Europäisches Vergaberecht: Österreichs Kommunen fordern Rechtssicherheit

Europäisches Vergaberecht: Österreichs Kommunen fordern Rechtssicherheit

„Gewähren Sie uns Flexibilität und schützen Sie die Entscheidungsfreiheit der Kommunen.“ Mit diesen Worten beschloss Städtebund-Vizepräsident und Bürgermeister Heinz Schaden sein Statement im Rahmen des ersten Kommunalhearings im Europäischen Parlament am 20. April. Thema war die von Städten und Gemeinden heiß ersehnte Rechtssicherheit bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die damit zusammenhängenden Probleme im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit und den In-house-Geschäften – besonders nach den jüngsten Erkenntnissen des Europäischen Gerichtshofs. Fazit des Hearings: Es muss beim Vergaberecht rasche Klarstellungen im Sinne der Städte und Gemeinden geben.

 

„Zwischen den europäischen Kommunen und der Europäischen Kommission sowie dem Europäischen Gerichtshof zeichnet sich ein Konflikt ab. Dies wurde in der Vorwoche auf einer Anhörung von Interessenvertretern und Fachleuten im Europäischen Parlament in Brüssel deutlich. Im Mittelpunkt des Streits stehen die europäischen Regelungen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen sowie Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Diese schränkten den Wirkungsbereich von Städten und Gemeinden zunehmend ein, erklärte der Österreichische Städtebund.“ Mit diesen Worten begann ein detaillierter Artikel der renommierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) am 25. April 2006 über das erste Hearing im Europäischen Parlament, das auf Initiative der österreichischen und deutschen Europabüros der Kommunalverbände in Brüssel zustande gekommen ist. Kernthemen waren beim Hearing die durch EuGH-Erkenntnisse in Frage gestellte Praxis der interkommunalen Zusammenarbeit sowie die Handhabung von In-house-Vergaben. Beim Hearing wurde auch Bilanz über das neue EU-Vergaberechtspaket gezogen, das am 1. Februar 2006 in die nationale Gesetzgebung zu überführen war. Gerade 9 Länder haben es bislang geschafft, bis Jahresmitte werden es gerade 12 oder 13 sein.

Kernthema Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ)
Einer der schwierigsten Bereiche bildert die von den Kommunen geforderte Ausnahme der interkommunalen Zusammenarbeit von den EU-Vergaberichtlinien. Nach Ansicht des EuGH und der Europäischen Kommission muss auch sie dem EU-Vergaberecht unterstellt werden. „Kommt das, legt man die kommunale Selbstverwaltung in Ketten. Diese braucht mehr denn je die Möglichkeit, flexibel zu agieren. Die Ausschreibungspflichtigkeit von interkommunalen Kooperationen bedeutet, den Handlungsspielraum vor Ort übermäßig einzuengen“, meinte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Landrat Hans-Jörg Duppré, vor dem Ausschuss. Duppré verwies auf die Notwendigkeit zur interkommunalen Zusammenarbeit. Sie sei notwendig,

- um Kosten reduzieren zu können,
- zur Aufrechterhaltung und Gewährleistung eines breiten Dienstleistungsspektrums zugunsten der BürgerInnen,
- um personelle und finanzielle Ressourcen optimal einsetzen zu können oder
- aufgrund technischer Gegebenheiten.

Allein im Bundesland Bayern gäbe es knapp 1.500 kommunale Zweckverbände, in denen Kommunen gemeinsam eine klar definierte Aufgabe erfüllen.

