Die drei neuen Wiener „Bs“: Babies – Bildung – Bewegung

Die drei neuen Wiener „Bs“: Babies – Bildung – Bewegung

Kinder fallen nicht einfach vom Himmel. Dass sich die Großstadt Wien im Unterschied zu den anderen Bundesländern wieder über steigende Geburtenraten freuen darf – allein im ersten Halbjahr 2005 gab es in Wien ein Plus von 4,3% –, hat durchwegs handfeste Gründe.

 

Dazu gehört etwa eine sehr gut ausgebaute Kinderbetreuungs-Infrastruktur, in welche die Stadt jährlich um die 315 Millionen Euro investiert. Mit dem Ergebnis, dass es in Wien – zählt man Kinderkrippen, Horte, Kindergärten, Tageseltern und etwa Nachmittagsbetreuungen zusammen – rund 102.000 Kinderbetreuungsplätze gibt. Faktum ist zugleich, dass es heutzutage nicht mehr ausschließlich um technische und sozial leistbare Lösungen geht, sondern immer mehr auch um die Bereitschaft seitens der Kommunen, inhaltlich neue Wege zu gehen. Denn klar ist eins: Dort, wo „Best practice“-Modelle den Raum berechenbarer steuerbarer technischer Innovationen verlassen, um im sozialen Bereich, im städtischen Alltag anzusetzen und positiv zu wirken, muss das entsprechende Instrumentarium entsprechend vielfältig ausgerichtet sein.
Erstes Beispiel hierfür: Das klassische Wäschepaket, welches Müttern und Vätern in Wien seit den Zeiten des Sozialpolitikers Julius Tandler (1869–1936) überreicht wurde. Nicht zuletzt, um via intelligenter Dienstleistung miteinander ins Gespräch zu kommen, entwickelte die Stadt Wien in den letzten Jahren einen neuartigen Zugang zum Thema Wäschepaket. Im Jahr 2001 wurde der Wickelrucksack eingeführt, seit April dieses Jahres gibt es wahlweise den Kleinkinderrucksack dazu. Dieser praktische Willkommensgruß an jede neugeborene Wienerin oder Wiener bietet erfolgreich der Stadt Wien die Möglichkeit, auf das wirklich umfangreiche Service- und Betreuungsangebot in Wien aufmerksam zu machen
Zweites Beispiel: Gerade im Kleinkindbereich hat die Stadt Wien in letzter Zeit bewiesen, dass es bei der laufenden pädagogischen wie auch bildungsmäßigen Diskussion um die nachwachsende Generation nicht nur um eine zeitgemäße Infrastruktur geht, sondern auch um Inhaltliches.
Stichwort: Wiener Bildungsplan. Als erstes Bundesland in Österreich erfolgte im
Juni 2005 auf Initiative der hierfür zuständigen Vizebürgermeisterin Grete Laska mittels einer hochkarätig besetzten Enquete zum Thema „Bildung im Kindergarten“ der Startschuss für eine pädagogische Deklaration für Wiens Kindergärten.
Um was es dabei geht? Vielleicht zuerst einmal ex negativo: Es geht dabei weder um ein bewusstes Vorziehen schulischer Wissensvermittlung noch gar um Einführung von Noten im Leben der Kindergartenkinder. Vielmehr zielt die neue Initiative darauf ab, den Kindergarten als gut zugängliche Adresse und wichtigen Lebensort für
kleine Menschen zu betrachten, wo es eben nicht nur um Betreuung oder um einen abstrakten Bildungsauftrag, sondern vielleicht vielmehr darum geht, den vielen Erstaunlichkeiten des alltäglichen Lebens etwas analytischer, aber auch sinnlicher auf die Spur zu kommen. Was das sein kann?

