Bildung ist Wissensvermittlung

Bildung ist Wissensvermittlung

Zuerst das Auswahlverfahren, welches Kind zu einem bestimmten Stichtag für schulreif erklärt wird, dann das Streben nach den besten Noten, weil dies ermöglicht, innerhalb eines vertikalen Ausbildungssystems aufzusteigen. Ein Bildungsbegriff, der die Förderung Einzelner und die Schaffung einer Bildungselite in den Mittelpunkt stellt, dominiert unser Schulwesen und erhöht den Stress für Kinder und Eltern. Doch Bildung kann auch anders begriffen werden!

 

Ich bin überzeugt von einem Bildungsbegriff, der Kinder individuell fördert, der ihre Stärken betont und ihre Schwächen und Defizite mit speziellen Förderprogrammen ausgleicht. Bildung heißt in diesem Fall nicht Selektion, sondern Förderung und Integration. Und Bildung heißt nicht Vermittlung von lexikalem Wissen, das eingetrichtert und abgefragt wird, sondern Bildung heißt: Neugierig sein, Unbekanntes erarbeiten und Erfahrungen machen. Bildung heißt Kreativität, Musikalität, Phantasie. Auch die Arbeit mit dem Körper, also Tanz, Bewegung und Sport, hat mit Bildung zu tun, die als ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung betrachtet wird. Ein solcher Bildungsbegriff muss auch von den Eltern mitgetragen werden. Aber welche organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen kann eine Stadt zur Verfügung stellen?

Bildungsplan im Kindergarten
In Wien habe ich – ausgehend von einem solchen erweiterten Bildungsbegriff – gemeinsam mit unseren Fachleuten den ehrgeizigen Versuch unternommen, neue Bildungsstandards im Vorschulalter zu definieren. Trotz der schlechten PISA-Ergebnisse österreichweit wurden bisher keine Konsequenzen im frühkindlichen Bildungsbereich gezogen. Die Wiener Initiative, die einen Paradigmenwechsel in der Bildungsarbeit bedeutet, könnte als Pionierarbeit für ganz Österreich gesehen werden: Vor rund einem Jahr also, im Juni 2005, fiel mit einer Enquete, an der rund 1.000 PädagogInnen teilgenommen haben, der offizielle Startschuss für die Erstellung eines verbindlichen Bildungsplanes im Kindergarten, der nicht mit jenem in der Schule vergleichbar ist. Es gibt keinen Zeit- oder Notendruck und jedes Kind wird dort abgeholt, wo es in seiner persönlichen Entwicklung steht. Es geht um das Erlernen von Basiskompetenzen, wie etwa soziale Fähigkeiten, um das Einordnen von Sinneseindrücken, um kommunikative und sprachliche Fertigkeiten, das Wahrnehmen des eigenen Körpers u. v. m. Sprachkompetenz (die Forschung hat hier einen riesigen Datenpool geschaffen, der Grundlage für ganz konkrete Lehrinhalte sein kann), Kreativität und Entdecken stehen dabei im Vordergrund. Kinder sollen auf spielerische Art und Weise die Hintergründe ihres Tuns begreifen und erfahren, warum sie etwas lernen. Sie sollen auf das Leben vorbereitet werden, indem sie das spielerisch Erlernte in die Realität umsetzen. Die Zeit im Kindergarten soll das Miteinander mit Kindern anderen Geschlechts oder anderer Herkunft und mit Kindern mit Behinderungen zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Ein Bildungsplan sorgt für mehr Transparenz, ermöglicht Qualitätssicherung und bessere Kontrolle.

Keine Grenzziehung zwischen Kindergarten und Schule
Ein weiteres Ziel ist die Angleichung an europäische und internationale Standards. Wie in anderen europäischen Ländern sollte man auch in Österreich über eine flexible Schuleingangsphase zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr nachdenken. Denn die strenge Grenzziehung zwischen Kindergarten und Schule, wie sie heute bei uns Usus ist, ist eine willkürliche, selektierende. Sie trennt Kinder, die an einem gewissen Stichtag als reif für die Schule erachtet werden, von „unreifen“ Kindern. Ebenso wie viele andere Länder vor uns sollten auch wir die Nahtstelle zwischen Kindergarten und Schule schließen. Schweden, Norwegen, Chile oder Neuseeland haben sich schon lange für die Einführung von Rahmenbildungsplänen für die Altersgruppe der unter Ein- bis Fünf-/Sechsjährigen entschieden. Norwegen setzt bereits seit 1996 auf ein integriertes System der Bildung, Erziehung und Betreuung für Kinder im Alter von Null bis Sechs. Alle Tageseinrichtungen – auch die privaten – müssen ihre Jahrespläne nach dem nationalen Bildungsplan ausrichten. Andere Länder haben sich für Bildungspläne ein oder zwei Jahre direkt vor der Einschulung entschieden. Unabhängig vom Modell gewährleisten diese landesweit einheitlichen Bildungspläne mehr als ein Gratis-Kindergartenjahr die optimale Betreuung von Kleinkindern und fördern damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die zum Großteil noch ausschließlich den Frauen auferlegt ist.
Ganz oben auf meiner Prioritätenliste in Sachen Bildung stehen individuelle Förderung und Differenzierung. Gerade in Großstädten wie Wien, wo Integration eine Herausforderung darstellt (die Verjüngung des Wiener Bevölkerungsschnitts geht primär auf zugewanderte Bevölkerung zurück), muss jedes Kind möglichst unter Berücksichtung seiner körperlichen und geistigen Entwicklung sowie seiner sozialen und kulturellen Herkunft gefördert werden.