EuGH-Urteile vom Jänner 2005
Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom 13. Jänner 2005 (Rs. C-84/03 – Kommission gegen Spanien) entschieden, dass nationale Regelungen, die Aufträge zwischen öffentlichen Verwaltungen untereinander generell vom Vergaberecht ausnehmen, gegen europäisches Recht verstoßen. Ansatzpunkt für konkrete Einschränkungen der interkommunalen Zusammenarbeit ist dabei die Definition des „öffentlichen Auftrages“ nach dem europäischen Vergaberecht (siehe Urteile Rs. C-26/03 – Stadt Halle; Rs. C-458/03 – Parking Brixen). Ein solcher liegt dann vor, wenn zwischen einem Wirtschaftsunternehmen und einem öffentlichen Auftraggeber ein entgeltlicher Vertrag geschlossen wird. Gemäß einer funktionalen Betrachtung können nach Auffassung des EuGH Unternehmen im Sinne des Vergaberechts auch öffentlich-rechtliche Dritte und damit Kommunen sein.
„Interkommunale Zusammenarbeit ist aber gerade keine Beschaffung am Markt, sondern eine binnenorganisatorische Maßnahmen. Es werden Zuständigkeiten neu verteilt“, meinte Duppré, der damit viel Zustimmung im Saal erntete.

Ziel: Vergaberechtliche Freistellung bei IKZ
Ziel müsse es daher sein, zu einer vergaberechtlichen Freistellung im europäischen Recht zu kommen, damit endlich für diesen Bereich Rechtssicherheit herrsche. „Wir halten es für notwendig, in den EU-Vergaberichtlinien eine Klarstellung zu treffen, sodass die interkommunale Zusammenarbeit vom Vergaberecht ausgenommen ist. Wir würden es außerordentlich begrüßen, wenn der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments sich dieser Fragestellung annehmen und einen Initiativbericht erarbeiten würde, der eine entsprechende Veränderung des europäischen Vergaberechts auf den Weg bringt“, so Duppré. Unterstützung fand diese Argumentation auch bei der österreichischen EU-Präsidentschaft, vertreten durch Michael Fruhmann vom Bundeskanzleramt. „Kommunen waren innerstaatlich immer privilegiert, da Städte und Gemeinden im Rahmen der internen Aufgabenverteilung innerstaatlich eine entscheidende Rolle spielen“, erklärte Fruhmann. Als Rechtsträger seien Kommunen dem Allgemeinwohl und nicht dem Gewinnstreben verpflichtet. Besonders kritisierte er die mangelnde Berücksichtigung des in den EU-Verträgen seit Maastricht verankerten Subsidiaritätsprinzips in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. „Bei der interkommunalen Zusammenarbeit gibt es keine eindeutige Positionierung der Mitgliedsstaaten. Ein legislativer Vorstoß wäre daher der einzige Weg, um die Stellung der Gemeinden zu verbessern“, hielt Fruhmann fest, während die EU-Kommission lediglich eine interpretative Mitteilung ankündigte, um für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Ein Umstand, von dem manche meinen, dass er nur noch mehr Unsicherheit erzeugt. Zusätzlich werde der europäische Gesetzgebungsprozess umgangen.

Kernthema In-house-Vergaben
„5 vor 12“ hatte dann Städtebund-Vizepräsident Heinz Schaden im Rahmen des Hearings seinen Auftritt und 10 Minuten Redezeit. „Warum ist In-house für uns so wichtig? Weil es uns erlaubt, Aufgaben durch Unternehmen, an denen die Kommunen wesentlich beteiligt sind, wie durch eigene Unternehmen erledigen zu lassen“, meinte Schaden. Dabei gehe es um den Erhalt von wertvollem Know-how im öffentlichen Bereich, um die Aufrechterhaltung demokratischer Kontrollfunktionen sowie um die Gewährleistung der Bindung zwischen dem ausführenden Personal und der jeweiligen Stadt oder Gemeinde. „Die Kommunen sind nicht gegen fairen Wettbewerb und scheuen ihn auch nicht. Aber: Städte und Gemeinden haben eine Gewährleistungsfunktion für die wesentlichen Punkte der Daseinsvorsorge. Es muss den Kommunen daher das Wahlrecht erhalten bleiben, selbst zu entscheiden, ob eine Leistung ausgeschrieben wird oder nicht.“ Vergabeverfahren sind aus kommunaler Perspektive stark kostentreibend sowie personal- und zeitintensiv. Neben der Länge des Verfahrens sind es vor allem die Kosten, die Städten und noch viel mehr kleineren Kommunen nicht zumutbar sind: Die Ausschreibung einer Abwasserbeseitigung in Niederösterreich hat 2005 etwa 500.000 Euro an Anwalts- und Konsulentenkosten verbraucht. Damit hätte man in der Stadt Salzburg die Nachmittagsbetreuung von 1.000 Kindern in 20 Schulen für ein halbes Jahr ausfinanzieren können.