Bildung: Freude an Fragen und Antworten
Donata Elschenbroichs „Weltwissen für Siebenjährige“, bereits vor ein paar Jahren erschienen, gibt darauf womöglich noch immer eine gute, weil breite und nicht sehr eingegrenzte Antwort: Etwa einmal eine Sammlung anzulegen, eine Blindenschrift zu ertasten, einen Tisch hübsch zu decken, Gemüse zu schneiden, gar etwas selbst zu kochen. Aber das alles nicht – noch einmal sei es gesagt – als pure Wissensvermittlung verstanden, sondern als Herausarbeiten der spezifischen Individualität der einzelnen Kinder, was ja auch bedeutet, deren jeweilige Interessengebiete als plausible Grundlage heranzuziehen, um von dort an mit dem Kind ein paar weitere Bildungsschritte zu unternehmen. Wichtig ist es dabei freilich, die entsprechenden „Bildungsfenster“ für die Wissensvermittlung und für neue Lernimpulse bei den Mädchen und Buben zu erkennen.
„Erst war ich der liebe Gott, aber dann haben sie mich in die Schule geschickt, und von da an konnte ich mich nicht mehr um alles kümmern“, schreibt zugespitzt der Schriftsteller Peter Kurzeck im Rückblick auf seinen Schulbeginn. Was damit anklingt, ist klar: Kinder setzen sich von frühauf mit ihrer Umwelt auseinander, versuchen sie zu ergründen, spielerisch zu verstehen. Wie funktioniert ein Wecker? Warum kommt Wasser aus dem Wasserhahn? Wohin verschwindet es wieder auf der Toilette? Was man im Allgemeinen – also im Diskurs, auf der Universität, während einer Enquete – fortschrittliche Kleinkindpädagogik nennt, soll in Wiens Kindergärten sinnenreich, experimentierend, spielerisch entstehen. Nochmals: Es geht bei all dem nicht um eine (Millionen-) Quiz-Pädagogik, sondern darum, auch als Erwachsener wieder Fragen zu stellen bzw. sich vielleicht auch wieder Fragen zuzutrauen. Klingt komisch, aber es soll gar nicht so selten im Zusammenleben mit Kleinkindern vorkommen, dass man Fragen alleine deswegen ausweicht, weil man meint, die Antwort nicht präzise genug zu wissen. Gerade in den naturwissenschaftlichen Bereichen des Lebens – und hier sind wir etwa wieder beim Gang des Wassers angelangt –, geht es nicht wenigen Erwachsenen so, dass sie sich selbst wieder auf der vermeintlichen Schulbank wieder zu finden glauben. Wobei: Die Situation hat sich speziell im Erwachsenenbereich auch in Wien zwischenzeitlich verändert. Oder wie sonst will man den schon lange Zeit anhaltenden Boom an zig populärwissenschaftlichen Veranstaltungen – von „University meets Public“ und den „Wiener Vorlesungen“ über das neue Wissenschaftsmagazin der Stadt Wien „Entdecken & Forschen“ bis zu den ebenso sehr gut besuchten und oft rasch ausgebuchten „Wiener Kindervorlesungen“ erklären?

