweit ich sehe – auch von Bundeskanzler Schüssel nicht vor.

ÖGZ: Sie haben auf Ihre Zeit im EU-Verfassungskonvent angespielt, die EU-Verfassung soll 2006/2007 wieder flottgemacht werden. Wie soll das gehen?

Caspar Einem: Einerseits ist die Verfassung mittlerweile von 14 von 25 Mitgliedsstaaten innerstaatlich ratifiziert worden, das ist eine Mehrheit der EU-Staaten, die zugleich eine sehr deutliche Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. In zwei Staaten – Frankreich und den Niederlanden – ist sie bisher abgelehnt worden. In beiden Staaten ist nicht eigentlich die Verfassung abgelehnt worden, wie sich fast alle Beobachter in dieser Frage einig sind. Was braucht es? Ich glaube, erstens muss man zur Kenntnis nehmen, dass der vorliegende EU-Verfassungstext auch der heute noch beste derzeit mögliche Kompromiss ist. Natürlich kann man alles auch noch besser machen und natürlich heißt besser, immer näher am eigenen Wunsch. Die Wünsche in Europa gehen bekanntlich ziemlich weit auseinander. Dessen muss man sich bewusst sein. Es geht hier nicht um eine abstrakte Schönheit der Verfassung, sondern es geht darum, dass die Vertreter von 25 Staaten in ihrer jeweiligen Verfassungsmehrheit Ja sagen müssen. Das ist ein ganz mühsamer Kompromissprozess, der in diesen 17 Monaten des EU-Verfassungskonvents in einem ersten Schritt gelungen ist und der dann in den fast 10 oder 12 Monaten der Regierungskonferenz der 25 Staaten in einem zweiten Schritt gelungen ist. Ich denke, das Einzige, was derzeit allenfalls Aussicht auf Erfolg hat, ist ein Weg, der zwei Bedingungen erfüllt. Erstens, am Text nichts zu ändern, das ist die Bedingung, die erfüllt werden muss, damit die 14 Staaten, die schon ratifiziert haben, nicht noch einmal ratifizieren müssen. Und zweitens: Man muss etwas hinzufügen – etwa ein Protokoll, damit diejenigen, die schon einmal Nein gesagt haben, nicht über dasselbe noch einmal abstimmen müssen. In Diskussion ist etwa ein Sozialprotokoll, eine Erklärung der Staats- und Regierungschef über die gemeinsamen sozialen Grundlagen Europas, um denen, die Nein gesagt haben, eine andere Frage zu stellen oder stellen zu lassen. Ich glaube nicht, dass wir am Schluss eine einstimmige Ratifikation zustande bringen können. Warum? Weil die Erklärung über das soziale Europa, die Bundeskanzlerin Merkel vorgeschlagen hat, uns in Großbritannien nicht helfen, sondern eher schaden würde. Selbst wenn am Ende nur Großbritannien Nein sagen würde, wäre auch das eine durchaus wünschbare Konsequenz. Weil die Frage, was die Briten wollen und was der Rest Europas will, die muss irgendwann gestellt werden.

ÖGZ: Laut jüngster Eurobarometer-Umfrage ist die EU-Skepsis in Österreich besonders ausgeprägt. Ist das nach der EU-Euphorie im Jahr 1994 eine enttäuschte Liebe, wirkt die Euro-Einführung Anfang 2002 mit deutlichen Preissteigerungen etwa beim Kaffeehaus- oder Kinobesuch nach oder ist es einfach nur ein Übergangs- und Anpassungsphänomen im Zeitalter zunehmender Verunsicherung in einer globalisierten Welt?

Caspar Einem: Ich glaube, dass hier eine ganze Reihe von Dingen zusammenkommen. Solange die Europäische Union die Hoffnungen, die vor allem wirtschaftspolitisch in sie gesetzt worden sind, nicht erfüllt, wird es Enttäuschungen geben. Was die Menschen sehen – insbesondere auch in Österreich –, ist eine seit Jahren ansteigende Arbeitslosigkeit, dass die Wirtschaft nicht wirklich in Schwung kommt, dass man bei kaum 2% Wirtschaftswachstum schon sagt, toll, wir wachsen wieder. Das sind Dinge, die auf das Gemüt drücken. Das heißt dann, die EU ist schuld, wenn die Dinge nicht so sind, wie man sie sich wünscht. Es ist zwar nur zum Teil richtig, es ist überwiegend sogar falsch, aber es funktioniert. Es funktioniert deswegen so gut, weil uns erstens die Union noch ziemlich fremd geblieben ist. Viele Menschen wissen noch nicht, wofür die EU und wofür die Mitgliedsstaaten zuständig sind. Es funktioniert zweitens so gut, weil der emotionale Schock von den seinerzeitigen sogenannten Sanktionen im Jahr 2000 doch relativ tiefgegangen ist und weil die Österreicher insgesamt ein bisschen die Tendenz zum „Fremdln“ haben. Nicht in einer bösartigen Art, sondern es gibt sozusagen ein Grundgefühl, das sehr viele Österreicher haben: Wir sind klein und die sind „schiach“, obwohl wir so lieb sind – und das ist ungerecht. Frei nach dem Motto: Die Fremden verstehen uns sowieso nicht und in Wirklichkeit sind die Fremden sowieso selber schuld, wenn sie uns nicht verstehen, weil wir sind nämlich eh gut. Mit dieser Haltung kommt man nirgendwo hin, sie ist aber in den letzten Jahren auch gepflegt worden. Meiner Meinung nach kann es nur eine Umkehr geben, wenn es gelingt, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, sodass wieder die Masse der Menschen in Österreich – nicht nur ein paar Wenige – davon Vorteile haben und spüren, dass es aufwärts geht, dann hellt sich diese Stimmung wieder auf. Wenn es gelingt, die Österreicher ein bisschen Stolz zu machen auf ihre Rolle, die sie in Europa spielen, ist auch das ein wesentlicher Punkt. Das ist in Wirklichkeit die Chance der EU-Ratspräsidentschaft, wenn sie sie zu nützen versteht, Österreich mit der EU zu versöhnen. Ein Punkt wäre der Stolz auf die eigene Rolle und der andere der fühlbare wirtschaftliche Aufschwung.

ÖGZ: Herr Nationalratsabgeordneter, wir danken für das Gespräch.

Städtebund-Linktipps:
www.voewg.at
www.ceep.org

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