Kriterien für Europarechtskonformität
1998 hatte der EuGH im sogenannten Teckal-Urteil (Rs. C-107/98) festgehalten, dass eine Ausschreibung bei einer In-house-Vergabe dann nicht notwendig sei, wenn erstens der öffentliche Auftraggeber über die in Rede stehende Rechtsperson eine Kontrolle ausübt, die jener gleichkommt, die er über eigene Dienststellen ausübt. Zweitens müsse diese Rechtsperson ihre Wirtschaftstätigkeit im Wesentlichen (sogenanntes „Wesentlichkeitskriterium“) mit der oder den Körperschaften abwickeln, die sie unterhält. 2005 stellte der EuGH dann im Stadt-Halle-Urteil (Rs. C-26/03) zusätzlich fest, dass eine „Kontrolle (ähnlich) wie über eine eigene Dienststelle“ jedenfalls dann nicht gegeben ist, wenn ein Privater an der Rechtsperson beteiligt ist – sei es auch nur mit einem minimalen Prozentanteil.
„Ein Beispiel: Die Stadt Salzburg hat 1999 eine Objekterrichtungsgesellschaft aus der Taufe gehoben, die seit 2000 zwischen 60 und 70 Millionen Euro investiert hat. Die Stadt ist 99%iger Eigentümer, 1% wird von einem Kreditinstitut gehalten. Durch eine Vereinbarung liegen sämtliche Kontrollrechte bei der Stadt Salzburg, die Geschäftsführer sind quasi weisungsgebunden“, verwies Schaden auf die kommunale Praxis in seiner eigenen Stadt. „Ob ein öffentlicher Auftraggeber eine Kontrolle wie über seine eigene Dienststelle ausübt, hängt nicht alleine vom Beteiligungsverhältnis, sondern von der konkreten vertraglichen Konstruktion ab“, so Bürgermeister Schaden. Hier sei es notwendig, EU-rechtlich Kommunen als Mehrheitseigentümer zuzulassen. „Auch Minderheitseigentum von Kommunen sollte möglich sein, wenn die Kontrollrechte eindeutig bei einer Stadt oder Gemeinde liegen – das muss klar vertraglich definiert sein“, meinte Schaden.

Rechtsunsicherheit bei Wesentlichkeitskriterium
Besonders beim oben genannten Wesentlichkeitskriterium herrscht große Rechtsunsicherheit. „Sind das 60 oder 80%? Die EU-Kommission spricht auch von ,beinahe ausschließlich‘. Wir brauchen unbedingt Klarheit – jede Beauftragung einer Gesellschaft, selbst wenn sie im 100%igen Eigentum einer Stadt oder Gemeinde steht, provoziert die Gefahr einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof“, erklärte Schaden in seinen Schlussworten.
Die EU-Kommission machte allerdings den TeilnehmerInnen am Hearing kaum Hoffnungen, dass eine rasche Veränderung der Vergabebestimmungen ins Haus stehen könnte – trotz der eindeutigen und sehr erfreulichen Haltung der österreichischen EU-Präsidentschaft. Es bleibt zu befürchten, dass Städte und Gemeinden bzw. Mitgliedsstaaten auch weiterhin Post vom Europäischen Gerichtshof aus Luxemburg bekommen werden. Hoffnungen machten im Rahmen des Hearings nur die sehr gut informierten deutschen EU-Abgeordneten, die sich sehr stark und fraktionsübergreifend für eine legislative Klarstellung im EU-Vergaberecht aussprachen.

Städtebund-Linktipp:
www.europarl.eu.int/hearings/20060420/imco/schaden_de.pdf

Fußnote:
1 Dieser Artikel basiert über weite Strecken auf jener Unterlage, die das Städtebund-Büro in Brüssel für das öffentliche Hearing im Europäischen Parlament vorbereitet hat. Ein besonderer Dank der Autoren gilt DDr. Karl Atzmüller (Stadt Salzburg).

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