Urbane Bildungskultur beginnt nicht erst in der Schule
Dies in Zusammenhang mit dem Wiener Bildungsplan zu erwähnen, ist nicht allzu weit hergeholt, sondern nur ein weiterer Beweis hierfür, wie sehr sich die Stadt wieder auf jenes Prinzip zu besinnen beginnt, auf das zumindest ein Mythos des Städtischen beruht, Quelle und Sitz des Wissens zu sein, bedeutet dies doch in realer Konsequenz auch, dass sich – neben allen durchaus beträchtlichen Investitionen Wiens in Kernbereiche moderner Naturwissenschaft (Stichwort: Biotechnologie) – auch die Akzeptanz zu der nach außen hin wieder deutlich offener gewordenen Welt naturwissenschaftlicher Fragestellungen – man denke nur an die neuen Erkenntnisse der Quantenphysik – nicht nur intellektuell gestiegen ist, sondern damit einhergehend auch wieder vermehrt die Neugierde am Befragen der Welt „an sich“ im Steigen begriffen ist.
Retour, nein nicht in die „Forschungslabors“ für Kleinkinder, sondern in die ganz normalen Kinderbetreuungseinrichtungen Wiens, die gegenwärtig von 97% aller Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren besucht werden. Damit hier auch kein Missverständnis auftritt: In den Krippen, Kindergärten und Horten geht es keineswegs darum, alleine Einstein, Schrödinger und Zeilinger & Co. ein wie auch immer geartetes Denkmal zu setzen, auch geht es nicht darum, Kinder für die Naturwissenschaften fit zu machen, nein, am ehesten besticht der Bildungsplan in Wien dadurch, dass er den Begriff Bildung in den Mittelpunkt setzt, ohne deswegen in den schulischen Schatten treten zu müssen. Derzeit befindet sich der Bildungsplan im Status der Begutachtung – betrifft er doch
nicht nur die Stadt-Wien-eigenen Kinderwelten, sondern ebenso diejenigen der Partner der Stadt Wien, also etwa die Wiener Kinderfreunde, Kinder in Wien oder die Kids Company.

„Bewegung findet Stadt“
Ein weiteres wesentliches Vorhaben der Stadt Wien zielt seit bereits einigen Jahren darauf ab, mehr Wienerinnen und Wiener zu mehr Freude an eigener Bewegung zu verhelfen. Im Prinzip nicht unähnlich zum Bildungsplan für Wiens Kindergärten geht es auch hier darum, ohne enge Definitionen im vorab wieder Lust und Freude am Entdecken eigener physischer Leistungsfähigkeit zu machen. Auch wenn sich die erfolgreiche Initiative „Bewegung findet Stadt“ grundsätzlich an jeden Wiener jedes Alters richtet, so kann nichtsdestotrotz behauptet werden, dass der Bewegungsdrang gerade unter Kleinkindern besonders ausgeprägt ist und deswegen hier auch besonders aufmerksam „interveniert“ werden kann. Auch Wettbewerbe, etwa im Laufen oder im Streetsoccer, spielen dabei eine erhebliche Rolle. Gemeinsam mit dem Stadtschulrat für Wien gibt es zahlreiche Aktionen, Projekte und Schulwettkämpfe, um die Schülerinnen und Schüler für Bewegung zu begeistern. Insgesamt konnten so knapp 40.000 Jugendliche „bewegt“ werden. Bei den speziellen „Athletic lights“, einem spielerisch konzipierten Leichtathletikbewerb, nehmen jährlich um die 22.000 Kinder teil. Dennoch gilt: Die Lust an der eigenen Bewegung, am Sport, am Schwitzen und Sich-Bemühen, ebenso wie die Lust mit Gleichaltrigen draußen zu sein, Scooter oder Rollerblades zu fahren, seine Geschicklichkeit beim Ballspiel zu verfeinern, den einen oder den anderen Trick beim Schwimmen zu erlernen – all das kann auch ohne klassische Wettbewerbe schlichtweg Freude bereiten. Gestartet vor über fünf Jahren zeigt die von Sportstadträtin Grete Laska ins Leben gerufene Initiative bereits heute deutliche Auswirkungen. Das vielleicht allerwichtigste Ergebnis: Sport, vor allem Bewegung an sich, wird wieder – jenseits des Spitzensportes – vermehrt geschätzt. Weit über 350.000 Wienerinnen und Wiener konnten seit Startschuss der Initiative im Jahr 2000 für regelmäßige sportliche Tätigkeit interessiert werden. Die dabei verfolgte Strategie ist am besten als eine Mischung zwischen Sportevents und neuen Programmen vor Ort zu charakterisieren: Events meint etwa die bewusste Förderung sportlicher Großereignisse à la Vienna Marathon (2006 nahmen knapp 24.000 Läuferinnen und Läufer daran teil), aber etwa auch des Wiener Eislauftraumes vor dem winterlichen Rathaus im Zentrum der Stadt (2006 besuchten mehr als 500.000 Menschen dieses Event). Beide Events überzeugen nicht nur durch ihre professionelle Abwicklung und geschickt gesetztes Marketing, sondern vor allem auch dadurch, dass sie in vielfältiger Art und Weise zig Einstiegs- und Beteiligungsmöglichkeiten jedem Einzelnen zum selbstständigen Mitmachen und Ausprobieren offerieren. Die gerade heute nicht unwichtige Botschaft lautet: Jeder kann mitmachen! Du schaffst das auch! Und vor allem: Es macht Spaß! Nicht zuletzt deswegen setzt die Strategie auch beim Prinzip der Gruppe an: Ob „Österreichischer Frauenlauf“, regelmäßige Mountainbike-Treffs, der populäre Halbmarathon für Mädchen und Frauen im Alter zwischen 10 und 18 Jahren, Poolgymnastik und weitere Bewegungsangebote in Wiener Bädern, Tanz, aber auch klassische Angebote wie Fußball oder Basketball: Beim Wiener Angebot geht es gerade
nicht um Einschränkung, sondern um Vielfalt.