Modellprojekte der Stadt Wien
Ein Jahr lang also haben unsere PsychologInnen, Integrationsfachleute, Schul- und KindergartenpädagogInnen und geschlechtersensible ExpertInnen an Österreichs erstem verbindlichen Bildungsplan für Kindergärten gearbeitet und bald wird ein – zumindest für die Wiener Einrichtungen – verbindliches Papier vorliegen.
Je älter ein Kind wird, desto detaillierter werden Bildungsinhalte und irgendwann kommt dann doch die Schule. Der Eintritt ins offizielle, verpflichtende Bildungssystem soll aber möglichst ohne Hürden erfolgen. Bildung ohne Hindernisse heißt auch, dass unabhängig vom Einkommen und unabhängig von der Herkunft der Eltern Chancengleichheit besteht. Ich fordere schon lange für die Schule ein modulares Ausbildungssystem sowie eine Reform der Oberstufe. Das System soll nicht nach oben hin selektieren, sondern Übergänge in horizontaler Richtung erleichtern. Der Wechsel von einem Schultyp zum anderen oder die Kombination zwischen Matura, Lehre und höherer Ausbildung sollen erleichtert werden. Wir haben in Wien in den letzten Jahren unterschiedlichste Modellprojekte entwickelt, aber auch viele Mittel in den Bau und die Sanierung von Schulen sowie in deren technische Ausstattung investiert. Dazu gehört etwa das Wiener Bildungsnetz. 1997 ins Leben gerufen, wurden in einem österreichweit einmalig und auf europäischer Ebene vorbildhaften Projekt sämtliche ca. 400 öffentliche Pflichtschulen mit einer zukunftsorientierten Endgeräteausstattung, Objektnetzinfrastruktur, einem Intranet und Internetanschlüssen versorgt. Erst voriges Jahr hat der Gemeinderat 21 Millionen Euro beschlossen, um die Hardware bis 2007 auf den neuesten Stand zu bringen. Auch für Schulneubauten und Sanierungen werden in den nächsten Jahren Mittel zu tätigen sein, wenn wir für die Zukunft die notwendige Hardware für eine gute Schulbildung haben wollen.

Bildung als gesellschaftliche Aufgabe
Mir ist die optimale Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen aus zwei Gründen ein ganz zentrales Anliegen: Auf der einen Seite steht die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Denn die Statistik der arbeitslosen Jugendlichen zeigt einen starken Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Jugendarbeitslosigkeit auf: Je weniger ausgebildet Jugendliche sind, umso eher sind sie später arbeitslos. Ich finde es in diesem Zusammenhang schade, dass sich die Wirtschaft da nur in wenigen Fällen als ein engagierter Partner einbringt.
Auf der anderen Seite aber steht die persönliche Entwicklung des Einzelnen und damit auch jene unserer Gesellschaft. Denn nur, wenn wir das Entstehen einer Zweiklassengesellschaft hintanhalten, nur wenn wir Kindern und Jugendlichen ermöglichen, an der Informationsgesellschaft teilzuhaben, können wir erwarten, dass sie früher oder später kritische und bewusste BürgerInnen werden, die Sprache und Kommunikation als ihre Kernkompetenz betrachten und die ihren Bedürfnissen auch Ausdruck verleihen. Wir sollten ein Bildungssystem implementieren, das Menschen dazu befähigt, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und demokratische Entscheidungen zu treffen. Im Bereich der außerschulischen Jugend- und der Bildungsarbeit (in diesem Zusammenhang sei auch auf das Stichwort vom lebenslangen Lernen verwiesen) setzen wir daher u. a. auf dezentrale Einrichtungen der Büchereien, der Musikschulen oder der Erwachsenenbildung (mit 18 VHS-Standorten). Die Jugendzentren führen Projekte durch, in denen Partizipation groß geschrieben wird, und wir unterstützen Aktivitäten im Medienbereich – zuletzt etwa das Bürgerfernsehen Okto, das im November 2005 Sendestart hatte.
Aber: All das kostet Geld – und oftmals werden Investitionen seitens unserer Regierung, unserer Länder, Städte und Gemeinden in Frage gestellt. Für mich gibt es da nur eine Antwort: In die optimale Aus- und Weiterbildung der Kinder und Jugendlichen zu investieren, muss im Interesse unserer gesamten Gesellschaft sein – denn nur sie garantiert die Zukunft einer selbstbewussten, demokratischen Gesellschaft.

OEGZ

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