Schwerpunkt für Mädchen und Frauen
Ein wichtiger Schwerpunkt bei den vielen Aktivitäten von „Bewegung findet Stadt“ bildet dabei die spezielle Förderung der Bewegungsfreude unter Mädchen und Frauen. Basierend auf Untersuchungen tritt nämlich deutlich zutage, dass insbesondere Mädchen und Frauen mit zunehmendem Alter es schwerer haben, ihren Zugang zu selbst gewählter Bewegung ausdauernd auszuleben. Bedingt durch Familie, Erziehung und Beruf – Wiens Frauen sind zu knapp 80% im Beruf stehend und liegen damit weit über dem österreichischen Durchschnitt – reduziert sich somit der weibliche Anteil am großstädtischen Sportgeschehen sukzessive. Als Antwort startete die Stadt Wien neben den bereits weiter oben erwähnten speziellen Mädchen/Frauen-Angeboten u. a. auch den „Girlies Day“, der in gelungener Kombination von Trendsportarten, Fashion sowie Stylingberatung Mut zu regelmäßiger Bewegung mit Freundinnen, etwa beim Volleyballspiel im Park oder aber auch beim Mädchenfußball, machen soll. Ebenso auf dem Programm zu finden sind auch Tipps für eine gesunde ausgewogene Ernährung. Übrigens: Laut einer größeren Untersuchung über die bevorzugten Sportarten bei Männern und Frauen haben Frauen beim „Schwimmen“, „Wandern“ und „Laufen“ die Nase vorne. Klar ist aber auch, dass Initiativen wie „Bewegung findet Stadt“ nur durch konsequentes Weitermachen nachhaltig die Begeisterung für Sport heben kann. Denn Tatsache ist auch, das rund 60% aller Wienerinnen und Wiener bislang sportlich inaktiv sind. Auf der Suche nach den Gründen hierfür wird aber rasch klar, dass es nicht so sehr an womöglich mangelnden Sportmöglichkeiten im städtischen Raum liegt, sondern – vor allem bei Burschen, noch mehr aber bei Mädchen – auch geschlechtsspezifische Hemmnisse existieren. Gemäß der schon erwähnten Untersuchung tritt etwa zutage, dass neben mangelnden Mädchenräumen und der Vorbildhaltung der Eltern zu Hause Mädchen auch gegen ein erhöhtes Schutzbedürfnis seitens der Eltern wie auch mit einer frühzeitigen Konditionierung auf spezielle, meist grazile oder schwerpunktmäßig rhythmisch gestalteten Spielen zu „kämpfen“ haben. So betrachtet dürfte Clint Eastwoods erfolgreiche und preisgekrönte Produktion „One Million Dollar Baby“ als direkt avantgardistisch gelten.

OEGZ

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